AN: Vielen Dank fürs Reinlesen! Ein kleines Spaßprojekt, wo ich genau das schreiben kann, was ich immer schon schreiben wollte - eine Geschichte mit einem fähigen, sarkastischen Harry. Wie gut das ist, müsst ihr entscheiden, aber ich werde es verdammt gerne schreiben. Noch lieber natürlich mit ein paar Leuten, die mir sagen, wie sie es finden. ;) Das erste Kapitel ist mehr oder weniger eine Zusammenfassung, aber eine ziemlich wichtige. Danach geht's richtig ab. Die meisten Charaktere sind in Character, mit Ausnahme von Harry und ein paar kleinen Überraschungen - auf Professor Quirrell zum Beispiel dürft ihr gespannt sein! Kein Bashing.
HARRY POTTER - EINE ANDERE KINDHEIT
Die Folgen eines Zauberstabs
Halloween 1981, Redaktion des Tagespropheten
Der kleine Käfer flatterte kurz mit den Flügeln, dann setzte er sich auf den mächtigen Schreibtisch der ebenso ausladenden Person, die an ihm saß. Barnabas Cuffe faltete die fleischigen Hände und presste sie zusammen, sodass die Innenflächen weiß wurden. Um seine Hand flog ein gelblicher Notizzettel und stupste ihn sanft an, aber er verscheuchte ihn. Das konnte warten.
„Und?"
Im Bruchteil einer Sekunde wurde aus dem Käfer eine schlanke, blonde Frau mit falschem, haifischartigem Lächeln auf den Lippen und einem äußerst intensiven, fast schon manischen Glimmen in den Augen.
„Es stimmt. Tot, alle beide. Ich habe das Haus gesehen, unschöner Anblick, und natürlich ist es schade." Sie seufzte, vielleicht etwas zu theatralisch, und begann, langsam mit dem Finger über die geriffelte Tischplatte zu streifen. „Harry allerdings … Harry lebt. Und Du-Weißt-Schon-Wer – na ja, ich hab ihn jedenfalls nicht gesehen."
Cuffes Hände begannen, einander durchzukneten. Kimmkorn lächelte und sah ihm in die Augen, als würde sie auf etwas warten.
„Würden Sie die Güte haben, sich die Spannungspausen für die Geduldigeren unter Ihren Kollegen aufzuheben?", fragte er schließlich – seine Finger begannen allmählich zu krampfen, ohne, dass er es wahrnahm - und sie verdrehte kurz die Augen, erzählte dann aber weiter.
„Kurz darauf kam Sirius Black mit einem Motorrad angeflogen, aber der hatte es offenbar sehr eilig, wieder von diesem Ort wegzukommen – verdächtig, wenn Sie mich fragen, ich erkläre mich gerne bereit, dazu-"
„Ich kann mich kaum an die letzte Gelegenheit erinnern, als ich mich in irgendeiner Weise für die Befindlichkeiten von Sirius Black interessiert hätte", sagte Cuffe so freundlich, dass Kimmkorn kurz versucht war, ihre Geschichte fortzusetzen. Ein Blick auf die noch einander quetschenden Hände ihres Chefredakteurs führte dazu, dass sie es bleiben ließ.
„Und jetzt", Rita Kimmkorn räusperte sich, dann lächelte sie wieder, und diesmal war das Lächeln echt, wenngleich es ein wenig zu breit war, um wirklich freundlich zu wirken. „Jetzt wird es pikant."
Cuffe hob die Augenbrauen, als sie nicht weitersprach.
„Der kleine Junge wurde nur wenige Minuten, nachdem ich dort angekommen war, weggebracht – und zwar von Rubeus Hagrid!"
Cuffe schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, und zwei der schwebenden Notizzettel stoben ängstlich davon. „Wusste ich es doch!", zischte er so laut, dass Kimmkorn ihn mit gerunzelter Stirn ansah. Er entknotete seine festen Hände und legte sie auf die von Rita. Dann sah er ihr tief in die Augen.
„Wohin?"
Oktober 1982, Little Whinging
„Ja?"
Barnabas Cuffe sah sich einem Mann gegenüber, der mindestens ebenso korpulent war wie er selbst – ein Umstand, der ihn gleich um einiges sympathischer werden ließ. Seiner Meinung nach waren Menschen mit einer perfekten Figur schlicht und ergreifend anstrengend – ohne, dass er den Finger darauf legen konnte, warum genau er so dachte. Der Mann hatte auffallend wenig Hals, war dafür aber umso reicher mit Gesichtsfarbe beschenkt worden. Er wiederum sah nicht besonders erfreut aus, ihn zu sehen.
