Es ging auf Weihnachten zu und in Hogwarts hatten die Schulferien begonnen. Ron, Harry und Hermine gingen dieses Jahr nicht nach Hause, sondern blieben im Schloss, um bei den Festvorbereitungen zu helfen. Die Landschaft um Hogwarts war dick in Schnee gehüllt und der See mit einer glitzernden Eisdecke zugefroren. Hinter der verschneiten Hütte des Wildhüters erstreckte sich dunkel der Verbotene Wald, aus dem der Halbriese sonst immer den Weihnachtsbaum geholt hatte.
Aber leider waren Hagrids Meinungsverschiedenheiten mit den Zentauren wegen Grawp noch nicht behoben. Doch Bane hatte eingewilligt, dass um die Weihnachtszeit ein paar der jungen Zauberer den Wald betreten durften. Also erboten sich die drei Schüler, sich diese Jahr um die Beschaffung des Weihnachtsbaumes zu kümmern.
Harry war nach dem Abendessen in den Gryffindor-Turm gegangen, um die Geschenke für seine Freunde einzupacken und sie in seinem Koffer zu verstecken. Jetzt kam er vom Jungen-Schlafsaal die Treppe herunter in den Gemeinschaftraum. Seine Freunde standen beim Eingang und er hörte, wie sie übers Baumfällen diskutieren.
Hermine hielt Ron gerade eine Axt unter die Nase und prophezeite: „Mit dem Ding hier bekommst du den Baum nie um. Die ist ja stumpfer als ein Fischmesser. - Lag denn in der Werkzeugkammer kein Wetzstein herum?"
Der Rothaarige gab zurück: „Weiß nicht, hab gar nicht auf so was geachtet."
Harry trat zu den beiden und sagte: „Was wollt ihr denn mit der kleinen Axt? Für den dicken Stamm eines Tannenbaumes nehmt ihr besser ein zweihändiges Sägeblatt. Außerdem brauchen wir Seile, um den Baum zu sichern. Nicht, dass er euch noch auf die Köpfe fällt."
Seine Freunde schauten ihn an und Hermine fragte: „Hast du denn schon mal einen Baum gefällt? Du scheinst zu wissen, wie es geht."
„Nein, nicht selber. Aber ein paar Dinge weiss ich schon. Bei den Dursleys hab ich einmal eine Sendung über Forstwirtschaft im Fernsehen gesehen. Da haben sie auch das Fällen von Bäumen gezeigt. – Wartet, ich hol nur schnell meinen dicken Umhang, dann komm ich auch mit."
Ron war froh, dass Harry sie begleitete. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, alleine in den Verbotenen Wald zu gehen, um einen Baum zu schlagen.
Wenig später hatten sie ihr Werkzeug auf einen Schlitten gepackt und zogen los. Es war aber gar nicht so einfach, einen idealen Weihnachtsbaum zu finden. Bis die Drei sich endlich auf einen Baum geeinigt hatten, war der Abend schon fortgeschritten und die Schüler standen tiefer im Wald als sie eigentlich wollten. Das Trio musste jetzt an Tempo zulegen, damit sie ihn fällen und heimschaffen konnten, bevor wegen der nächtlichen Ausgangssperre die Tore geschlossen wurde.
Ron kletterte auf die ausgewählte Tanne. Harry und Hermine warfen ihm die Seile zu, damit er sie festknoten konnte. So befestigten sie zwei Seile um den oberen Teil des Baumes. Die Seilenden schlangen sie jeweils um zwei andere Bäume rechts und links davon und zogen die Taue dann straff. Harry hatte dabei das Gefühl, die ganze Zeit von einem Fremden beobachtet zu werden, konnte aber niemanden entdecken. Nun nahmen Ron und er das große Sägeblatt in die Hände und sie begannen den Stamm anzusägen.
„Stopp! Sscht! Seid mal still", sagte Hermine plötzlich und schaute den Waldweg entlang, auf dem sie vorhin gekommen waren. „Eben habe ich etwas gehört. - Ich habe mich vorhin also doch nicht getäuscht, als ich zwei körperlose Augen zwischen den Zweigen zu sehen glaubte."
„Iiihh, körperlose Augen? Bist du sicher?" Ron verzog das Gesicht und schüttelte sich.
„Sscht, jetzt hör ich es auch. Da vorn läuft jemand herum. – Kommt mit!" Unter Harrys Führung schlichen die Zauberlehrlinge leise durch den Wald. Dann duckten sie sich rasch hinter ein paar Büsche.
