Narn Gil Galad
von Earonn
Kap. I – Tol Sirion
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Disclaimer:
Ich sage es jetzt am Anfang, doch natürlich gilt es gleichermaßen für alle folgenden Kapitel: alles gehört dem großen Prof Tolkien. Nichts davon gehört mir, außer den Fehlern, einigen Protagonisten und der Freude, die ich beim Schreiben hatte.Canon:
Dieses erste Kapitel könnte man als AU bezeichnen, das hängt von der jeweiligen Ansicht des Lesers davon, was Canon sei, ab. Ich habe einige Informationen aus der ‚History of Middle Earth' verwendet (siehe Anmerkungen).Spätere Kapitel werden aber auf jeden Fall AU werden, also beschwert euch dann nicht bei mir! ;)
Danksagung:
tausendfacher Dank an Nemis!Nicht nur fürs Korrekturlesen (was nicht einfach ist bei meiner zuweilen etwas eigenwilligen Auffassung der englischen Sprache), sonder vor allem dafür, mich ermutigt zu haben eine Geschichte, die ich eigentlich nur zum privaten Vergnügen geschrieben habe, zu übersetzen und zu veröffentlichen. Viele, viele Ork-Kekse für Dich, und dazu noch einen hübschen Teddy (zum Tragen oder Bekämpfen...) ;)
Widmung:
dies ist für Nemis aus den obengenannten Gründen, und für den durchgeknallten Kiwi in Bonn, der (unwissentlich) meinen Kontakt zu ihr begründet hat.*******************
Anmerkungen:
Ich habe für Gil Galads Herkunft die Version aus der History of Middle Earth, Band 10 "Peoples of Middle Earth", verwendet. Dieser zufolge ist Gil Galad der Sohn von Orodreth (und damit der Bruder von Finduilas) und Orodreth wiederum der Sohn von Angrod. Leider hat Tolkien nichts über seine Mutter gesagt, außer daß sie "a Sindarin lady from the north" gewesen sei.
In der Übersetzung weicht der englische Text leicht von der deutschen (Ur-) Version ab. Zum einen hat dies stilistische Gründe, zum anderen habe ich nicht jede Korrektur in der einen Version sofort in die andere übertragen. Es dürften aber immer nur unwesentliche Kleinigkeiten sein.
Und jetzt viel Spaß!
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I. Tol Sirion
Die Noldor waren nach Beleriand gekommen und hatten ihre Reiche gegründet. Aber sie waren mit dem Blut ihrer Verwandten aus Alqualonde befleckt und Morgoth der Große Feind war im Besitz der drei Silmaril. Viel Leid hatten sie erlitten und weiteres Leid erwartete sie.
Die Söhne Finarfins waren in den Nordosten gezogen, und wie ein Puffer lagen ihre Reiche zwischen denen der Söhne Feanors und jenen von Fingolfin und seinen beiden Söhnen Fingon und Turgon.
In Dorthonion, dem Hochland südlich der weiten Ebene von Ard-Galen, die sich bis zu den steilen Klippen von Thangorodrim erstreckte, hatten Angrod und Aegnor ihre Reiche und ihr älterer Bruder Finrod hielt das Tal des Sirion zwischen Mithrim und dem Westen Dorthonions. Ganz im Osten, an Himlad angrenzend, hielt Angrods Sohn Orodreth die Stellung, die er mit Bedacht gewählt hatte. Von allen aus der Familie Finarfins war er am engsten mit den Söhnen Feanors verbunden. Enge Freundschaft herrschte zwischen ihm und Celegorm und Curufin und er mochte sich nicht völlig von ihnen trennen, so sehr ihn ihre Handlungsweise in Alqualonde und Losgar auch entsetzte. Doch sie hatten ihre Fehler zugegeben und ihn um Verzeihung gebeten, und Orodreth sah seine Freundschaft nicht als Gericht über die Taten der feanorischen Elben an. Mandos würde dereinst zweifellos sein Urteil sprechen, er hingegen wollte sie unterstützen und er glaubte an ihre ehrliche Reue.
So lebten sie in enger Nachbarschaft und leisteten einander oftmals Unterstützung im Kampf gegen Morgoth und seine Geschöpfe.
Aber Finrod wurde von Ulmo vor Morgoths Tücke gewarnt, und mit der Hilfe von König Elwe Singollo, den die Elben Beleriands Thingol Graumantel nannten, dem Herrn von Doriath, fand er die Schlucht des Narog in Taur-en-Faroth. Dort baute er eine versteckte Burg im Fels, die Nargothrond genannt wurde, und die Zwerge, die ihn unterstützten, nannten ihn felak-gundu, was ‚Höhlenschleifer' bedeutet. Die Elben änderten es ihrer Sprache gemäß ab, und so nannten sie ihren König Finrod Felagund.
