Oranges and Kisses
© Paradoxum, 2011
Prolog - Oranges
Zarte Frauenhände entfernten die Schale von der runden Frucht, teilten das Fruchtfleisch in kleine Stücke und warfen diese in den Mixer, der wie immer mitten auf dem Küchentisch stand. Eigentlich hatte er einen anderen Platz, aber sie war einfach zu bequem, um das Teil Morgen für Morgen hin und her zu räumen.
Frisch gepresster Orangensaft. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte ihre Mutter ihr diesen schon jeden Morgen vor der Schule zu trinken gegeben, als sie noch ein kleines Kind war.
„Der erfrischt und macht dich stark für den Tag.", hatte sie gesagt und ihre Tochter dabei liebevoll angelächelt.
Ein trauriges Lächeln zierte die Lippen der Frau, als sie den Knopf drückte, um den Mixvorgang zu starten. Der ihr so vertraut gewordene Lärm füllte die Küche.
Sicher wäre ihre Mutter jetzt stolz auf sie. Vielleicht war sie es. Sie war stark geworden, der Orangensaft hatte ihr Kraft gegeben, die Tage durchzustehen, an denen sie sich am liebsten unter ihrer Bettdecke verkrochen hätte. Tage, an denen sie dachte „Ach, wäre ich doch nur im Bett geblieben.".
Tage wie dieser.
Grob riss er die Schale von der Frucht ab und warf sie ohne weiter darauf zu achten, in den Mülleimer neben sich. Wahrscheinlich waren Stücke daneben geflogen, aber das kümmerte ihn nicht. Das hatte es noch nie. Wen scherten schon ein paar Orangenschalen auf dem Boden? Früher oder später würde er sie sowieso mit dem ganzen anderen Dreck wegräumen. Irgendwann.
Er wandte sich zu der Tür, die ins Badezimmer führte und schlurfte langsam auf sie zu, gähnte, fuhr sich mit der freien Hand –in der anderen hielt er immer noch das Obst –durch die Haare und stieß die Tür mit der Schulter auf. Noch einmal gähnend ließ er sich auf dem Rand seiner Badewanne nieder und zerpflückte die Frucht in kleine Stückchen, die er sich nach und nach in den Mund schob, ordentlich zerkaute –so, wie seine Gran es ihm immer eingetrichtert hatte –um dann noch einmal den fruchtig-süßen Geschmack zu genießen, ehe er alles runterschluckte.
Das war zu einem morgendlichen Ritual für ihn geworden. Er wusste nicht einmal mehr, wie lange er das schon tat, aber es waren sicher schon einige Jahre. Er wusste auch nicht mehr, wie es dazu gekommen war, warum er damit angefangen hatte, aber das war für ihn auch nicht wirklich von Bedeutung. Hauptsache, es schmeckte und erfrischte.
Ein drittes Mal entwich ihm ein Gähnen. Er stand auf, streckte sich und besah sich dann sein Spiegelbild. Ein junger und gutaussehender –wenn auch etwas verschlafener –Mann blickte ihm entgegen, die grünen Augen versprühten eine Lebensfreude, wie sie sich mancher nur wünschen konnte.
Die Mundwinkel im Spiegel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln.
„Guten Morgen."
