Askaban

„Lucius?" Narcissa tastete sich an der kalten Steinmauer entlang.

Sie flüsterte erneut den Namen ihres Mannes.

Niemals zuvor hatte sie eine solche Kälte verspürt.

Askaban. Der Ort, an dem sie niemals hatte sein wollen. Unter keinen Umständen. Niemals.

Und jetzt war sie da. Mitten in der Nacht .

Aus einigen Zellen, an deren Gitterstäben sie sich nun entlang tastete, konnte sie das Gemurmel der Gefangen vernehmen.

Verdammt dunkel war es hier.

Aber sie konnte ihren Zauberstab noch nicht benutzen, wer wusste schon wie lange das verdammte Ding noch hielt.

Sie hatte sich ein hartes Duell mit der Nachtwache liefern müssen. Ein wenig stolz war sie auf sich. Ganz allein war sie mit den beiden übermannsgroßen Auroren fertig geworden.

Morgen würden die beiden gefunden werden mit zwei großen Whiskeyflaschen im Schoß. Ja, sie hatte ihre Spuren sauber verwischt.

Ein Lächeln huschte kurz über ihre Lippen. Lucius würde stolz auf sie… „Scheiße."

Sie war über einen hervorstehenden Fels gestolpert und war auch direkt der Länge nach auf die Nase gefallen.

Leise richtete sie sich auf. Ihre feine Seidenstrumpfhose hatte einen tiefen Riss und ihre Knie darunter auch.

Vorsichtig stand sie auf.

„Narcissa?"

Eine vertraute Stimme. Nur einige Zellen weiter.

„Lucius, wo bist…" ihre Stimme erstarb. Da stand er. Die Hände fest um die Gitterstäbe geklammert. Sein feines silberblondes Haar glänzte im Mondlicht, das durch sein Fenster fiel.

Als er sie erkannte löste er seine Umklammerung mit dem kalten Eisen sofort und stellte sich lässig vor die Gitterstäbe.

„Wie du siehst… Sie haben mir sogar eine Luxuszelle zugeteilt… Was verschafft mir die Ehre für deinen nächtlichen Besuch?"

Narcissa schüttelte den Kopf. Sie hörte die Angst in seiner Stimme. Konnte die Sehnsucht ihres Mannes nach Freiheit und frischer Luft mit jeder Phase ihres Körpers spüren.

Konnte in seinen Augen nicht mehr die Leidenschaft, das Feuer, Temperament oder die unheimliche Arroganz ihres Mannes finden.

„Verarsch mich nicht, Lucius. Ich bin nicht hierher gekommen, damit du mir vorspielst, dass es hier schöner ist als im Steigenberger!"

Sie streckte ihren schmalen, filigranen Arm durch die Gitterstäbe.

Er sah sie einen Moment lang an. Dann ging er näher an die Stäbe heran und nahm ihre Hand in die seine.

Seine sonst so starken und schönen Hände fühlten sich rau und zittrig an.

Er tastete jeden Zentimeter ihres nackten Armes ab. Streichelte und kniff in ihre Haut.

„Du… du bist es wirklich?" flüsterte er fassungslos.

Sie nickte.

„Wie geht es dir, mein Engel? Habt ihr das Konto in Gringotts öffnen können? Fehlt euch irgendetwas? Wie geht es dem Jungen?"

Er war ganz nah and Stäbe, die sie voneinander trennten herangetreten.

„Es ist nicht wichtig, wie es mir geht, Lucius. Ich bin hier, um…um…" sie kämpfte gegen das stechende Gefühl aufkommender Tränen an.

„Ich will dir sagen, dass du die Hoffnung nicht aufgeben darfst, hörst du? Ich bin fast wahnsinnig geworden, weil sie mich nicht zu dir lassen wollten. Ich wollte dir sagen, dass du durchhalten musst. Und dass du nach hause kommen musst." Sie konnte nicht länger gegen die Tränen ankämpfen.