Finrod Felagund war sich nur zu sehr bewußt, daß der Sirion-Paß nicht unbewacht bleiben durfte. Er überlegte lange, welchem seiner Anverwandten oder Anführer er die Verantwortung auferlegen sollte, denn hier ging es um mehr als Wachmannschaften und Kämpfe mit Orks.
Doch im Grunde war ihm von vornherein klar, welche Entscheidung er treffen würde, es ging ihm lediglich darum, zu prüfen, ob auch kein gewichtiger Grund dagegen sprach. Und als er keinen solchen Widerstand fand, suchte Finrod seinen Bruder Angrod auf, der mit seinem Bruder Aegnor und seinem Sohn Orodreth die Hochlande von Dorthonion gegen Angbands Orks und Warge hielt.
Angrod empfing Finrod freudig. "Es tut gut, dich einmal wiederzusehen, felak-gundu", sagte er lächelnd, seinen Bruder bei dem Namen nennend, den dieser vor kurzem von den Zwergen erhalten hatte.
"Ich bin gekommen, um eine heikle Angelegenheit mit dir zu besprechen. Es geht um Tol Sirion. Und um den, der es nach mir übernehmen soll."
"Wo liegt das Problem?"
"Ich möchte, daß Orodreth die Insel übernimmt."
Von allen seinen Verwandten stand ihm Orodreth am nächsten, denn er besaß das selbe ruhige Temperament und sie studierten beide die alten Schriften und die Sprachen der Eldar. Es gab nur wenige ihres Volkes, die es in dieser Hinsicht mit dem Wissen von Finrod und Orodreth aufnehmen konnten und dieses gemeinsame Interesse hatte ihrer beider Freundschaft nur noch mehr gefestigt. Doch Angrod war sich bewußt, daß dies nicht der Grund für die Entscheidung seines Bruders war. Er bedachte diesen mit einem nachdenklichen Blick.
"Und warum willst du meinem Sohn diese Ehre erweisen? Bisher hat es sich als äußerst vorteilhaft erwiesen, ihn im Osten zu halten. Er ist mit Curufin und Celegorm befreundet, es wäre schwerer für uns, würde nicht er sich mit ihnen abgeben."
Der Herr von Nargothrond schüttelte den Kopf. "Siehst du nicht die Gefahr? Wundert es dich gar nicht, daß er weiterhin mit ihnen befreundet ist? Angrod, du weißt, wie sehr ich meinen Neffen schätze, doch gegen diese beiden kann er sich nicht durchsetzen. Er ist geduldig und sanftmütig und er hält sie uns vom Leibe, ja, doch ich fürchte um ihn. Wenn er sich irgendwann einmal entscheiden muß...."
Angrod runzelte die Stirn. "Wenn du eine so geringe Meinung von ihm hast, wundert es mich, daß du ihm den Paß des Sirion überlassen willst."
Beschwichtigend hob Finrod die Hände. "Ich habe keine schlechte Meinung von Orodreth und gerade du solltest das wissen. Er ist ein heller Kopf, er hat eine Menge guter Eigenschaften, er kann einen Trupp zusammenhalten, wenn es sein muß, das hat er mehr als einmal bewiesen. Und wenn es nicht gerade die Söhne Feanors wären, würde ich mir keine Sorgen um ihn machen. Du weißt, wie sie sind, Angrod. Und du kennst ihn."
Leider konnte Angrod seinem Bruder hierin nur zustimmen. Er liebte seinen Sohn innig, doch er sah dessen Schwächen. Und seine alte Freundschaft mit den Söhnen Feanors gehörte dazu, die selbst die Verbrennung der Schiffe der Teleri bei Losgar und die Überquerung der Helcaraxe überlebt hatte.
"Ja, ich kenne ihn", meinte er schließlich ruhig. "Und ich weiß auch, daß er seine Pflichten sehr ernst nimmt, wenn dir das Sorgen bereiten sollte."
Finrod lächelte. "Das ist der zweite Grund, weshalb ich ihn auf Tol Sirion haben will. Hier hat er nicht viel zu tun, Dorthonion wird von Aegnor und dir gut genug verteidigt und Himring, nun, wenigstens in dieser Hinsicht kann nichts gegen Celegorm und Curufin gesagt werden. Aber Tol Sirion verlangt mehr als nur kämpferisches Geschick, Angrod, das weißt du. Es geht nicht nur darum, Morgoths Angriffe abzuwehren. Er würde sich auch noch mit Fingons und Fingolfins Truppen und vor allem mit den Sindar, die in dieser Gegend leben, beschäftigen müssen. Und wenige wären dazu besser geeignet als mein Neffe."