„Ich kaufe nichts", setzte der Mann hinzu, und wollte die Tür schon schließen, doch Cuffe unterbrach ihn lächelnd. „Oh, das ist auch gar nicht nötig. Ich möchte vielmehr etwas abholen."
Der Mann vor ihm, entschied er, schien auch geistig eher gemütlich unterwegs zu sein. Mindestens zwei Sekunden stand er da und schien nicht zu wissen, was er jetzt tun sollte. „Ich habe niemanden beauftragt, irgendetwas abzuholen", erwiderte er – Vernon Dursley hieß er, dem Klingelschild nach zu urteilen - in einer Mischung aus Ärger und Irritation.
„Ich komme auch ohne Auftrag – aber ich finde, das sollte man nicht alles an der Haustür besprechen", setzte er hinzu und wies mit einer nicht allzu subtilen Geste in das Innere des Hauses.
Dursley schien kurz zu überlegen, sah dann noch einmal genau seinen Anzug an und seufzte. „Kommen Sie rein", sagte er dann.
Das Erste, was auffiel, waren die Bilder. Der Knirps darauf mochte vielleicht vier Jahre alt sein, vielleicht auch fünf, denn ansonsten hätte er wohl kaum die Zeit gehabt, schon diese Breite zu erreichen. Cuffe verzog das Gesicht. Vielleicht sollte gerade er nicht über Fettleibigkeit urteilen, aber das schien ihm doch etwas extrem zu sein. Hoffentlich war das nicht…
„Ihr Neffe?", fragte er, auf eines der Bilder deutend.
Er hätte vielleicht besser den Mund halten sollen. Sofort änderte sich Dursleys ganzes Verhalten. Der rote Kopf begann geradezu von innen heraus zu leuchten und die kleinen Schweinsäuglein bekamen ein äußerst hässliches Funkeln.
„Wer sind Sie und was wollen Sie?!", zischte Dursley und baute sich vor ihm auf – was in Anbetracht der Tatsache, dass Cuffe ein paar Zentimeter größer war als er, vielleicht nicht ganz die Wirkung hatte, die er sich erhoffte.
„Ganz ruhig", erwiderte er, noch immer lächelnd. „Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten, was Ihren Neffen angeht."
Es herrschte Stille, vermutlich, weil die wirklich außerordentlich gemütlichen Gedanken Vernon Dursleys noch dabei waren, sein Hirn zu durchschreiten. „Sie sind einer von denen, was?!"
Oha. Was für eine Familie hatte Dumbledore sich da denn ausgesucht?
„Raus aus meinem Haus!", schob Dursley nach und fuchtelte wirr mit den Armen. Cuffe hingegen verschränkte die Seinen. Das war unerwartet, aber auch damit würde er umgehen können. Das Erste, was er auf solcherlei zu tun pflegte, war meist, genau das Gegenteil von dem zu machen, was eigentlich erwartet wurde.
Mit einem erleichterten Seufzer pflanzte er sich als erste Maßnahme auf die Couch. „Wirklich ein kuschliges Sofa, Mr. Dursley", sagte er. Dursleys Mund öffnete und schloss sich.
„Überanstrengen Sie sich nicht damit, eine passende Erwiderung zu finden", fuhr Cuffe fort, und seine Augen schienen vor diebischer Freude zu tanzen. „Erzählen Sie mir lieber, ob Sie bereit wären, ein kleines Geschäft mit mir auszuhandeln, bezogen auf Ihren Neffen."
„Ein Geschäft", sagte Vernon Dursley, völlig bewegungsunfähig. Cuffe nickte bekräftigend.
Eine kurze Pause. „Bezogen auf den Jungen."
Ah, wunderbar, der letzte Teil des Satzes war angekommen.
„Ganz richtig. Ich würde ihn gerne mitnehmen."
Und wieder ging eine erstaunliche Veränderung mit Vernon Dursley vor. Seine Augen fingen plötzlich an zu glänzen und seine Mundwinkel zuckten, als würden sie gern in ein Lächeln ausbrechen, wüssten aber nicht so ganz, wie das ging.
„Dauerhaft?", fragte er, und seine Stimme hatte etwas Lauerndes.
Jetzt war es auf einmal an Cuffe, mit den Gedanken nicht ganz hinterherzukommen. Er hatte eigentlich erwartet, dass es dieser Satz wäre, der die meiste Aufregung hervorrufen würde. Aber es schien, als sei Harry Potter hier weder besonders beliebt noch auch nur in irgendeiner Form willkommen. Wie praktisch, dann brauchte er auch gar kein schlechtes Gewissen zu haben.
„In der Tat."
Das Glimmen verschwand ganz plötzlich aus Dursleys Augen, und seine Pose verschob sich wieder ins Misstrauische. „Sie haben aber nichts mit denjenigen zu tun, die den Jungen umbringen wollen, oder?"
