Down

13. November

I. Ein seltsamer Morgen

An diesem Morgen hatte sich der seit Tagen immer dichter werdende Nebel wie eine feuchtkalte, undurchdringliche Decke über die Ländereien von Hogwarts gelegt. Er kroch hinter jeden Felsen, durchdrang jeden noch so kleinen Spalt und umhüllte jeden Baum, sodass die verzerrten, schemenhaften Umrisse derart bizarre Formen annahmen, dass sie aus dem Alptraum eines Kindes entsprungen zu sein schienen.

Es war noch ganz still. Keine lärmenden Schülermassen störten die Ruhe in den Gängen des Schlosses, denn der Unterricht würde erst in mehr als zwei Stunden beginnen. Nur eine einsame Gestalt stand am Fenster im 2. Stock des Gebäudes und starrte auf die wie ausgestorben wirkende Landschaft.

Der Junge war groß, dünn und blass wie Rauch. Sein Haar war Schwarz und hing ihm in dichten, fettigen Strähnen auf die schmalen Schultern. Seine dunklen Augen durchsuchten das Gelände auf mögliche Störenfriede, die sein Vorhaben behindern könnten. Schließlich befand er das Terrain für sicher, machte auf dem Absatz kehrt, und eilte, trotz seines beträchtlichen Tempos, lautlos durch den Flur in Richtung Ausgang.

Als er in Richtung des Verbotenen Waldes lief, sog er die frische, kühle Morgenluft ein, die er nach einer Nacht mit vier weiteren Personen in einem kleinen Schlafsaal doppelt zu schätzen wusste. Ein sachter Windhauch bauschte den abgetragenen Umhang seiner Schuluniform ein wenig auf, was ihm einen seltsam Furcht einflößenden Eindruck verliehen hätte, wäre da nicht dieser Hauch von Unsicherheit in seinem Blick gewesen. In Gedanken befahl er sich selbst, nicht die Nerven zu verlieren. Niemand hatte ihn gesehen, und wenn doch, wäre das nicht allzu schlimm gewesen, da ihn die meisten für einen durchgeknallten Außenseiter hielten und sich nicht für ihn interessierten, oder für das, was er zu tun beabsichtigte.

Er watete durch das dichte Unterholz und drang so immer tiefer in die Dunkelheit des Waldes vor. Er achtete nicht auf merkwürdige Geräusche und blendete alles, was ihn ablenken könnte, aus seiner Wahrnehmung aus.

„Das wird wohl die letzte Ernte für dieses Jahr, dann muss ich auf meine Vorräte zurückgreifen", dachte er missmutig. Frische Ware war eine größere Herausforderung in der Verarbeitung, und es bereitete ihm viel mehr Vergnügen, den ganzen Herstellungsprozess zu dokumentieren.

Er erreichte die Lichtung und seine Miene hellte sich auf, was sonst eher selten vorkam.

Da waren sie, seine kleinen Freunde, sein Vergnügen und zuverlässige Geldquelle:

Eine Ansammlung von Fliegenpilzen, die er nun vorsichtig mit einem Messer absäbelte und in ein feuchtes Leintuch hüllte.

Für andere waren es nur gewöhnliche Pilze, ungenießbar und außerdem noch ziemlich giftig.

Er, Severus Snape, nutzte jedoch ihre Wirkung als starkes Halluzinogen, trocknete sie, und löste ihre Inhaltsstoffe in reinem Rindertalg, um sie dann als selbst hergestellte Droge an die Idioten an der Schule zu verticken.

Inzwischen hatte er ein richtiges Arsenal an berauschenden Substanzen aus allem gewonnen, was ihm die Natur zu bieten hatte.

Er hatte flüssige Extrakte aus der Gattung der digitalis , unter anderem aus rotem Eisenhut, hergestellt, der einen in der richtigen Dosis in den siebten Himmel beförderte, bei falscher Dosierung jedoch das zentrale Nervensystem lahm legte und durch Atemlähmung den sofortigen Tod hervorrufen konnte. Er besaß Auszüge aus Goldregen und Engelstrompete in Pulverform, und sein neuester Clou war selbst gemachtes Absinth aus Wermutextrakt.

Seine Schätze hatte er teils im Verbotenen Wald gesammelt, anderes hatte er aus den Gewächshäusern der Schule mitgehen lassen. Er hatte sich in einem der alten Kerker ein kleines Labor eingerichtet und es mit einem Schutzzauber versehen, sodass nur er es betreten konnte.

Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass er sein Handwerk beherrschte, und es erfüllte ihn manchmal sogar mit Stolz, ein Gefühl, das er selten empfand.

Als er alle Pilze eingesammelt hatte, sah er auf die Uhr und erschrak:

Es war bereits 7.43 Uhr und der Unterricht in Verwandlung begann um halb neun. Erstens sollte er sich lieber noch einmal in der großen Halle beim Frühstück sehen lassen, um keinen Verdacht zu erregen, zweitens war es keine gute Idee, McGonnagall warten lassen, denn sie war eine strenge Lehrerin, die kein unentschuldigtes Fehlen in ihrem Kurs duldete.

So machte er sich auf den Weg zurück nach Hogwarts, wobei er dieses mal fast rannte, jedoch immer darauf bedacht, seine kostbare Fracht nicht zu beschädigen.

