Alliha duckte sich um einem herunterhängendem Ast auszuweichen. Das Geräusch ihrer Schritte klang in der kalten, winterlichen Umgebung dumpf und der Schnee knirschte leise bei jeder ihrer vorsichtigen Schritte. Sie war bedacht keine Geräusche zu erzeugen, doch es gelang ihr nicht, das Wetter spielte gegen sie.

Eine ihrer feuerroten Haarsträhnen verhakte sich in einem Tannenzweig, Alliha löste sie vorsichtig und schob die Strähne wieder an ihren Platz. Ihr Atem bildete Wolken in der Luft, aber sie fror nicht. Der gefütterte haselnussbraune Umhang der um ihre Schultern hing, hielt sie warm und schützte sie vor der schneidenden Kälte hier außerhalb Havens.

Sie genoss die Stille im Wald vor den Toren des Dorfes. Alliha benötigte eine Pause vor den Geschehnissen und der Wald bot ihr seit jeher Zuflucht.

Seit der Explosion des Konklaves war viel geschehen. Viel zu viel in allzu kurzer Zeit. Sie war erst ein paar Tage in Haven und schon kam ihr, ihr früheres Leben vor wie ein bereits verblassender Traum.

War sie tatsächlich noch immer dieselbe wie vor den Ereignissen im Konklave? Wer war sie überhaupt davor gewesen? Alliha. Alliha Lavellan. Das Wolfsmädchen. Der Name schien ihr nur noch ein hohler Begriff zu sein.

Veränderte sie der Anker bereits, oder konnte sie sich einfach nur nicht mehr an entschiedene Ereignisse erinnern? Es muss mehr passiert sein.

Vor der Explosion. Vor der Bresche. Bevor all die Menschen starben.

Wie konnte sie als einzige überlebt haben und noch dazu in solche Ereignisse verwickelt worden sein? Herold Andrastes.

Sie musste unwillkürlich grinsen, als sie daran dachte wie fassungslos ihre Clanmitglieder ausgesehen haben mussten, als sie von ihrem neuen Titel erfahren haben.

Alliha hatte selbst um Fassung gerungen als sie hörte wie die Menschen sie das erste Mal Herold Andrastes nannten. Zuerst dachte sie es handle sich um einen schlechten Scherz, oder eine spöttische Bemerkung über ihre Wurzeln. Doch sie hatten es ernst gemeint. In den Stimmen der Menschen hat eine Ehrfurcht gelegen, die sie frösteln ließen.

Vor ihr ging eine Böschung bergab und der Wald wurde lichter. Alliha stützte sich auf ihren Stab und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Stille war wunderbar.

Ein paar Meter vor ihr lichtete sich der Wald vollständig und sie stand auf einer kleinen Lichtung. Eine morsche Kiefertanne war umgestürzt und ragte in die Lichtung hinein. Dornenbüsche säumten den Rand. Die Dämmerung tauchte alles in ein fades Licht und die Nadelbäume warfen lange Schatten die sich nach Alliha ausstreckten und mit ihren verrenkten Gliedern nach ihr griffen.

Eine Welle von Heimweh überkam sie. Nicht nach ihrem Clan – den Dalish – in den Freien Marschen, sondern nach dem Wald und der Freiheit die er ihr bot. Der Ausflug tat ihr gut, jedoch verriet ihr die Dämmerung, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb bis die Dunkelheit herein brechen würde.

Sie wollte sich davor auf den Rückweg machen, nicht aus Angst sich zu verlaufen – den Weg würde sie auch blind wieder zurück nach Haven finden – sondern aus Angst, dass jemand ihre Abwesenheit bemerkte.

Alliha könnte nicht erklären warum sie sich heimlich in den Wald gestohlen hatte und selbst wenn, würden sie es nicht verstehen.

Zielstrebig stapfte sie durch den Schnee über die Lichtung auf den umgefallenen Baum zu.

Mit ihren Händen strich sie über die raue mit Furchen durchzogene Rinde und setzte sich auf den Stamm, der Geruch des toten Holzes umhüllte sie. Ihren Stab lehnte sie an die Seite des Baumes, noch immer in Griffweite.

Alliha schloss die Augen, griff nach dem Mana in ihrem tiefsten Inneren und öffnete ihren Geist. Behutsam schickte sie ihr Bewusstsein in den Wald hinaus, tastete nach dem Leben um sich und ließ sich von der erdrückenden aber zeitgleich auch befreienden Präsenz des Waldes und seiner Bewohner durchströmen.

