Titel: Die Nordwindhexe

Autor: Elenyah/Wolfsmond (Ideenklau ohne Zustimmung wird geahndet)

Status: 17 Kapitel, wird fortgesetzt

Kapitel 1- Anissa

In der Mitte der Lichtung steht sie mit stolz erhobenem Kinn,

Man sieht gleich, von allen Puppen ist sie die Anführerin.

Ihre Locken wallen über ihre Schultern, weiß wie Maden,

In der Brust steckt ihr die Nadel, in der Hand hält sie den Faden.

Schmales Mündlein, stummes Leid,

Angenähte Beine, ein verdrecktes, blaues Kleid.

Sie hebt die Ärmchen, formt den Blick zu einer Frage

Und aus jeder Himmelsrichtung tost wie Donner die Anklage…

-Samsas Traum – Im Wald der vergessenen Puppen

„Anissa, vergiss nicht die Tischtücher zu waschen! Und das Obst muss auch noch geholt werden. Und danach musst du dich noch waschen gehen, immerhin musst du heute am Tisch bedienen, da kannst du doch nicht herumlaufen als würdest du in der Scheune wohnen."

„Ich wohne aber in der Scheune, Assia!" Anissa sah ihre Mutter an und verschränkte die Arme vor der Brust. Von allen Dienstboten, die im Keller des Hauses herumliefen war Anissa die Jüngste aber auch eine von denen die die meiste Erfahrung hatten und so musste das Mädchen immer antreten wenn ein wichtiger Besuch anstand, egal wie wenig Lust sie darauf hatte. Wenn Gäste im Haus waren, dann war es immer schon ihre Aufgabe gewesen abends im Esszimmer zu stehen und dafür zu sorgen dass alle genug zu essen und zu trinken hatten und später im Salon die Flaschen mit dem Alkohol herum zu reichen bei deren Geruch es ihr allein die Tränen in die Augen trieb. Aber sie hatte schon jahrelang Erfahrung und mittlerweile hatte schon lange keiner mehr einen Grund zur Beschwerde gehabt. Die anderen Bediensteten waren dankbar darum, denn keiner riss sich um die Aufgaben die Anissa gegeben wurden. Das kleine Mädchen hätte sich selber lieber andere Aufgaben gegeben aber sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ihr Arbeitgeber saß am längeren Hebel. Wenn er unbedingt ein Tischmädchen haben wollte, dann sollte er auch eines bekommen und Anissa war die einzige die noch klein genug war um einen ganzen Abend da zu stehen und niedlich auszusehen.

„Aber nur weil du in der Scheune wohnst muss das doch nicht jeder mitbekommen, oder?"

Anissa zuckte die Schultern. „Mir ist der Besuch doch sowieso ganz egal. Wieso muss ich mich dann extra dafür sauber machen?"

Assia lächelte. „Sturer Esel", sagte sie und drückte dem Mädchen noch eine Schüssel Reis in die Hand. „Hier, mach daraus noch Bällchen. Ich habe ja auch nur zwei Hände und ein Messer gebe ich dir sicher nicht in die Hand."

„Ich will auch gar kein Messer", entgegnete Anissa.

„Das will ich auch gehofft haben."

Anissa verzog das Gesicht. Nur weil sie damit einmal einen Unfall gebaut hatte… das war doch nicht einmal Absicht gewesen. Sie hatte nur ein wenig Gemüse schneiden wollen um Assia zu helfen und war dabei abgerutscht. Aber das war doch schon ewig lange her. Trotzdem griff sie ohne sich zu beschweren nach der Schüssel und setzte sich damit auf den Tisch neben dem Herd, auf dem auch eine Metallplatte stand auf die sie die fertigen Reisbällchen legen konnte, während sie ihre Mutter bei der Arbeit beobachtete. Das hatte sie schon getan seit sie sich zurückerinnern konnte. Schon an ihrem allerersten Tag hier hatte sie auf diesem Tisch gesessen und Assia zugeschaut wie sie Gemüse geschnitten und Teller abgewaschen hatte. Der Grund wieso ihre Mutter hier gewesen war noch bevor Anissa hergekommen war, war ein ganz einfacher. Assia war eigentlich gar nicht Anissas wirkliche Mutter. Sie war die Köchin im Haus von Mr. T., Anissas Besitzer, wie sie ihn gerne nannte und sie hatte das kleine Mädchen, das namenlos hierher gekommen war nur unter ihre Fittiche genommen. Manchmal wünschte Anissa sich Assia hätte sie adoptieren dürfen. Denn dann hätte sie Anissa bestimmt nicht hierher gebracht und sie müsste nicht hier arbeiten. Aber eigentlich war es ja in Ordnung so. Immerhin hatte sie so etwas wie eine Mutter und es war schön zu wissen dass man jemanden hat zu dem man gehen kann wenn man Probleme hat, jemanden der einen beschützt und tröstet, wenn man traurig ist oder Angst hat. Alle Bediensteten im Haus bezeichneten die beiden auch als Mutter und Tochter und eigentlich war es ja wirklich genau das was sie waren, auch wenn Assia sie nicht adoptieren durfte. Assia hatte Mr. T. damals gebeten auf das kleine Mädchen aufpassen und ihr einen Namen geben zu dürfen. Er hatte sowieso nicht vorgehabt sie groß zu ziehen, immerhin war er Konteradmiral der Marine. Er befehligte die Marineeinheit, die auf dieser Insel stationiert war und das bereits so lange, dass er seine Familie hergebracht hatte um nicht allzu lange von seiner Frau und seiner Tochter getrennt zu sein – auch wenn er sich nicht besonders oft in diesem Haus aufhielt. Immerhin war er immer noch bei der Marine und wurde deswegen eher in der Marinebasis gebraucht als hier.

