Also, die Charaktere gehören nicht mir, sondern Naoko Takeuchi, und zwar ausnahmslos, wenn ich mich recht entsinne. Gut, die Kellnerin im Eiscafé gehört mir. Die Story auch. Das Gedicht am Ende auch. Das Böse auch, aber das Böse ist ja ohnehin in meiner Hand.. Nyanyanya... Hehehe...

-----------------------------------
Ein Engel ging vorbei

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Schreiend fuhr Bunny in ihrem Bett auf. Sie benötigte einige Zeit, um zu
erkennen, wo sie war. Langsam beruhigte sich ihr rasch gehender Atem und ihr
Puls nahm normale Werte an. Sie sah in der Dunkelheit umher und hatte plötzlich
Angst, daß hier irgendein Monster sein könnte, ein Monster, daß aus dem Schatten
spränge und sie angriff.
Dann aber schüttelte sie lächelnd den Kopf. "Dummes Kind", schalt sie sich
selbst. "Es gibt keine Monster."
Beruhigt kuschelte sie sich wieder in die Kissen und schlief kurz darauf wieder
ein.
Ihr Schlaf war tief und traumlos, und als sie am nächsten Morgen aufwachte,
schien alles wieder in Ordnung zu sein. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und
ihre schwarze Katze mit dem kahlen, halbmondförmigen Fleck auf der Stirn, die
den Namen "Luna" trug, sprang bereits früh auf ihr Bett und weckte ihre
Besitzerin dadurch.
"Morgen Luna", sagte Bunny verschlafen und gähnte. Luna miaute und zog dem
blonden Mädchen die Decke mit ihren Zähnen weg. "Hey, gib mir meine Decke
zurück!"
Mit einem Satz war Bunny auf den Beinen und jagte ihrer Katze hinterher, die,
ungewöhnlich für ein solch kleines Wesen, die schwere Decke hinter sich herzog
und erst halt machte, als sie sich in eine Ecke des Zimmers gedrängt wiederfand.
Sie ließ die Decke los, richtete sich etwas auf und miaute ein weiteres Mal.
Bunny lachte und hob die Decke auf. Sie faltete sie etwas unordentlich zusammen
und warf sie auf ihr Bett. "Hast du Hunger, Luna? Komm, laß uns sehen, ob Mama
etwas zu essen gemacht hat."
Luna miaute begeistert, sprang an Bunny hoch und ließ sich auf ihrer Schulter
nieder. Bunny strich ihr über das seidige Fell.
"Weißt du, Luna, manchmal glaube ich, du verstehst mich genau." Bunny seufzte.
"Wär das schön, wenn meine Katze reden könnte. Aber so etwas geht ja leider nur
im Fernsehen."
Die Antwort war ein leises Schnurren.

Luna sprang über die Dächer Tokyos. Sie kannte sich hier oben genau aus; sie
konnte mit Stolz sagen, daß sie jedes Haus allein an seiner Dachstruktur
erkennen konnte, was aber auch nicht verwunderte, da sie sich in letzter Zeit
immer häufiger hier oben aufhielt.
Wenn sie auf den Dächern saß und der Sonne zusah, den Wind in ihrem Fell spürte
und die Vögel beim Fliegen beobachtete, konnte sie alles vergessen, was gewesen
war. All die grauenvollen Dinge, die geschehen waren.
Sie sah sich kurz um. Hier irgendwo mußte Artemis sein. Sie wußte, daß er hier
auf sie wartete. Er wartete immer hier auf sie. Aber er liebte es, sich zu
verstecken und sie dann zu erschrecken. Dies war eine seiner
Lieblingsbeschäftigungen geworden, seit er nicht mehr mit seiner Besitzerin
sprechen durfte.
Mit wachen Augen suchte Luna nach Artemis. Diesmal würde sie sich nicht
erschrecken lassen. Diesmal nicht.
"Uaaaaahhh!!!"
Mit einem gewaltigen Urschrei stürzte sich Artemis, der sich in der Krone eines
Baumes versteckt gehalten hatte, auf Luna. Diese kreischte entsetzt auf und
sprang zur Seite.
"ARTEMIS!!! Du kleine verdammte Doofkatze!" fuhr sie den weißen Kater an, der
sich inzwischen scheckig lachte.
"Schöner Tag, nicht?" fragte Artemis mit einem unschuldigen Lächeln.
Luna knurrte irgend etwas. "Ja, bis du aufgetaucht bist, war er schön."
"Ach komm." Artemis kam näher an Luna heran. "Das meinst du nicht so, wie du es
sagst."
Luna errötete und wich zurück. "Bunny hat heute nacht wieder schlecht
geschlafen", stotterte sie, um vom Thema abzulenken. "Ich glaube, sie hat
Visionen oder so etwas."
"Ja, von einer riesigen Schokoladentorte, von der sie Bauchschmerzen bekommen
hat."
"Ich mein's ernst", fauchte Luna. "Ich vermute, daß sie sich an ihr anderes Ich
zu erinnern beginnt."
Artemis wedelte eine Zeitlang schweigend mit dem Schwanz, wie immer, wenn er
nachdachte. "Wäre das so schlimm?" fragte er schließlich. "Es wäre nicht übel,
wenn sie sich erinnert. Sie könnte die Erde wieder beschützen, und das wäre doch
ganz in unserem Sinne."
Luna kratzte sich mit der Pfote am Hinterkopf. "Ja, schon. Aber sie wollte
nichts als ein ganz normales Mädchen sein. Das war ihr letzter Wunsch, bevor sie
starb."
"Das war schon immer ihr Wunsch gewesen, nicht nur bei diesem Tod. Auch davor,
nach Beryll, war es ihr Wunsch gewesen. Es war ihr Wunsch gewesen, als sie das
Phantom der Nacht besiegt hatte, nach ihrem Kampf gegen Pharao, und sie wollte
auch friedlich leben, als sie Galaxia zum Guten bekehrt hatte", zählte Artemis
auf. "Es ist nichts Neues. Und es ist ihr auch nicht zu verdenken."
Luna blickte zu den Eichhörnchen herüber, die über den Baum wuselten. "Wie geht
es Minako?"
"Gut", antwortete der weiße Kater. "Sie ist fröhlich, so wie immer. Sie baut
viel Mist, aber es geht ihr wirklich gut. Nur manchmal..."
"Manchmal was?"
"Manchmal hat sie einen wehmütigen Blick. Abends, wenn sie am Fenster steht und
den Mond beobachtet. Als würde ihr etwas fehlen, als hätte sie etwas verloren,
von dem sie nicht einmal wußte, daß sie es je besessen hatte, aber der Schmerz
nimmt sie mit."
"Du glaubst, irgendwo in ihrem Gedächtnis ist noch eine Erinnerung verankert?"
Luna ließ ihren Blick über den blauen Himmel schweifen. "Das wäre ganz das, was
ich von ihr erwartet hätte."
"Von Minako?"
"Nein, von Königin Serenity. Sie würde es nicht zulassen, daß die Krieger ihre
Aufgabe vergessen. Ich glaube, daß es ihr nicht leicht gefallen ist, den Mädchen
ein Leben als wirkliche, normale, glückliche Mädchen zu verweigern, aber sie tat
es sicherlich, um die Erde zu schützen", gab die schwarze Katze ihm zur
Antwort.
"Sag, was glaubst du, werden sie sich eines Tages wieder erinnern?"
Luna antwortete nicht. Aber ihr Blick war Antwort genug. Ihre Augen spiegelten
die Wahrheit wieder, die Zukunft und das Schicksal der Kriegerinnen waren in
ihnen fest verankert.
Die Antwort war ja.

Bunny irrte ziellos durch die Straßen. Es war eine leise Stimme gewesen, die ihr
bedeutet hatte, das Haus zu verlassen und in die Stadt zu gehen. Ohne zu wissen,
woher die Stimme kam, woher sie sie kannte, warum sie ihr so vertraut und
tröstend erschien, folgte sie dem Ruf.
Sie war ganz in ihren Gedanken versunken, nicht so sehr, warum sie hier durch
die Stadt lief, sondern was dieser Traum zu bedeuten hatte, der ihr tief im
Gedächtnis verankert war. Sie konnte ihn nicht vergessen.
War es ihre eigene Vergangenheit oder ihre eigene Zukunft? War es ihr Schicksal
oder einfach nur ein Traumbild? Wer waren die acht Personen? Warum schützten sie
sie mit ihrem eigenen Leben?
Plötzlich blieb sie stehen. Es war die Stimme gewesen, die es ihr befohlen
hatte, sanft, zärtlich, aber doch bestimmt. Bunny sah auf. Sie stand vor einem
Brautmodengeschäft. Etwas verwirrt betrachtete sie die Auslagen.
Dann leuchteten ihre Augen auf. Sie liebte Brautkleider! Und diese hier waren
besonders schön!
"Ein Traum", seufzte sie hingerissen von der Pracht in Weiß. Oh, eines Tages
würde sie in einem solchen Kleid vor dem Altar stehen und ihrem Märchenprinzen
das Jawort geben. Eines Tages würde sie der Traum sein, den sie schon seit ihrer
Kindheit träumte.
Sie nahm wahr, daß eine Person mit langen Haaren neben sie getreten war,
kümmerte sich aber nicht weiter um sie. Erst als diese Person sie ansprach,
betrachtete sie sie eingehend. Sie kam ihr bekannt vor, aber sie wußte nicht,
woher.
"Gefallen dir die Kleider?" fragte die Frau noch einmal.
Bunny nickte eifrig. "Sie sind wundervoll. Ich liebe sie. Ich wünschte, ich
könnte auch eines Tages ein solches Kleid tragen."
"Oh, das wirst du sicherlich", erwiderte die Frau schmunzelnd. Ihr dunkelgrünes
Haar funkelte im Sonnenlicht, und ihre dunklen Augen musterten Bunny
abschätzend. "Es würde dir sehr gut stehen. Du hast genau die richtige Figur
dafür." Sie suchte in der Tasche ihres Blazers nach einer Visitenkarte. Als sie
sie gefunden hatte, reichte sie sie dem blonden Mädchen. "Hier. Äh..."
"Bunny Tsukino."
"Bunny. Komm doch nächsten Freitag vorbei, sagen wir um 16 Uhr? Ich würde mich
freuen, wenn du mir Modell stehen würdest."
Mit diesen Worten verschwand die große Frau in dem Brautmodengeschäft und ließ
eine etwas verwirrte Bunny zurück. Erst als sich die Tür mit einem leisen
Klingeln schloß, erwachte Bunny aus ihrer Abwesenheit.
Sie studierte die Visitenkarte. "Setsuna Meiô", las sie laut. "Designerin." Sie
runzelte die Stirn. "Setsuna", wiederholte sie noch einmal nachdenklich. Der
Name kam ihr bekannt vor. Nur... woher?

Setsuna stand am Fenster ihrer kleinen Wohnung in einem Hochhaus mitten in
Tokyo. Sie hatte die Arme verschränkt und auf das Fensterbrett gestützt. Mit
ernstem Gesicht blickte sie aus dem Fenster, direkt in die glutrote Abendsonne
hinein. Sie hatte schon lange das Gefühl gehabt, daß es noch eine andere
Wahrheit gab, daß das Leben, das sie führte, nicht das war, was sie führen
sollte.
Sie hatte immer wieder geträumt, von einem gleißenden Licht, von einem Schmerz,
der ihren Körper durchzuckte, von einem anderen hellen Licht, das im Gegensatz
zu dem ersten aber warm und tröstend war, hatte geträumt von einem goldhaarigen
Mädchen, das unter Einsatz seiner letzten Kräfte das Böse besiegte und deshalb
starb.
Sie hatte nie gewußt, was diese Träume bedeuten sollten. Auch ein Traumdeuter
hatte ihr nicht helfen können. Sie hatte nie gewußt, warum sie, warum
ausgerechnet sie diese Träume träumte.
Bis heute.
Sie war nicht der Typ, der einfach wildfremde Leute auf der Straße ansprach.
Aber dieses Mädchen war eine Ausnahme gewesen.
Es war ihr vorgekommen, als hätte sie sie schon ewig gekannt. Vielleicht tat sie
das auch.
Als sie dieses Mädchen dort hatte stehen sehen, mit glänzenden Augen, ihr
goldenes Haar funkelte im Licht, da hatte sie gewußt, daß es das Mädchen aus
ihrem Träumen gewesen war.
Es war eine schmerzliche Erkenntnis gewesen, die ihr einen Stich ins Herz
versetzt und ihr die Kehle zugeschnürt hatte, aber gleichzeitig hatte sie eine
nie zuvor gefühlte Emotion gänzlich erfüllt; ein Ruck war durch ihren Körper
gegangen und hatte sie wie von Geisterhand zu diesem Mädchen geführt, hatte sie
gezwungen, das Mädchen anzusprechen und einzuladen.
Sie wußte nicht, ob dieses Mädchen ihr den Traum erklären konnte. Sie mußte
einfach darauf hoffen.
All ihre Hoffnung, all ihr Vertrauen schenkte sie diesem ihr unbekannten
Mädchen. Aber sie wußte, daß sie ihr nicht unbekannt war. Ja, sie kannte dieses
Mädchen, obwohl ihr Wissen über sie gerade mal ihren Namen umfaßte.
Sie war eine Königin, und sie selber war eine Kriegerin. Die Kriegerin im
Dienste der Königin. Sie wußte nicht, woher sie die Gewißheit nahm. Sie wußte
nur, daß es so war.
Und sie wußte auch, daß sie mehr für dieses unschuldige kleine Mädchen empfand,
als sie je für einen anderen Menschen würde empfinden können.
So etwas nannte man dann wohl Liebe.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Bunny blinzelte gegen das helle Licht der Sonne. Wieder dieser Alptraum. Aber
diesmal war etwas anders gewesen. Nicht nur, daß sie nicht schreiend aufgewacht
war, als die acht Personen starben, nein, diesmal hatte sie wenigstens
ansatzweise das Gesicht einer der Personen erkennen können.
Es war die große Person mit dem langen Haar gewesen, zu deren Füßen ein achtlos
hingeworfener Stab lag, eine Art Zepter. Sie hatte sich für einen kurzen Moment
zu ihr umgedreht, und Bunny hatte für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht
der Person sehen können, die dunklen Augen, das fein geschnittene Gesicht, die
markanten Backenknochen, das gesamte Gesicht erstrahlte in einem Licht vor ihr,
dessen Glanz den der Sterne übertraf.
In diesem Moment hatte Bunny erkannt, daß es sich bei dieser Person um eine Frau
handelte.
Aber dann hatte sich die Frau wieder weggedreht, hatte ihre Kraft auf das
schwarze Licht gerichtet. Ein dunkelroter Schein hatte sich um ihren Körper
gebildet, hatte ihren Körper erstrahlen lassen, strebte auf das Licht zu, konnte
die Zerstörung aber nicht aufhalten.
Und als sie starb, war kein Haß auf ihren Gesichtszügen, keine Wut, aber auch
keine Furcht, keine Trauer, nur ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Bunny schüttelte den Kopf, um den Traum aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie
wußte, daß sie es auf diese Weise nicht schaffen würde, aber allein die
Vorstellung, daß es klappen könnte, beruhigte sie etwas. Entschlossen hopste sie
aus dem Bett und stolperte dabei über ihre Pantoffeln. Der Länge nach flog sie
auf den Boden und landete mit dem Kopf haarscharf vor ihrem Schrank.
Vor Schreck konnte sie nicht einmal weinen. Statt dessen erhob sie sich
schweigend und zog sich an.
Luna hatte diese Szene mit wachsendem Erstaunen beobachtet. Bunny, ausgerechnet
die weinerliche Bunny, hatte sich so sehr in der Gewalt, daß sie nicht einmal
aufgeschrieen hatte, ausgerechnet ihre Bunny, die sonst so fröhlich war und von
deren kindlichen Charme jeder in ihren Bann gezogen wurde, besaß diesen so
ernsten und traurigen Gesichtsausdruck, der von mehr Lebenserfahrung zeugte, als
eine alte Frau sie hätte haben können?
Eine Stimme tief in ihr befahl ihr, ruhig zu bleiben und es als positive Wendung
in Bunnys Leben zu sehen, daß sie das Leben vielleicht etwas ernster als bisher
nähme. Aber gleichzeitig verspürte die schwarze Katze den unwiderstehlichen
Drang, mit Bunny zu sprechen und ihr diese Alpträume, die sie eindeutig hatte -
sie redete viel im Schlaf, so daß Luna diese Träume hautnah miterleben konnte -
zu erklären.
Sie unterdrückte das Verlangen und schnurrte um Bunnys Beine herum, um sie zu
trösten. Ihre einfache Freundlichkeit hatte Erfolg. Auf Bunnys Gesicht kehrte
das ewig vorhandene Lächeln zurück, das Lächeln, um das so viele sie beneideten.
Selbst wenn sie schlief, lächelte sie ein stilles, leises Lächeln, das wahre
Lächeln einer wahren Prinzessin.
"Komm, Luna, laß uns frühstücken gehen", schlug Bunny vor. "Und dann sehen wir,
was der Tag uns bringt."