„Dann könnte ich gar nicht in dieses Haus." Zumindest ging er davon aus. Selbst für Dumbledore wäre es unbegründet grausam, ein Kind einfach so in einem solchen Haushalt abzustellen, ohne irgendeine vernünftige Begründung dafür. Und wenn Dursley ernsthaft der Meinung war, mit dieser Frage alle Eventualitäten abgedeckt zu haben, dann hatte Barnabas Cuffe bisher eine entschieden zu hohe Meinung von seiner Intelligenz gehabt.
„PETUNIA! BENGEL! KOMMT MAL HIERHER!", brüllte Vernon Dursley, und das Glimmen in seinen Augen war zurück.
Barnabas Cuffe erlaubte sich den Anflug eines Lächelns. Das lief wesentlich besser als erwartet.
Ein paar Stunden später, Whizfield Park
„Minus?", fragte der kleine Junge mit der Blitznarbe und schaute ihn aus großen, grünen und enttäuschend verständnislosen Augen an.
„Arminius Cuffe", sagte Barnabas Cuffe und verdrehte die Augen. „Aber nur außerhalb dieser vier Wände." Vielleicht hätte er einen Vornamen mit weniger Silben auswählen sollen. Aber er konnte unmöglich verantworten, dass auch nur irgendjemand auf die Idee kam, dass es sich hier um jemand anderen handelte als um seinen Adoptivsohn – es hatte wahrscheinlich schon seinen Grund gehabt, dass Dumbledore ihn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei diesen Muggeln untergebracht hatte. Wenn ein ehemaliger Todesser herausbekam, wo sich Harry Potter verbarg, war ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass der Junge in Lebensgefahr schwebte. Doch solange er seinen Sohn nicht allzu oft in die Öffentlichkeit mitnahm… irgendwie würde es schon funktionieren, dass es niemand merkte. Es musste einfach.
„Du heißt von jetzt an Arminius Cuffe", wiederholte er. „Und wir ändern deine Haarfarbe ein wenig." Etwas anderes als die Haare konnte man auch kaum ändern, wenn man nicht wollte, dass es sofort auffiel. Zauber, die das Erscheinungsbild eines Zauberers dauerhaft veränderten und dabei glaubwürdig aussahen, gab es leider nicht.
„Und deine Haarlänge", setzte er mit einem Seitenblick auf die Blitznarbe hinzu, die für jeden sichtbar auf dem Kopf des Kindes prangte.
„Ich ... was ist mit Onkel Vernon und Tante Petunia?", fragte der Junge unvermittelt, als hätten sie schon die ganze Zeit darüber gesprochen.
„Sie waren nicht nett zu dir, nicht wahr?"
Der Junge sah unsicher aus. „Kann sein?", antwortete er schließlich.
„Deshalb habe ich dich abgeholt. Ich möchte, dass du es gut hast."
Harry Potter stand da, mit großen Augen, und ein leichtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Vielleicht hätte er nicht gelächelt, wenn er in diesem Moment Cuffes Gedanken hätte lesen können.
Der Tagesprophet
Sonstiges
Wir beglückwünschen unseren Chefredakteur Barnabas Cuffe zu seinem neu adoptierten Sohn, Arminius Cuffe (geb. Loush). Vielleicht einmal unser zukünftiger Chefredakteur?
Darunter war das Bild eines lächelnden blonden Jungen zu sehen, der sich immer wieder die Haare aus dem Sichtfeld wischte.
August 1983, Winkelgasse
Das faltige Gesicht des alten Zauberstabmachers starrte ihn entgeistert an. „Ich verkaufe Zauberstäbe an Elfjährige", sagte er langsam.
Cuffe nickte fröhlich. Ollivander blinzelte. „Der ist nicht elf."
Arminius Cuffe – wie er außerhalb der Wohnung von Cuffe immer genannt wurde - hielt sämtliche Finger seiner rechten Hand in die Luft. „Ich bin schon drei!", erwiderte er stolz.
Ollivanders Blick wurde noch ein wenig entgeisterter. „Das ist nicht Ihr Ernst."
„Aber mein Sohn. Ich möchte doch annehmen, dass ich die Entscheidungen treffen darf, die nach meinem Dafürhalten für sein Wohlbefinden hilfreich sind."