"Ganz zu schweigen davon, daß der Weg von Tol Sirion nach Nargothrond sehr viel kürzer ist, um – zum Beispiel – eingehend über philosophische Fragen zu diskutieren?", erwiderte Angrod lächelnd.
Lachend nickte Finrod zustimmend. "Ich will nicht verhehlen, daß es mir sehr recht wäre, ein wenig engeren Kontakt zu Orodreth halten zu können. Draußen in der Wildnis ist sein Talent schlichtweg verschwendet."
Es bedurfte kaum einer weiteren Diskussion über das Thema und zur Verwunderung vieler überging Finrod Felagund bei der Besetzung von Tol Sirion seine beiden Brüder Angrod und Aegnor und wählte seinen Neffen als Nachfolger.
Orodreth befestigte den Turm Minas Tirith, der auf Tol Sirion stand, und ließ Wachen zwischen den Bergen von Mithrim und Dorthonion umherziehen. Auch er selbst ritt oft nach Norden und über das Fenn von Serech gelangte er in die Reiche seines Vaters Angrod und seines Onkels Aegnor.
Finrod bemühte sich auch, das Verhältnis zu den Elben der Falas, die unter der Führung von Cirdan dem Schiffsbauer die Küsten besiedelten, zu verbessern. Eigentlich waren diese noch Untertanen König Thingols, doch nun, da das Reich von Nargothrond zwischen den Falas und Doriath lag, ging dieses Verhältnis mehr und mehr auf den Herrn von Nargothrond über.
Lange überlegte Finrod Felagund, wie er ein Verhältnis zu den Elben der Falas finden sollte. Schließlich ergab sich durch die Zerstörung von Eglarest und Brithombar durch Morgoths Orks ein willkommener Anlaß. So bot er Cirdan an, Handwerker aus Nargothrond zu entsenden, um beim Wiederaufbau der Städte zu helfen, was dieser gerne annahm, ebenso um gute Nachbarschaft bemüht wie der König von Nargothrond selbst.
Sobald die positive Antwort Cirdans eingetroffen war, rief Finrod seinen Neffen Orodreth zu sich. "Ich bitte dich, in meinem Auftrag nach Eglarest zu reisen. Du weißt, welche Zerstörung die Stadt durch Morgoths Orks erlitten hat. Cirdan ist unser direkter Nachbar, er mag eigentlich König Thingol unterstehen, doch er hat auch mich anerkannt und ich fühle mich aufgrunddessen für die Falathrim verantwortlich. Es wird helfen, das Verhältnis zwischen Noldor und Sindar zu verbessern. Und ich kenne niemanden", jetzt lächelte der Herr von Nargothrond verschmitzt, "der so gut organisieren kann wie du. Oder besser geeignet wäre, den Wiederaufbau einer Stadt zu leiten."
Orodreth neigte nur leicht den Kopf zum Zeichen seines Einverständnisses, doch auch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, denn natürlich kannte Finrod seine Entwürfe. Schon immer hatte sich der Sohn Angrods für den Aufbau und die Planung von Städten interessiert, schon als Kind hatte er seine Verwandten mit einem detaillierten Plan für Tirion auf Tuna überrascht, der – wäre er jemals in die Tat umgesetzt worden – die Stadt tatsächlich noch vorteilhafter gestaltet hätte.
Einen knappen Monat später brachen Handwerker von Nargothrond in Richtung Westen auf. Orodreth freute sich auf die bevorstehende Aufgabe, denn er konnte Cirdan gut leiden und sehnte sich nach dem Anblick des Meeres. Wasser bedeutete ihm viel, er hatte es gerne um sich. Selbst der Sirion konnte seine Sehnsucht nicht völlig stillen. Seine Liebe galt dem Meer, der unendlichen Wasserfläche, dem regelmäßigen Rhythmus von Ebbe und Flut und dem Plätschern der Wellen, die sich auf steinigen Stränden brachen.
In Eglarest wurden sie von den Falathrim freundlich empfangen. Diese waren erfreut, daß der Noldor-König aus Nargothrond ihnen Hilfe für den Wiederaufbau ihrer Stadt gesandt hatte, denn es war bereits bekannt geworden, wie talentiert die Rückkehrer aus Aman hierin waren.
Orodreth ging ganz in seiner Aufgabe auf. Finrod hatte nicht übertrieben, als er ihm Organisationstalent zugesprochen hatte. Er ließ die Trümmer beiseiteräumen, alles noch Verwertbare aussortieren und begann dann in Absprache mit Cirdan mit der Neuplanung der Stadt.
Nachdem Eglarest so weit wiederhergestellt war, daß seine Anwesenheit eigentlich nicht mehr notwendig war, suchte Orodreth Cirdan auf.
"Wenn Ihr nichts dagegen habt, Lord Cirdan, werde ich nach Brithombar gehen. Auch dort sind die Zerstörungen erheblich und vielleicht können meine Leute und ich nochmals von Nutzen sein."