Bunny klopfte nervös mit einem Geldstück auf die gläserne Theke der Eisdiele. Es
war einer der heißesten Tage dieses Jahres, und dementsprechend frequentiert war
auch dieses Café. Die Bedienung rannte von einem Tisch zum anderen und hatte
kaum einmal Zeit, das Tablett abzulegen, geschweige denn, die wartenden Gäste an
der Eistheke zu bedienen.
Das blonde Mädchen warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Jetzt wartete sie
bereits zehn Minuten. Am liebsten wäre sie schon längst gegangen, aber erstens
war das Eis aus diesem Café das beste von ganz Tokyo, und zweitens stand neben
ihr ein hochgewachsenes Mädchen, das sie um etwa einen Kopf überragte, mit
braunen Haaren, die sie mit einem grünen Band zusammengebunden hatte. Nicht, daß
dieses Mädchen irgendwie besonders gewesen wäre oder einen besonders schönen
Lippenstift aufgetragen hätte, von dem Bunny gerne gewußt hätte, wie er hieß,
nein, irgendwie schien es Bunny, als würde sie dieses Mädchen kennen.
Wieder klackerte ihr Geldstück auf das Glas, und endlich erschien eine
rothaarige Kellnerin, die sie freundlich anlächelte. "Bitte?"
Bunny räusperte sich. "Äh, ich hätte gerne eine Kugel Zitrone, eine Kirsche und
ein Nusseis."
"Nusseis ist aus", sagte die Kellnerin immer noch freundlich lächelnd.
"Wie, Nusseis ist aus?" fragte Bunny verwirrt.
"Es gibt kein Nusseis mehr", wiederholte die Kellnerin ruhig.
Jetzt mischte sich das braunhaarige Mädchen ein. "Was soll das heißen, es gibt
kein Nusseis mehr? Das kann doch nicht sein." Sie sah die Kellnerin mit ihren
grünen Augen durchdringend an, so daß diese einen Schritt zurückwich.
"Glauben Sie mir, es gibt wirklich kein Nusseis mehr", stotterte die rothaarige
Frau. "Wirklich nicht. Was glauben Sie, wie viele Leute heute schon Nusseis
gekauft haben?"
Das Mädchen ballte die Hand zur Faust. "Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie
enthalten uns das Nusseis vor."
"Ich hätte keinen Grund dazu", versuchte die Kellnerin sich zu verteidigen.
"Vielleicht wollen Sie es ja selber essen", kam die prompte Antwort.
Bunny lächelte verlegen. "Entschuldigung, darf ich mich hier noch mal so
menschlich einbringen? Dann hätte ich gerne einmal Zitrone, einmal Kirsche und
einmal Waldmeister."
"Sofort", beeilte die Frau sich zu sagen und kellte das Eis auf die Waffel. Sie
nahm das Geld entgegen und reichte Bunny das Eis.
Das Mädchen zu ihrer linken strich mit der Hand ihren Pony zurück. "Ohne mich.
Wenn es hier kein Nusseis gibt, will ich hier überhaupt kein Eis essen."
Bunny, die gerade in ihr Waldmeistereis vertieft war (im wahrsten Sinne des
Wortes übrigens), sah auf. "Glaubst du nicht, daß du damit übertreibst",
nuschelte sie. "Es gibt doch auch noch andere leckere Sorten."
"Na hör mal! Eine Eisdiele, die nicht mal Nusseis hat, ist ein einziger
Saftladen!"
"Ich könnte Ihnen einen Tomatensaft anbieten", meldete sich die Kellnerin
schüchtern.
Das Mädchen würdigte sie nicht einmal eines Blickes. "Außerdem schmeckt das
Erdbeereis hier sowieso nicht."
"Meine Mutter macht gutes Erdbeereis", sagte Bunny und biß in die Waffel.
Eine Augenbraue der Braunhaarigen zog sich in die Höhe. "Tatsächlich?" Sie
überlegte kurz und reichte Bunny dann die Hand. "Ich bin übrigens Makoto Kino."
"Bunny Tsukino." Ein klebriger Händedruck folgte.
Makoto lächelte. "Ich muß jetzt leider weg. Aber ich denke, wir werden uns
sicher noch einmal wiedersehen. Vielleicht ja nach den Ferien. Dann bin ich
nämlich auf deiner Schule."
"Woher weißt du, auf welcher Schule ich bin?"
"Du hast einen Button an deinem Shirt."
"Oh."
"Also, man sieht sich." Mit diesen Worten ging das braunhaarige Mädchen an Bunny
vorbei. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. "Schönes
goldenes Haar", murmelte sie und winkte Bunny zu. Dann verschwand sie um die
Ecke.

Makoto stand in ihrer kleinen Wohnung, die sie seit dem tragischen Tod ihrer
Eltern alleine bewohnte. Sie sortierte gerade die Pflanzen auf den Regalen neu,
als ihr Blick auf ein aufgeschlagenes Modejournal fiel. "Modefarbe weiß" stand
da. Darunter war eine Frau in einem schönen weißen Kleid abgebildet, schlicht,
aber dennoch von bezaubernder Schönheit.
Das Mädchen mit den katzenhaften Augen ließ die Pflanzen Pflanzen sein und sank
zu Boden. Sie zog die Knie an und legte den Kopf darauf. Diese Bunny Tsukino,
wieso war sie gerade davon überzeugt gewesen, Bunny Tsukino in diesem weißen
Kleid aus dem Journal zu sehen?
Weil sie sie schon einmal in einem weißen Kleid gesehen hatte.
Makoto atmete tief durch. Ja, sie hatte Bunny in einem weißen Kleid gesehen. In
ihren Träumen.
Seit dem Tag, an dem ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen
waren, hatte sie nie wieder so intensive Träume gehabt wie in den letzten
Wochen. Sie hatte so viel gesehen, immer anders, immer neu, aber eines verband
alle ihre Träume: Es war dunkel, sie war allein, und dann war ein Licht, dieses
Mädchen im weißen Kleid, diese sanfte Stimme, und zum Schluß kämpfte sie.
Manchmal sah sie Schemen anderer Personen an sich vorbei wirbeln, und sie war
sich sicher, daß auch diese gegen diese Dunkelheit, die alles umhüllte,
kämpften, doch gleichzeitig wußte sie, daß sie selbst ebenfalls wichtig war, daß
auch sie kämpfen mußte, daß es ihre Pflicht war, um diese Erde, diese ihre Welt
zu retten.
Und Bunny war das Mädchen im weißen Kleid. Sie war schön wie eine Prinzessin,
und Makoto glaubte inzwischen sogar, daß Bunny eine Prinzessin war, nein, nicht
nur, daß sie eine Prinzessin war, sie war die Prinzessin. Die Prinzessin des
Weißen Mondes.
Leise lachte Makoto auf. Was war der Weiße Mond? Gab es auch einen Schwarzen?
Doch dann verschlug es ihr den Atem. Schwarzer Mond. Ja, es gab einen Schwarzen
Mond. Sie wußte, daß es einen gab. Sie war sich dessen so sicher, sie konnte
nicht irren.
Und sie hatte gegen die Bewohner gekämpft.
Gekämpft? Immer wieder dieses Wort. Kämpfer. Krieger. Sie war ein Krieger?
Gewiß, sie kämpfte gerne, sie betrieb Kampfsport, sie liebte Karate, aber warum
sollte sie ein Krieger sein? Und warum sollte sie die ganze Erde verteidigen?
Diese Erde, die ihr so grausam in so früher Kindheit ihre Eltern genommen
hatte?
Makoto ballte die Hand zur Faust. Aber nach einiger Zeit öffnete sie ihre Hand
wieder. Sie konnte sich noch so oft einreden, daß sie diese Erde hassen würde,
im Endeffekt wußte sie genau, daß es nicht wahr war. Sie liebte diese Erde. Ja,
sie liebte sie. Bisher hatte sie nur nie gewußt, wieso. Jetzt wußte sie es.
Die Prinzessin, die zukünftige Königin, die Herrscherin über die Welt, sie
liebte die Erde. Und sie gab diese Liebe an jeden einzelnen Erdenbewohner
weiter. Wer seine Königin liebte, konnte sein Land nicht hassen.
Und wer seine Königin liebte, gab auch sein Leben für sie.
Dummerweise liebte sie ihre Königin. Dummerweise liebte sie Bunny, liebte sie
sie als Prinzessin, als Königin, als Erdenbewohnerin, liebte sie in der Sonne,
im Mond, in den Elementen, in den Tieren und Pflanzen, liebte sie in ihrer
Gesamtheit, in ihrem Wesen, das alles auf der Welt umfaßte.
Und seltsamerweise war sie sehr, sehr glücklich darüber. Liebe war eben doch das
größte Glück der Erde.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Gedankenverloren schlenderte Bunny die Straße hinab. Sie konnte sich nicht an
den Auslagen in den Schaufenstern erfreuen, wie sie es sonst immer getan hatte.
Nein, heute nicht. Sie dachte wieder über ihren Traum nach.
Sie hatte eine weitere Person erkennen können. Sie hatte das braune Haar
gesehen, die grünen Augen, das hart wirkende Gesicht, hatte das Mädchen erkennen
können, das da für sie starb.
Das Mädchen hatte sie angesehen, voller Mitgefühl und Mitleid, aber auch voller
Vertrauen auf sie. Sie hatte ihre ganze Kraft auf das schwarze Licht gerichtet.
Ein hellgrüner Schein hatte sich um sie gebildet, kurz bevor das Licht sie
verschlang.
Bunny hatte schreien wollen, aber es ging nicht. Sie konnte jetzt zwei Personen
erkennen, wußte, wer sie waren, und sie war sich sicher, daß sie auch die
übrigen sechs Personen bald würde identifizieren können. Aber sie wollte es
nicht.
Sie wußte mit erschreckender Sicherheit, daß das, was sie sah, nicht nur ein
Traum war, sondern daß es die Zukunft war, ihre eigene Zukunft, und sie wollte
nicht, daß irgend jemand litt, und schon gar nicht, daß irgend jemand für sie
starb. Sie wollte nicht, daß diese Menschen alle starben, nur weil sie sie
beschützt hatten. Und doch wußte sie, daß es eine unabwendbare Zukunft war.
Irgend jemand hatte mal gesagt, daß man seine Zukunft mit jedem Tag neu
bestimme. Aber wie konnte sie versuchen, diese Prophezeiung nicht wahr werden zu
lassen, wenn der Zufall - oder auch das Schicksal - sie mit den Frauen - Bunny
zweifelte nicht daran, daß es sich bei allen acht Personen um Frauen handelte -
zusammentreffen ließ, wenn sie diese acht Frauen kennenlernen mußte, wenn diese
sie kennenlernten und schließlich doch ihr Leben für sie gaben?
So in ihren Gedanken versunken ging Bunny über eine Kreuzung, daß sie nicht
bemerkte, daß die Ampel auf rot stand. Erst als plötzlich direkt neben ihr eine
Bremse kreischte, schreckte sie auf und blickte sich hektisch um.
Wie durch ein Wunder war sie ganz allein auf der Kreuzung, nur das Motorrad,
dessen Bremsen sie aus ihrer Abwesenheit geholt hatten, stand neben ihr. Der
Fahrer, der einen überwiegend weißen Motorradanzug und einen blauen Helm trug,
hatte dicht neben ihr gebremst und nur knapp einen Zusammenstoß verhindern
können.
Bunny war noch so verwirrt, daß sie nicht einmal etwas sagen konnte. Die Augen
des Fahrers musterten sie durch das hochgeklappte Visier des Helmes, und sie
hatte das Gefühl, diese Augen schon einmal gesehen zu haben.
Der Motorradfahrer zog seinen Helm ab und schüttelte den Kopf, um sein blondes
Haar aufzulockern. "Du solltest vorsichtiger sein", ermahnte er sie freundlich.
"Das war ganz schön knapp."
Bunny nickte, immer noch etwas abwesend. Woher kannte sie ihn nur? "Danke",
stammelte sie schließlich. "Es tut mir leid, daß ich nicht aufgepaßt habe."
"Ist schon gut." Ein leichtes Lächeln umspielte die schmalen Lippen des
Motorradfahrers. "Aber sag mal, wo willst du denn hin? Es ist eine einsame
Gegend hier, und garantiert nicht ein Ort, an dem ein so hübsches und junges
Mädchen wie du sich gerne aufhält."
Bunny sah sich um und riß erstaunt die Augen auf. Sie war doch tatsächlich in
einem der dünn besiedelsten Vororte Tokyos gelandet. "Eigentlich bin ich nur so
spazieren gegangen", erzählte sie und wunderte sich selber darüber. Warum
erzählte sie es ihm? Es ging ihn doch gar nichts an.
"Aber doch nicht hier, oder?"
"Nein, normalerweise nicht." Bunny lachte plötzlich auf. "Ehrlich gesagt, ich
war noch nie hier. Ich glaube, wenn ich Sie nicht getroffen hätte, wäre ich noch
bis China gelaufen."
Der Motorradfahrer lächelte. "Wohnst du im Zentrum von Tokyo? Wenn du willst,
kann ich dich dorthin fahren. Dann ist es nicht so anstrengend für dich zu
laufen."
Bunny zögerte. Eigentlich sollte sie ja nicht mit Fremden mitgehen, aber dieser
Mann wirkte auf eine so angenehme Art sympathisch und freundlich, daß sie jede
Angst verlor. "Gerne."
Der Mann hielt Bunny einen weiteren Helm hin. "Hier bitte."
Bunny zog den Helm auf und setzte sich hinter den blonden Mann auf das Motorrad.
Sie schlang die Arme um seine Taille. "Alles klar."
Der Fahrer nickte und fuhr los. "Wohin?"
Bunny nannte ihm die Adresse, und bereits nach einer Viertelstunde stand sie
wieder vor ihrer Wohnung. Der Fahrer ließ den Motor weiter laufen und nahm den
Helm zurück. Erst jetzt fiel Bunny auf, daß sie seinen Namen noch nicht einmal
kannte - und er den ihren nicht. "Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt",
sagte sie. "Ich bin Bunny Tsukino."
"Mein Name ist Haruka Tenô", erwiderte der Motorradfahrer und klappte das Visier
seines Helmes hoch. Wieder konnte Bunny die grauen Augen sehen, die ihr so
bekannt vorkamen.
Bunny lächelte und verbeugte sich leicht vor ihm. "Danke fürs Mitnehmen."
"Keine Ursache. Ich bin sicher, wir sehen uns wieder, Mondgesicht." Er winkte
mit der Hand und fuhr dann los. Bunny sah ihm hinterher.
"Haruka Tenô", murmelte sie noch einmal leise. Woher kannte sie den Namen nur?
Plötzlich riß sie die Augen auf. Es war, als würden sich in ihrem Kopf Szenen
eines Filmes abspielen. Und in diesem, diesem selben Moment erkannte sie, daß es
sich bei Haruka um eine Frau gehandelt hatte.
Mondgesicht... Mond... Gesicht... Mondgesicht...
Bunny schüttelte den Kopf, so daß ihre Haare heftig hin und her flogen. Es war
eine Erinnerung, aber sie wußte nicht, woran. Und vielleicht wollte sie sich
auch nicht wirklich erinnern. Weil sie befürchtete, daß diese Erinnerung mit
ihren Träumen, ihren Visionen von der Zukunft zusammenhängen könnte.