Ollivander schüttelte langsam den Kopf. „Ein Zauberstab", meinte er dann, „ist kein beliebiger magischer Gegenstand. Es ist das wohl außergewöhnlichste magische Artefakt, mit dem ein Zauberer überhaupt in Berührung kommt – und das tagtäglich. Sie dürfen nicht vergessen, dass jeder Zauberstab eine gewisse eigene Note hat, einen eigenen Charakter. Für gewöhnlich sucht der Zauberstab sich einen Zauberer, der zu ihm passt – auch charakterlich. Die genauen Details würden an dieser Stelle zu weit führen – aber ein Kind wie Ihres, ein Dreijähriger, ist kaum mehr als ein unbeschriebenes Blatt. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich in einem solchen Fall nicht der Zauberstab an das Kind anpasst – sondern das Kind an den Zauberstab. Je nachdem, welcher Zauberstab es wird … Sie würden früher oder später feststellen, dass es nicht zwingend ratsam ist, einen Menschen dazu zu bringen, den Charakter eines magischen Gegenstands zu imitieren. Die Resultate sind völlig unvorhersehbar." Seine Stimme war rau, und seine Augen weit aufgerissen.
Glücklicherweise hatten dramatische Reden schon immer ausnehmend wenig Wirkung auf Barnabas Cuffe gehabt. „Würde das nicht auch dazu führen, dass das Verhältnis zwischen Zauberstab und Nutzer umso harmonischer ist?"
Ollivanders Augen verengten sich wieder. „Es tut mir leid", sagte er dann. „Ich könnte Ihnen helfen - aber das kann ich nicht verantworten."
„Sie sind also der Meinung, dass ich weltweit keinen Zauberstabmacher finden werde, der mir diesen kleinen Gefallen tun wird? Der einzige nennenswerte Unterschied wird die mangelnde Qualität des Zauberstabs sein – und ein paar Galleonen weniger in Ihrer Brieftasche, aber darum geht es Ihnen wahrscheinlich nicht."
„Ich bin nicht der Ansicht, dass man eine falsche Tat dadurch rechtfertigen kann, dass andere ebenso falsch handeln würden", erwiderte Ollivander kühl.
„Gut", sagte Cuffe und zog seinen Zauberstab aus seinem Umhang. Der Alte zuckte unwillkürlich zurück, aber statt ihm etwas anzutun, drückte er ihn Arminius in die Hand, der gerade mit fasziniertem Blick an der Tischplatte entlangfuhr. „Deiner." Der Junge schaute ihn verwirrt an, gab den Stab aber nicht zurück.
Mit einem strahlenden Lächeln blickte Barnabas Cuffe zu Ollivander auf, dessen Gesicht sich mehr und mehr verzogen hatte, als hätte er soeben drei Zitronen auf einmal gegessen. „Sieht aus, als hätte ich leider keinen Zauberstab mehr. Wie gut, dass wir hier zufällig am richtigen Ort sind, um einen Neuen zu kaufen."
Ollivander presste die Lippen zusammen, sagte aber nichts.
„Oh, und falls Sie mir keinen verkaufen – geht das nicht gegen Ihre eigene Berufsehre, einen Zauberer ohne Zauberstab gehen zu lassen?"
Noch immer regte der Alte sich nicht. Cuffe verharrte in Stille und ließ ihn überlegen. Er war sich nicht sicher, ob-
„Glauben Sie", sagte Ollivander mit zitternder Stimme, „glauben Sie wirklich, dass Sie mich dazu erpressen können, einen Zauberstab zu verkaufen? Jedes einzelne Stück hier ist mein Werk, und ich verkaufe sie, wenn ich ihren Verkauf für weise halte – meistens an Kinder mit ein paar Büchern und einem glänzenden neuen Kupferkessel. Sicher verkaufe ich nichts an einen Mann, der offenbar keine Skrupel hat, sein Kind einer Gefahr auszusetzen, die niemand von uns abschätzen kann."
„Der Junge bekommt seinen Zauberstab", erwiderte Cuffe. „Und ob Sie weiterhin Ihre Exzentrik zelebrieren oder eine vernünftige Entscheidung treffen – daran hängt nur, wie viel der Zauberstab taugt, an den sich ja anscheinend die Persönlichkeit meines Sohnes anpassen soll. Wenn Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, dass er sich einem zweitklassigen Stück Holz anpasst – das sei Ihnen unbenommen."
Und damit hatte er ihn. Er hatte ein wenig testen und nachfühlen müssen, aber wie jeder andere wurde selbstverständlich auch Ollivander irgendwann weich – man musste nur wie zufällig den richtigen Satz sagen. Zweifelsohne – den klugen Anwender brachte kaum ein Zweig der Magie weiter als die Legilimentik.
Ollivander runzelte die Stirn und legte die Daumenkuppen aneinander. Dann kratzte er sich am Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich Sie leiden kann", sagte er dann und presste weiterhin die Lippen zusammen. Cuffe lächelte mit blitzenden Augen zurück.