Der Schiffsbauer betrachtete den Neffen Finrods lächelnd. "Es macht Euch Freude, nicht wahr?"
Dieser errötete, nicht aus Verlegenheit, sondern vor Eifer. "Eine Stadt zu errichten, ist eine herrliche Sache. Man erschafft nicht nur für sich selbst, sondern für andere, und es ist kein Juwel, schön anzusehen, aber ohne praktischen Wert, sondern die Grundlage der Gemeinschaft selbst."
"Ich habe schon gehört, daß Ihr viele nützliche Vorschläge für die Aufteilung der Straßen und Plätze vorgebracht habt."
"Ich habe mir früher viele Gedanken um solche Dinge gemacht und immer gerne geplant. Leider hatte ich noch niemals die Gelegenheit, meine Überlegungen in die Praxis umzusetzen. Es freut mich, wenn diejenigen, die darin leben werden, mit meiner Arbeit zufrieden sind."
"Und das sind sie – im höchsten Maße. Doch ich dachte, Ihr hättet Eurem Onkel bei der Gestaltung von Nargothrond geholfen?"
Orodreth lachte hell auf. "Finrod felak-gundu in die Quere kommen? Ich werde mich hüten! Nargothrond ist seine Geliebte, sein Herz, da gibt es keinen Platz für einen anderen. Es dürfte ihm schon schwer genug gefallen sein, den Handwerkern nicht jeden Handgriff anzuweisen."
So begann der Sohn von Angrod wenig später seine nächste Aufgabe.
Brithombars Wiederaufbau gestaltete sich schwieriger als jener von Eglarest, denn hier war kaum brauchbares Baumaterial zurückgeblieben. Überdies beherbergte der Ort auch noch eine Werft, so daß die umliegenden Wälder ohnehin schon unter Holzabbau litten.
Doch Orodreth ließ sich von den Problemen nicht beeindrucken und arbeitete lange und hart, um all das zu organisieren, was seiner Meinung nach benötigt wurde, um aus den Ruinen wieder eine blühende Stadt zu machen. Nicht nur funktionell sollte sie sein, sondern schön, ein Ebenbild dessen, was er jenseits des Belegaer hinter sich gelassen hatte.
Und seine Mühen wurden belohnt. Nicht allein durch den Dank der Falathrim und die Freude an der Arbeit. Sondern durch die Bekanntschaft mit einer Sinda namens Helegethir. Sie lebte während seines Aufenthaltes bei Verwandten an der Küste, doch ihre Familie stammte aus dem Norden, aus dem Quellgebiet des Teiglin, südlich von Dor-Lomin. Nur wenige Elben lebten dort zwischen den Bergen so weit im Norden. Es handelte sich ausnahmslos um Sindar, die hier schon gewohnt hatten, ehe die Noldor aus dem Westen gekommen waren und sich Reiche in Hithlum und Dorthonion nahmen. Helegethir hatte vor ihrer Abreise zu ihren Verwandten an der Küste kaum je einen Noldo gesehen, denn ihre Familie schätzte die Ruhe des Waldes.
Sie war ursprünglich um ihrer Sicherheit willen zu einem entfernten Onkel nach Brithombar geschickt worden, denn in den letzten Jahren hatte sich das Böse im Norden wieder geregt. Helegethir wußte, daß es Krieg gegeben hatte zwischen den Elben aus dem Westen und dem Dunklen Herrn und selbst ihre Wälder daheim, die sie so gut kannte und über allem anderen liebte, waren nicht mehr sicher. Niemand hatte natürlich geahnt, daß sie gerade in Brithombar in Gefahr geraten würde.
Sie war entfernt mit Olwe und somit auch mit Orodreth und Cirdan verwandt, und dieser war es auch, der die beiden miteinander bekannt machte. Er hoffte darauf, Orodreth würde sich bereit erklären, die Elbenfrau bei seiner Rückreise nach Tol Sirion zu begleiten.
Helegethir betrachtete den Elben wohlwollend, der in Begleitung Cirdans die Halle betrat. Man hatte ihr schon von ihm erzählt, dies war der Neffe Finrods, des Herrn von Nargothrond, der gekommen war, um beim Aufbau von Eglarest und Brithombar zu helfen. Wie man hörte, war Eglarest durch seine Arbeit noch schöner aus seinen Trümmern erstanden, als es zuvor bereits gewesen war.
Sein Äußeres erschien schön wie bei allen Eldar. Schlank war er und leicht gebaut, mit einem freundlichen Gesicht und nachdenklichen graublauen Augen. Auch seine Hände waren schmal und schlank, die Hände eines Gelehrten, doch sie zweifelte keinen Moment an seinen kämpferischen Fähigkeiten. Sein Haar war blond, wie angeblich bei jedem Mitglied seiner Familie, doch durchzogen von einigen dunkleren Strähnen, so daß es ständig wirkte, als leuchte es durch Lichtreflexe auf.