Er hieß sie willkommen wie eine Mutter ihr heimkehrendes Kind, tröstete sie und nahm ihr die Last von den Schultern – wenn auch nur für den Moment.

Ihr Geist verwob sich immer weiter mit der Welt die sie umgab, bis sie eins mit ihr war. Ein unzertrennbarer Stoff aus Sein und Bewusstsein.

Vorsichtig schob sie ihren Geist weiter hinaus. Alliha suchte nach etwas ganz bestimmten. Sie hoffte, sie war weit genug von Haven entfernt, dass sie sich bis hier hin gewagt hatten…

Plötzlich erschienen helle Punkte in ihrem Bewusstsein. Alliha hatte sie gefunden! Vorsichtig schickte sie ihre Gefühle in Richtung der hellen Lichter. Gefühle der Traurigkeit und Einsamkeit. Als sie antworteten erfüllte ihren Körper ein warmes Gefühl der Dazugehörigkeit, alles prickelte und pulsierte, als sich die Bewusstsein der sechs Kreaturen mit ihrem verwoben und sie vorsichtig liebkosten um sie kennen zu lernen und zu erforschen. Da ging ein Ruck durch ihren Geist, wie ein elektrischer Schlag und die Kreaturen näherten sich ihr in rasender Geschwindigkeit.

Alliha lächelte zufrieden und öffnete die Augen. Sie hielt die Verbindung mit dem Wald und seinen Kreaturen weiter aufrecht und wartete. Sie spürte die Begeisterung von sechs Bewusstsein auf sie zu rennen und wurde unwillkürlich von ihrer Freude angesteckt.

Als sie leises knirschen vernahm, wand sie den Kopf und spähte in den Wald.

Sechs Körper schoben sich vorsichtig durch das Dornengestrüpp auf sie zu. Im schwachen Licht der Dämmerung huschten sie auf die Lichtung. Alliha rutschte von ihrem Baumstamm herunter und begrüßte ihre neuen Freunde in dem sie ihre freudige Begeisterung mit ihnen teilte.

Drei der Körper hatten einen grauen Pelz in vielen verschiedenen Schattierungen, zwei von ihnen hatten braunes Fell und der Letzte schimmerte in einem sehr hellen grau, dass in Sonnenlicht getaucht vermutlich strahlend weiß gewesen wäre.

Die Wolfe kamen ohne zu zögern auf Alliha zu ihre Körper umgaben und wärmten sie. Sie spürte ihre kalten Nasen, an ihren Händen, ihrem Hals, ihrem Gesicht und an dem Wolfszahn der an ihrem Ohrring hing. Das Rudel war freundlich und hießen sie als vertraute Fremde willkommen.

Sie hätte schon früher hier herkommen sollen, aber ihre neuen überwältigenden Pflichten hatten es nicht zugelassen. Alliha gehörte nun nicht mehr sich selbst. Menschen zählten auf sie, darauf dass sie die Risse und nicht zuletzt die Bresche schloss.

Das Rudel musste ihre Traurigkeit wahr genommen haben, auch wenn sie nicht verstanden, drängten sich ihre Körper noch näher an Alliha und versuchten ihr Trost zu spenden.

Plötzlich blitzte ihr Anker auf und schlug helle grüne Funken. Die Wölfe stoben von ihr weg und flüchteten sich in die Sicherheit der Bäume.

Alliha wusste nicht, ob es zeitgleich geschah oder nicht, aber sie spürte einen unbekannten Druck auf ihrem Bewusstsein. Eindringlich und…fragend?

Das Rudel zog sich hektisch aus ihrem Geist zurück und verschmolz mit der Dunkelheit des Waldes.

Sie richtete sich auf, griff nach ihrem Stab und löste die geistige Verbindung zum Wald. Plötzlich stand sie wieder alleine in der Dunkelheit. Wachsam und lauschend. Das Rudel Wölfe hatte sich entfernt und lies sie zurück. Der Anker schlug noch einmal grüne Funken und erlosch schließlich.

Sie war beunruhigt. Alliha hatte es zwar schon öfter erlebt, dass Kreaturen mit starken Bewusstsein versucht hatten sich zu ihrem Geist Zugang zu verschaffen, doch das hier war anders… Ein Schauer überkam sie. Sie dachte an as Gefühl, dass sie überkommen hatte. So eindringlich, traurig und stark.

