Prolog ‚Neue Freunde, Neue Gefahr'

Die junge Frau lief zügig durch die dunkler werdenden Straßen von L.A. Ihre Schritte hallten auf dem Pflaster, waren über dem Lärm der Stadt jedoch nur gedämpft wahrnehmbar.

Die Luft war von der Hitze des Tages aufgeheizt und erfüllt von den Abgasen der Autos, die zu tausenden im Laufe des Tages die Stadt gekreuzt hatten.

Wenn sie die Augen schloss konnte sie einen Hauch des nahen Ozeans erhaschen. Nur den Anflug eines salzhaltigen Hauchs, doch er genügte ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. Die unglaubliche Weite des Meeres begeisterte sie immer wieder aufs neue. Wenn sie manchmal wie ein Kind durch die Brandung lief, spürte sie die neugierigen Blicke der Leute, doch es störte sie nicht.

Hier in dieser Stadt, die manche die Stadt der Engel und manche die Stadt der Träume nennen, hatte sie endlich ihre wahre Bestimmung gefunden.

Der Name der Frau lautete Star. Eigentlich war das nicht ihr wirklicher Name. Doch niemand nannte sie bei ihrem Geburtsnamen. Nicht einmal ihre Eltern, für die war sie von Anfang an Star gewesen. Das mochte einerseits an dem annähernd sternförmigen Mal in ihrem Nacken liegen, andererseits vielleicht daran, dass sie das einzige Kind ihrer nicht mehr jungen Eltern gewesen war, die nicht mehr damit gerechnet hatten ein Kind zu haben und für die sie immer ein Wunder geblieben war.

Star war eine junge Frau Mitte zwanzig. Hochgewachsen und schlank, sie selbst nannte das eher knochig. Ihr sanft gelocktes, dunkles Haar trug sie modisch kurzgeschnitten. Am faszinierendsten waren ihre Augen – die in einem ungewöhnlichen Grauton strahlten. Ihr Vater hatte sie einmal mit dem Himmel vor einem heftigen Sommergewitter verglichen.

Ihre Familie. Ihre Vergangenheit...

Die Erinnerung an ihre Vergangenheit, fern von diesem Land vollkommener Freiheit, quälte Star noch immer. Die Bilder, wie ihre Großmutter der Hexerei bezichtigt und von den Dorfbewohnern getötet worden war, hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sie hatten einfach das Haus über ihrem Kopf angezündet. Die alte Frau hatte keine Chance gehabt, dieser flammenden Hölle zu entkommen. Tränen brannten in Stars Augen und sie ballte die Hände in hilfloser Wut. Wenn sie nur... Doch sie wusste, sie hätte nichts tun können. Sie war ein Kind gewesen und ihre Eltern froh, dass ihrer Tochter nichts passiert war. Ihre Großmutter hatte sie rechtzeitig aus einem schmalen Fenster schieben können, bevor sie von Flammen und Rauch eingehüllt worden war.

In einer Zeit zu der anderswo die Newage-Welle und die Esoterik gerade die Welt eroberten, musste ein kleines Mädchen den Tod der geliebten Großmutter mit ansehen, nur weil sie die Gabe besessen hatte. Die gleiche Gabe die auch Star geerbt hatte und die auch ihre Mutter bis zu einem gewissen Grad besaß. Star konnte die Gefühle anderer nicht nur lesen, sondern sehen. Eine Fähigkeit, die ihrer Familie schon oft zum Verhängnis geworden war. Deshalb hatte ihr Vater damals entschieden hierher zu kommen.

Ihre Eltern hatten ihr eingebläut niemanden von ihrer Fähigkeit zu erzählen. Sie zu verstecken. Und das hatte sie getan, bis heute. Sie hatte die Schule und das College in Rekordzeit abgeschlossen und dann beschlossen Psychologie zu studieren. So konnte sie ihre Fähigkeit unbemerkt nutzen und damit Gutes tun. Das war ihr wenig aufregendes Leben gewesen bis, ja, bis vor einiger Zeit...

Star arbeitete jetzt an der Universität von L.A. Sie gab Kurse in Psychologie und arbeitete nebenbei noch als das, was hier ‚Schulcounselar' hieß, sie half den Studenten bei ihren Problemen und auch bei Trauerbewältigung, wenn es nötig war.

An der Uni hatte sie Willow kennengelernt, eine junge Frau die an der UCLA studierte und die von einer Traurigkeit umgeben war, die sie wie einen Schleier umhüllte – und da war noch irgendetwas anderes, das Star nicht einordnen konnte.

Warum sie es getan hatte wusste Star selbst nicht, aber eines Tages beim Essen hatte sie dieser seltsamen jungen Frau einfach von ihrer Gabe erzählt und sie gefragt was sie so quält. Willow hatte nicht im mindesten erstaunt oder geschockt reagiert, oder noch schlimmer sie ausgelacht – im Gegenteil.

Es hatte einige Zeit gedauert bis Willow Vertrauen zu ihr fasste und ihr ihre Geschichte erzählte – und die ihrer Freunde. Sie erfuhr von Tara, Willows Freundin. ‚Ihrer Partnerin' verbesserte sie sich in Gedanken und deren Tod – der Trauerschleier der sie umgab.

Von Willow hatte Star in den letzten Wochen Erstaunliches erfahren: von einer Welt, die ihr bisher völlig fremd gewesen war. Einer Welt voller Schrecken und dem Bösen, aber auch von Mächten des Guten und von großer Magie. Willow hatte sich selbst als Hexe bezeichnet und Star, nachdem diese Zweifel daran hegte, eine Kostprobe ihres Könnens gegeben.

Inzwischen waren die beiden zu Freundinnen geworden und sie sollte auch Willows andere Freunde kennenlernen, von denen sie bisher nur gehört hatte.

Plötzlich fühlte Star sich auf seltsame Weise in eine Seitenstraße gezogen. Emotionen - bekannte, fremde und bösartige - stürmten auf sie ein und sie hatte das Gefühl ihr Kopf müsste zerspringen. Sie glaubte Schemen zu erkennen und wurde unweigerlich immer weiter in den Sog dieser Gefühle gezogen. ‚Gezerrt', dachte sie, so als ob Hunderte Stimmen und Gefühle sie in alle Richtungen gleichzeitig rissen. Sie fühlte einen unglaublichen, sengenden Schmerz in ihrem Kopf und dann... plötzlich nichts mehr. Sie fühlte sich frei. Keinen Schmerz mehr. Voller Schrecken wurde ihr bewusst, dass sie hier – wo immer hier auch sein mochte – nicht allein war und das sie völlig körperlos durch die Straßen eilen konnte. Die anderen – Geister?, Seelen? - waren voller Angst und Panik, einige voller Wut und Hass.

Ihre einzige Möglichkeit bestand darin, Kontakt mit diesen anderen... Essenzen aufzunehmen. Vielleicht konnte sie herausfinden wo sie waren und was hier vor sich ging. Dann würde sie Hilfe suchen müssen – vielleicht bei Willow. Sie kannte sich mit dieser Welt aus und würde wahrscheinlich einen Ausweg finden können.

Zunächst wandte Star sich den Anderen zu. Was auch immer einige von ihnen waren, sie würde ihnen helfen wenn sie es konnte. Sie bewegte sich auf sie zu.