Sie beobachtete ihn den ganzen Abend über eingehend. Er schien für jeden ein zuvorkommendes Lächeln zu haben und wirkte so völlig anders als die anderen Noldor, die sie bisher kennengelernt hatte. Alles an ihm schien zu leuchten.
Es war ihr noch niemals schwer gefallen, auf Fremde zuzugehen, insbesondere nicht unter den Falathrim, und so trat sie später am Abend auch ohne Scheu auf den hellhaarigen Mann zu. Er bemerkte ihr Nahen und wandte sich ihr zu, und sie errötete sacht unter dem Strahlen seiner graublauen Augen. [durch Cirdan miteinander bekannt]
Auch Orodreths Herz machte einen ungehörigen, aber zutiefst zufriedenen Hüpfer, da die herrliche Elbenfrau zu ihm kam, dunkelhaarig und kräftig wie viele ihres Volkes, mit vergnügten hellgrauen Augen unter geraden Brauen und leicht gebräunter Haut Ihre Lippen waren schmal, hatten jedoch den ganzen Abend über immer wieder heiter gelächelt und seiner Meinung nach stand das moosgrüne Kleid, das sie trug, ihr ausgezeichnet.
"Ihr seid der Baumeister von Eglarest, nicht wahr?", fragte sie.
Orodreth neigte leicht den Kopf vor der hübschen Elbenfrau und lächelte geschmeichelt. "Baumeister ist übertrieben. Ich habe beim Wiederaufbau mitgeholfen und meinen Beitrag zur Planung geleistet", antwortete er. Dann verneigte er sich zur förmlichen Vorstellung vor ihr. "Mein Name ist Orodreth, Sohn von Angrod, aus dem Haus von Finarfin."
Helegethir neigte ebenfalls den Kopf. "Ich heiße Euch willkommen, Orodreth. Möge Eure Anwesenheit für Brithombar ebenso vorteilhaft werden. Mein Name ist Helegethir, Tochter von Laerion aus dem Hause von Aewarn."
Sie bemerkte bestürzt, wie das herrliche Lächeln in sich zusammenfiel und erlosch.
"Habe ich etwas falsches gesagt?"
Der Noldo schien sie nicht zu hören, sondern sich auf etwas weit entferntes zu konzentrieren, wie auf ein Geräusch, das nur er hören konnte. Sie legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Unterarm und er kehrte wieder zu ihr zurück.
"Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte sie unsicher.
Er schüttelte den Kopf, eine helle Strähne seines Haares verselbständigte sich und lag, weich und glänzend und einladend, auf der hellen Haut seiner Wange. Wie einfach wäre es, sie jetzt zurückzustreichen, dies weiche Haar über ihre Hand gleiten zu fühlen! Sie vertrieb den ungehörigen Gedanken schleunigst wieder.
Er sammelte sich zusehends. "Wir Noldor benennen unsere Kinder nicht mehr nach Schnee und Eis, Lady. Nicht, seitdem wir die Helcaraxe überschreiten mußten. Die Erinnerungen und die Schmerzen der Trauer sind uns unerträglich."
Sie sagte nichts, doch ihre Hand lag weiterhin auf seinem Arm. Irgendwann bedeckte er sie mit der seinen und lächelte aufmunternd, wenn auch etwas kläglich. Sie erwiderte sein Lächeln.
"Es tut mir leid, wenn mein Name Euch Kummer bereitet. Wie wäre es, wenn Ihr mir von eurer Arbeit in Eglarest erzählt?"
Orodreth, ohnehin stets dazu geneigt, die Kümmernisse der Vergangenheit zu begraben und eifrig bereit, über seine Arbeit zu sprechen, überdies gefangen von den leuchtenden grauen Augen, die auf ihn gerichtet waren, brauchte keine weitere Einladung.
Sie verbrachten einen wortreichen Abend damit, sich über Hausbau, Stadtplanung und die Gastfreundschaft der Falathrim zu unterhalten, bis schließlich die Gesänge begannen. Helegethir warf einen etwas mißmutigen Blick auf die Sänger, die ihre so angenehme Unterhaltung störten. Immerhin bot es ihr einen gewissen Trost, daß Orodreth nicht von ihrer Seite wich, sondern sich gemütlich zurücklehnte und mit offensichtlichem Vergnügen den Vorträgen der anderen lauschte. Irgendwann wurden die Gäste aus Nargothrond um einen Beitrag gebeten und sie trugen ein herrliches Lied vor, dessen Melodie noch aus dem Gesegneten Reich stammte und dessen Text kunstreich in Sindarin übersetzt worden war.