Ein paar wunderten sich darüber, aber letztendlich war der Grund weshalb sie Anissa wie ein eigenes Kind aufgenommen hatte ja vollkommen egal. Das einzige was zählte war dass sie sich hatten und vor allem dass Anissa jemanden hatte an den sie sich klammern konnte, der ihr einen Anker zur Welt bot. Denn sie war noch lange nicht alt genug um wirklich alleine klar zu kommen. Sie brauchte eine Mutter, die ihr dabei half. Und das tat Assia, auch wenn sie keine Ahnung hatte wer dieses Kind eigentlich war das sie aufgenommen hatte. Zumindest hatte sie nie etwas anderes behauptet und Anissa konnte ihr sicher keine große Hilfe gewesen sein etwas darüber herauszufinden. Es war schon merkwürdig dass sie sich an keinen Tag erinnern konnte bevor sie hierhergekommen war. Seitdem konnte sie sich zwar nicht jeden Tag aber dafür zumindest jedes Jahr und Ansatzweise auch noch fast jeden Monat ihres Lebens ins Gedächtnis rufen. Sie hatte ein sehr gutes Gedächtnis und vergaß nur selten etwas, aber diese eine Lücke in ihrer Erinnerung konnte sie nicht schließen. Wenn sie versuchte sich daran zu erinnern, dann sah sie nur ein großes Schiff und hörte das Geräusch von Wellen und eine leise Männerstimme, die ein Lied sang. Selbst an den Text des Liedes, in dem es um eine Prinzessin ging, konnte sie sich erinnern. Aber an nichts anderes. Schweigend griff sie in die Schüssel und begann den Reis zu Bällchen zu rollen, während sie versuchte das Knurren ihres eigenen Magens zu überhören. Sie fand es ja nicht schlecht in der Küche zu arbeiten aber wenn man Hunger hatte, dann war es einfach schrecklich und ihre Laune sank mit jedem Magenknurren noch ein Stückchen tiefer. Bevor sie baden ging musste sie schauen dass sie sich im Vorratshaus einen Apfel stehlen konnte. Die Gäste würden bestimmt nicht froh sein wenn sie aussah als wollte sie ihnen das Essen vom Teller klauen.

„Meine Güte, Anissa, mach die Reisbällchen ordentlich groß! Wie willst du die denn warm machen, die sind außen verbrannt und innen noch kalt wenn ich damit fertig bin. Gib her…"

Assia nahm Anissa die Schüssel aus der Hand und sah ihre Tochter einen Moment lang an bevor sie den Kopf schüttelte. „Lass mich das hier in der Küche lieber alleine machen", sagte sie. „Geh am besten hoch und wasch die Tischdecken, dann hast du gleich noch Zeit baden zu gehen. Die Wanne steht schon in der Scheune und das Kleid für heute Abend habe ich dir auch schon raus gelegt. Mach es nur nicht wieder schmutzig, so wie beim letzten Mal. Diesmal kann ich es nicht noch schnell vorher waschen und dann musst du in einem schmutzigen Kleid ins Haus gehen. Ich denke nicht dass Mr T. das gefallen würde."

„Ich bin doch nicht blöd!", rief Anissa als sie die Kellertreppe hinauf ging. Allerdings konnte sie es sich nicht verkneifen noch ein leises „Und außerdem gefällt Mr. T. doch gar nichts" hinterher zu murmeln.

