Hermine schob einen mottenzerfressenen Vorhang zur Seite, der ihr im Weg war. Sie hatte ein Schafzimmer betreten.

In der Mitte des Raumes stand ein großes Himmelbett mit einem Nachttisch daneben, auf dem, soweit sie erkennen konnte, eine alte goldene Bürste mit einem Schlangenkopf am unteren Ende lag. Sie ging hinüber. Als sie die Bürste hochhob, schrie sie vor Schreck fast auf. Es stand etwas auf ihr geschrieben.

„Das fürnehme und gar alte Haus der Blacks. Toujours pur!"

Darunter erkannte Hermine das Wappen der Familie. Sie stand also gerade im ehemaligen Haus der Blacks. ,Deshalb die ganzen Schlangen!´, dachte sie.

Sie blickte wieder auf die Bürste. Bei näherem Hinsehen entdeckte sie ein paar Haare. Sie zog eines heraus, hielt es vor ihr Gesicht und stellte fest, dass es blond, lang und glatt war.

Sie legte die Bürste zurück auf den kleinen Tisch. Sie schaute sich weiter im Zimmer um und entdeckte schließlich einen hölzernen Schrank, auf dem viele kleine Gegenstände lagen. Sie trat näher heran.

Ein paar Dosen standen da, außerdem eine einst schöne, nun aber zerfallene Lampe.

Hermines Blick jedoch wurde von etwas anderem angezogen.

Dort, rechts neben dem ganzen anderen Gerümpel, lag ein Buch, allem Anschein nach ein Fotoalbum. Sie nahm es ganz vorsichtig, aus Angst, es könnte vielleicht zerfallen.

Auf dem Buchdeckel stand in abblätternden goldenen Buchstaben: „Eigentum von Narzissa Druella Black" Und nun konnte sich Hermine wohl zusammenreimen: Sie stand hier im einstigen Zimmer der jetzigen Narzissa Malfoy.

Aber sollte sie es wagen? Einfach in ein fremdes Haus zu spazieren und Fotoalben zu durchforsten, war das nicht rechtswidrig?

„Du solltest verschwinden, bevor dich jemand sieht!", sagte eine Stimme in ihrem Kopf, eine andere jedoch zischte: „Ach was! Stell dich nicht so an! Wer sollte hier schon herkommen?"

„Ein kleines Mädchen, das alles durchforstet, nur als Beispiel!"

„Du bist so ein Weichei! Mach schon, Mädchen! Du bist doch auch neugierig!"

„Tu es nicht! Vielleicht liegt ein Fluch auf ihm!"

„Auf diesem muffigen alten Buch? Vergiss es! Nun mach schon!"

„Nein!"

„Doch!"

„Könnt ihr jetzt mal still sein?", fauchte Hermine und die Stimmen verstummten sofort.

„Das erste Zeichen des Wahnsinns, mit dem eigenen Kopf reden!", sagte eine hinterlistige Stimme aus einem leeren Bild an der Wand.

Hermine beachtete sie nicht. Mit zitternder Hand griff sie nach dem Buchdeckel und schlug ihn ganz langsam und bedächtig auf.

Auf der ersten Seite klebte ein vergilbtes altes Bild. Darauf sah sie drei junge Frauen. Das Mädchen links identifizierte Hermine als Narzissa selbst. Sie sah so ähnlich aus wie jetzt, mit schulterlangem, blonden Haar, nur dass sie lächelte. Sie hatte den Arm um das Mädchen rechts von ihr gelegt.

Hermine stockte der Atem. Das Mädchen rechts neben Narzissa war Bellatrix Black. Doch dieses Mädchen auf dem Foto sah ihrem älteren Selbst so unähnlich.

Das einzige, was gleich war, waren die glänzenden Haare, die der jüngeren Bellatrix in Locken wild ins Gesicht fielen, die funkelnden schwarzen Augen und die dünne, aber leicht muskulöse Körperstatur. Ansonsten war sie völlig anders.

Die junge Dame auf dem Bild lächelte freundlich und selbst ihre Augen sahen viel netter aus. Hermine blickte auf die Person ganz rechts.