Sie hatte sich vorgenommen nicht zu weinen. Sie hatte es sich geschworen und jetzt…

„Ich… es tut mir leid, Cissa. Ich… Aber ich … ich kann nicht mehr."

„Sag das nicht Lucius." Sie streckte ihre Hände durch die Stäbe und drückte seine Stirn gegen ihre.

„Wir brauchen dich, Lucius. Ich brauche dich. Weil… weil."

Er richtete ihr Kinn auf.

„Was ist, Cissa?"

„Ich wollte es dir nicht sagen, aber… Bellatrix. Sie hat meinen Jungen. Er…"

Sie machte eine Pause und begann dann hemmungslos zu schluchzen.

„Sie haben ihm das Dunkle Mal eingebrannt. Lucius. Ich konnte nichts tun. Mein Sohn. Mein einziges Kind.

Ich wollte ihn aufhalten und er...

Lucius, er ist verloren. Er hat gesagt er müsse unsere Familienehre verteidigen und dass ich… dass ich unser Blut beschmutzen würde.

Ich sei erbärmlich… Hat mich angespuckt. Oh Lucius… Ich…"

„Schhh." Er legte einen Finger auf ihre vollen, schönen Lippen. Er strich ihr so sanft er konnte mit seiner rauen, schmutzigen Hand über die Wange.

„Du kannst nichts dafür, mein Engel. Wenn einer Schuld hat dann ich." er schlug hart mit der Faust gegen die Gitterstäbe.

„Ich hätte mich ihm niemals anschließen dürfen. Niemals. NIEMALS."

Und Narcissa sah zum ersten Mal im Leben ihren Mann fallen.

Er fiel aus seine Knie und stützte den Kopf in die Hände.

Sie kniete sich herunter und umarmte ihn durch die Gitterstäbe.

Ihre Körper berührten sich und obwohl der kalte, massive Stahl sie an einigen Stellen trennte spürte Lucius die Wärme seiner Frau.

Er legte seinen Kopf an ihre Brust und hörte ihr Herz schlagen.

Sie war so viel unschuldiger als er. Sie konnte nichts zu ihrer Lage. Er hatte sie da mit rein gezogen.

Er ganz allein.

Und jetzt standen alle Zeichen draußen auf Krieg.

Wenn Voldemort ihn irgendwann hier herausholen würde, hätte er keine Chance mehr auszusteigen.

Er würde kämpfen müssen und, wenn er nicht im Kampf starb, dann würde Voldemort ihn töten. Spätestens, wenn er seine Aufgaben für seinen Meister erledigt hatte.

Und er würde vor seiner Familie keinen Halt machen.

Mit seinem Scheitern im Mysterium hatte er praktisch sein Todesurteil besiegelt. Und das seiner Familie.

Das würde er nicht zulassen.

Er würde versuchen seinen Sohn zu retten und wenn er schon verloren war, dann würde er dafür sorgen, dass wenigstens seiner über alles geliebten Frau kein Leid zugefügt werden würde.

Nicht ihr.

Er atmete ihren Duft ein. Hörte ihr zartes Herz schlagen.

Er hob seinen Kopf und sah sie an.

„Narcissa. Wenn ich das hier nicht überleben werde…"

Sie fiel ihm ins Wort. „Erzähl keinen Unsinn, Lucius."

„Hör mir zu, Narcissa!" er nahm das Gesicht seiner Frau in seine Hände, damit sie ihn ansah, wenn er sprach.

„Wenn ich das hier nicht überleben werde, "

Sie schluchzte

„Versprich mir Narcissa, dass du nicht hier bleiben wirst! Du wirst das Geld von Gringotts nehmen und dahin gehen, wo du hin willst. Raus aus England.

Dahin, wo du schon immer hinwolltest. Oder wo wir Beide noch nie waren.