„Woher kommt die Gestalt da vorn so plötzlich?" flüsterte der schwarzhaarige Junge mit der Brille.
Ron wisperte zurück: „Von nirgends her, sie war einfach da. Wer ist das überhaupt und was macht er denn jetzt?"
In einer Entfernung von etwa fünfzig Metern stand eine Person, die ihnen den Rücken zugekehrt hatte und gerade ihren wärmenden Wollumhang auf den Boden gleiten ließ.
Harry meinte: „Sieht so aus, als würde er seine Kleider ablegen. Wer ist denn so verrückt, mitten im Winter splitternackt durch den Wald zu laufen?"
Hermine spähte kurz über den Busch hinweg und bemerkte die große wulstige Narbe einer alten Bisswunde am Oberschenkel des mysteriösen Fremden. Der Kerl scheint überhaupt nicht zu frieren „Die Frage ist wohl eher, was da unter den Bäumen steht." Da fiel ihr Blick auf ein helles Gestirn am Himmel über ihnen und sie zischte: „Oh, verdammt! - Ein Lykanthrop!"
Harry zuckte zusammen, doch Ron schaute sie verständnislos an und fragte: „Was ist denn das?"
In diesem Moment drehte sich die Gestalt um und antwortete mit einem schnarrenden Bellen: „Das werdet ihr gleich sehen, ihr dämlichen Gören!" Trotz der Entfernung musste er jedes der geflüsterten Worte gehört haben. Der Fremde trat unter den Bäumen hervor. Im Licht des aufgehenden Vollmondes kam nun ein großer, schlaksiger Mann mit Backenbart und völlig verfilztem Kopfhaar auf sie zu.
Nach einigen Schritten blieb er wie angewurzelt stehen und begann zu zittern. Langsam verformte sich der Kopf und in der widerlich bärtigen Schnauze sah man jetzt eine Reihe spitzer Zähne. Die Schulterpartie wurde breiter und der Rücken begann sich zu krümmen.
Ron, Hermine und Harry standen gelähmt vor Schreck immer noch hinter den Büschen und starrten gebannt auf die monströse Verwandlung, die sich vor ihren Augen abspielte.
Die gespannte Haut platzte an mehreren Stellen auf und darunter kamen drahtige Haare zum Vorschein. Am Schluss war Hüftbereich und Rücken mit einem struppigen grauen Fell bedeckt und auch die spitzen Ohren wiesen kleine Fellbüschel auf.
Harry erkannte den Mann aus den Beschreibungen von Remus Lupin. Entsetzt keuchte er: „GRAYBACK! – In entfesselter Mordlust."
Die jungen Schüler wichen hastig zurück, als die Kreatur mit ihren klauenartigen Fingern dem nächsten Baum die Rinde wegfetzte, den Kopf hob und ein unheimliches Heulen ausstiess.
„Weg hier, schnell! Ich versuch ihn mit irgendetwas aufzuhalten. Vielleicht schaffen wir es bis zum Schloss, bevor er uns einholt." Harry drängte die anderen in den dichten Wald zu laufen. Dann drehte er sich noch einmal um. Grayback hatte den Kopf gesenkt und schaute in die Richtung der Flüchtenden. Seine Augen waren jetzt so glühendweiß wie der helle Mond über ihm.
Harry blieb keine Zeit mehr, über eine geeignete Abwehr nachzudenken. Schon spannte der Werwolf seine kräftigen Hinterläufe an, um mit einem mächtigen Satz die Verfolgung aufzunehmen. Schnell riss Harry seinen Zauberstab aus dem Umhang, wandelte den ursprünglichen Zauber ab und rief: „Vincire Lupartus!"
Der auf Wölfe angepasste Fluch überraschte das Tier mitten im Sprung. Dünne Seile schlangen sich um seine Gliedmaßen und schnürten ihm auch das aufgerissene Maul zu. Fenrir krachte mit voller Wucht auf den Waldboden, überschlug sich mehrmals und blieb schließlich in den Büschen hängen.
Der Junge wartete nicht ab, ob die magischen Seile auch einem rasenden Werwolf standhalten würden. Im Laufschritt holte er seine Freunde ein, die ihn ängstlich erwarteten.
„Hast du ihn gebändigt?", fragte Ron hoffnungsvoll.