Haruka hatte ihr Motorrad an den Straßenrand gestellt und wanderte nun langsam
die Straße hinunter. Immer wieder rief sie sich das Gesicht, die Augen, das
Lächeln dieses Mädchens ins Gedächtnis. Sie hatte das Gefühl gehabt, sie schon
ewig zu kennen, obgleich sie wußte, daß sie sie nie zuvor gesehen hatte.
War es vielleicht das Mädchen aus ihren Träumen gewesen? Sie träumte oft von
goldenem Haar, von einem dunklen und einem hellen Licht, beide gleich stark,
doch während das dunkle Licht grausam war, kalt, brutal, wärmte das helle Licht
sie, tröstete sie und gab ihr Zuversicht. Sie träumte auch oft von blauen Augen,
blau wie der Himmel, aber sie war sich nicht sicher, ob es Bunnys Augen waren.
Sie hatte ihr in die Augen gesehen, hatte sie erforscht, aber noch immer war sie
sich nicht sicher. Bunnys Augen waren so wandelbar, sie konnten wie die eines
kleines Mädchen wirken, aber auch wie die einer erwachsenen Frau, das einzige,
was unverändert blieb, war die Klarheit in ihnen.
Aber wer war diese Bunny wirklich? Haruka hatte sie in ihren Träumen als
Prinzessin gesehen, als Königin und als Göttin des Mondes. War sie ein ganz
normales Mädchen oder war sie mehr? Sie hatte sie als Kriegerin gesehen, mit
einem Kristall in der Hand, sterbend, lebend, fröhlich, traurig, liebend,
hassend, sie hatte sie in allen Lebensformen und in allen toten Steinen gesehen,
aber was war ihre Urform? Oder hatte sie keine?
Sie war sicherlich etwas besonderes. Sie konnte einfach nicht nur ein ganz
normales Schulmädchen sein. Dazu leuchtete in ihren Augen ein zu mächtiger
Stern.
Haruka hatte es gespürt, hatte eine unbeschreibbare Zuneigung zu diesem Mädchen
empfunden, als sie ihr gegenüberstand, mit ihren blauen Augen, dem etwas
verwirrten Blick, dem goldenen Haar und dem strahlenden Lächeln.
Und noch etwas hatte sie gespürt: Ein anderes Ich in sich selbst. Ein Ich wie
das einer Kriegerin. Einer mächtigen Kriegerin, die ihre ganze Kraft, ihre ganze
Macht für ihre Königin einsetzen würde, wenn es nötig würde. Dieses Ich war im
selben Moment zum Leben erwacht, als sie Bunny gesehen hatte.
Ein junges Mädchen auf einem Fahrrad kam ihr entgegen, und Haruka sprang schnell
zur Seite, um nicht umgefahren zu werden. Kurze Zeit vergaß sie ihren
Gedankengang, der ihr auf eine unangenehme Weise auf der Seele lastete, ihr aber
gleichzeitig befreiend erschien. Dann aber, ganz plötzlich, fiel ein
Sonnenstrahl in ihr Gesicht, und als sie zum Himmel emporblickte, kehrten die
Erinnerungen zurück. Denn oben im Himmel sah sie wieder dieses Mädchen, Bunny.
Das goldene Haar, die blauen Augen, Haruka konnte es so deutlich erkennen, als
stünde sie direkt vor ihr. Das weiche Gesicht, die vollen Lippen, alles war so
nah, so klar erkennbar.
Haruka kniff die Augen zusammen. Wer war sie? Wer war Bunny? Was bedeutete sie
ihr?
Sie wußte es. Bunny war ihr Leben.

Bunny legte die Hand vor die Augen, um die immer stärker werdende Sonne etwas
abzuschirmen. Sie saß auf einer Bank im Park und beobachtete mit einem leichten
Lächeln auf den Lippen die Kinder, die auf dem Spielplatz Fangen spielten. Für
einen kurzen Moment wünschte sich Bunny, noch einmal so jung zu sein. Im selben
Augenblick jedoch mußte sie lachen. So alt war sie nun auch wieder nicht, daß
sie wehmütig an ihre verflossene Jugend zurückdenken mußte.
Sie streckte die Arme zum Himmel und räkelte sich. Es war ein so schöner Tag
heute. Eigentlich wie geschaffen, um sich mit irgendwelchen Freunden zu treffen.
Aber Naru war nicht in der Stadt. Sie war auf so einem Gentechnik-Seminar
irgendwo im Norden Japans. Gentechnik. Für Bunny ein Buch mit sieben Siegeln.
Bunny lehnte sich zurück. Eigentlich wartete sie auf nichts, aber doch hatte sie
das Gefühl, daß sie auf irgend etwas hier, genau hier warten mußte - oder daß
etwas hier auf sie wartete.
Plötzlich tauchte ein Mädchen in ungefähr demselben Alter wie sie vor ihr auf.
Sie hatte langes, hellblondes Haar und trug eine rote Haarschleife. Sie hüpfte
um Bunny und die Bank, auf der diese saß, herum und suchte scheinbar nach etwas
oder jemandem. Zwischendurch gab sie Kommentare wie "Irgendwo muß er doch sein"
und "Ja, wo isser denn?" von sich.
Bunny beobachtete mit leicht gerunzelter Stirn das Treiben des Mädchens mit den
blau-grauen Augen. Als diese nicht das fand, wonach sie suchte, ließ sie sich
mit einem Seufzen neben Bunny auf die Bank fallen.
"Hast du den göttlichen Typen gesehen?" fragte sie sie ohne Scheu.
"Wen?"
"Na, den Typen mit dem schulterlangen, hellbraunen Haar und den traumhaft", das
Gesicht des Mädchens nahm einen verzückten Ausdruck an, "schönen Augen?"
Bunny schüttelte verwirrt den Kopf. "Nein, der ist nicht hier vorbeigekommen."
"Schade." Das Mädchen streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. "Der wär
was für mich gewesen. Aber irgendwie scheinen die Männer vor mir wegzulaufen."
"Ach, das hat nur so den Anschein", beruhigte Bunny sie.
Das Mädchen lächelte. "Glaubst du? Nun gut. Aber", sie wedelte mit ihrem
Zeigefinger vor Bunnys Nase herum, "ich schwör's dir, so wahr ich hier stehe,
ich finde einen Freund! Denn Schönheit macht sinnlich!"
Bunny lachte verlegen und kratzte sich am Kopf. Das Mädchen hatte sich bei ihrem
letzten Ausruf zu ihr herübergebeugt, und auch wenn Bunny nicht an Platzangst
litt, so fühlte sie sich doch ein ganz klein wenig eingeengt, da sie jetzt an
die Lehne gequetscht da saß und darauf wartete, daß das Mädchen sich wieder
ordentlich hinsetzte. Sie tat ihr den Gefallen auch nach einiger Zeit, nur um
kurz darauf wieder aufzuspringen.
"Ich hab' mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Minako Aino, und ich will ein
großer Star werden." Sie reichte Bunny ihre Hand.
Bunny ergriff sie und schüttelte sie leicht. "Bunny Tsukino, außer Heirat kein
Zukunftswunsch", stellte sie sich vor. Sie machte in der letzten Zeit immer
wieder neue Bekanntschaften. Schon seltsam. Erst diese Setsuna, dann Makoto,
Haruka und jetzt Minako. Und irgendwie hatte sie das untrügliche Gefühl, daß sie
noch innerhalb dieser Woche vier weitere Frauen kennenlernen würde.
Die acht Krieger aus ihrem Traum.
Minako runzelte die Stirn und betrachtete Bunny argwöhnisch. "Worüber denkst du
nach?"
"Was?" Bunny schrak auf. "Ach, gar nichts."
Minako lächelte und wollte etwas sagen, als plötzlich ihr Blick wie magisch von
einem schwarzhaarigen Mann angezogen wurde, der durch den Park promenierte.
Fasziniert flüsterte sie: "Wahnsinn. Sieh dir den nur mal an. Sieht der nicht
einfach traumhaft aus?"
Bunny folgte dem verzückten Blick ihrer neuen Bekanntschaft und nickte
ergriffen. Der sah wirklich gut aus. Sie sprang auf. "Und? Folgen wir ihm?"
Die beiden Mädchen sahen sich an. Und als wären sie alte Freundinnen, nickten
sie gleichzeitig. "Ja!" riefen sie aus und machten sich auf den Weg, dem Jungen
heimlich nachzulaufen. "Keine ist auf die andere sauer, wenn sie ihn bekommt",
legten sie noch fest, dann begann ihre gemeinsame "Search for their love".

Lachend lehnte Bunny sich an die Tür ihres Hauses. Es war ein ereignisreicher
Tag gewesen. Sie hatten den Typen zwar nicht bekommen, keine von ihnen - er
hatte eine Freundin -, aber dennoch war es für Bunny einer der schönsten Tage in
ihrem Leben gewesen. Lange hatte sie nicht mehr soviel gelacht wie heute.
"Typisch", bemerkte Minako. "Entweder sie sind schwul oder sie haben eine
Freundin."
"Stimmt", pflichtete Bunny ihr bei. "Dabei war seine Freundin so 'ne häßliche
Schachtel."
"Wo die Liebe hinfällt", flötete Minako, "wächst kein Kraut mehr."
Bunny grinste über das ganze Gesicht. Minako hatte sie heute schon mit soviel
falsch zitierten Sprichwörtern überschüttet, daß sie bezweifelte, daß sie selber
je wieder ein Sprichwort würde richtig zitieren können.
"Na dann, wir sehen uns sicherlich wieder."
"Sicher. In unseren Träumen", versetzte Minako rätselhaft. Bunny blickte
verdattert drein, war aber zu perplex, um etwas zu erwidern. Als sie sich wieder
gefangen hatte, war Minako bereits mit einem kurzen Abschiedsgruß verschwunden.
In unseren Träumen? Wußte Minako etwas von Bunnys Träumen? Aber woher sollte sie
es wissen?
Nur zwei Dinge waren für Bunny jetzt klar. Zum einen war sie sich sicher, daß
Minako heute Nacht als eine der Kämpferinnen auftauchen würde. Zum anderen wußte
sie, daß sie und Minako ein Schicksal verband, das nicht nur eine Freundschaft
einschloß. Sie waren sich ähnlich, in irgendeiner Weise, und es kam Bunny vor,
als sei Minako ihre Schwester. Und genau so liebte sie sie. Wie eine Schwester.

Minako schob die Hände in die Jackentaschen und ging Richtung Heimat. Ihr Blick
wanderte zum Himmel empor, wo sich bereits die ersten Sterne zeigten - in einer
Großstadt wie Tokyo ein höchst seltener Anblick.
Wer war diese Bunny eigentlich? In ihren Augen hatte sie so viel gesehen, mehr,
als sie je in irgendwelchen Augen gesehen hatte. Mehr als in ihren eigenen
Augen, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, um sich zu schminken.
Es war so viel in ihnen: Eine fröhliche Vergangenheit, eine düstere
Vergangenheit, eine zweifelhafte Zukunft, eine Liebe, die noch nicht erwacht
war, eine Liebe, die bereits erwacht war, und dazwischen immer wieder das
Hoheitsvolle, aber doch so Menschenverbundene, das eine wahre, eine gute
Prinzessin auszeichnete.
Minako war sich sicher, daß Bunny eine Prinzessin war. Und sie wußte, daß ihr
Königreich nicht von dieser Welt war. Sie blieb stehen und betrachtete einige
Zeitlang den Himmel. Der Mond leuchtete wie eine Perle, sein weißer Schein
wirkte heute wärmer, heller und lebendiger als sonst.
Mondgöttin. Bunny war die Mondgöttin.
Minako schüttelte verwirrt den Kopf. Wie kam sie auf so etwas? Dieses ganz
normale Mädchen, im selben Alter wie sie, eine Göttin? Aber sie konnte den
Gedanken nicht verdrängen, er hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. Sie wußte,
daß es die Wahrheit sein mußte, daß sie es war.
Bunny war die Königin des Mondes.
Und wer war sie? Sie war nicht einfach nur eine Untergebene. Das konnte sie
nicht sein. Dazu hatte sie sich ihrer Königin zu verbunden gefühlt.
Persönliche Vertraute.
Immer wieder kehrten in ihren Gedanken diese Worte zurück. War sie wirklich die
persönliche Vertraute der Königin?
Sicher. Kriegerin.
Sie war eine Kriegerin. Welche?
Liebe. Sie war die Kriegerin der Liebe. Die Göttin der Schönheit, Venus. Ja, sie
war Venus.
Wer war sie wirklich? Sie hatte immer geglaubt, ein ganz normales Mädchen zu
sein. Aber war sie das nicht? War sie es doch, auch, vielleicht nicht, war sie
nur Kriegerin, war sie auch Kriegerin?
Minako stützte sich an einer Mauer ab und faßte sich mit der Hand an den Kopf.
Diese Gedanken quälten sie, bedrückten sie, ihr Kopf schien zu platzen.
Jede Faser ihres Körpers schrie nach Bunny. Sie verspürte den Wunsch,
umzukehren, zu Bunny zu gehen, vor ihr niederzuknien, vor ihr, ihrer Königin,
ihrer geliebten Prinzessin und Königin, Göttin und Erdenmädchen.
Doch sie tat es nicht. Gerade weil sie Bunny liebte.