Dann beugte sich der Alte zu Harry hinunter. „Geben Sie mir bitte Ihren Zauberstabarm, Mr. Cuffe."
Eine Stunde später, Whizfield Park
„Kann ich ihn testen? Bitte!", sagte der Dreijährige und versuchte, seinem „Vater" den Zauberstab aus der Hand zu schnappen. Stechpalme und Phönixfeder, elf Zoll. „Ich will auch zaubern können!" Barnabas Cuffe hatte sicher gestellt, dass der Junge stets dabei war, wenn er erstaunlichere oder besonders farbige Zauber benutzte. Wenn er das Kind schon jetzt genug für Magie begeisterte, dann war die Chance gar nicht so gering, dass es später einmal ziemlich gut darin sein würde. Und auch da würde er selbstverständlich nachhelfen.
„Nein", sagte er dann. „Es tut mir leid, aber das kann ich leider noch nicht mit mir vereinbaren."
„Warum denn nicht?" Die Stimme hatte etwas Klagendes angenommen.
„Magie", erwiderte Cuffe behutsam, „ist ein höchst gefährliches Werkzeug und sollte nur mit einiger Vorsicht verwendet werden – und um zu wissen, wann Vorsicht angebracht ist und wann nicht, ist es unabdingbar, sich zu informieren. Dafür braucht man – zwingend – das geschriebene Wort. Und du bist erst drei. Du kannst noch nicht lesen."
„Kann ich wohl!", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
„Das bezweifle ich. Ich könnte es dir zwar beibringen, aber-"
„Darf ich zaubern, wenn ich lesen kann?", fragte Harry vorsichtig.
Cuffe tat, als würde er überlegen. „Ja", meinte er langsam. „Dann schon." Und er lächelte in sich hinein.
Januar 1985, Whizfield Park
„Wingardium Leviosa!", rief Harry, und es war schon der neunte Versuch. Keiner von ihnen war erfolgreich gewesen. Der Junge sah hilfesuchend zu ihm auf, aber Cuffe zuckte die Schultern. Die einzigen zwei Worte, die für ihn mit diesem Spruch untrennbar verbunden waren, waren das „Wutschen" und das „Wedeln" und er bezweifelte, dass Harry das mehr weiterhelfen würde als es ihm damals weitergeholfen hatte.
„Wingardium Leviosa!" Nichts, wieder.
Cuffe leckte sich die Lippen. Ja, der Junge war erst vier, aber das war doch ein einfacher Zauberspruch, oder nicht? Jemand, der es immerhin geschafft hatte, Lord Voldemort zu besiegen, sollte doch in der Lage sein, den nach einem Jahr, in dem er dauernd mit seinem Zauberstab gespielt hatte, in einer halbwegs akzeptablen Zeit auf die Reihe zu bringen.
„Wingardium Leviosa!"
Seine Hoffnung war es gewesen, einen zweiten Dumbledore aufziehen zu können, aber was hier fehlte, war eindeutig das Talent. Sollte er den Jungen nicht vielleicht doch an die Dursleys zurückgeben? Vielleicht verschwendete er einfach seine Zeit.
Harry legte die Stirn in Falten und schaute seinen Zauberstab an. Etwas Seltsames trat in seinen Blick, ein hungriger Gesichtsausdruck, dem es auf unbestimmte Weise an Menschlichkeit mangelte.
Die Feder zitterte leicht, Cuffe drehte den Kopf zu Harry und verspannte sich unwillkürlich. Wenn der Junge jetzt den Zauberstab nahm, vielleicht…
„Wingardium Leviosa!"
Die Feder schwebte einen halben Meter in der Luft.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, dir jemanden zu besorgen, der dir das richtig beibringen kann", sagte Barnabas Cuffe und wuschelte Harry durch das chaotische, blonde Haar.
Dezember 1985, Whizfield Park
In Harrys Augen standen Tränen, aber er sagte nichts. Und dann umarmte er ihn einfach (beziehungsweise versuchte er seine Hände um Cuffes beträchtlichen Bauch zu schließen, denn für mehr waren seine Arme leider etwas zu kurz). Barnabas Cuffe blieb überrascht stehen. Es war frühmorgens, normalerweise war Harry um diese Zeit noch nicht einmal auf. Meistens war er in seinem Zimmer und experimentierte mit dem Zauberstab herum, den er vor einem Jahr bekommen hatte – oder las ein Buch über Magie. Viel mehr hatte er auch nicht als Beschäftigungsmöglichkeit, dafür hatte Cuffe gesorgt. Glücklicherweise war Harry eher ein ruhiges Kind – und ungewöhnlich ehrgeizig, wenn es darum ging, sich Neues anzueignen.
„Ich hab von einem grünen Licht geträumt", sagte er dann. „Das war doch da, wo du mich weggeholt hast, oder?"
