PROLOG
Er war wieder da.
Severus Snape kannte diesen Traum, diesen verdammten Albtraum. Kannte jedes Detail, wusste, was als Nächstes geschehen würde. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ihn jener Albtraum jede Nacht heimgesucht hatte.
Und Nacht für Nacht war Snape mit pochendem Herzen erwacht, Schweißperlen auf der Stirn. Er hatte in seinem Bett gelegen oder aufrecht gesessen und atemlos in die Dunkelheit gehorcht.
War da nicht ein Geräusch gewesen? War jemand im Haus?
Aber der einzige Laut, den er stets vernommen hatte, war der seines eigenen, rasenden Herzens gewesen. Manchmal war Snape aufgestanden. Den Zauberstab mit der rechten Hand umklammert, hatte er sich langsam aus seinem Schlafzimmer gewagt. Durch sein ganzes Haus war er geschlichen, bereit sich zu verteidigen und den Eindringling – wenn nötig – zu töten.
Doch nie fand er einen Eindringling, so sehr er auch suchte.
Stattdessen musste Snape jedes Mal feststellen, dass er sich getäuscht hatte.
Niemand war in seinen Haus.
Er war allein.
Es war fast immer derselbe Traum. Winter, Schnee, Wald, eine Lichtung. Die Tannen, die rings um die Lichtung wachsen, sind mit Schnee bedeckt, genauso der gefrorene Boden.
Und auf eben diesem gefrorenen Boden, mitten auf der Lichtung, geht eine Frau auf und ab.
Sie trägt einen dunkelgrünen, dicken Umhang. Ihre Haare sind unter einer Kapuze verborgen. Die Frau wirkt unruhig, angespannt. Snape weiß, dass sie auf jemanden wartet und er weiß auch, was gleich geschehen wird…
Schritte ertönen. Die Frau dreht sich um und sieht direkt in das maskierte Gesicht eines Todessers.
„Snape", sagt sie und macht einen Schritt auf ihn zu, bleibt dann aber abrupt stehen, denn der Todesser hat seinen Zauberstab gezückt und richtet ihn direkt auf die Frau, deren Augen sich, sobald sie selbst begreift, was gerade geschieht, erschreckt weiten.
„Nein", flüstert sie mit angsterfüllter Stimme, „nicht. Denk an Rachel."
Das sind ihre letzten Worte und an dieser Stelle könnte der Traum eigentlich enden. Er aber geht umbarmherzig weiter.
An dieser Stelle des Traums will Snape nur noch eins: erwachen. Einfach nur erwachen. Bevor…
„Avada Kedavra", sagt der Todesser kalt.
Ein grüner Lichtstrahl und der überraschte, verzweifelte Schrei einer Frau. Dann herrscht Stille. Die Frau liegt am Boden, die blauen Augen noch immer weit aufgerissen. Diesen Anblick wird Snape niemals vergessen können. Er wird ihn immer verfolgen. Das ist der Moment, in dem Snape endlich erwacht.
Meistens war er nur stiller Beobachter, der gezwungen wurde, den Mord mit anzusehen. Manchmal aber war es auch Snape selbst, der den unverzeihlichen, tödlichen Fluch aussprach.
Das war der schrecklichste aller Träume.
Mit der Zeit jedoch wurde er seltener. Irgendwann schreckte Snape nur noch einmal in der Woche aus dem Schlaf, später einmal im Monat und im Laufe der Zeit sogar nur noch einmal im ganzen, langen Jahr.
Es war schon lange her, dass er die Frau zuletzt hatte flehen hören.
Nein, nicht. denk an Rachel.
Einst hatten ihn jene Worte aufs Äußerste gepeinigt. Dass er sie nun nicht mehr jede Nacht hören musste, sorgte für ein bitteres Gefühl der Erleichterung.
Aber nun, da alles vorbei war, Dumbledore und Voldemort schon seit Jahren tot, da war der Traum zurückgekehrt.