Die Sonne war nun fast vollständig hinter den Bergen in der Ferne versunken. Nun spendete nur noch die Bresche einen grünen Schein und tauchte die in Schatten gekleidete Nacht in ein unheimliches und unnatürliches Licht.

Alliha zog ihren Mantel enger um sich und trat den Rückweg an.

Seit das fremde Bewusstsein ihres berührt hat wurde sie das Gefühl nicht los, dass es sie noch immer beobachtete.

Ihre Nackenhaare waren aufgestellt und sie hatte Gänsehaut. Alliha verzog zornig das Gesicht, nicht mal ein abendlicher Ausflug war ihr mehr gewährt - ohne dass irgendwas geschah….irgendwas seltsames.

Sie schnaubte. Als ob die Erlebnisse der letzten Tage nicht alle schon seltsam genug waren. Das Konklave, der Anker, das bedrohliche Loch im Himmel. Wütend warf sie einen Blick zur Bresche, während sie weiter durch den Schnee Richtung Haven stapfte.

"Fen'Harel ma halam." flüsterte Alliha, bevor sie ihren Blick wieder auf den Boden vor sich richtete.

Mittlerweile hatte es auch wieder angefangen zu schneien, dicke Flocken verfingen sich in ihren Locken und legten sich auf ihren Mantel wie Puderzucker. In diesem Moment hätte die Welt so friedlich sein können.

Sie war schon fast zurück in Haven. Das Gefühl der Beobachtung konnte Alliha jedoch noch immer nicht abschütteln. Sie bildete sich sogar ein, dass es stärker wurde und so zog sie die schützende Barriere um ihren Geist noch fester zu.

Alliha war nun am Fuße des Hangs der hinauf zu Haven führte. Nur noch wenige hundert Meter trennten sie von dem Lärm des Dorfes, dass auch noch zu abendlicher Stunde geschäftig war.

Alles in ihr stäubte sich schon allein bei dem Gedanke, das Tor zu passieren, und sich wieder in das Dorf zu begeben indem sie von allen Seiten beobachtet wurde.

Plötzlich erstarrte sie. Eine Gestalt stand am Hang vor den Toren Havens. Sie war groß und schmal gebaut, fast schon schlaksig. Alliha erkannte die Gestalt nicht und blieb, wo sie war in der Hoffnung, dass die Bäume und Schatten ihren eigenen Körper verbargen.

Die Gestalt setzte sich in Bewegung und kam direkt auf sie zu. So viel zu ihrem Plan einen unbemerkten Ausflug zu machen.

Als sie nur noch wenige Meter von ihr entfernt war erkannte sie, dass es niemand anderes als Solas war. Von jedem in Haven hätte sie lieber erwischt werden wollen.

Er zog die Augenbrauen zusammen als er sie erkannte. Verwirrung und Überraschung schwang in seinem Blick mit, das war ihm nicht zu verdenken. Allerdings hätte Alliha mindestens genauso verwirrt und überrascht sein können ihn hier draußen zu treffen, wäre nicht sie diejenige gewesen die etwas zu verbergen hatte. Aber Solas konnte nichts so schnell überraschen. Auch nicht der Herold Andrastes, der Nachts heimlich durch die Wälder strich.

„Herold", sagte er leise, noch immer war ihm die Verwirrung - aber worüber ? - deutlich ins Gesicht geschrieben. Als er sie mit ihrem lächerlichen Titel ansprach, zuckten seine Mundwinkel amüsiert. Aus seinem Mund klang es noch höhnischer und spottender als sie ihren Titel selbst empfand. Aber Solas hatte sie noch nie mit ihrem richtigen Namen angesprochen.

„Ich habe nicht damit gerechten Euch hier draußen zu treffen." Seine Stimme war leise aber es schwang ein bedeutungsvoller Unterton mit, den Alliha nicht so recht zu deuten wusste.

„Ich habe auch nicht damit gerechnet hier jemanden zu treffen. Was tut Ihr hier draußen Solas?" Ein verschmitztes Grinsen bildete sich um seine Mundwinkel.

„Das könnte ich Euch genauso fragen, Herold." Machte er sich über sie lustig? Alliha kniff die Augen zusammen. Ihr war klar, dass er ihr keine Antwort geben würde, wenn sie ihm keine gab. Aber das würde sie bestimmt nicht tun.