Anscheinend war er einfach zu jung gewesen, um sich wirklich noch an die Dursleys erinnern zu können – und in dieser hoffnungslos langweiligen Umgebung war wahrscheinlich auch nichts so Außergewöhnliches passiert, dass es sich irgendwie hätte einbrennen können. Was schade war, aber leider nicht zu ändern. Vielleicht hätte er ein weiteres Jahr warten sollen, aber andererseits wäre er dann vermutlich schon auf etwas mehr Misstrauen gestoßen, als ein Zweijähriger es aufbringen konnte. Und Misstrauen konnte er nun gar nicht gebrauchen.
„Im Prinzip", sagte er schließlich. Es war die Wahrheit – von einem gewissen Standpunkt aus.
Der Junge sah zu ihm auf und wie schon einige Male zuvor hatte er das Gefühl, dass ihm Harry etwas sagen wollte, sich aber nicht recht traute.
Glücklicherweise brauchte er dem Jungen nur in die Augen zu schauen, und schon wusste er, was es war – ein Umstand, der sich in den nächsten Jahren ändern musste, wenn er wollte, dass er sicher war.
In Harrys Kopf war ein sehr verschwommenes Bild von einem dicken, großen Mann, der ihn aus einem zerstörten Haus rettete; Cuffe bezweifelte, dass er es selbst überhaupt bewusst wahrnahm. Aber es war begleitet von einer gewissen Wärme, und die konnte sich nur auf ihn beziehen. Hielt Harry ihn tatsächlich für denjenigen, der ihn damals aus Godric's Hollow geholt hatte? Nun, umso besser.
Auch, wenn es nicht unbedingt schmeichelhaft war, mit der Silhouette von Rubeus Hagrid verwechselt zu werden. Vielleicht sollte er wirklich abnehmen.
Februar 1988, Whizfield Park
„Warum gibt es hier keine anderen Kinder außer mir, die zaubern können?", fragte Harry.
Für einen Moment zögerte Cuffe. Aber letzten Endes taugte es ja nichts, soziale Kontakte völlig außen vor zu lassen. Das würde früher oder später ohnehin als Bumerang auf ihn zurückfallen.
„Es gibt andere", sagte er dann. „Aber nicht ohne Okklumentik. Ich habe bisher gezögert, es dir beizubringen, aber wenn du ein paar andere treffen möchtest, haben wir keine andere Wahl."
„Okklumentik?"
„Eine Technik, Sachen zu verbergen, die man besser geheim halten möchte." Und nicht empfehlenswert für Kinder, die nicht mindestens das 15. Lebensjahr erreicht hatten, aber auf solche Empfehlungen hatte er ja noch nie besonders viel gegeben.
„Was müssen wir denn geheimhalten?"
„Deinen Namen."
Harry zog eine Augenbraue hoch, der ganze Gesichtsausdruck nichts als ein einziges Fragezeichen. Barnabas Cuffe rieb sich mit den Händen die Schläfen. Vielleicht war es an der Zeit, Harry die Geschichte zu erzählen, wieso er nicht mehr bei seinen Eltern war. Inklusive dem unangenehmen Teil mit dem schlangenhaften Dunklen Lord.
„Und er ist wirklich tot?", fragte Harry, kaum, dass er seine Erzählung beendet hatte. Er sah viel weniger getroffen aus, als Cuffe erwartet hatte, aber andererseits musste das alles für ihn auch wirken wie ganz weit entfernt – er hatte seine Eltern schließlich nie wirklich gesehen. Zumindest redete er sich das ein, während er in seinem Hinterkopf die leise, heisere Stimme von Ollivander hörte.
„Nein", erwiderte Cuffe. Oh, doch, natürlich, aber die Wahrheit zu sagen wäre in diesem Moment nicht hilfreich. Jeder, der ein großer Zauberer werden wollte, brauchte ein Ziel. Jetzt würde Harry seins bekommen – selbst, wenn er es nie erreichen können würde. Denn wenn Lord Voldemort nicht wirklich gestorben wäre, hätte man längst schon wieder von ihm gehört. Allerdings musste das Harry ja nicht unbedingt wissen. „Nein, ich denke nicht, dass er gestorben ist. Irgendwo draußen ist er noch, geschwächt momentan, aber früher oder später wird er zu alter Stärke zurückfinden. Und dann", er sah Harry an, „dann wird er nur noch ein Ziel kennen. Er wird den zu besiegen suchen, den er als Baby nicht besiegen konnte."
„Er war ein mächtiger Zauberer, oder?" In Harrys Augen war ein Funkeln getreten, von dem der Redakteur des Tagespropheten nicht wusste, ob es ihm wirklich gefiel.