„Und lass dich nicht von Lady Mirania ärgern!"

Anissa schlug wortlos die Kellertür zu. Lady Mirania… die würde heute doch bestimmt nicht mal raus kommen. Lady Mirania war die Tochter von Mr T. und Anissa hasste dieses Mädchen von ganzem Herzen. Sie war wohl die Einzige die sich gefreut hatte als Anissa hier angekommen war. Mirania war damals sechs gewesen und hatte sich über das neue Spielzeug gefreut wie ein junger Hund. Viele dachten Anissa wäre eine Art Gesellschafterin für das vier Jahre ältere Mädchen. Mirania selbst redete immer davon wie gerne sie mit Anissa spielte. Aber das war alles Fassade und das wusste Anissa. Zwar tat die kleine Lady nichts lieber als Anissa mit in ihr Zimmer zu nehmen, aber das tat sie nicht weil sie die kleine Dienerin so gerne hatte. Viel eher tat sie es weil sie einfach eine riesige Freude daran hatte, Anissa zu behandeln wie eine Puppe. Egal ob sie sich wehrte, Mirania nahm sie immer wieder mit ihn ihr Zimmer wo sie sie über Stunden festhielt und an ihr neue Frisuren ausprobierte oder ihr ihre Kleider anzog, nur um sie dann ein paar Minuten vor dem Spiegel zu betrachten und erneut umzuziehen. Und Anissa hasste es so behandelt zu werden, aber sie konnte sich auch nicht wehren. Einmal hatte sie es versucht, aber da hatte Mirania angefangen ihren Eltern etwas vorzuweinen dass sie ja nur mit Anissa hatte spielen wollen. Und ihr hatte dann natürlich niemand mehr geglaubt. Anissa war wieder einmal die Böse gewesen, die den Versuch der Tochter des Hauses sich mit ihr anzufreunden brutal abgeblockt hatte und das nur weil Mirania dieses dumme Talent besaß auf Kommando weinen zu können. Dagegen konnte sie natürlich nichts ausrichten.

Auf dem Hof stand bereits der Korb mit den Tischtüchern. Es war eigentlich unnötig sie zu waschen aber Assia war der Meinung gewesen dass sie zu lange im Schrank gelegen hatten und deswegen dringend noch einmal gewaschen und gelüftet werden mussten bevor man damit Gäste empfangen konnte. Und Anissa tat es. Platschend fielen die Tischdecken ins Wasser und das Waschbrett folgte, bevor Anissa sich im Schneidersitz vor den Waschkübel setzte.

~·~·~·~·~·~·~·~·~·~·~

Es war sicher schon eine Stunde vergangen als sie plötzlich einen Schatten bemerkte der von hinter ihr auf den Kübel fiel. Anissa wandte sich nicht um. Der Schatten war zu klein um Assia und zu weiblich um Mr. T zu gehören. Leise summend beugte sie sich noch tiefer über das Waschbrett und tat so als hätte sie das Mädchen das hinter ihr stand nicht bemerkt.

„Ich finde es gemein dass du waschen musst."

Und schon hatte sich Anissas Verdacht bestätigt. Dieses schmollende Stimmchen konnte nur einem Menschen gehören.

„Wenn der Vizeadmiral kommt muss eben alles perfekt sein", sagte sie, bevor sie wieder anfing das Lied zu summen. Mirania fand es nicht gemein dass Anissa arbeiten musste. Sie fand es gemein dass man ihr verboten hatte Anissa zum spielen mit nach oben zu nehmen solange sie arbeiten musste. Die Achtjährige konnte sich ein schadenfreudiges Grinsen nicht verkneifen aber sie war klug genug gewesen sich nicht zu Mirania umzudrehen. Stur wusch sie weiter die Tücher, ohne zu beachten dass sie eigentlich schon fertig war. Nur noch so lange bis die Kleine Lady weg war... Ansonsten würde sie sie nachher noch dazu drängen sich mit dem Baden zu beeilen damit sie wieder mit ihr spielen konnte, denn sobald sie sich zum Dinner umgezogen hatte, hatte Anissa immer frei. Aber sie dachte gar nicht daran ihren freien Nachmittag mit Mirania zu verbringen. Sie wollte runter an den Strand gehen um Muscheln zu suchen, die sie Assia mitbringen konnte. Keine zum essen, dafür müsste sie mit einem kleinen Boot hinaus fahren und die Gefahr dass sie kenterte war viel zu groß, immerhin konnte sie nicht besonders gut rudern. Sie würde hübsche Muscheln suchen, mit denen sie ihrer Mutter zum Geburtstag eine Kette basteln konnte. Das wär ein viel schönerer Schmuck als alles was diese reichen Leute hier in ihren Schatzkästchen hatten.