Helegethir stellte fest, daß seine Stimme ebenso angenehm war, wie sein Äußeres und seine Manieren. Und als die Reihe an sie kam, sang sie für ihn mit warmer tiefer Stimme Lieder der Sindar, die von Sternenlicht, den sanften, tiefen Schatten der Wälder und dem musikalischen Flüstern der Blätter im Wind handelten.
In der Folgezeit suchte sie ihn häufig auf, sah ihm über die Schulter, wenn er Pläne zeichnete oder über den Grundrissen von Hallen und Werkstätten brütete. Beim dritten oder vierten Besuch dieser Art nahm sie sich, während er mühselig über den verschiedenen Plänen der Stadt brütete, seines Schreibwerkzeugs an, reinigte und schärfte die Federn und füllte die Tinte nach. Erst als sie ihn fragte, wohin sie das unbenutzte Pergament legen sollte, bemerkte er überhaupt, was sie getan hatte. Angesichts seines verdutzten Gesichtsausdrucks lachte sie hell auf. "Ihr seid es nicht gewohnt, daß sich jemand Eurer Angelegenheiten annimmt."
Er betrachtete sie mit neuerwachtem Ernst. "Nein, das bin ich nicht."
Zwei mal gelang es ihr sogar ‚zufällig' dort aufzutauchen, wo er gerade arbeitete. Sie sah zu, wie er die Säulen am Eingang einer Halle mit einem Ornament aus stilisierten Fischen verzierte und ließ sich die Bedeutung und Entwicklung dieses speziellen Ornaments erklären. Sie brachte ihm etwas zu trinken, als er an einem heißen Tag gemeinsam mit anderen Holzbalken von einem Wagen ablud und beruhigte eine erregte Diskussion zwischen ihm und dem Hafenmeister über die bestmögliche Anlage des Kais.
Als der Herbst hereinbrach und das Wetter schlechter wurde, lud er sie ein und sie verbrachten viel Zeit mit gemeinsamen Studien, denn wenn Orodreth auch vordringlich nach Eglarest gesandt worden war, um Neuaufbau zu betreiben, war er doch zu sehr Gelehrter, um sich diese Gelegenheit, aus dem Wissen der Falathrim zu schöpfen, entgehen zu lassen.
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Zwei Jahre verbrachte Orodreth in Brithombar, bis der Aufbau zu seiner Zufriedenheit gediehen war und er eine Rückkehr nach Tol Sirion erwog. Und wie Cirdan es sich erhofft hatte, bot er Helegethir an, sie auf dem Rückweg zu begleiten und zu ihrer Familie zu bringen.
Die Elbenfrau war bereits länger von ihrer Sippe getrennt, als es ursprünglich geplant gewesen war, doch sie hatte den Aufbruch immer wieder hinauszögern können, um noch einige weitere Wochen oder Monate in Brithombar verbringen zu können. Sie hatte noch mit niemanden, nicht einmal ihre engsten Freunden, über ihre Gefühle hinsichtlich des jüngsten Mitglieds des Hauses von Finarfin gesprochen, am allerwenigsten mit Orodreth selbst, obwohl sie sich sicher war, daß sie von ihm erwidert wurden.
Bestens gelaunt traten sie an einem kühlen Spätsommermorgen ihre Rückreise an. Viele Elben aus Brithombar waren gekommen, um sie zu verabschieden und Cirdan reichte ihnen zum Abschied die Hand.
"Ich danke Euch, Orodreth – für das, was Ihr für Eglarest und Brithombar getan habt, mindestens ebenso sehr wie dafür, daß Ihr die Lady auf ihrer Rückreise begleitet. Richtet bitte auch Eurem Onkel meinen Dank und herzliche Grüße aus."
Orodreth warf einen schnellen, scheuen Seitenblick auf Helegethir, die neben ihm stand, und errötete leicht. "Lord Cirdan, Ihr habt mir Ehre erwiesen mit dem Vertrauen, das Ihr mir entgegengebracht habt. Doch dankt mir nicht für das, was ich für die Lady tun kann, denn dies wird mir eine reine Freude sein."
Und Cirdan wußte, daß dies keine bloße Höflichkeitsfloskel war.
Sie bestiegen ihre Pferde und wandten sich Richtung Osten. Ihre recht große Reisegesellschaft wollte zunächst nach Nargothrond ziehen, von wo viele der Handwerker stammten, die Orodreth begleitet hatten. Helegethirs Begleitung hatte nach einem Blick auf ihre Herrin nur äußerst kurz gezögert und dann zugestimmt, noch eine kleine Weile die Gastfreundschaft König Finrods anzunehmen. Hierüber war Orodreth insbesondere froh, denn er freute sich nicht nur an der Gesellschaft der dunkelhaarigen Sinda, sondern gedachte darüber hinaus, sich diese noch auf viele Jahre hin zu sichern – genaugenommen auf alle Jahre, die Arda ihm noch bieten mochte. Und wenn er sie schon mit seiner Familie bekannt machen wollte, so waren Nargothrond und die Persönlichkeit König Finrods sehr gute Ausgangspunkte.