Trotzdem nickte er. „Es gab nur einen, der ihm hätte entgegentreten können, und ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass auf den kein Verlass ist. Deshalb versuche ich, dich dazu zu bringen, ebenso groß zu werden. Deshalb die Trainingsstunden mit den Lehrern. Ich … ich möchte sicher sein, dass du eine ernsthafte Chance hast."
Schade nur, dass Voldemort wirklich tot war. Für einen Moment hatte er sich selbst beinahe geglaubt.
„Warum ist auf ihn kein Verlass? Er ist der Schulleiter von Hogwarts, oder? Du meinst doch Dumbledore?"
Bisher hatten sie nur wenig über Dumbledore gesprochen, aber irgendetwas dabei musste wohl Harrys Interesse geweckt haben. Anders war es nicht zu erklären, dass er – nach all dem, was er gerade erfahren hatte – ausgerechnet nach ihm fragte.
Cuffe schloss die Augen. „Vor fünfzig Jahren – etwas mehr – gab es einen anderen Dunklen Lord, Gellert Grindelwald. Er wütete hauptsächlich auf dem Kontinent, aber dort wütete er schlimm, zumindest aber auffälliger, als es Du-Weißt-Schon-Wer einst tat. Dumbledore war damals schon der größte – nein, groß ist das falsche Wort, den Charakter wollen wir mal nicht größer machen, als er es zu sein verdient. Aber er war der mächtigste Zauberer, und er wurde immer wieder gebeten, doch endlich im Kampf gegen Grindelwald zu helfen. Er tat es nicht. Ich weiß bis heute nicht, was ihn damals davon abgehalten hat, aber er war vollkommen zufrieden damit, Jahr um Jahr andere kämpfen und sterben zu lassen, um sich bloß nicht selbst bewegen zu müssen. Erst, nachdem der Druck so groß wurde, dass sie ihn vermutlich gelyncht hätten, wenn er noch ein paar Tage Däumchen gedreht hätte, erst dann hat er sich ihm gestellt – aus nichts als der Furcht um sein eigenes Ansehen." Cuffes Stimme nahm eine unterschwellige Härte an, und sein fliehendes Kinn begann seltsam zu zucken. „Leider war es da schon zu spät, meine Familie war drei Tage zuvor vollkommen ausgelöscht worden. Und dafür, dass er jahrelang auf der Couch gesessen und es sich gemütlich gemacht hat, hat man ihm dann auch noch einen Orden der Merlin Erster Klasse in den Arsch geschoben."
Er sah sich nach Harry um, der ein paar Schritte weiter entfernt stand als zuvor.
„Er hat nie bezahlt dafür, niemals, dafür, dass er es einem Dunklen Lord erlaubt hat, erst wirklich zur Macht zu gelangen."
November 1988, Bramsbury Cottage
„Hi, Arminius, ich bin Blaise Zabini!", sagte der Junge mit dem dunklen Teint und den kurzen schwarzen Haaren zu Harry, ohne sich um die beiden Erwachsenen zu kümmern. „Magst du Krokodile? Meine Mutter hat unten im Keller eine ganze Sammlung!"
Adrasteia Zabini sah währenddessen den Redakteur mit verführerisch aufgeschlagenen Wimpern an. „Ich finde es nach wie vor äußerst … beeindruckend, wenn ein alleinstehender Mann ein Kind adoptiert", sagte sie dann in einer seltsamen Tonlage, die Cuffe einen wohligen Schauer über den Rücken schickte. Die Dame verstand ihr Handwerk.
„Ich habe höchstpersönlich sämtliche Artikel über Ihre verstorbenen Männer geschrieben", antwortete Cuffe. „Sie dürften doch noch aus unserem letzten Interview wissen, dass Ihr erstaunlich subtil daherkommender Versuch, eine Edelprostituierte zu mimen, die statt Geld einfach nur einen hübschen Ring möchte, bei mir leider nicht fruchtet."
Mrs. Zabini lachte glockenhell. „Ihre Beleidigungen waren auch schon besser verpackt", lächelte sie dann. „Sie sind ein wenig eingerostet. Wie dem auch sei, ich muss sagen, dass ich trotzdem nicht ganz verstehe, weshalb Sie zu mir gekommen sind", sagte sie, was dazu führte, dass Cuffe zumindest innerlich erleichtert die Faust ballte. „Es ist nicht so, als hätten wir vorher besonders viel Kontakt miteinander gehabt."