Er hatte es gerade noch geschafft, seine Ernte in seinem Vorratslager zu deponieren und hastig seine Schultasche zu packen. Etwas außer Atem kam er in der großen Halle an, in der Hoffnung, noch eine Tasse Kaffee zu ergattern.

Er ging auf den Haustisch der Slytherins zu, auf der Suche nach einem freien Platz.

Er musste am Tisch der Gryffindors vorbei, was ihm immerein wenigUnbehagen bereitete. Er hörte ein kurzes Zischen:

„ Hergitor!"

Plötzlich merkte er, wie seine Beine ihm versagten und landete schmerzhaft auf dem nicht ganz sauberen Boden der großen Halle.

Aus dem Unvermeidlichen Gelächter heraus erkannte er die höhnische Stimmer James Potters, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte, und der keine Gelegenheit ausließ, um ihn vor der ganzen Schule zu demütigen:

„Na, Schniefelus, hast du das Laufen verlernt, oder warst du noch in die Erinnerung an eine wilde Nacht vertieft?"

Sein bester Freund Sirius Black, ein selbstgefälliger Schönling, stieg gleich mit ein:

„Habt ihr gesehen, wie der gekeucht hat? Wahrscheinlich hat er bis vor zwei Minuten noch an sich rumgespielt und muss diese Erfahrung erst mal verarbeiten..."

Während er das sagte, strich er sich elegant durch sein volles, glänzendes ( natürlich perfekt gestyltes) Haar und machte durch seinen gelangweilten Schlafzimmerblick deutlich, dass er so etwas natürlich nicht nötig hatte.

Snape warf beiden einen Blick zu, der die Kalahariwüste hätte zufrieren lassen können, während er sich aufrichtete, seinen Umhang glättete und in Potters Richtung knurrte:

„Wenigstens stehe ich nicht unter dem Pantoffel eines gluckenhaften Schlammbluts!"

Er wusste genau, wie sehr er Lily Evans mit so einer Äußerung verletzen konnte, und er genoss regelrecht das fassungslose Entsetzten in ihren weit aufgerissenen grünen Augen.

Sie war seit Anfang des Jahres mit Potter zusammen, und die beiden bildeten das perfekte, zum erbrechen glückliche Traumpaar der Schule. Snape wusste genau, dass dieses Mädchen die einzige Möglichkeit war, Potter zu provozieren und er nutzte sie, um diesem aufgeblasenen Ekel eins auszuwischen.

Der Sucher der Quiddich-Mannschaft von Gryffindor und Star der Schule, sprang auf und richtete seinen Zauberstab direkt auf die Stirn des Außenseiters:

„Dafür wirst du bezahlen, du Bastard, das schwör ich dir!",

wobei sich seine Stimme vor Zorn fast überschlug.

Ein blasser junger Mann mit sandfarbenem Haar und müdem Gesichtsausdruck packte ihn am Arm.

„ Nicht hier, James."

Remus Lupin wandte sich Snape zu.

„Du gehst jetzt besser."

Snape warf ihm einen Blick tiefster Verachtung zu, hatte er doch das leise Schuldbewusstsein in den Augen des Schulsprechers gesehen, der nicht in der Lage war, die Umtriebigkeiten Potters und Blacks zu unterbinden. Er drehte sich um und steuerte unter den Buhrufen der Gryffindors auf seinen Haustisch zu. Potter brüllte ihm hinterher, er solle sich schon mal auf was gefasst machen.

„Das kann ja heiter werden",

grummelte er, denn er hatte wahrlich anderes zu tun, als sich mit Potter anzulegen. Es war sein letztes Jahr in Hogwarts, er wollte sich optimal auf seine Prüfungen vorbereiten und hatte weder Zeit noch Nerven für Potters präpubertäre Anwandlungen.

Er ließ sich genervt auf einen freien Platz neben einem bulligen Kerl namens Thaddäus Nott fallen, genannt Thumb, weil er den lästigen Tick hatte, ständig and der Spitze seines fetten Daumens herumzukauen. Snape wollte sich gerade einen Kaffee eingießen, als Thumb ihn mit dem Ellbogen anstieß
"Hey, Sev, alter Kumpel, hast du´n bisschen Stoff für mich?" fragte er mit einem dümmlichen Grinsen.

Der sollte es eigentlich lieber lassen, sonst zermatscht er sich auch noch das letzte Quäntchen Gehirn",

dachte Snape, schob ihm aber das Tütchen mit dem gelben Pulver mit seiner Schuhspitze unter dem Tisch zu und zischte:

„Zwei Galleonen, und ich bin nicht dein Kumpel!" Thumb gab ihm das Geld, hob das kleine Päckchen mit einem erwartungsvollen Grinsen auf, und wendete sich wieder seinem doppelten Schinkensandwich zu.

Snape goss sich den herrlich duftenden, schwarzen Kaffee ein, führte die Tasse zum Mund und wurde wieder unterbrochen:

„Mr Snape, Sie kommen bitte mit mir, ich habe etwas mit ihnen zu besprechen", ertönte die schnarrende Stimme Professor McGonnagalls hinter seinem Rücken. Er drehte sich um und schaute sie fragend an. Mit gerunzelter Stirn fauchte sie ihn an:

„Sofort!"

Widerstrebend erhob er sich, nahm seine Tasche und folgte ihr. Ein Schultag ohne Kaffee war schon übel genug, und das auch noch an seinem siebzehnten Geburtstag.