Sie reisten sorglos und heiter, genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen und erfreuten sich stillvergnügt an der Nähe des anderen.
In Nargothrond wurden sie herzlich willkommen geheißen. Helegethir empfand gleichermaßen Bewunderung wie Scheu, als sie durch die Gänge der Burg am Narog geleitet wurden. Zwei Jahre in Orodreths Gesellschaft waren genug, um sie viele stilistische Besonderheiten erkennen zu lassen, um ihr ein Verständnis für die Architektur der Tiefburg zu schenken, wie sie es sich zuvor niemals hätte vorstellen können. Einmal war sie in Menegroth gewesen, um ihren entfernten Verwandten König Thingol zu besuchen, doch das war schon viele Jahre her. Sie erinnerte sich an die Pracht und die herrliche Arbeit, die ihr Volk dort geleistet hatte, jedoch schien sich dieses Elbenheim ohne weiteres mit dem Sitz des Königs der Sindar messen zu können. Vielleicht lag es aber auch nur daran, daß Orodreth ihr immer wieder hier und da Arbeiten zeigte, Reliefs, Ornamente oder Stuckarbeiten, die er selbst angefertigt hatte.
Sie kamen in die große Halle König Felagunds und ehe er sich von ihr trennte, um seinen Verwandten zu begrüßen, drückte Orodreth Helegethir noch einmal kurz beruhigend die Hand. Sie lächelte nervös. Finrod Felagund mochte keinen so hohen Rang einnehmen wie Thingol Graumantel und Melian die Maia, doch er war der Herr des größten Elbenreiches in Beleriand. Und sie war hier keine willkommene, wenn auch entfernte Verwandte, sondern eine Fremde, die noch dazu verzweifelt einen guten Eindruck vor dem Fürsten machen wollte, der ein enger Angehöriger des Mannes war, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.
Doch sie merkte schnell, daß Finrod Felagund aus dem Haus von Finarfin bei all seiner Würde und dem verdienten Respekt ein entgegenkommender und freundlicher Gastgeber war, dem es offensichtlich sehr auf das Wohlbefinden seiner Gäste ankam. Er unterhielt sich einige Zeit mit ihr und sie war angenehm überrascht, als sie herausfand, wie viel er von Orodreth hielt. Dieser hatte ihr zwar viel von seinen Aufgaben im Norden erzählt, es jedoch stets so dargestellt, als sei er dort ebenso wie in Eglarest und Brithombar lediglich ein Beauftragter seines Königs. Nun erfuhr sie, daß er Tol Sirion praktisch in eigener Verantwortung hielt und für diese Aufgabe sogar noch vor seinem Vater Angrod und seinem Onkel Aegnor ausgewählt worden war. Und sie hörte zum ersten mal, daß er zu den größten Gelehrten seines Volkes gehörte und wie sehr der König Nargothronds sein Wissen schätzte.
Sindar neigten dazu, die Noldor wegen ihrer handwerklichen Künste zu achten, in punkto Gesang jedoch ein wenig auf sie herabzusehen. Hier in Nargothrond merkte Helegethir, daß insbesondere die Abkömmlinge Finarfins großes musikalisches Talent besaßen. Die Abende verbrachten sie stets in Finrods großer Halle, wo sie beim Schein von Kerzen Lieder aus Valinor und Beleriand sangen. Orodreth war immer bei ihr und übersetzte ihr leise die wenigen Gesänge, die von den Noldor auf Quenya vorgetragen wurden. Helegethir hatte die Hochsprache der Elben noch niemals gehört; sie fand sie wunderschön, und sie gab nicht Ruhe, bis Orodreth zögernd nachgab und ihr seine Muttersprache beibrachte, obwohl dies gegen das Gebot König Thingols verstieß.
Eines Abends faßte Orodreth ihre Hand und führte sie aus der Halle. Er geleitete sie durch die Gänge Nargothronds bis zu den großen Toren, und brachte sie so schließlich an das Ufer des Flusses. Der Narog plätscherte leise und der erste Herbstvollmond leuchtete auf sie herab.
"Es ist wunderschön, wieder zuhause zu sein. Der einzige Nachteil besteht darin, daß man es in Nargothrond sehr schwer hat, sich einmal in Ruhe zu unterhalten", meinte er. Sein Lächeln leuchtete, es leuchtete nur für sie und Helegethir konnte nicht anders, als es zu erwidern und seine Hand zu drücken. Sie ließen sich gemeinsam im Gras der Uferböschung nieder und lauschten eine Zeit lang dem Gesang des Flusses.