„Ich will lieber dass du frei hast", sagte da auch schon Mirania, aber Anissa zuckte nur die Schultern.

„Hätte ich auch gerne", sagte sie, „aber ich habe noch sehr viel Arbeit." Na gut, jetzt log sie. Aber manchmal musste man das noch machen. Zum ersten Mal sah sie Mirania an.

Manch einer hätte denken können dass die beiden Schwestern wären, so ähnlich sahen sie sich. Doch auch wenn sie sich ähnlich sahen könnten sie doch gleichzeitig unterschiedlicher nicht sein. Beide waren schlank, doch Anissa war mager und knochig während man Mirania ansah dass sie ihre Figur dadurch hielt dass sie aufpasste was sie aß. Beide hatten blonde Locken, doch Anissas Locken hingen ihr in zwei Zöpfen bis zum Rücken herab und waren eher starke Wellen, wohingegen Miranias Haare immer zu Korkenzieherlocken gedreht waren, sodass sie aussah wie ein Porzellanpüppchen. Beide waren recht klein geraten, Mirania weil es bei ihnen wohl einfach in der Familie lag, Anissa weil sich ihr Körper wegen der vielen Arbeit und der schlechten Ernährung nicht wirklich entwickeln konnte. Aber trotzdem – wenn Fremde sie nebeneinander sahen, dann glaubten viele von ihnen zunächst dass Anissa Miranias kleine Schwester war, die sich nur bisher geweigert hatte sich etwas Ordentliches anzuziehen und sich zu frisieren.

„Ich muss nämlich nachher noch in der Küche helfen. Geschirr spülen und so. Und dann muss ich noch runter ins Dorf ein paar Sachen besorgen. Das dauert bestimmt noch eine ganze Weile."

Miranias Mund verzog sich als sie um den Waschkübel herum ging. Anissas Blick folgte ihr.

„Du solltest nicht so viel arbeiten. Du hast viel zu wenig Zeit für mich!"

Die Augen des älteren Mädchens kniffen sich zusammen und Mirania zog den Kopf ein. Sie kannte Mirania und das bedeutete nichts Gutes. Sie hatte schon viele Wutanfälle miterlebt und keinen davon hatte sie in guter Erinnerung behalten. Assia sagte immer dass sie darüber stehen musste, immerhin war Treant Mirania ein verwöhntes Einzelkind. Aber trotzdem könnte Anissa jedes Mal heulen wegen dieser Ungerechtigkeit. Deshalb versuchte sie möglichst nichts herauszufordern.

„Das tut mir Leid", sagte sie. „Ich würde doch auch viel lieber mit dir spielen als zu arbeiten, aber…"

„Du lügst doch."

Anissa hatte wieder auf die Wäsche geschaut aber als sie bemerkt hatte wie der Schatten kleiner geworden war sah sie wieder auf. Mirania war auf der anderen Seite des Waschkübels in die Hocke gegangen und sah sie mit wütendem Blick an.

Blöde Schlange, dachte Anissa. Wenn Mirania sie so ansah, dann erinnerte sie einen wirklich an eine Schlange. Zumindest eine Schlange wie sie in Büchern gemalt waren, denn in Wirklichkeit hatte Anissa noch nie eine gesehen.

„Nein, ich habe wirklich…", sagte sie aber ihre Worte wurden von einem Schrei erstickt als Mirania den Waschkübel packte und mit einem Ruck das ganze Wasser über Anissa goss. „Was machst du da, Mirania?", rief Anissa und schaute auf die weißen Tischtücher, die in der Wasserlache lagen, die im sandigen Boden langsam versickerte. Der Schmollmund in Miranias Gesicht wich einem hinterlistigen Lächeln als sie aufstand und ihr Kleid hochhob, damit es nicht schmutzig wurde. Sie kam noch einen Schritt auf Anissa zu und schubste das Mädchen auf den nassen Boden.

„Ich kann auch hier spielen", sagte sie, als sie nach einem von Anissas Zöpfen griff und laut begann zu rufen. „Papa! Papa! Schau dir nur an was Anissa schon wieder gemacht hat!"