Bunny wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Auf der einen Seite wollte sie ja
einschlafen, aber auf der anderen Seite wußte sie genau, daß dann ihr Alptraum
wiederkehren würde.
Vier Frauen hatte sie kennengelernt, und bei jeder hatte sie eine unglaublich
starke Aura gespürt. Sie waren nicht einfach nur Frauen. Sie waren mehr.
Bunny war sich sicher, daß diese Frauen die eine Hälfte der Personen aus ihrem
Traum waren. Wer bildete die andere Hälfte? Sie schätzte, daß es ebenfalls
Frauen waren, aber welche?
Oft hatte sie schon von verschiedenen Mädchen geträumt, die in ihren Träumen
ihre Freundinnen waren. Nie hatte sie die Namen erfahren, und nie hatte sie die
Gesichter genau gesehen. Sie hatte aber immer gewußt, daß sie wirklich ihre
Freundinnen waren und mit ihr durch dick und dünn gegangen wären. Aber jedesmal,
bevor sie sie nach ihren Namen fragen konnte, war sie aufgewacht.
Waren diese vier Frauen auch diese Freundinnen gewesen?
Bunny hatte oftmals das Gefühl, daß ihr Leben so, wie es jetzt war, nicht immer
schon gewesen war. Wenn sie an ihre Vergangenheit zurückdachte, hatte sie immer
wieder den Eindruck, als fehle ihr ein Teil ihrer Erinnerungen.
Erinnerungen an was?
Bunny rief sich die Gesichter und die Namen der vier Frauen, die sie
kennengelernt hatte, ins Gedächtnis.
Setsuna Meiô. Lange, grüne Haare, dunkle Augen, feine Gesichtszüge. Woher kannte
sie sie nur?
Makoto Kino. Lange, braune Haare, grüne Augen, hart wirkendes Gesicht. Warum kam
sie ihr so bekannt vor?
Haruka Tenô. Kurze, blonde Haare, graue Augen, scharf geschnittenes Gesicht. Wo
hatte sie sie zuvor schon einmal gesehen?
Minako Aino. Lange, blonde Haare, blau-graue Augen, ein ewig lachendes Gesicht.
Wann hatten sie sich schon einmal getroffen?
Bunny schüttelte den Kopf. Es war so sinnlos, darüber nachzudenken. Sie kam doch
eh' zu keinem Ergebnis. Vielleicht war es doch das Beste, zu schlafen. Wie sagte
ihre Mutter immer: "Schlaf' einmal drüber. Morgen sieht die Welt ganz anders
aus."
Bunny lächelte. Gute Ikuko. Sie sorgte sich sehr um ihre Tochter, aber konnte
sie überhaupt ahnen, was in dieser vor sich ging?
Nein, sie konnte es nicht. Selbst Bunny wußte doch nicht, was mit ihr los war.
Wie sollte es Ikuko da können?
Bunny drehte sich auf die Seite und vergrub ihren Kopf in dem blau-rot
gestreiften Kissen. Es roch frischgewaschen. Ein angenehmer, beruhigender
Geruch.
"Morgen", war ihr letzter Gedanke, "morgen sehen wir weiter." Dann schlief sie
ein.

Luna wachte schon früh auf, als ein kleiner Vogel auf Bunnys Fensterbrett
landete und zu piepen begann. Die schwarze Katze streckte sich und blickte dann
von ihrem Kissen, das neben Bunnys Bett lag, zu ihrer blonden Herrin hinauf.
Diese schlief noch tief und fest, und wie immer war ein leichtes Lächeln auf
ihren Lippen.
"Bunny", flüsterte Luna. "Ich wünschte, du könntest immer so lächeln."
Sie begann mit ihrer Morgenwäsche, um sich die Zeit zu vertreiben. Ja, sie
wünschte sich wirklich, Bunny immer so glücklich wie jetzt zu sehen. Aber es war
nun einmal Bunnys Schicksal, eine Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit und
gleichzeitig auch eine Prinzessin zu sein, und schon bald würde der Tag kommen,
an dem sie sich ihrem Schicksal stellen mußte.
Luna ließ ein leises Knurren hören, um ihren Unmut zu äußern. Auch wenn sie
wußte, daß es jemanden geben mußte, der die Welt vor dem Bösen beschützte,
fragte sie sich doch immer wieder, warum es Erdenmädchen sein mußten.
Nun gut, sie waren keine Erdenmädchen, sie waren schon vor der Zeit Kriegerinnen
gewesen, aber warum mußten sie auf der Erde wiedergeboren werden?
Luna konnte sich nicht vorstellen, daß irgendeine von den Kriegerinnen ihr
jetziges Leben als Erdenmenschen für das einer Kriegerin aufgeben würde, wenn es
nicht sein müßte. Aber warum hatte man sie vor die Wahl gestellt, die nicht
einmal eine war? Warum hatte Serenity die Kriegerinnen nicht einfach als solche
wiederbeleben können? Warum mußten sie ein normales Leben erhalten, das sie dann
wieder aufgeben mußten?
Luna schüttelte den Kopf. Bei allem Respekt, den sie der Königin Serenity
zollte, diese Entscheidung ging über ihren Verstand. Aber sie war ja nur eine
dumme Katze. Vielleicht konnte sie es nicht verstehen, weil sie nicht die
Intelligenz und die Weitsichtigkeit der Königin besaß.
Luna warf einen kurzen Blick zu Bunny hinauf. War sie schon wach? Nein, sie
schlief immer noch und schnarchte dabei leise. Die Katze nickte zufrieden und
sprang dann auf das Fensterbrett.
Geschickt öffnete sie mit ihren Pfoten den Schließmechanismus des Fensters und
kletterte aus Bunnys Zimmer, leise, um diese nicht zu wecken. Sie sollte ruhig
noch ein wenig schlafen. Sie sah so glücklich aus, wenn sie schlief, als sei es
das einzige, was ihr noch Freude bereitete.
Sie selber würde Artemis suchen. Vielleicht würde sie auch den anderen
Kriegerinnen begegnen, wer wußte das schon. Das Leben war dem zufälligen
Schicksal unterworfen.

Wieder saß Bunny im Park. Sie wollte sich wieder in die Sonne setzen, um
nachzudenken.
Wie nicht anders erwartet, hatte sie in ihrem Traum vier Personen erkennen
können. Die grünhaarige Frau, das braunhaarige Mädchen, eine blonde Frau mit
einem Schwert und ein blondes Mädchen, deren blau-graue Augen zum Zeitpunkt
ihres Todes nichts von ihrer Fröhlichkeit eingebüßt hatten.
Es gab keinen Zweifel mehr. Es waren Setsuna, Makoto, Haruka und Minako.
Wen mochte sie noch alles treffen? Sie hatte fast Angst davor, neue
Bekanntschaften zu machen, denn in ihren Träumen starben diese Frauen. Wegen
Bunny. Weil sie Bunny beschützen wollten.
Bunny stützte den Kopf in die Hände. Sie wollte nicht, daß überhaupt jemand
litt. Schon gar nicht wegen ihr.
Plötzlich riß eine leise Melodie sie aus ihren Gedanken. Es war eine zarte, süße
Geigenmelodie, die von einer kleinen Bühne mitten im Park zu ihr herüber
schwebte.
Die Melodie schien sie zu rufen. Bunny folgte dem Ruf und ging langsam, aber
zielstrebig auf die Bühne zu.
Dort stand eine junge Frau mit gewellten, grünen Haaren. Mit ernstem Gesicht
spielte sie auf ihrer Geige, eine eintönige, aber dennoch bezaubernde Melodie,
die dem Rauschen des Meeres glich.
Fasziniert blickte Bunny die ihr unbekannte Geigerin an - war sie ihr wirklich
so unbekannt?
Sie hatte das Gefühl, sie doch schon einmal irgendwo gesehen zu haben; nicht auf
einem Plakat oder auf einer CD, nein, sie hatte das Gefühl, sie zu kennen, mit
ihr schon einmal gesprochen zu haben.
War sie die fünfte Kriegerin?
Als die Geigerin bemerkte, daß sie jemand direkt ansah, unterbrach sie ihr
Geigespiel und setzte das Instrument ab. Erstaunt sah sie von ihrem erhöhten
Standpunkt aus auf das blonde Mädchen herab, das sie mit glänzenden Augen
anblickte. Sie lächelte leicht. "Kann ich dir helfen?"
Bunny schrak auf. Sie war so in ihren Gedanken versunken gewesen, daß sie gar
nicht damit gerechnet hatte, angesprochen zu werden. "Nein, ich... ich bewundere
nur, wie Sie spielen."
Das Lächeln vertiefte sich. "Danke sehr. Es freut mich, daß es dir gefällt."
Bunny lächelte ebenfalls und nickte. "Oh ja. Es gefällt mir wirklich sehr. Sind
Sie oft hier?"
"Nein. Normalerweise spiele ich nicht auf öffentlichen Plätzen. Aber heute...",
das Gesicht der Frau nahm einen seltsam entrückten Ausdruck an, "heute hatte ich
das Gefühl, als würde mich jemand rufen. Als würde mir jemand befehlen, in den
Park zu gehen und dort zu spielen."
Verwirrt zog Bunny die Augenbrauen zusammen. Als die Frau dies sah, lachte sie
auf.
"Oh, entschuldige. Es klingt wirklich absurd, ich weiß. Aber ich hatte nun
einmal das Gefühl, daß wirklich jemand mit mir spräche." Sie legte ihre Geige in
den auf dem Boden liegenden Kasten und sprang von der Bühne herunter. Sie
reichte Bunny die Hand.
"Mein Name ist Michiru Kaiô. Freut mich, dich kennenzulernen."
Etwas in Bunny sagte ihr, die Hand auszuschlagen, wegzulaufen, Michiru nicht
näher kennenzulernen. Aber war das nicht schrecklich unhöflich? "Ich bin Bunny
Tsukino." Ein Händedruck besiegelte das Schicksal der beiden Kriegerinnen in
spe.
"Bunny Tsukino, hm? Aber nicht verwandt mit Kenji Tsukino, oder?"
"Doch, das ist mein Vater", erwiderte Bunny.
"Ach so! Ich habe ihn zufällig kennengelernt. Bei meinem letzten Konzert. Er hat
darüber in der Tageszeitung berichtet, glaube ich. Ein sehr netter Mann."
Bunny riß die Augen auf. "Sie geben Konzerte, zu denen mein Vater Artikel
schreibt?"
Michiru nickte. "Von irgend etwas muß ich schließlich auch leben, oder?" Sie
lachte. "Ich meine, ich habe keinen reichen Ehemann oder so."
"Ich will mal 'nen tollen Mann haben", begann Bunny zu schwärmen. "Reich kann
der auch gerne sein."
Michiru betrachtete Bunny lächelnd. "Glaube mir, du wirst deinen Traumprinzen
sicherlich bekommen."
"Haben Sie schon Ihren Traumprinzen gefunden?" fragte Bunny nicht ohne Neugier.
Vielleicht konnte sie von dieser wirklich sehr hübschen Frau einige Tips
bekommen - man sollte schließlich früh genug damit anfangen, den geeigneten Mann
zu finden, das hatte Minako gestern zumindest gesagt. "Haben Sie schon den
Richtigen getroffen?"
Michiru aber zuckte mit den Schultern. "Wer weiß. Vielleicht habe ich immer die
Richtigen getroffen. Aber bisher war es nie so, daß ich mir gesagt hätte, der
ist es und kein anderer. Vielleicht gibt es für mich nicht den einzig wahren
Mann. Ich muß sehen, was die Zukunft mir bringt."
Bunny nickte zustimmend. Das war ein wahres Wort. Man mußte sehen, was die
Zukunft einem brachte. Vielleicht sollte sie ihre Gedanken rund um ihre Träume
einfach beiseite schieben, auch wenn es sicherlich schwer war. Aber warum sollte
sie sich jetzt damit belasten? Es war ein Traum, allenfalls würde es in der
Zukunft passieren. Wer wußte schon, wann genau? Vielleicht erst in zehn Jahren,
und bis dahin konnte sich so vieles ändern.
Sie bemerkte, daß Michiru etwas ungeduldig auf die Uhr sah und verbeugte sich
leicht. "Es war nett, mit Ihnen zu reden, aber ich stelle fest, daß Sie in
Zeitdruck sind, nicht wahr?"
Michiru lächelte entschuldigend und nickte. "Ja, ich habe einen Termin beim
Arzt. Aber vielleicht kommst du zu meinem nächsten Konzert, dann können wir ja
weiter reden." Sie drückte Bunny noch einen Werbezettel in die Hand, klappte
dann ihren Geigenkoffer zu, schloß die Schnallen und ging schnellen Schrittes,
den Koffer in der Hand, aus dem Park.
Bunny sah ihr hinterher. Das hellblaue Kleid der Frau flatterte im Windzug, und
ein leichter, grünlicher Schimmer bildete sich um den Körper der Frau. Dann
entschwand sie Bunnys Blicken, als sie um die Ecke bog.