„GebändigtFenrir Eher begeht Voldemort Selbstmord. Schnell weiter! Der wird bald wieder hinter uns her sein." Harry schaute im Laufen besorgt über seine Schulter, doch noch war nichts zu sehen. Hastig eilten sie weiter, denn der Weg zum Schloss war noch weit. Sie waren sogar gezwungen, einen Umweg zu nehmen, weil sie die Senke von Aragogs Spinnen-Nachwuchs umgehen mussten. Mühsam kämpften sie sich durch unwegsames Gelände und Schneewehen hindurch. Danach schüttelten sie ihre Kleider aus um den schweren Schnee, der sich an ihnen festgesetzt hatte, wieder loszuwerden. Weit hinter ihnen hörten sie ein gespenstisches Bellen, das ihnen die Haare zu Berge stehen ließ.
„Er hat sich befreit und folgt unserer Fährte. Gnade uns Gott, wenn er uns einholt. Den Salto durch die Fesseln wird er mir bestimmt heimzahlen wollen." Harry holte seinen Zauberstab wieder hervor. Der Wald schien sich jetzt zu lichten und durch eine Schneise sahen sie auf ein baumloses Feld. „Da lang! Vielleicht sehen wir auf der freien Fläche, wo wir uns befinden. Ich weiß nämlich überhaupt nicht mehr, wo wir sind." Ron winkte Hermine und Harry, ihm zu folgen. Bis jetzt waren sie keinem Bewohner des Verbotenen Waldes begegnet. Die Tiere hatten sich wohlweislich versteckt. Niemand war so dumm, einem jagenden Werwolf in die Quere zu kommen.
Während sie durch die Waldschneise rannten, fragte Hermine: „Hey, habt ihr vielleicht etwas aus Silber dabei? Am besten wären Silberkugeln."
Der Rothaarige schnaubte: „Silberkugeln? Natürlich nicht! Ich wollte den Tannenbaum fällen, nicht erschießen."
Harry durchsuchte seine Taschen nach metallenen Gegenständen.
Bei ihrer Flucht vor dem beißwütigen Werwolf erreichten sie nun das große baum- und buschlose Feld. Im Mondlicht bemerkten sie, wie weit sie von ihrem eigentlichen Weg abgekommen waren.
„Wir müssten wieder ein Stück zurück und dann abbiegen, aber . . . . „
Ein wildes Knurren ließ sie zusammenfahren. „Zeig schnell, was du in deinen Taschen gefunden hast, Harry!", drängte Hermine und untersuchte hastig die Teile. „Da, dieser Anhänger ist aus reinem Silber."
„Und was jetzt? Willst du das kleine Ding dem Wolf um den Hals hängen?" Die beiden Jungen schauten zu den Bäumen, zwischen denen zwei leuchtende Augen auftauchten. Ron stiess seine Freunde aufs Feld hinaus. „Weg! Auf die andere Seite, er ist gleich da!"
Aber Harry blieb in der Mitte stehen und hielt Ron am Arm zurück. „Nein! Warte, das bringt nichts. Er wird uns hetzten, bis uns die Luft ausgeht. Wir sollten hier bleiben, wo wir sehen, aus welcher Richtung er kommt."
Hermine pflichtete ihm bei: „Im Wald haben wir keine Chance. Hier auf diesem Feld können wir ihm entgegentreten, denn wir haben einen Schutzschild." Rasch stellte Hermine den silbernen Anhänger in den Schnee und sprach: „ENGORGIO!"
Grayback hatte die Zaubererschüler endlich eingeholt und sprang mit gebleckten Zähnen heißhungrig auf die Gruppe zu.
SSSSSSSSEMMMM! Plötzlich bäumte sich ein großer Hippogreif vor ihm auf. Der verblüffte Wolf rammte alle vier Pfoten in den Schnee, duckte sich unter den Vorderläufen der Silberstatue weg und sprang zu Seite. In respektvollem Abstand blieb er stehen und schaute zurück.
Keine schlechte Idee, mussteer zugeben. Einen Moment dachte ich wirklich, der Pferdegeier haut mir eine runter.
Ärgerlich schon wieder abgeblockt worden zu sein, trabte er um den Hippogreif herum und hielt nach den vorwitzigen Schülern Ausschau. Der Verfolger sah aber nur ihre Schatten, die immer wieder schnell genug um die Statue verschwanden. Als er es von der anderen Seite versuchte, schlugen drei magische Flüche kleine Krater in den Boden neben ihm. Grayback ging in Deckung und überdachte sein weiteres Vorgehen.