"Willst du wirklich schon so bald weiter?", fragte Orodreth schließlich bekümmert.
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. "Ich werde es müssen, sonst wird es zu spät, um die Ered Wethrin noch rechtzeitig zu erreichen und ich müsste in Nargothrond überwintern."
"Würde dir das so schwer fallen?" Oh, wie warm seine Stimme klang! So warm und sanft – wie schaffte er es nur, in eine so sanfte Stimme so viel liebevollen Spott zu bringen? Sie hielt noch immer seine Hand, jetzt strich sie sacht darüber. "Nein, natürlich nicht." ‚Wie kannst du nur fragen?!', sagte ihr Tonfall. "Doch meine Familie erwartet mich schon lange zurück. Und womit sollte ich es ihnen gegenüber begründen, daß ich die Gastfreundschaft des Königs so schamlos ausnutze?"
"Das weißt du nicht?"
Nun war sie ehrlich überrascht. War ihr etwas entgangen? Sie blickte ihn fragend an. "Nein, aber ich höre es mir gerne an."
Er ließ ihre Hand los, um sich aufstützen zu können und beugte sich zu ihr. Sie erkannte seine Absicht, und wenn sie es nicht gewollt hätte, so wäre genügend Zeit geblieben, sich zurückzuziehen. Ihr Herz machte einen freudigen Hüpfer. Nicht nur, weil er endlich tat, worauf sie schon so lange wartete, sondern weil er es so zuvorkommend und liebevoll und vorsichtig tat, wie er ihr gegenüber stets handelte. Weil er selbst jetzt noch, nach all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, diesen Kuß nicht einforderte wie etwas ihm Zustehendes, sondern ihr die freie Wahl ließ.
Doch Helegethir hatte ihre Entscheidung – wenn sie denn überhaupt bewußt entschieden hatte – schon vor langer Zeit getroffen und so kam sie ihm ein wenig entgegen und nahm den sanftesten, vorsichtigsten Kuß entgegen, den sie sich nur vorstellen konnte. Kurz und scheu und dennoch voller Liebe.
Sie lösten sich wieder voneinander und sahen sich tief in die Augen. "Das war ein sehr gutes Argument", sagte sie nach einer Weile stillen Wohlbehagens. "Fallen dir noch weitere ein?"
Eigentlich hatte sie nur einen weiteren Kuß provozieren wollen. Darum überraschte sie seine Antwort.
"Ja. Du solltest noch hier bleiben um die Familie deines Verlobten richtig kennenzulernen."
Und er zog aus seiner Tunika etwas hervor, etwas in dunklen Stoff eingeschlagenes. Vor Helegethirs fassungslosen Augen wickelte er es aus – zwei schmale Silberringe, grob und noch unbearbeitet.
Orodreth musste sich räuspern, bevor er weitersprechen konnte. "Ich habe sie vorgestern gemacht. Sie sind bestimmt nicht so gut, wie ein richtiger Schmied es gekonnt hätte, und die Größe für deinen mußte ich abschätzen. Probier ihn mal, ich wollte sichergehen, ehe ich sie fertigstelle."
Helegethir stellte fest, daß sie zitterte, obwohl die Nacht ungewöhnlich warm und mild war.
"Du willst dich mit mir verloben?"
Sie kicherte sofort los über die überflüssige Frage und auch er mußte lächeln.
"Ja, kommt dir das denn so seltsam vor?" Dann fuhr er ernst fort "Ich weiß, wir sollten zunächst mal unsere Familien informieren. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir die Zustimmung unserer Verwandten ziemlich egal. Die Frage ist wohl eher: willst du dich auch mit mir verloben?"
Sie sah ihn an und sie dachte an all die Abende, die sie mit ihm gemeinsam verbracht hatte, an die Gespräche oder das gemeinsame Lesen. Einen sanftmütigen Gelehrten würde sie bekommen, wenn sie jetzt annahm, keinen Krieger, keinen Staatsmann. Jemanden, der seine Bücher immer höher schätzen würde als Reichtümer und dessen Liebe zum Wissen größer war als sein Stolz.
Helegethir beugte sich vor und küßte Orodreth – nicht so kurz und scheu wie beim ersten mal, sondern innig und voller Begehren. Sie drängte sich so lange gegen ihn, bis er ihr nachgab und sich in das weiche Gras sinken ließ. Und hier lagen sie bis zum Morgengrauen, aneinandergedrängt, einander küssend und liebkosend. Und als sie in die Burg von Nargothrond zurückkehrten, wußte Orodreth, daß er ihren Ring noch ein klein wenig enger würde machen müssen.