Michiru saß im Wartezimmer ihres Frauenarztes. Sie hielt eines der Hefte, die
auf einem kleinen Tisch auslagen, in der Hand und starrte unabläßlich auf eine
willkürlich aufgeschlagene Seite, aber sie las nicht. Ihre Gedanken kreisten
rund um dieses Mädchen, um diese Bunny Tsukino.
Oh ja, es war ihre Stimme gewesen, die sie gerufen hatte, die sie in den Park
befohlen hatte, sanft, es war ihre Stimme gewesen, die sie schon viel früher in
ihren Träumen gehört hatte, die sie bei ihrem Namen gerufen hatte. Sie hatte
schon so oft solche Träume gehabt, doch in den letzten Tagen waren sie immer
deutlicher, immer eindringlicher, intensiver geworden.
Es war alles so dunkel, und dann ertönte diese Stimme, diese süße, tröstende
Stimme, und sie rief ihren Namen. So oft hatte sie sich umgesehen, um sich zu
vergewissern, daß diese Stimme nicht sie, sondern eine andere Person ihres
Namens meinte, doch jedes Mal hatte die Stimme gelacht und ihr gesagt, daß sie,
und nur sie gemeint sei. Doch nie hatte sie die Eigentümerin der Stimme gesehen,
hatte ihr nie nahe kommen können.
Warum? Warum konnte sie nie in ihre Nähe gelangen? Sie mußte etwas besonderes
sein, von hohem Range, von königlicher Abstammung, daß sie, Element des niederen
Volkes, nur ehrfürchtig vor ihr niederknien konnte.
Und noch eine Frage geisterte in ihrem Kopf herum? Wer war sie selbst? Was für
eine Rolle spielte sie im Leben dieses Mädchens, dieser... dieser Prinzessin?
Dieser zukünftigen Königin über die Welt?
Erschrocken sah Michiru auf. Königin über die Welt? Das war absurd, unmöglich!
Wie konnte eine einzige Frau die ganze Welt beherrschen?
Vom Mond aus.
Die grünhaarige Frau zog die Augenbrauen zusammen. Vom Mond aus? Was für ein
amüsanter Gedanke!
Aber doch, es schien für sie der Wahrheit zu entsprechen, eine Wahrheit, die aus
ihr heraus erwachsen war, die sie nicht erklären oder beweisen konnte. Ihr
Gefühl hatte sie selten betrogen, und noch nie war sie von etwas so überzeugt
gewesen wie von dieser Wahrheit.
Angenommen, Bunny war also eine Königin, welche Aufgabe war dann ihr zugeteilt?
In ihren Träumen schien es die einer Kriegerin zu sein, aber diese Vorstellung
erschien ihr als noch seltsamer als die einer Königin, die die Welt regiert. Sie
selbst, eine Kriegerin? In silberglänzender Rüstung, am besten noch auf einem
Pferd und mit einer eisernen Lanze in der Hand? Welch pikante Idee!
Aber dennoch, die Stimme hatte mit ihr gesprochen wie mit einer Kriegerin, die
in ihrem Dienste stand, sie hatte von einer Mission gesprochen, von dem Auftrag,
das Reich zu schützen.
Das Reich und seine Regentin? Wenn es nötig war, mit dem eigenen Leben?
Michiru lächelte. Ja, wenn es nötig war, auch mit dem eigenen Leben. Sie konnte
sich diese Gewißheit, die sie ihr eigenes Leben für ein junges Mädchen riskieren
ließ, nicht erklären. Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Erklärung dafür:
Liebe.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Bunnys Atem ging stockend, als sie am nächsten Morgen erwachte. Sie richtete
sich in ihrem Bett auf und atmete heftig aus und ein. Ihre Hände krallten sich
um die Bettdecke, als wolle sie all ihre Verzweiflung in dieses Stück Stoff
projizieren. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
"Nein", flüsterte sie. "Nein, warum? Warum sie? Warum ich? Ich will nicht! Ich
will nicht, daß jemand wegen mir stirbt, ich will nicht, daß überhaupt jemand
stirbt!"
Sie schniefte kurz und wischte sich mit dem Ärmel ihres Schlafanzuges über die
Nase. Dann wandte sie ihren Blick nach links, auf die Decke neben ihrem Bett, wo
Luna zusammengerollt schlief. Unter den allmählich versiegenden Tränen brachte
sie ein Lächeln zustande. So süß, wenn sie so dalag, so süß.
Bunny seufzte auf. Was war eigentlich dieses dunkle Licht aus ihren Träumen?
Bedrohte es die Welt? Seltsam, daß sie sich bisher nicht danach gefragt hatte.
Seltsam, daß sie sich bisher nicht gefragt hatte, wen sie selbst eigentlich
darstellen sollte. Ein weißes Kleid. Eine Braut? Eine Prinzessin? Eine Königin?
Noch einmal wanderten ihre klaren, blauen Augen zu der schwarzen Katze. Wenn es
tatsächlich ihr Schicksal war, die Erde zu retten, dann sollte sie es allein
schon deshalb tun, um dieses kleine, unschuldige Wesen zu beschützen. Wieder
lächelte Bunny. Ja, für Luna würde sie vielleicht sogar ihr Leben riskieren. Und
wenn es nicht nur allein für Luna, sondern auch für ihre Eltern, für Shingo
wäre, für ihre Freundinnen aus der Schule, ja, selbst für Frau Haruna, dann war
ihr Leben, so wichtig es ihr selbst auch erschien, ein variabler Faktor, etwas,
das hingegeben werden konnte, um andere Leben zu retten.
Sie schniefte ein weiteres Mal und stand dann entschlossen auf. Die grünhaarige
Frau hatte sie angesehen, ja, sie hatte gelächelt. Sie hatte kaum merklich
gelächelt. Und im selben Moment, als sie gestorben war, hatte sie den Mund
geöffnet, nicht als ob sie hätte schreien wollen, nein, es schien Bunny, als
hätte die Frau ihr etwas sagen wollen - oder als hätte sie gesungen.
Erst jetzt bemerkte Bunny, daß ihr eine Melodie im Kopf umher ging. Eine süße,
tröstende Melodie.
War es das, was die Frau ihr hatte sagen wollen? Wollte sie sie trösten? Oder
hatte sie diese Melodie gesungen, im Augenblick ihres Todes, um ihr eine
Botschaft zu hinterlassen? War es überhaupt eine Botschaft? Oder hatte sie das
Lied an sich selbst gerichtet, um sich zu beruhigen? Um dem, was sie nun wohl
erwartete, gelassen entgegen zu gehen?
"Ich muß sehen, was die Zukunft mir bringt", hatte Michiru gesagt. Das war eine
bemerkenswerte Einstellung. Bunny wünschte sich, diese Einstellung mit der Frau
zu teilen. Doch dies erschien ihr sehr, sehr schwer.
Und wenn sie einfach versuchte, die Zukunft zu manipulieren? Wenn sie einfach zu
Hause blieb?
Auf dem Gesicht des goldhaarigen Mädchens breitete sich ein verschlagenes
Grinsen raus. Wer hatte einmal gesagt, man solle sein Schicksal nicht
herausfordern? Nun, genau das würde sie jetzt tun. Und dann mal gucken, was die
Zukunft bringt.

Leise stöhnte Bunny auf. An einem so schönen Tag sollte sie lernen? Es waren
doch Ferien! Aber ihre Mutter war standhaft geblieben: "Kind, deine Noten sind
zu schlecht. So kann das nicht bleiben. Ich habe dir eine Nachhilfe besorgt.
Hier ist ihre Adresse. Ich habe alles abgesprochen. Sie erwartet dich heute
Nachmittag um drei", hatte sie mit dem so typischen
Ich-dulde-keinen-Widerstand-Tonfall, der Ikuko so eigen war, gesagt.
So packte Bunny ein paar Bücher in ihren Rucksack - oder besser, sie warf sie
mißmutig und unachtsam hinein, nahm die Visitenkarte ihrer neuen Nachhilfe vom
Tisch und schnürte ihre Stiefel zu.
Als sie das Haus verließ, knallte sie die Tür zu. Sie brauchte den Lärm. Während
sie zur Bushaltestelle ging, warf sie einen Blick auf die Visitenkarte. Diese
Nachhilfelehrerin war garantiert eine uralte Oma. Zumindest klang ihr Name
ziemlich nach Altersheim. Und der Nachname ließ auf eine Nixe schließen. Bunny
gluckste. Wahrscheinlich hatte sie blaue Haare.

Sie hatte. Knallblau, um genau zu sein. Nur mit der anderen Annahme lag Bunny
falsch. Ami Mizuno war ungefähr in ihrem Alter. Als sie jetzt vor dem Mädchen
mit dem ernsten Gesichtsausdruck stand, wurde ihr auch klar, woher ihr der Name
so bekannt vorgekommen war. Ami war eine der landesbesten Schülerinnen
überhaupt, und in Tokyo war sie so ziemlich ungeschlagen. Immer erreichte sie
die Höchstpunktzahl, und nie sah man sie nachmittags in der Stadt. Zumindest
erzählte man sich das in jeder Schule. Die einzigen, die Amis Leistungen
ungeteilt bewunderten, waren wahrscheinlich die Lehrer.
Bunny rang sich ein Lächeln ab. "Ich bin Usagi Tsukino", stellte sie sich vor.
"Aber nenn mich Bunny."
Nicht einmal jetzt war der Hauch von Freundlichkeit auf Amis Gesicht zu
erkennen. "Komm bitte rein, Usagi", sagte sie und machte eine universelle
Handgeste der Einladung. "Zweite Tür rechts."
Bunny schluckte. Das konnte ja heiter werden. Doch als sie an dem Mädchen
vorbeiging, konnte sie erkennen, daß ihre Augen nicht so hart waren, wie sie von
außen erschienen. Wenn man sie aus der Nähe betrachtete, waren sie einfach
nur... leer. Nicht kalt, nicht verbittert. Einfach leer. Als wäre nie etwas in
ihnen gewesen, kein einziges Gefühl. Aber wieso besaß dieses junge Mädchen
solche Augen? Solche grausam leere Augen?
Ami schloß die Tür hinter sich. "Setz dich dorthin", sagte sie und deutete auf
einen kleinen Hocker neben einem Schreibtisch, der penibel aufgeräumt war. Auf
dem Regal über dem Tisch stapelten sich Schulbücher, daneben wissenschaftliche
Abhandlungen, Lexika und Enzyklopädien. Zu ihrem Erschrecken stellte Bunny fest,
daß die Bücher doch noch tatsächlich alphabetisch geordnet waren. Wenn es
jemanden gab, dessen Leben die Schule war, dann mußte es wohl Ami sein. Aber
warum hatte sie diese furchtbaren Augen?
Als Ami sich auf ihren eigenen Stuhl setzte, warf sie ihrer neuen
Nachhilfeschülerin einen kurzen Blick zu. "Du hast deine Bücher mitgebracht",
sagte sie, nicht fragend, sondern als Feststellung.
"Ja", stotterte Bunny. "Bevor wir überhaupt mit irgend etwas anfangen, wollte
ich nur sagen, daß... na ja, ich hab' in ungefähr jedem Fach Probleme. Das
einzige, was ich einigermaßen kann, ist silaposchieren.. und das nur dann, wenn
ich mal eine Sternstunde habe."
Ami zog die Augenbrauen kaum merklich zusammen. "Du meinst philosophieren",
sagte sie.
Bunny seufzte auf. Natürlich hatte sie philosophieren gemeint. Aber warum
lächelte Ami nicht wenigstens ein klein wenig über diesen Fehler? Warum nicht
ein ganz klein wenig?
Und warum bildete sich ein blaßblauer Schein um das Mädchen, als die Sonne durch
das Fenster schien?
Bunny kniff die Augen zusammen. Vielleicht ging dieser Eindruck ja wieder weg.
Nur eine Luftspiegelung... wie hieß das gleich? Sie fragte Ami danach.
"Fata Morgana", sagte das blauhaarige Mädchen wie aus der Pistole geschossen.
"Entsteht durch Überlagerung einzelner Luftschichten mit unterschiedlichen
Temperaturen. Folgt etwas komplizierteren physikalischen Berechnungen und..."
Ami unterbrach sich plötzlich und sah Bunny schweigend an. Diese sank auf ihrem
Hocker in sich zusammen.
"Ist was?" flüsterte sie irgendwann schwach. "Hab' ich da einen gräßlichen
Pickel?"
Ami zog die Augenbrauen hoch und starrte Bunny nun regelrecht an. "Pickel?"
sagte sie irgendwann. "Du fragst nach einem Pickel?"
"Pickel, ja. Das rote Ding."
"Ein Pickel?" Plötzlich füllten sich Amis wasserblaue Augen mit Leben. "Pickel,
mit Eiter gefüllte..." Wieder unterbrach sie sich. Und dann, ganz allmählich,
bewegten sich ihre Mundwinkel nach oben. Erst noch zögerlich, aber immer mutiger
öffneten sich Amis Lippen und schlossen sich ihre Augen. Kurz senkte sie den
Kopf, und im selben Moment, in dem sie ihn wieder hob, begann sie zu lachen. Sie
lachte laut und herzlich. "Ein Pickel", wiederholte sie stockend. "Fällt in
Mathe durch, und ihre größte Sorge ist ein Pickel."
Verwirrt sah Bunny das Mädchen an. Nie lachte sie, hieß es. Sie war nicht von
dieser Welt, hieß es. Redeten sie wirklich von dieser Ami hier?
"Bunny", sagte Ami plötzlich.
Die Angesprochene sah auf. Bunny? Hatte sie sie gerade Bunny genannt?
"Bunny", wiederholte das blauhaarige Mädchen sehr sanft. "Du bist ein seltsames
Mädchen. Aber das ändert nichts daran, daß du in Mathe durchfällst. Also laß uns
lernen."
Bunny lächelte. Unverbesserlich sei sie, hieß es. Ja, an dem Gerücht war endlich
mal was dran.

Nachdem Bunny gegangen war - ob schlauer oder nicht, sei dahingestellt - kehrte
Ami in ihr Zimmer zurück. Für einen Moment zögerte sie, dann ließ sie sich
entschlossen auf ihr Bett fallen und schloß die Augen. Zum wohl ersten Mal in
ihrem Leben hatte sie keinen Nerv zu lernen, zu lesen oder sonst etwas zu tun,
was mit geistiger Anstrengung verbunden war.
Zum ersten Mal in ihrem Leben? Plötzlich war sich Ami da nicht mehr ganz so
sicher. Zwar hieß es, sie träume nachts nur von mathematischen Formeln, aber in
Wirklichkeit hatte sie andere, viel bedrohlichere Träume als die Herleitung der
Formel zur Berechnung des Volumens eines Pyramidenstumpfes. Nein, sie träumte
von dunkler Macht, die sie zu bekämpfen hatte, aber nie hatte sie eine Chance
gehabt, immer war es zu stark gewesen.
Aber dann hatte sie auch von einem hellen Licht geträumt, von einem Mädchen mit
goldenem Haar, das ihr sagte, allein könne sie das Dunkle nicht besiegen. Sie
bräuchte die Unterstützung anderer Kriegerinnen.
"Andere"? Hieß das nicht, daß auch sie selbst eine Kriegerin war? Ami runzelte
die Stirn. Eine Kriegerin? Sie? Mit Lineal und Geodreieck als Schwert und
Schild?
Und wer war dieses Mädchen? Oh ja, sie war sich sicher, daß Bunny es war, aber
wie konnte dieses junge Mädchen in ihren Träumen erscheinen? War es nicht
unmöglich?
Sie wußte doch, daß Déjà vu's auf Gehirntäuschungen beruhten, die meistens eine
bereits erlebte, aber wieder vergessene Begebenheit ans Tageslicht zurückholten,
aber wann sollte sie Bunny schon einmal getroffen haben? Und wieso erschien
ausgerechnet sie in ihren Träumen, warum nicht Isaac Newton, wenn es schon
jemand war, der in der Schule nicht unbedingt glänzte?
Die Falten auf Amis Stirn glätteten sich wieder. Und wenn sie nun diese
Kriegerin war, war es ihre Aufgabe, die Königin zu beschützen? Ja, sie hatte das
Mädchen in ihren Träumen als Regentin eines großen Reiches gesehen, sie hatte
sie auf dem Mond gesehen, in einem silbernen Palast, dessen Schönheit alles
übertraf, was sie je zuvor gesehen hatte.
Sie lächelte. In diesem Moment wurde ihr schmerzhaft bewußt, daß es schon das
zweite Mal an diesem Tag war, daß sie lächelte. Warum hatte sie es nie zuvor
getan? Erst jetzt erkannte sie, wie befreiend ein solches Lächeln war, wie
wunderbar man sich fühlte, wenn man lächelte, wenn man ehrlich lächelte, nicht
gezwungen. Sie hatte es der Königin zu verdanken, daß sie diese Erfahrung
gemacht hatte. Ja, Bunny war die Königin. Und sie selber war eine ihrer tapferen
Kriegerinnen.
Das Attribut "tapfer" verlangte mehr als nur treue Ergebenheit, das wußte Ami.
Ja, sie mußte mit allem, was sie besaß, für die Königin einstehen. Sie verdankte
ihr so viel, so viel...
Nie würde sie alles, was sie ihr schuldete, zurückzahlen können. Die Königin
hatte ihr in dieser kurzen Zeit ein völlig neues Leben geschenkt. Wie hatte sie
dieses Geschenk jemals annehmen können?
Vielleicht, weil die Königin es nicht aus Eigennutz, sondern aus Nächstenliebe
gegeben hatte? Weil sie ihre Geschenke zwar mit Bedacht, nicht aber mit
Berechnung verteilte?
Ami griff nach einem Kissen neben ihr und preßte es sich vor die Brust. Es war
ein so großes Geschenk, und sie wußte, daß es ein Geschenk war, für das sie ihre
Königin einfach... lieben mußte.
Und sie wußte, daß sie dies auch tat.