Gut, sie wollen auch nicht ewig um den Silberklotz herumrennen. Diese halbwüchsigen Racker wehren sich, aber ich werde sie trotzdem kriegen.
Der Lykanthrop drehte sich einmal um die eigene Achse, schaute sich die Bodenbeschaffenheit der Umgebung genau an und ein Plan begann in seinem Schädel Gestalt anzunehmen.
Ja, das könnte gehen. Ich muss nur genug . . .
Er erhob sich auf die Hinterbeine, vergewisserte sich, dass seine Opfer noch hinter dem Pferdegeier standen und wandte sich dann ab.
Ron, Hermine und Harry waren es leid, auf dem unebenen Feld im Kreis zu laufen. Der teilweise knietiefe Schnee hatte ihre Beinkleider durchnässt und sie froren in der kalten Brise, die über die Lichtung blies. Gerade hatten sie die Silhouette des verunstalteten Wolfskopfs kurz neben ihrem Schutzschild auftauchen sehen und sicherten auf beide Seiten, um einen neuen Angriff abzuwehren.
Lange halten wir hier nicht mehr durch. Ich habe jetzt schon ganz steife Glieder von der Kälte. Harry blickte zähneklappernd zu Hermine hinüber. An ihren Haaren haben sich auch schon Eiskristalle gebildet.
Ron reckte den Hals und rief plötzlich: „Hey, ich glaub'snicht! Er haut ab! - Haben wir ihn wegjagen können?" Der Rotschopf deutete frohlockend auf einen dunklen Schatten, der Richtung Wald trottete.
„Das glaub ich jetzt weniger. Der ist doch viel zu stur um aufzugeben. Außerdem war er vorhin ganz wild darauf, uns zu zerfleischen." Hermine teilte Rons Erleichterung überhaupt nicht.
Harry hatte sich ein paar Schritte hinter der Deckung hervorgewagt und schaute dem abziehenden Wolf hinterher. „Nein, der haut nicht ab. Der holt Verstärkung, ganz sicher!"
Es war ein Rudel fuchsähnlicher Wesen aufgetaucht, die sich am Waldrand verteilten.
Hermine hatte sie auch gesehen, schüttelte aber den Kopf. „Das passt aber gar nicht zu ihm, wenn er sich mit Nogschwänzen zusammentut. - Aber egal, woher er die Verstärkung holt, wir brauchen dringend Hilfe. Vielleicht können wir mit einem großen Sternschnuppen-Zauber den Auroren im Schloss anzeigen, wo wir sind. Die werden bestimmt schon nach uns suchen."
Ron sah Hermine an, als hätte sie einen Dachschaden. „Dir hat wohl die Kälte zugesetzt?! Sternschnuppen-Zauber, tief im Verbotenen Wald! Da kannst du ja gleich eine Reklametafel für Todesser und andere dunkle Gestalten über unsere Köpfe hängen. Zauberlehrlinge zum Abschuss freigegeben!"
„Irgendetwas müssen wir doch tun!" fauchte Hermine genervt. „Wir können nicht einfach herumstehen und warten, bis sie uns niedermetzeln."
Ron war immer noch gegen einen Feuerwerks-Zauber und reklamierte: „Ja, aber doch nicht für alle so offensichtlich. Du hast doch sonst immer so geniale Ideen, fällt dir nichts Besseres ein?"
Der dritte im Bunde zerrte an seiner Brusttasche herum und versuchte zu schlichten: „Nicht streiten, ihr zwei, wir müssen zusammenhalten." Endlich hatte er den goldenen Taler aus der Stofftasche befreit und hielt ihn Hermine hin. „Hier, vielleicht kannst du mit der falschen Galleone von unserer DA - Vereinigung etwas anfangen."
Das braunhaarige Mädchen starrte kurz auf die Goldmünze, dann nahm sie das Geldstück aus Harrys Hand. „Natürlich! Mit einem verstärkten Proteus-Zauber könne ich auf der Original-Galleone einen Hilferuf erscheinen lassen. - Zum Glück musste ich damals, als wir erwischt wurden, meinen Original-Taler an Dawlish abgeben. Er wollte ihn als Erinnerungsstück an unsere Widerstandsgruppe behalten."
Harry und Ron feuerten sie an: „Na dann nichts wie los! Dawlish ist ja auch in Hogwarts. Der Auror soll uns rasch mit seinen Leuten zu Hilfe kommen. Belege die Münze mit dem Zauber. Wir passen währenddessen auf, ob die Angreifer schon anrücken."