Anissa wusste dass sie nichts tun konnte als die Hintertür aufflog und Mr. T. heraus kam. In der Tür blieb er kurz stehen, schaute auf seine Tochter und Anissa, die gerade wieder aufstand, dann fiel sein Blick auf den umgeworfenen Waschkübel und die Tischdecken, die im Dreck lagen. Sein Blick verfinsterte sich. Hätte Mirania sie nicht festgehalten wäre Anissa weggelaufen. Aber so konnte sie es nicht, egal sie viel Angst sie vor Mr. T. hatte. Sie sah wie er Miranias Hand von ihren Haaren löste und seine Tochter vorsichtig von ihr weg zog, bevor er sich wieder der am Boden sitzenden Anissa zuwandte. Anissa biss sich auf die Lippen. Keine Angst zeigen.

„Steh auf", sagte er und Anissa gehorchte wortlos. Das war besser als ihn noch wütender zu machen. Schneller als sie irgendetwas hätte sagen können spürte sie einen Griff am Kragen, der sie nach oben zog. Auf den Zehenspitzen balancierend versuchte sie das Gleichgewicht zu halten während sie wehrlos in Mr. T.'s Griff hing. „Kannst du nicht einmal vernünftig Wäsche waschen?", fragte er. „Du vergisst dass du bei weitem nicht in der Position bist dir hier deine Späße zu machen. Und wenn du dir noch einmal so etwas erlaubst dann kannst du etwas erleben. Ich kann bei weitem noch andere Dinge als dir das Essen zu streichen." Er hatte wirklich nicht laut gesprochen aber gerade das war das Schlimme. Hätte er gebrüllt hätte Anissa damit kein Problem gehabt. Mr. T. brüllte immer herum, das war sie von ihm gewöhnt. Leise wurde er nur wenn er wirklich wütend war und dann machte man besser einen großen Bogen um ihn. Anissa nickte, ohne etwas zu sagen. Das tat sie zwar nicht gerne aber sie wusste dass das besser war. Wenn Mr. T. wütend war, dann sagte man lieber gar nichts als etwas Falsches. Und wenn er wütend war, dann war es sehr einfach etwas Falsches zu sagen. Ein Stoß gegen ihre Brust ließ sie zurückstolpern und plötzlich fand sie sich wieder auf dem nassen Boden wieder. Mr. T. drehte sich um und griff nach Miranias Hand. „Wasch sie nochmal." Das war alles was er noch sagte. Anissa schaute nicht auf, aber trotzdem konnte sie das hämische Grinsen von Mirania sehen als sie mit ihrem Vater zurück zum Haus ging. Anissa rührte sich nicht, so lange bis die beiden verschwunden waren. Immer fester biss sie auf ihre Lippen, so lange bis sie fast schon Blut schmeckte. Sie war zwar erst acht Jahre alt und niemand würde ihr einen Vorwurf machen, aber ihr Leben hatte sie einen gewissen Stolz gelehrt. Sie würde nicht weinen. Nein, nie im Leben würde sie in Gegenwart von Treant Mirania weinen. Diesen Triumph gönnte sie ihr nicht. Und so blieb sie sitzen, den Kopf gesenkt, die Fingernägel fest in den nassen Sand gegraben. Sie rührte sich auch nicht als sich die Tür hinter Vater und Tochter schon lange geschlossen hatte. Erst als nach einer halben Stunde Assia in den Hof kam um den Müll aus der Küche weg zu bringen kam wieder Bewegung in das Mädchen. Sie stand auf und rannte quer über den Hof zu ihrer Adoptivmutter, die erstaunt auf das kleine, schmutzige Mädchen hinunter schaute, das sich an ihrem Rock festklammerte, aber dann legte sie ihr tröstend eine Hand auf den Rücken.

„Ich hasse sie", weinte Anissa in den Stoff von Assias Rock. „Ich hasse sie! Ich will sie nie wieder sehen!"

„Du weißt, dass das nicht geht", sagte Assia und streichelte ihr über den Rücken. Sie musste sich sehr beherrschen um ihrer Tochter nicht einfach recht zu geben, immerhin konnte sie es verstehen dass Anissa nicht hier sein wollte. Im Gegensatz zu den anderen, die hier aus freien Stücken angefangen hatten, hatte Anissa niemand nach ihrer Meinung gefragt. Man hatte einfach entschieden dass sie nun hier leben und arbeiten sollte, ob es ihr nun passte oder nicht. Hauptsache ihre Mutter bekam das Geld und das Kind war aus dem Weg. „Du gehörst nun einmal hierher. Ob du es willst oder nicht."

Anissa schüttelte nur den Kopf. Dieser Satz war das einzige das sie noch weniger leiden konnte als Mirania. „Ich will niemandem gehören", sagte sie. Doch sie wusste, dass das nicht mehr als ein Wunschtraum war.