"Was soll das heißen, es gibt kein Nusseis???" Bunny starrte die rothaarige
Kellnerin ungläubig an.
"Tut mir leid, aber das Nusseis ist aus", sagte die Frau und lächelte verlegen.
"Wirklich."
"Das darf ja wohl nicht wahr sein", stöhnte Bunny auf.
"Nusseis ist aus? Wieso ist Nusseis aus??" plärrte da eine Stimme rechts von
ihr. Bunny wandte sich der Besitzerin zu und erblickte ein schwarzhaariges
Mädchen, das wohl etwa in Shingos Alter sein mochte - vielleicht war es auch
etwas jünger. Das Mädchen sprang an der Theke hoch und kniete sich auf den
Vorsprung, der normalerweise als Ablage gedacht war. "Wieso ist Nusseis denn
aus? Wo ist es denn hingegangen?"
Die Kellnerin lächelte. "Es ist ausverkauft."
"Also ist es mit den Leuten mitgegangen?"
"Ja, so kann man das nennen."
Bunny stützte sich mit den Ellebogen auf der Theke auf. "Also schön, dann eben
Ananas, Amaretto und Schlumpf." Sie wandte sich an das schwarzhaarige Mädchen.
"Möchtest du auch ein Schlumpfeis? Ich schenke dir eines. Weil kein Nusseis da
ist."
"Schlümpfe sind doch doof. Die gibt es doch gar nicht."
"Doch, natürlich gibt es die", sagte die Kellnerin immer noch lächelnd. "Die
leben in einem kleinen Dorf in kleinen Häusern aus Pilzen und werden von
Gurgelmehl gejagt."
"Ach Quatsch, der Typ heißt Gargamel", belehrte das Mädchen sie. "Außerdem ist
es da doch wahrscheinlicher, daß eine Passante einen Kreis schneidet, als daß es
Schlümpfe gibt."
Die Kellnerin errötete. Bunny kratzte sich am Kopf. "Also, ich denke schon, daß
auch Passanten mal Kreise ausschneiden, warum denn auch nicht?" meinte sie.
Das kleine Mädchen verdrehte die Augen. "Eine Passante ist eine Gerade, die
einen Kreis in keinem Punkt berührt."
"Die geht also gerade am Kreis vorbei, nicht?" Bunny lachte. "Hey, das gefällt
mir. Eine Gerade, die gerade am Kreis vorbeigeht. Das muß ich mir merken."
Während Bunny sich vor Lachen ausschüttete, hüpfte das Mädchen von der Theke
runter und besah sich Bunny von unten. Irgendwann trat sie ihr gegen das
Schienbein. "Hol mal Luft", befahl sie ihr. "Aber nicht hyperventilieren."
Bunny rieb sich das schmerzende Bein. "Spinnst du?"
"Du spinnst. Eine Gerade, die gerade am Kreis vorbeigeht. Bist du in der
Oberschule?"
"Ja, natürlich."
"Da hat ja 'n Badewannenstöpsel 'nen höheren IQ als du."
Das blonde Mädchen verschränkte die Arme. "Wissen deine Eltern, daß du zu
Älteren so frech bist?"
"Keine Ahnung", erwiderte das kleine Mädchen und zuckte mit den Schultern. "Das
tangiert mich aber peripher."
Plötzlich erschallte eine Frauenstimme durch das Café: "Hotaru, kommst du wohl
her? Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du dich nicht immer von der Gruppe
absetzen sollst?!"
Eine große, lilahaarige Frau ging schnellen Schrittes auf das Mädchen zu und
packte es bei den Schultern. "Du hast kein Recht auf einen Anwalt, du hast kein
Recht, die Aussage zu verweigern. Alles, was du jetzt sagst, kann vor Mahlzeit
gegen dich verwendet werden. Und jetzt komm."
Hotaru schob die Unterlippe nach vorne. "Ich will nicht."
"Noch ein Widerwort und du schluckst Tiramisu."
Da wurde das Mädchen ganz friedfertig. "Schon gut, Alita, ich komme."
Bunny runzelte die Stirn. "Du nennst deine Mutter Alita?"
Hotaru schnitt eine Grimasse zu der lilahaarigen Frau. "Das ist nicht meine
Mutter. Das ist so eine dumme Erziehungstante aus dem Kinderheim."
"Jetzt reicht's, Hotaru!" schimpfte Alita, hob das Mädchen hoch, drehte es um
und schubste es in Richtung Ausgang. Nach einigen Schritten blickte sie noch
einmal zu Bunny zurück. "Ich entschuldige mich, wenn sie etwas aufdringlich war.
Sie ist etwas... problematisch."
"Das hab' ich gehört!" schrie Hotaru.
"Das solltest du auch hören", erwiderte die Frau schlicht. "Also dann, auf
Wiedersehen, äh..."
"Tsukino", sagte Bunny. "Bunny Tsukino."
"Ich heiße Hotaru Tomoe!" ertönte es von der Tür her. Dann verschwanden das
schwarzhaarige Mädchen und seine Erzieherin aus Bunnys Blickfeld.
"Möchten Sie jetzt Ihr Gurgelmehleis?"

Gemächlich tickte die Uhr in Hotarus Zimmer im Kinderheim, in dem sie wohnte,
seit ihr Vater in der Klinik gelandet war. Eigentlich sollte das kleine Mädchen
ja an einem Bild sitzen, das sie der Leiterin zu ihrem morgigen Geburtstag
schenken wollte, aber irgendwie konnte sie sich nicht auf ihr kleines Gemälde
konzentrieren.
Irgendwann ertappte sie sich dabei, daß sie eine Person mit goldenem Haar
zeichnete, die ein weißes Kleid trug. Erschrocken riß Hotaru die Augen auf,
knüllte das Papier zusammen und warf es in den Mülleimer. Gewiß, die Zeichnung
war nicht schlecht geworden, aber es war gefährlich, der Leiterin ein solches
Bild zu schenken.
Es war auch heute noch ein schlechtes Zeichen, wenn ein Elternteil in der
Anstalt saß, und es kursierten auch viele Gerüchte, ihr Vater habe beim Tod
ihrer Mutter etwas nachgeholfen.
Aber wieso ging ihr diese Frau aus dem Eiscafé nicht mehr aus dem Sinn? Das
hatte es noch nie gegeben, daß sie eine Zufallsbegegnung so beschäftigte.
Sie litt oft unter Alpträumen, die von solch grausamer Natur waren, daß auch sie
selbst schon ein paar Mal kurz davor gestanden hatte, in psychologische
Behandlung geschickt zu werden. Sie träumte von Dunkelheit, von Brutalität und
Gewalt, und so oft sah sie sich selbst als Ausführer, mit einer langen Sense in
der Hand, eine Sense, wie der Tod sie besaß.
Doch in letzter Zeit hatte sie auch ein Mädchen gesehen, eine Prinzessin von
strahlender Schönheit und großer Macht, und dieses Mädchen bekämpfte das Dunkel
mit Licht und war stark, so stark. Und sie selbst setzte die Kraft ihrer Sense
ein, aber nicht, um zu zerstören, sondern um der Prinzessin zu helfen.
War Bunny diese Prinzessin?
Hotaru runzelte die Stirn. Dieses komische Mädchen, diese Doofnuss, die noch
nicht einmal ansatzweise den Problemen der Mathematik Herr wurde?
Vielleicht brauchte man als Prinzessin keine Mathematik. Ja, Bunny war diese
Prinzessin.
Und sie selbst würde eines Tages erwachen, um die Welt vor der Vernichtung zu
bewahren und die Prinzessin zu schützen. Sie war zur Kriegerin berufen worden.
Warum sie? Sie war doch noch so jung!
So sehr das schwarzhaarige Mädchen auch suchte, sie fand keine Antwort. Aber
eigentlich war es ihr auch egal, warum sie dazu erwählt war, der Prinzessin zur
Seite zu stehen. Denn sie liebte ihre Prinzessin, und mochten ihre Gedankengänge
auch etwas seltsam anmuten, sie führten immer zum Ziel.

Gemütlich schlenderte das schwarzhaarige Mädchen die Straße hinunter und pfiff
dabei eine kleine Melodie. Es war ein so schöner Tag, und sie wollte ihn sich
nicht dadurch vermiesen lassen, daß sie wieder einmal unter Alpträumen gelitten
hatte. Aber das war für sie nichts neues mehr.
Als seherisches Mädchen hatte man nun einmal damit zu kämpfen, und sie war ja
schließlich nicht umsonst Shinto-Priesterin, so daß sie noch herausfinden würde,
was ihr Traum zu bedeuten hatte.
Aber jetzt würde sie der Traum nicht belasten. Dazu hatte sie zu gute Laune. Und
irgendwie hatte sie heute Morgen, als sie wieder einmal schreiend aufgewacht
war, das untrügliche Gefühl gehabt, daß irgend etwas passieren würde. Daß sie
heute die Antwort auf ihre Fragen finden würde.
Plötzlich hörte sie einen Aufschrei von der Seite. Sie fuhr herum und sah, wie
ein blondes, langhaariges Mädchen auf sie zustürmte. "Aus dem Weg!!!" schrie das
Mädchen, das scheinbar hinter dem Bus, der ein paar Sekunden vorher an ihr
vorbeigefahren war, hinterherlief.
Das schwarzhaarige Mädchen war zu geschockt, um ausweichen zu können. Mit einem
lauten "Bums" landete sie ziemlich unsanft auf ihrem Hintern, als das andere
Mädchen gegen sie stieß und sie mit zu Boden riß.
"Kannst du nicht aufpassen?!" brauste das schwarzhaarige Mädchen auf. "Geh etwas
früher los, dann brauchst du dem Bus nicht hinterherzurennen!"
"Ich habe dich gewarnt", versuchte sich das andere Mädchen zu verteidigen. "Das
finde ich echt fies, daß du mich gleich so anbrüllst. Du kennst mich doch
überhaupt nicht."
"Ja, und? Das..." Das schwarzhaarige Mädchen stockte. Die Sonne schien von
hinten gegen das blonde Mädchen und ließ deren Haar in einem goldenen Glanz
erscheinen. "Das Mädchen", flüsterte sie fasziniert. "Das Mädchen." Ihr Blick
war völlig abwesend, als sie vorsichtig eine Haarsträhne des Mädchens ergriff
und sie gegen die Sonne hielt. "Ja, es ist wahr", stellte sie schließlich
verblüfft fest. "Du bist es."
Das blonde Mädchen runzelte die Stirn. "Bist du irgendwie auf den Kopf gefallen
oder so?"
Schlagartig kehrte die Normalität in den Blick des Mädchens zurück. "Ach, wie
unhöflich von mir. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Rei. Rei Hino."
"Bunny Tsukino", erwiderte das blonde Mädchen.
"Bunny..." Rei dachte nach. "Komisch. Ich habe das Gefühl, dich zu kennen. Aber
der Name sagt mir nichts." Sie erhob sich. "Na, wie auch immer. Hat mich
gefreut, dich kennenzulernen. Wir sehen uns wieder."
"Glaubst du?" Bunny schien daran zu zweifeln. "Tokyo ist groß."
"Wir sehen uns mit Sicherheit wieder." Rei lächelte. "Komm doch mal zum
Hikawa-Tempel. Ich lebe und arbeite dort. Bis dann."
Rei winkte ihr noch zu, dann verschwand sie in einer Seitenstraße. Bunny sah ihr
hinterher. Für einen kurzen Moment malte das Sonnenlicht einen roten Schein um
die Silhouette des schwarzhaarigen Mädchens. Dann verschwand dieser Eindruck
wieder.
Bunny kratzte sich am Kopf. "Hikawa-Tempel. Seltsam. Höre ich zum ersten Mal.
Kommt mir aber bekannt vor." Sie zuckte mit den Schultern. "Egal."
In diesem Moment brauste ein weiterer Bus an ihr vorbei.
"Der Bus!!!" schrie Bunny auf und rannte die Straße hinunter in der Hoffnung,
den Bus einzuholen, bevor er die nächste Haltestelle wieder verließe.

Rei stand vor dem Hikawa-Tempel. Auf den Besen, mit dem sie eigentlich den
Tempelvorhof hatte fegen wollen bzw. sollen, gestützt blickte sie nachdenklich
in den Himmel hinauf. Seit der stürmischen Begegnung mit diesem blonden Mädchen
war sie in einer seltsam melancholischen Phase, die nur selten bei ihr zu
beobachten war.
Es war das Mädchen gewesen, daß ihr immer in ihren Träumen erschienen war. Mit
dem langen, goldenen Haar, dem weißen Kleid und den strahlend blauen Augen. Mit
diesem unglaublich traurigen, aber dennoch so wunderschönen Gesichtsausdruck, so
voller Zärtlichkeit und Liebe zu den Menschen.
Ja, dieses Mädchen liebte die Welt. Alles auf ihr. Und Rei wußte, daß sie in dem
Leben dieses Mädchens irgendeine besondere Rolle spielte. Sie wußte nicht,
welche es war. Sie wußte nur, daß es eine gab. Und daß es nicht mehr lange
dauern würde, bis sie erfuhr, was ihre Rolle war.
War es die einer Kriegerin? Sie träumte oft von sich selber, ein schwarzes Licht
hüllte sie ein, fügte ihr Schmerzen zu, war brutal und kalt, und sie selber
kämpfte dagegen an, kämpfte für die Welt, für das Mädchen. Sie war zur Kriegerin
geboren, zu einer Kriegerin für die Gerechtigkeit, das erkannte sie.
Immer war es das goldhaarige Mädchen gewesen, das als letzte stand. Sie hatte
noch viele andere Krieger gesehen, aber keiner war dabei, der nicht zu Boden
ging. Sie alle waren zu schwach. Aber das Mädchen, die Prinzessin, ja, sie war
sicher eine Prinzessin, sie war standhaft, sie war stark, sie hielt durch, sie
kämpfte auf eine so subtile, so sanfte Art und Weise, daß keiner sie bezwingen
konnte.
Rei dachte an das helle, warme Licht, das von diesem Mädchen ausging - sowohl in
ihren Träumen als auch bei ihrer Begegnung auf der Straße. Es war, als wäre
dieses so unschuldige Mädchen eine Göttin. Ja, sie war sicher eine Göttin. Sie
war alles, Prinzessin, Königin, Göttin, Kriegerin, Erdenbürgerin. Sie war die
Vielgestalt und doch nur sie selbst. Und Rei wußte, daß es ihr vorherbestimmt
war, mit diesem Mädchen das Los des Lebens zu teilen, daß sie etwas verband,
etwas, das noch über eine Freundschaft hinausging. Sie waren Gleichgesinnte,
Genossen, Krieger derselben Art, sie verband eine zarte Liebe. Es war nicht die
Liebe eines Mannes zu einer Frau. Es war die Liebe zu allen Menschen.
Rei nickte. Ja, sie liebte dieses Mädchen aus ihrem tiefsten Herzen. Anders, als
sie je einen Mann lieben würde. Sie liebte diese Welt, sie liebte den Himmel und
das Meer, die Sonne und die Erde, und sie liebte die Prinzessin, die über all
dies herrschte.
Energisch fegte Rei ein paar Blätter vom Tempelvorhof weg. Wenn es ihr Schicksal
war, zu kämpfen, dann war es eben so. Sie würde sich nicht dagegen wehren. Dazu
liebte sie Bunny viel zu sehr.