Nicht ganz, nein. Aber er hatte mit nur sehr wenig Menschen außerhalb seines Berufes überhaupt Kontakt. Von seiner Familie lebte schon seit 50 Jahren niemand mehr und keine Frau hatte ihn länger als unbedingt nötig ertragen wollen. Die meisten Menschen, mit denen er sprach, waren nach wenigen Sekunden beleidigt. Das hätte er anders haben können, das wusste er, aber … nein, dafür war es auch zu spaßig, ihre Reaktionen darauf zu sehen, wenn man ihnen rundheraus ins Gesicht sagte. Adastreia Zabini war eine der wenigen, die damit umgehen konnten. Aber ganz sicher wollte er nicht unbedingt sie zur Frau nehmen.
„Ich glaube, ich möchte hier noch einmal hin", sagte Harry, als sie gingen. Und Barnabas Cuffe machte einen mentalen Haken hinter „soziale Kontakte" (und hinter sein wachsendes Gefühl der Unsicherheit, wenn es um Harrys Entwicklung ging) Jetzt würden sie sich umso intensiver darauf konzentrieren können, aus Harry einen großen Zauberer zu machen.
Einen, der Dumbledore endlich bezahlen lassen konnte.
April 1990, Whizfield Park
Es war zwei Uhr nachts, und Barnabas Cuffe war sich relativ sicher, dass er Harry schon mindestens zweimal gesagt hatte, dass er ins Bett gehen solle.
„Ich muss lesen", hatte Harry nur erwidert, mit rot geräderten Augen, aus denen ein beinahe unheimliches Licht schien. „Ins Bett kann ich, wenn ich hiermit fertig bin."
„Meinst du nicht, dass es allmählich gut ist?", fragte er schließlich, seufzend. Harry hatte unglaubliche Fortschritte in der Magie gemacht, aber das hieß ja nicht, dass man nicht irgendwo ein Ende setzen musste. Und eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die sich – auch nach all den Jahren – noch immer verdächtig wie die von Ollivander anhörte, wollte ihn beständig davon überzeugen, dass das hier nicht mehr als normal zu klassifizieren war.
„Ich muss doch besser werden als der Andere", sagte Harry, ohne aufzublicken. So hatte er Voldemort in letzter Zeit häufiger genannt, ohne, dass Cuffe auch nur im Ansatz wusste, weshalb das so war. Harry hatte zu dem Thema nur gemeint, es fühle sich richtig an, ihn so zu nennen, und es höre sich immerhin besser an als das umständliche bis kindliche „Du-Weißt-Schon-Wer". Und weil Cuffe das wahrscheinlich selbst auf ähnliche Weise formuliert hätte und es ihn aus irgendeinem Grund immer mit Wärme erfüllte, wenn Harry auf seine Art zu reden zurückgriff, hatte er nicht nachgehakt.
„Weshalb musst du das?"
Ohne es zu merken strich Harry langsam über die glänzende, ebene Oberfläche seines Zauberstabs. „Ich muss", flüsterte er.
Sie würden früher oder später feststellen, dass es nicht zwingend ratsam ist, einen Menschen dazu zu bringen, den Charakter eines magischen Gegenstands zu imitieren. Vielleicht, ganz vielleicht, hatte der Experte für solche Dinge damals gar nicht einmal so Unrecht gehabt. Cuffe schaute den blonden Jungen vor sich an – dem er demnächst wieder seine schwarzen Haare verpassen würde, zumindest vor dem elften Geburtstag – und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Dann zuckte er die Schultern; nun war das Kind ohnehin schon in den Brunnen gefallen. Alle großen Zauberer waren auf die ein oder andere Weise exzentrisch, wahrscheinlich fing das bei jedem schon in der Kindheit an.
Es war zumindest ganz angenehm, sich das zu erzählen.
Juli 1991, Hogwarts
Harry James Potter
(Das große Zimmer mit dem schwebenden Kaktus)
Horizont Alley 7
Whizfield Park
London
Minerva McGonagall ließ den Brief achtlos durch ihre Finger gleiten und schwang ihren Zauberstab, sodass er sich an einer Eule festband. Im letzten Moment, kurz, bevor die Eule losfliegen konnte, riss sie die Augen auf. Das war nicht der Ort, an dem sie vor zehn Jahren einen Tag als Katze verbracht hatte. Und es war nicht so wahrscheinlich, dass ausgerechnet diese Muggel an einen Ort mit dem abenteuerlichen Namen „Whizfield" ziehen würden.
„Bitte wo?", murmelte sie leise zu sich. Dann registrierte sie, zum ersten Mal, die Zeile mit dem Kaktus. Kein Zweifel, das war ein Problem. Und was für eins.
„Eine famose Leistung, Albus", zischte sie und machte sich auf den Weg ins Büro des Schulleiters. Ihre Schritte hallten etwas lauter als gewöhnlich, aber für gewöhnlich hielt sie es auch nicht für nötig, derart fest aufzutreten.