Du wolltest doch immer mal nach Afrika oder besser: mal wieder auf eine von diesen tropischen Inseln.

Und dann ist uns Draco dazwischen gekommen."

Er lächelte sie an. Ganz in Gedanken an den Tag, an dem seine Frau ihm das schönste Geschenk gemacht hatte, dass ein Mann bekommen konnte.

Der Tag, an dem sein Junge zur Welt gekommen war.

„Du wirst dir ein Haus, ach ein Haus, ein Schloss bauen lassen und wirst ein neues Leben anfangen. Hörst du?"

Sie schüttelte den Kopf. Tränen liefen über Lucius Hände, als sie erneut begann zu weinen.

„Nein. Ich gehe nicht ohne dich, Lucius. Und nicht ohne unseren Sohn."

„Bitte Narcissa. Versprich es mir. Versprich mir, dass du gehen wirst!"

„Wenn du nicht mehr bist, Lucius. Dann… dann will ich auch nicht mehr."

Er drückte seine Hände fester an ihr Gesicht.

„Du wirst gehen. Hast du mich verstanden, Narcissa?"

Wieder schüttelte sie den Kopf.

„Du tust mir weh, Lucius.", jammerte sie, als er die Hände noch fester um ihren Kopf legte.

Schlagartig lockerte er seinen Griff.

„Bitte, Narcissa…Schwöre es mir! Mehr will ich nicht!"

„Ich werde dich hier rausholen, Lucius." Sie legte soviel Zuversicht in ihre Stimme, wie nur möglich. Und streichelte den Rücken ihres zitternden Mannes.

Er lachte bitter.

Sie neigte ihren Kopf nach vorne. Ihr schmales Gesicht passte gut durch die Gitter. Sie sehnte sich so sehr nach ihm. Noch ein Stück.

Ihre Lippen berührten sich. Ihre weichen gepflegten Lippen auf die blutigen und spröden Lippen ihres Mannes.

Lucius schloss die Augen.

Es war, als würde die Welt für einen Moment stehen bleiben. Es gab nur noch sie und ihn.

Er klammerte sich an ihre schmale Taille und hoffte dieser Moment würde nie enden. Niemals.

So innig hatte er seine Frau schon lange nicht mehr geküsst. Und er bereute es. Musste wirklich erst Askaban kommen, damit er merkte, wie sehr er seine Frau wirklich liebte?

Er küsste sie, als wenn es der letzte Kuss sei, den sie je austauschen würden.

Und vielleicht war er das auch.

Er hatte jede Hoffnung verloren.

„Schwör es mir Cissa." flüsterte er, als sich ihre Lippen langsam voneinander trennten.

Das Mondlicht erhellte sie jetzt gänzlich. Mühsam zwang sie sich zu einem Lächeln.

„Ich werde dich hier rausholen, Lucius. Wir gehen gemeinsam von hier fort und wenn das heißt, dass wir gemeinsam sterben werden…" Sie richtete sich auf.

Lucius versuchte seine Frau zu fassen zu bekommen, aber sie war schon von den Gittern zurückgetreten.

„Narcissa, mach keine Dummheiten. Bitte!"

„Wir werden uns sehr bald wieder sehen, Lucius! DAS schwöre ich dir!"

„Narcissa…wie?"

Sie schluckte und schob ihre Gedanken an das, was ihr bevorstand beiseite.

Ihr Mann war ein hervorragender Okklumentiker. Sie hoffte, sie hatte rechtzeitig reagiert.

Narcissa trat ein letztes Mal ins Mondlicht.

„Ich liebe dich, Lucius." hauchte sie. „Für dich würde ich durch die Hölle gehen, wenn es sein müsste."

Er sah sie fassungslos an.

Sie wandte sich zum gehen.

Am Ende des Ganges sah sie noch einmal zurück und rief:

„ Ich liebe dich Lucius Malfoy.

Egal, was passiert.

Für immer."