Eine leise Stimme führte sie alle zusammen. Mitten in der Nacht trafen sie sich
im Zentrum der Stadt, auf einem großen Platz. War es Zufall, daß sie alle einen
anderen Zugang zu dem Platz verwendeten? War es wirklich Zufall, daß sie alle im
gleichen Abstand voneinander stehen blieben, so daß sie einen gleichmäßigen Ring
um Bunny bildeten, die in der Mitte, und zwar genau in der Mitte stand?
Bunny senkte den Blick. Nein, das war sicher kein Zufall. Sie schwieg eine
Weile, dann sah sie auf und blickte im Kreis umher. Da war Ami, die ein Buch
unter den Arm geklemmt hielt. Rei, die noch ihre Tempelkleidung trug. Makoto,
deren Gesicht von einem wildgewordenen Mixer und Erdbeermatsch verschmutzt
worden war. Minako, die die Fernbedienung ihres Fernsehers in der Hand hielt.
Haruka, deren Haar wild in alle Richtungen abstand, weil sie es noch nicht
getrocknet hatte, nachdem sie geduscht hatte. Michiru, die einen mit Farbe
beklecksten Malerkittel trug. Setsuna, die zwei Stecknadeln zwischen die Lippen
geschoben hatte. Und Hotaru, die bereits im Schlafanzug erschienen war.
Sie hatten alles stehen und liegen gelassen, als sie Bunnys Stimme vernommen
hatten.
Und Bunny selbst? Sie hatte es gespürt. Sie hatte diese unheimliche Macht
gespürt, und sie hatte ihre Kriegerinnen gerufen. Dann war sie hierher gekommen,
um auf die acht Frauen zu warten.
Hotaru sah Bunny an. Sie sah plötzlich viel älter aus als im Eiscafé, stellte
das blonde Mädchen mit Erstaunen fest. "Warum hast du uns herkommen lassen?"
fragte sie mit einer Stimme, die nicht so wirkte, als wäre sie einem
zehnjährigen Mädchen eigen.
Bunny lächelte. "Niemand zwingt dich, hierzubleiben", sagte sie sanft.
"Ist es schon soweit?" flüsterte Hotaru. "Ist die Zeit meines Erwachens
gekommen?"
Das goldhaarige Mädchen nickte. "Es tut mir leid, Saturn. Ich wollte es dir so
gerne ermöglichen, normal zu wachsen, jeden Tag zu erleben, wie alle Kinder
deines Alters es tun."
"Wirst du uns alle zu Kriegern machen?" fragte Minako zögerlich.
Bunny drehte sich zu ihr um. "Wenn einer nicht kämpfen möchte, dann kann ich das
verstehen. Dann kann er gehen, und keiner wir ihn deswegen verurteilen. Aber
wenn er einmal als Krieger erwacht ist, dann gibt es für ihn kein Zurück mehr.
Für keinen von euch, und auch für mich nicht. Ihr müßt euch jetzt entscheiden.
Wählet mit Sorgfalt, aber wählet."
Eine kurze Zeit des Schweigens verging. Dann sah Bunny wieder im Kreis umher.
"Wollt ihr also alle bei mir bleiben und mir helfen, dieses Unheil abzuwenden?"
vergewisserte sie sich mit zittriger Stimme. "So sei es denn. Empfanget die
Macht der Krieger." Sie hob die Hände und beschwor eine Lichtkugel. Das Licht
verdichtete sich zwischen ihren zarten Fingern und erstrahlte dann in einem
achtzackigen Stern zu den Kriegerinnen hin. Diese streckten ihre Hände dem Licht
entgegen und tauchten in die Macht der Prinzessin ein. Sie schlossen die Augen
und preßten die Arme überkreuzt vor die Brust, um die Kraft zu verinnerlichen.
Als sie die Augenlider wieder hoben, waren sie verwandelt. Und in der Mitte
ihres Kreises stand Prinzessin Serenity, die in nie enden wollender Schönheit
erstrahlte. In ihren Händen hielt sie den Silberkristall, dessen Schein
ausreichte, um den ganzen Platz zu erhellen. Keine Sonne, kein Stern hätte je so
hell leuchten können wie diese machvolle Verbindung zwischen dem Kristall, der
Prinzessin und ihren Kriegerinnen. Doch war dieses Licht auch ebenso mächtig wie
hell?
Venus war die erste, die sprach. "Wo ist nun das Dunkel, das wir alle gesehen
haben?"
"Es ist überall", antwortete Serenity. "Es ist unter uns, es ist unter den
Menschen. Aber es wird vom Himmel kommen, wenn es seinen alles vernichtenden
Schlag ausführen will. Und dieser Augenblick ist nicht mehr weit entfernt."
Pluto sah zu Boden. "Es ist sehr mächtig. Wir werden all unsere Kraft brauchen,
um es zurückzudrängen, dorthin, wo es hergekommen ist."
"Wo kam es her?" fragte Jupiter. "Und wie konnte es sich auf der Erde
breitmachen, ohne, daß wir vorher wiedererweckt wurden?"
Serenity lächelte ihr geheimnisvolles Lächeln, jenes Lächeln, das die Prinzessin
auszeichnete, die Prinzessin, die sehr wohl wußte, warum etwas geschah, die sich
dieses Wissen aber nie anmerken ließ und es nur selten kundtat. "So etwas
geschieht manchmal, Jupiter. Das ist der Lauf des Lebens."
"Können wir nicht jetzt dorthin gehen, wo es ist und es dort bekämpfen, ohne daß
wir das Leben vieler Tausender Menschen auf der Erde riskieren müssen?" warf
Uranus ein und verschränkte die Arme. "Sie sollen nicht in diesen Kampf
hineingezogen werden."
"Wir wissen nicht, wo es ist", erwiderte die Prinzessin schlicht.
"Aber..."
"Schweig, Uranus. Wir wissen nicht, wo es ist."
Stille breitete sich aus. Es war eine fast ehrfürchtige Stille, denn sie wurde
begleitet von dem warmen, hellen Leuchten der Prinzessin, das noch immer nichts
von seiner Kraft eingebüßt hatte. Fast waren die Kriegerinnen geneigt, die Augen
zu schließen und in dieses Licht einzugehen, denn es schenkte ihnen eine
Verheißung dessen, was im Reich der Prinzessin die Worte "Frieden" und "Glück"
wirklich bedeuteten: Erfüllung aller Träume und Wünsche, Leben im Einklang mit
allen Lebewesen auf der Erde und Abschied von jeglichem Haß und Neid unter den
Menschen. Doch sie widerstanden der Versuchung; noch war die Zeit des
Silberjahrtausends nicht gekommen, noch war die Menschheit nicht soweit.
So bildeten sie weiter diesen magischen Kreis, dieses Oktagramm, in dessen Mitte
die stärkste Kraft von allen ihren Platz hatte. Fast reglos standen sie da, in
Erwartung dessen, was ihnen prophezeit war.
Und dann wurde der Sturm entfacht.

Es ging viel zu schnell, als daß eine der neun Frauen mitbekommen hätte, was
geschehen war. Plötzlich war sie da, die Dunkelheit, und sie verschlang selbst
das Licht des Silberkristalls.
Die Kriegerinnen handelten schnell; binnen Sekunden hatten sie den magischen
Schild ihrer vereinten Kräfte errichtet und drängten das Dunkel wenigstens um
Bruchteile von Zentimetern zurück. Doch noch immer bedrohte es die Prinzessin,
noch immer lag ein Schatten auf der Macht des Kristalls.
Die Prinzessin barg den Kristall vor ihrer Brust und schützte ihn mit ihren
hellen Händen. Sie sprach ein stummes Gebet für die Welt und flehte ihre Mutter
um Beistand in diesem schwersten aller Kämpfe an.
Oh ja, sie wußte, woher dieses Dunkel kam. Es hatte sich nicht auf die Erde
geschlichen, nein, es war aus der Erde selbst erwachsen. Es war das Böse, das
auf dieser Erde lebte genau wie das Gute. Auch dieses Böse hatte seine
Daseinsberechtigung; es mußte sogar existieren, damit es überhaupt einen
Gegensatz zwischen Gut und Böse gab. Doch immer waren diese Kräfte ausgeglichen
gewesen. Bis jetzt.
Serenity wußte, daß es die Schuld der Menschen selbst war, daß das Böse
gewachsen war. Die Menschen hatten ihren eigenen Untergang herauf beschworen.
Und dennoch wollte sie ihnen helfen. Dennoch wollte sie sie retten. Sie wußte,
daß sie das Leben der Kriegerinnen aufs Spiel setzte. Doch wenn das Böse
überhand nahm, würden auch sie sterben. Sie selbst würde keine Gelegenheit
bekommen, vorher ein Reich aufzubauen, das eine Zuflucht für die guten Menschen
auf der Erde bieten würde.
In Gedanken bat die Prinzessin ihre tapferen Kriegerinnen um Verzeihung, daß sie
sie so belogen und in Gefahr begeben hatte. Doch es blieb ihr keine andere Wahl.
Wer hatte je gesagt, daß die Entscheidungen einer Prinzessin dieser immer leicht
fielen? Das war eine glatte Lüge. Eine aalglatte Lüge sogar.
Serenity hob den Blick und murmelte eine Beschwörungsformel. Ein Licht umspielte
ihren Körper in gleißenden Spiralen und raste dann wie ein Pfeil, der von der
Sehne gelassen wurde, auf die Dunkelheit zu. Er traf das Böse genau im Zentrum.
Ein gellender, stummer Schrei war zu hören, als Licht auf Dunkel prallte. Das
Licht kämpfte gegen das Dunkel an...
...und wurde von diesem verschluckt.
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachtete Serenity, wie das Licht
verschwand, wie es einfach erlosch, ohne eine erkennbare, das Dunkel schwächende
Wirkung erzielt zu haben. Statt dessen breitete sich die Dunkelheit weiter aus,
als habe sie sich von der Macht, die in diesem Licht verborgen lag, ernährt und
gestärkt.
Dann durchbrach das Dunkel den Schutzschild der Kriegerinnen. Die acht Frauen
sanken zu Boden. Vereinzelt versuchten sie noch, mit der Macht ihrer Planeten
die Prinzessin zu beschützen, doch dem ungeheuren Druck des Bösen konnten sie
nicht standhalten.
Die Dunkelheit raste auf sie hernieder und tauchte sie in schwarzes Feuer.
Serenity konnte hören, wie einige von ihnen aufschrieen vor Schmerz, und
schemenhaft erkannte sie, wie eine der Kriegerinnen in Flammen stand und
verzweifelt versuchte, das Feuer zu löschen. Auch sie selbst war durch die
Druckwelle zu Boden geschleudert worden, doch nun erhob sie sich und befreite
den Silberkristall aus seinem Versteck. Eine kleine Träne rann ihre Wange herab,
als sie die Kraft des Kristalls freisetzte und sich einen erbitterten Kampf mit
dem Bösen lieferte. Das Böse bäumte sich auf, ging mit aller Macht gegen die
Prinzessin vor, entfachte Feuer und schleuderte Blitze. Obwohl das Dunkel der
Prinzessin immer wieder Verletzungen zufügte, gewann Serenity doch langsam die
Oberhand und drängte ihren Gegner zurück.
Dann plötzlich verschwand das Dunkel, und zurück blieb nur die Schwärze der
Nacht.

Entkräftet fiel Serenity auf die Knie. Noch kurze Zeit schwebte der
Silberkristall zwischen ihren Händen, dann verschwand er wieder im Inneren der
Prinzessin. Heftig keuchte sie; der Kampf hatte ihr viel abgefordert. Sie preßte
sich eine Hand gegen die Schläfe. Irgend etwas stimmte nicht. Irgend etwas war
nicht in Ordnung. Aber sie hatte doch das Böse besiegt? Sie hatte es doch in
seine dunklen Höhlen zurückgedrängt. Oder etwa nicht?
Sie blickte zum Himmel empor. Er war schwarz, doch er war nicht bedrohlich. Er
war nicht das Dunkel. Er war lediglich nicht erhellt. Nicht einmal die Sterne
waren zu sehen.
Nicht einmal die Sterne?
Auf einmal verstand sie. Langsam erhob sie sich, und als sie gerade wieder, wenn
auch etwas wackelig, auf beiden Beinen stand, brach die Hölle um sie herum los.

Die Welt stand in Flammen. Überall brannte das schwarze Feuer, geschickt vom
Bösen.
Serenity zitterte am ganzen Leib. Es hatte sich zurückgezogen. Es hatte sich am
Himmel verschanzt, um dann mit aller Macht zuzuschlagen. Es hatte sich als
leichter Schatten über die Sterne gelegt, so leicht, daß man es ohne weiteres
für Bewölkung halten konnte.
Und sie war darauf reingefallen. In Gedanken verfluchte die Prinzessin sich
selbst für diese Dummheit. Wie hatte sie nur glauben können, das Dunkel sei
bereits vernichtet? Wie hatte sie sich und die Welt nur einen Moment in
Sicherheit wiegen können? So leicht ließ sich das Böse nicht besiegen, so leicht
nicht.
Sie spürte, wie eine Flammenlanze an ihr vorbei raste und ihr eine Verbrennung
am Oberarm zufügte. Sie regte sich nicht. Egal, wo sie auch hinsehen mochte, sie
würde überall das gleiche Bild sehen: Das dunkle Feuer, verbrennende Häuser,
sterbende Menschen, vernichtetes Leben.
Die Prinzessin schlang die Arme um den Körper. War es um sie herum auch so heiß,
daß sie kaum mehr atmen konnte, in ihrem Inneren war es eisig kalt. Sie hatte
versagt, sie hatte die Erde nicht beschützen können.
Es war zu mächtig. Die Menschen hatten ihm zuviel Macht gegeben.
Selbst die Macht des Silberkristalls hatte dem Dunkel nichts entgegenzusetzen
gehabt. Was sollte es dann können? Nichts, dachte Serenity verbittert. Rein gar
nichts.
Die Kriegerinnen beobachteten ihre Prinzessin mit wachsender Verwunderung. Warum
tat sie nichts gegen die Zerstörung? Hatte sie aufgegeben? Hatte sie ihre ganze
Kraft verbraucht?
Serenity spürte die Blicke auf ihrem Körper. Einen kurzen Moment sah sie zu den
Frauen herüber, dann wandte sie schnell die Augen ab. Sie konnte es nicht
ertragen, ja, sie wußte doch selbst, daß sie versagt hatte. Am liebsten wäre sie
aufgesprungen und hätte sie angeschrieen, hört auf, hört auf mich so anzusehen,
ich ertrage es nicht, aber sie tat es nicht. Statt dessen begann sie plötzlich
zu weinen. Sie wußte nicht, warum. Es kam aus ihr hervor, es wollte nach
draußen. Ihre ganze Wut, ihre Verzweiflung, ihre Hilflosigkeit spülte sie mit
den Tränen aus ihrem Inneren heraus. Ihre Schultern bebten, und wieder sank sie
zu Boden.