Sie legte den Kopf schief, ließ ihn aber nicht aus den Augen.

Er seufzte.

„Kommt, ich begleite Euch zurück nach Haven." Als Alliha nichts sagte, aber auch nicht protestierte, wand er sich ab und ging langsam wieder den Hang hinauf. Solas warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob sie ihm folgte. Alliha machte große Schritte um aufzuholen. Er trug sein gefüttertes Reisegewand und war wie immer barfuß. Dass er nicht fror?

„Habt Ihr nach mir gesucht, Solas?" Das Schweigen war ihr unangenehm, außerdem wollte sie unbedingt wissen, ob ihr verschwinden aufgefallen war. Im nachhinein kam ihr die Frage dumm vor, sie biss sich auf die Lippe. Warum sollte gerade er nach ihr suchen? Leliana hätte entweder einen ihrer Spione geschickt oder Cassandra.

„Sollte ich dass denn?" Solas sah sie nicht an, aber sie konnte schwören, dass er wieder grinste. Musste er denn jede Frage mit einer Gegenfrage beantworten?

„Vergesst es," schnappte Alliha.

„Entschuldigt," sagte er und warf ihr einen Seitenblick zu. „Nein, ich habe nicht nach Euch gesucht. Im Gegenteil, ich war überrascht Euch hier draußen im Wald zu treffen." Er überlegte, nach eine Pause fügte er hinzu: „Ich glaube nicht, dass jemandem aufgefallen ist, dass ihr Haven verlassen habt."

Es überraschte sie nicht, dass er den Hintergrund ihrer Frage versanden hatte. Solas durchblickte viele Dinge mühelos, ein Grund weswegen sie seine Gegenwart als unangenehm empfand. Alliha fühlte sich nackt und verwundbar unter seinen wachsamen Augen. Dennoch war sie erleichtert. Niemand hatte ihre Abwesenheit bemerkt und würde unangenehme Fragen stellen.

„Danke, Solas." sie warf ihm einen dankbaren, erleichterten Blick zu.

Ihr kam es vor wie ein Triumph. Ihr Leben gehörte noch immer ihr…in gewisser Weise. Ein kleiner Akt der Rebellion entgegen ihrer neuen schweren Aufgaben. Diese Freiheit würde sie sich bewahren.

Solas und Alliha erreichten die Tore von Haven. Zu Allihas Erleichterung war niemand zu sehen. Was nicht hieß, dass sie nicht gesehen wurden, dennoch machte es die Rückkehr einfacher.

„On era'vu, Herold."

Sie nickte ihm zu und antwortete: „La'var ma."

Alliha wollte gehen und hatte sich den Toren von Haven schon fast zu gewand, als er ihr noch etwas zurief: „Herold, wenn Ihr das nächste Mal einen Spaziergang in die Wälder unternehmen möchtet, würde ich Euch gerne begleiten."

Er meinte es ernst und in seiner Stimme lag kein Spott. Ihr kam plötzlich der Gedanke, dass er sich hier in Haven womöglich genauso einsam fühlte wie sie selbst. Er war schließlich ein abtrünniger Elfenmagier ohne Clan.

Alliha wand sich zu ihm um und konnte ein warmes Lächeln nicht verkneifen. Solas lehnte auf seinem Stab und blickte sie an.

„Ich komme darauf zurück. Dareth shiral, Solas"

Sie wand sich endgültig ab und trat durch das Tor des geschäftigen Havens. Ihr Nacken kribbelte. Das Gefühl der Beobachtung durch das fremde Bewusstsein, dass sie erfüllt hatte, seit sie den Rückweg angetreten war, war zwar verschwunden, nun hätte Alliha aber schwören können, dass Solas ihr nach sah.

Sie schüttelte den Kopf als sie über die ganzen seltsamen Ereignisse der letzten Tag nachdachte, während sie zu ihrem Quartier ging. Ihre Gedanken blieben jedoch immer wieder bei Solas hängen.

Anmerkungen zu Übersetzung aus dem Elvhen:

Mar revas - Deine Freiheit

On era'vu - Gute Nacht

La'var ma. - wörtlich übersetzt bedeutet es "Wie dir auch."

Dareth shiral - wörtlich übersetzt bedeutet es "Eine sichere Reise" wird aber im Sprachgebrauch als ein Abschiedsgruß benutzt.