Andromeda Black. Die Gryffindor hatte Tonks Mutter noch nie zuvor getroffen, doch auf diesem Bild sah sie sehr nett aus. Sie hatte hellbraune Haare und Augen, eine gerade Nase und ein paar wenige Sommersprossen, die ihrem Gesicht einen sommerlichen Ausdruck verliehen.

Sie war, wie auch ihre Schwestern, außergewöhnlich hübsch, auch wenn sie nicht so elegant wie Bellatrix oder Narzissa war. Erst jetzt las Hermine das, was jemand in kleiner Schrift über das Foto geschrieben hatte: „Schwesterherzen!".

Wie jedes andere Zauberfoto auch, bewegte sich dieses. Die drei Schwestern lachten miteinander und gelegentlich warf eine von ihnen ihr Haar zurück.

Hermine blätterte eine Seite weiter. Hier sah man ein ganzes Familienfoto der Blacks. Sie konnte Sirius Mutter sehen, die sie von dem Porträt am Grimmauldpatz kannte, und wieder die drei Schwestern.

Sirius war nicht dabei, was Hermine nicht wunderte, da dieser ja schon mit 16 Jahren von Zuhause weggelaufen und so alt wie Bellatrix war, welche auf dem Foto eher wie 18 oder 19 wirkte. Doch da war ein junger Mann, der die gleichen hellbraunen Augen wie Sirius hatte.

Es musste sein verstorbener Bruder Regulus sein.

Und ja, bei näherem Hinsehen sah man den eleganten Schriftzug unter dem Foto, der lautete:

„von links: Mutter, Vater, ich, Bella, Andra, Tante Walburga, Onkel Orion, Regulus + Tante Elladora"

,Es fehlt: Sirius´, fügte Hermine in Gedanken hinzu. Sie blätterte ein paar Seiten weiter.

Überall Bilder von Familienfesten, Geburtstagen und anderen Feiern. Hermine fiel auf, dass Andromeda immer weniger zu finden war und nur sehr selten mit ihrer großen Schwester Bellatrix wie auf dem ersten Foto.

Eine Seite mit nur zwei Bildern stach Hermine besonders ins Auge. Die beiden Fotos waren Hochzeitsbilder von Narzissa und Lucius Malfoy und Bellatrix und Rodolphus Lestrange. Auf die restliche Seite hatte jemand vermutlich Narzissa selbst, unzählige rote Herzen gemalt.

Obwohl Lucius und Narzissa lächelten, sahen die frisch getrauten Lestranges sehr viel glücklicher aus. Sie küssten sich, lachten, sahen sich die ganze Zeit unentwegt an, während die beiden Malfoys nur dastanden, sich nicht ansahen und milde lächelten. Hermine runzelte die Stirn.

Sie war verwirrt. Wenn sie an Bellatrix dachte, dann auch immer an Hau-drauf und Crucio, doch auf diesem Foto sah sie so aus, als könnte sie, ja, als WÜRDE sie ihren Mann tatsächlich lieben!

Für die Gryffindor war das unverständlich und sie konnte nicht glauben, was sie da sah.

Die skrupellose und fast wahnsinnige Dunkelhaarige, die so viele Familien zerstört hatte, sollte LIEBEN können? Hermine betrachtete das Bild genauer.

Bellatrix trug ein wunderschönes trägerloses Kleid, das aus schlichter roter Seide bestand und bis zum Boden reichte. Rodolphus Lestrange trug einen eleganten schwarzen Anzug mit einer ebenfalls schwarzen Fliege.

Hermine hatte den Ehemann von Bellatrix noch nie zuvor gesehen, doch sie fand sofort, dass er sehr gutaussehend war. Von großer und leicht muskulöser Statur passte ihm der Anzug wie angegossen. Er hatte dunkle Haare wie seine Frau, die er mit seinen braunen freundlichen Augen liebevoll ansah.

Hermine schlug eine Seite um. Sie war auf der letzten angelangt. Hier klebte nur ein Foto.

„Also wirklich, Schlammblut, einfach in fremde Häuser spazieren und Fotoalben durchforsten! Machen das deine dreckigen Muggeleltern etwa auch so?" Hermine wirbelte herum. Vor ihr stand, hinterlistig lächelnd und feixend:

Bellatrix Lestrange...