Als die Prinzessin in Tränen ausbrach, wandelte sich die Verwunderung der
Kriegerinnen schlagartig in Mitleid, aber auch in Furcht. War es wirklich zu
spät? Konnte sie wirklich rein gar nichts mehr tun, um das Unheil abzuwenden?
Hatte sie zu wenig Macht? Oder mangelte es ihr an Selbstbewußtsein?
Solche oder ähnliche Fragen geisterten auch in Uranus' Kopf herum, als sie sich
jetzt schwankend auf die Beine erhob. Ihr linker Fuß war von einem
aufgewirbelten Stein zersplittert worden und schmerzte höllisch, als sie
auftrat. Sie biß die Zähne zusammen und humpelte zu ihrer Prinzessin hin. Nur
noch wenige Meter trennten sie, als Serenity sich langsam zu ihr umdrehte und
ebenfalls aufstand.
Kurz blieb Uranus stehen, dann tat sie auch noch die letzten Schritte, bis sie
direkt vor der goldhaarigen Prinzessin stand. Unter Schmerzen brachte sie ein
Lächeln zustande. Ein zärtliches Lächeln, das nichts von der Zerstörung verriet,
die um sie herum vor sich ging. Einen Augenblick lang sahen sie sich einfach nur
an, schweigend, verbunden in der Sorge um die Welt.
Dann beugte sich Uranus vor und küßte Serenity auf den Mund. "Ich liebe dich,
Bunny", flüsterte sie und trat zur Seite. Sie senkte den Kopf und kniete vor der
Prinzessin nieder, wie es sich für einen Untertan gehörte.
Die anderen Kriegerinnen hatten die Szene aus der Entfernung beobachtet. Als
erste verstand Venus, was vor sich gegangen war, und was Uranus mit dieser Tat
bezweckt hatte. Sie preßte ihre Hand gegen die rechte Schulter, die beim harten
Aufprall auf den Boden höchstwahrscheinlich gebrochen worden war und machte sich
ebenfalls auf den Weg zu Serenity. Als sie vor ihr stand, neigte sie den Kopf
kurz, wie um ihre Prinzessin zu grüßen. "Bunny, ich liebe dich", sagte sie leise
und küßte Serenity zärtlich.
Jetzt folgten auch die anderen Kriegerinnen dem Beispiel der beiden blonden
Kämpferinnen. Pluto, deren Atem pfeifend ging, weil eine angeknackste Rippe auf
ihre Lunge drückte, war die nächste. "Ich liebe dich", sagte sie, bevor sie mit
ihren Lippen die Serenitys berührte.
Jupiter befleckte die Prinzessin mit ihrem Blut, denn ein Splitter hatte ihre
Unterlippe gespalten. Sie ignorierte die Schmerzen und küßte das goldhaarige
Mädchen vorsichtig. Anschließend schwor auch sie ihre Liebe zu der Prinzessin.
"Bunny, meine Prinzessin, ich liebe dich", sagte auch Saturn, die tiefe
Schnittwunden an den Armen erlitten hatte und stellte sich auf die Zehenspitzen,
um Serenitys Lippen zu erreichen.
Mars lächelte leicht und blinzelte mit dem unversehrten Auge; das andere war
dick angeschwollen und von der geplatzten Augenbraue mit Blut bespritzt worden.
"Ich liebe dich auch", flüsterte sie und küßte die Prinzessin.
Neptuns Gesicht wies mittelschwere Verbrennungen auf, und auch der Rest des
Körpers war von den Flammen nicht verschont geblieben. Sie deutete den Kuß mehr
an, und auch ihre Stimme war kaum zu vernehmen, als sie ihre Liebe zu Serenity
eingestand, da ihr jede Mundbewegung schmerzte.
Die letzte war Merkur. Sie schien äußerlich relativ unverletzt, abgesehen von
den leichten Wunden und Prellungen, die jede der Kriegerinnen am Körper trug.
Als sie jedoch den Mund öffnete, sickerte Blut hervor; sie hatte innere
Verletzungen davongetragen. Sie zögerte am längsten, doch dann küßte auch sie
die Prinzessin auf die Lippen und sagte: "Ich liebe dich, Bunny, ich liebe
dich."
Serenity schloß die Augen und spürte, wie die Macht der Kriegerinnen in ihrem
Körper zu fließen begann. Eine nie zuvor gespürte Wärme stieg in ihr auf und
ließ sie all ihre Kraft, die verschwunden schien, wiedererlangen.
Die Kriegerinnen vertrauten ihr, sie setzten all ihre Hoffnung auf sie. Sie
durfte sie nicht enttäuschen.
Wieder kreuzte Serenity die Arme vor der Brust. Meine Kriegerinnen, ich liebe
euch auch, dachte sie so intensiv, wie es ihr nur möglich war und konzentrierte
ihre Macht auf den Kristall, der in ihrem Inneren verborgen lag. Sie mußte ihn
ein zweites Mal freisetzen, und wenn es sie das Leben kosten würde, es war ihr
egal. Sie mußte das Leben der Kriegerinnen retten, das Leben ihrer Familie, das
Leben aller Menschen, aller Tiere und Pflanzen, das Leben des gesamten Erdballes
lag nun in ihren Händen.
"Für Luna", flüsterte sie, als sie nun die Hände hob und sich der Silberkristall
materialisierte. "Für dich, meine kleine, süße Luna."
Die Kriegerinnen hatten wieder einen Kreis um sie gebildet. Sie alle knieten auf
dem zerklüfteten Boden, die meisten von ihnen trotz unmenschlicher Schmerzen,
und streckten der Prinzessin die Handflächen entgegen. Mit dem letzten Rest der
Macht, die noch in ihren müden Gliedern enthalten war, errichteten sie einen
strahlenden Schild um die Prinzessin, in dessen Schutz sie nun langsam nach oben
schwebte.
Als sie nun die Grenze des Schildes erreicht hatte, führte sie den Kristall über
ihren Kopf. Im selben Moment entfalteten sich zwei strahlende, weiße Flügel auf
ihrem Rücken und verliehen ihr das Aussehen eines Engels.
Ein gleißendes Licht bildete sich um Serenity und ließ den Erdboden unter ihr in
neuem Glanz erstrahlen. Noch hatte sie die Augen geschlossen, doch dann öffnete
sie sie, und gleichzeitig hob sie den Kopf gen Himmel.
Das Böse schwebte dort noch immer, und als es Serenitys Anwesenheit spürte,
wandte es der Prinzessin sein dämonisches Auge zu. Es musterte die Engelsgestalt
des goldhaarigen Mädchens und den Schutzschild, der mit den letzten
Kraftreserven der Himmelskriegerinnen aufrecht gehalten wurde, spöttisch, und
dann begann es zu lachen. Sein teuflisches Lachen erfüllte den ganzen Himmel und
die Erde. Es machte sich nicht einmal die Mühe, genau zu zielen, als es den
nächsten Angriff startete.

Das Böse traf Serenity mit voller Macht. Schon wollte sie zu Boden stürzen, als
die Flügel von selber begannen, zu schlagen und sie in den Lüften hielten. Das
Böse grunzte anerkennend und schoß einen dunklen Flammenstrahl auf die
Prinzessin, die bisher keine Anstalten machte, selber in die Offensive zu
gehen.
Dann, im letzten Moment, bevor die Flammen ihr goldenes Haar erreichten, bewegte
sie die Finger rasch, so rasch, daß es für das menschliche Auge kaum
nachvollziehbar war, und der Strahl wurde abgelenkt, prallte von dem Schild ab
und raste auf das Dunkel selbst zurück.
Eine weitere Handbewegung Serenitys genügte, um eine helle Lichtkugel gegen das
Böse zu richten. Noch zu verwirrt über den Mißerfolg der letzten Attacke war ihr
Gegner dem Licht hilflos ausgesetzt und heulte vor Schmerz auf.
Die Prinzessin triumphierte innerlich, doch sie war weit davon entfernt,
übermütig zu werden. Immer schneller bewegten sich ihre Finger, und immer
schneller schoß das Licht auf das Böse zu und verletzte es schwer. Bald zeigten
sich erste Löcher in der schwarzen Decke am Himmel, und vereinzelt glaubte
Serenity bereits die Sterne durchschimmern zu sehen.
Das Böse streckte seine gewaltigen Arme aus und bereitete sich auf seinen
mächtigsten Angriff vor. Die Prinzessin bemerkte die Anstrengungen ihres Feindes
und konzentrierte ihrerseits ihre ganze Macht auf den Silberkristall. Sie würde
seine ganze Macht entfesseln, selbst wenn es sie das Leben kostete.
Fast gleichzeitig zauberten sie beide den letzten Trumpf aus ihren Ärmeln hervor
und richteten ihn gegen ihren Gegner. Licht und Dunkel prallten ein weiteres Mal
aufeinander und rangen verbissen um die Vormachtstellung. Serenity spürte, wie
ihre Muskeln langsam erschlafften; eine solche Spannung war ihr Körper nicht
gewohnt. Sie preßte die Lippen aufeinander. Sie durfte nicht aufgeben. Die
Kriegerinnen vertrauten ihr. Sie durfte ihr Vertrauen nicht mißbrauchen oder
enttäuschen.
Einer von ihnen würde unterliegen, aber wer auch immer es war, es würde ein
knapper Sieg für ihn sein. Sie waren beide gleich stark; Sieger wurde nur der,
der die bessere Ausdauer hatte.
Das Dunkel zog die Arme kurz zurück und schleuderte seine Macht noch einmal mit
viel Schwung auf die Prinzessin. Diese jedoch hob den Blick und sah ihren Gegner
durchdringend an.
Und da schrak das Böse zurück. Solche Augen hatte es noch nie gesehen. Sie waren
von einer unglaublichen Schönheit, von einem solch klaren Blau, wie es der
Himmel an besonders schönen Tagen besaß, und doch waren sie unerbittlich, wenn
es darum ging, das zu verteidigen, was ihre Trägerin liebte.
Die Prinzessin schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn jetzt lächelte sie
wie jemand, der genau wußte, was sein Gegenüber dachte und auch, wo seine
Schwachpunkte waren.
Es schien Serenity, als würden all ihre Wünsche, all ihre Hoffnungen und Träume
in ihre Hände wandern und von dort in den Silberkristall fließen. Der Kristall
erstrahlte in einem Licht, das sie nie zuvor bei ihm gesehen hatte, warm,
liebevoll, aber stark und mächtig und vor allem gewillt, die Dunkelheit ein für
alle Mal aus dieser Welt zu verbannen.
Das Böse schnaufte entsetzt, als es dieses Licht erblickte, das dort auf ihn
wartete. Ja, es wartete. Noch setzte es sich zur Wehr, noch hielt es seinen
eigenen Schild aufrecht, doch dann brach es zusammen.
Das war der Moment, in dem sich das Licht vom Kristall trennte.
Und plötzlich war alles vorbei. Mit einem lauten, gellenden Schrei löste sich
das Böse auf und hinterließ den dunklen Himmel, an dem wie kleine Perlen die
Sterne funkelten.

Als Serenity zu Boden stürzte, erkannte sie, warum man sagte, daß derjenige, der
die gesamte Macht des Silberkristalls freisetzte, anschließend starb. Es war
nicht so, daß der Kristall die Kraft und die Substanz des Körpers, der ihn
verwendete, aufsog und verschlang. Nein, so war es nicht. Sie hatte gespürt, wie
ihre Wünsche, Hoffnungen und Träume in den Silberkristall übergetreten waren.
Sie hatte sie nicht zurückerhalten.
Nicht der Körper starb durch den Einsatz des Kristalls, die Gedanken waren es.
Ein Mensch konnte ohne Wünsche, Hoffnungen und Träume nicht existieren. Der
Kristall absorbierte und synthetisierte sie, aber er gab sie nicht zurück. Er
fraß das, was den Menschen vom Tier trennte und ließ nichts als eine leere Hülle
zurück.
Serenity lächelte. Sie wußte, daß sie bereits tot sein würde, wenn sie auf dem
Boden aufprallte. Sie wußte es, und dennoch lächelte sie. Denn sie bereute
nichts. Und am Allerwenigsten, den Silberkristall eingesetzt zu haben.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Dann erscheint ein helles Licht. Es kann das Geschehene nicht rückgängig machen,
aber es erlaubt Bunny, eine neue Zukunft zu ermöglichen.
Ohne zu zögern, ergreift Bunny diesen rettenden Strohhalm. Sie klammert sich
daran, wohl wissend, daß er zwar das Leben für die anderen, aber den Tod für
sich selbst bedeuten wird, und hebt sich zu den Sternen empor.
Auf weißen Schwingen geht sie dem schwarzen Licht entgegen und sieht ihm direkt
in das Gesicht. Keiner kann ihrem Blick standhalten, keiner.
Sie wird siegen. Da ist sie sich sicher.

Die große, grünhaarige Frau sah ungeduldig auf die Uhr. Sie wartete jetzt
bereits seit einer Viertelstunde auf den Bus, der sie in die Innenstadt bringen
sollte. Heftig, aber fast geräuschlos atmete sie ein und aus, um sich selbst zu
beruhigen.
Inzwischen hatte sich eine regelrechte Menschentraube an der Bushaltestelle
gebildet. Direkt neben der grünhaarigen Frau stand ein braunhaariges Mädchen,
das wohl zehn Jahre jünger sein mochte, ihr an Größe aber fast gleich kam. Sie
schmierte sich alle fünf Sekunden Labello auf die Lippen, da sie ihr zu spröde
erschienen.
Am Schild, das die Haltestelle weithin sichtbar kennzeichnete, gelehnt wartete
eine blonde Frau, die androgyn wirkte und andauernd unbewußt mit dem linken Fuß
auf den Boden tippte.
Ein anderes Mädchen mit langen, blonden Haaren hüpfte am Rinnstein entlang und
ruderte dabei mit den Armen, wobei ihre rote Haarschleife ständig auf und ab
wippte.
Die beiden Sitzplätze belegte eine sehr elegant wirkende, junge Frau mit grünen,
leicht gewellten Haaren. Sie hatte einen Geigenkasten auf den Platz neben ihr
gelegt und besah sich gerade im Spiegel. Mit etwas Puder kaschierte sie einen
fast mikroskopisch kleinen Pickel ihrer sonst makellosen Haut.
Ein sehr ernst aussehendes Mädchen mit blauem Haar, das in ein Schulbuch
vertieft dastand, murmelte leise die Formeln, die sie auswendig lernte.
Auf dem Rinnstein selber saß ein kleines Mädchen mit schulterlangem schwarzen
Haar. Sie hatte ihre dünne Jacke vor sich abgelegt und malte mit einem
Kugelschreiber auf der hellen Haut ihrer nackten Arme. Bemerkenswerterweise
hatte sie nicht einmal einen Kratzer, was für dieses Alter - sie mochte
vielleicht acht Jahre sein - doch recht erstaunlich war.
Schließlich war da noch ein anderes schwarzhaariges Mädchen, das die Kleidung
eines shintoistischen Tempels trug. Sie warf einen Blick in einen Rückspiegel
eines der geparkten Autos und strich sich mit einem angefeuchteten Finger die
symmetrischen Augenbrauen nach, die ihre markanten Augen noch betonten.
Keine der acht Wartenden hatte sich zuvor getroffen; auch hatten sie keine
gemeinsamen Bekannten. Und doch sahen sie plötzlich alle gleichzeitig auf, als
auf der anderen Straßenseite ein Mädchen vorbeiging.
Es war ein noch junges Mädchen. Ihr langes, goldenes Haar war zu zwei Zöpfen
zusammengebunden, die ähnlich wie Hasenohren oben auf dem Kopf begannen. Sie
trug ein schlichtes, weißes Sommerkleid und helle Sandalen. Als sie die Blicke
der Frauen bemerkte, blieb sie kurz stehen und sah zu der Haltestelle herüber.
Im Gegenlicht der Sonne, so schien es den acht Frauen, bildeten sich zwei große,
mächtige Flügel um den zarten Körper des Mädchens.
Mit ausdruckslosem, aber doch engelhaftem Gesicht wandte sich das Mädchen wieder
ab und ging entschlossen an der Haltestelle vorbei.


Ich sah dich dorten stehen
Mit Haaren wie von Gold
Ich hört' ein leises Flehen
Dem ich begegnen wollt'

Ich wollte zu dir gehen
Warum nur tat ich's nicht?
Von nahem wollt' ich sehen
Dein Augen wie von Licht

Ich sah zu dir herüber
Doch dir war's einerlei
Da warst du schon vorüber -
Ein Engel ging vorbei

E N D E