Kurzes Vorwort:
Was zum Teufel ist das hier?
Das hier ist keine zusammenhängende Geschichte, sondern ein Thread für einzelne One-Shots, die mit „Mors Ante Infamiam" zusammenhängen - jene One-Shots, die ich nicht einzeln hochladen will, weil sie kein Mensch verstehen wird, der nicht „Mors Ante Infamiam" gelesen hat. Also, wenn ihr MAI nicht kennt, lege ich euch dringend ans Herz, es zuerst zu lesen. Ihr würdet sonst vermutlich nicht verstehen, wer die Personen sind und worüber sie sprechcen.
Da es einzelne, absolut nicht zusammenhängende Geschichten sind - teilweise Prequels oder Hintergrundkram, teilweise Missing Scenes -, bekommt auch jede ihre eigene kurze Zusammenfassung, damit ihr euch aktiv entscheiden könnt, ob ihr sie lesen wollt ;-).
Papierkram zu „Kein großer Verlust":
Harry Potter gehört J.K. Rowling. Da „Kein großer Verlust" auf „Mors Ante Infamiam" basiert, und „Mors Ante Infamiam" auf „Harry Potter", gehört nichts davon mir.
Zusammenfassung: Eine Geschichte über das Leben von Dorcas Meadowes, von ihren sechsten Lebensjahr bis zu ihrem Tod, die (zumindest mir) beantworten sollte, warum sie eigentlich ist, wer sie ist. Habt Gnade, ich habe so eine Form noch nie vorher probiert und bin selbst höchst skeptisch darüber, ob's was taugt.
Charaktere: Dorcas Meadowes, mit Cameos von den Potters, Voldemort und diversen Auroren.
Rating: PG-13 für Sex, Gewalt und geschmacklose Sprache (was habt ihr erwartet? Es geht um Meadowes ;-)).
Kein großer Verlust
Es ist 1955, und Donovan Meadowes liegt im Sterben.
Er ist nicht so alt, wirklich nicht, und Dorcas ist sechs und versteht noch nicht so recht, warum andere Leute so viel älter werden als Vater und trotzdem nicht im Bett liegen und trotzdem nicht sterben. Sie starrt aus ihrer Ecke im Zimmer zu ihm hoch. Mutter sitzt auf einem Stuhl am Bett wie eine Königin aus einem alten Buch und hält seine Hand.
Donovan Meadowes' Gesichtszüge sind scharf und seine dunklen Augen stechen sogar durch Wände. Niemand widerspricht, wenn Vater eine Anweisung gibt, und Dorcas schießt durch den Kopf, dass sie jetzt wohl nicht mehr gehorchen müsste, aber das einzige, was er sagt, sind sowieso nur Husten und Murmeln. Ihr kommen beunruhigende Vergleiche zu sterbenden Tieren in den Sinn.
Zacharias steht neben ihr und hält ihre Hand. Sie sind genau gleich groß und haben genau die gleichen schwarzen Haare und dunkelblauen Augen, nur dass Zach ein Junge ist. Sie sind Zwillinge, aber sie weiß trotzdem nicht, was Zach gerade denkt.
Die Welt hat sich verändert in den letzten Wochen. Vater sitzt nicht mehr am Dinnertisch, er liegt jetzt im Bett.
„Kommt her, ihr beiden", sagt Mutter und winkt sie näher, und Zach und Dorcas schubsen sich gegenseitig vorwärts, so dass man nicht mehr sagen kann, wer wann zögert und wer wann drängelt. Es ist dunkel im Raum, und es riecht nach Krankheit und Schweiß und Urin. Der Geruch ist eklig süß, und Dorcas will nicht näher gehen und nicht Vater anfassen.
„Ihr müsst euch verabschieden", sagt Mutter, und Dorcas starrt ihren Vater an, der mit stechenden Augen zurücksieht und hustet. Dorcas findet ihn abstoßend, obwohl sie sonst nie, nie so etwas denkt, und sie schwört sich, dass sie nie hilflos sein will, und dass sie nie in einem Bett liegen und verfaulen will, wie Vater.
Es ist 1956, und Dorcas schaut an der Taille des Hausmädchens vorbei den vielen Gäste zu, die heute das Landhaus besuchen. Die Frauen tragen wunderschöne, lange Samtkleider, und die Männer schwere, würdevolle Roben. Onkel Blaise ist zu Besuch, und weil der Onkel so oft auf Reisen ist und so berühmt, gibt Mrs. Meadowes eine Dinnerparty.
Die Mutter trägt ein langes schwarzes Kleid, denn sie trägt immer schwarz, seit Vater gestorben ist. Sie hält ein Weinglas in der Hand, lächelt, während sie von Gast zu Gast schwebt und für alle zugleich da ist. Dorcas bewundert die Mutter, weil sie so hübsch ist, und will irgendwann auch so hübsch sein.
Die Anzahl der Menschen im Salon ist überwältigend. Dorcas hat noch nie so viele Menschen auf einmal gesehen, und sie glaubt, dass alle Menschen hier versammelt sind, die sie kennt. Die McKinnons sind da und die Potters und die Clearwaters. Mutter hat Onkel Blaises Bilder an die Wände gehängt, denn heute Abend geht es um ihn, aber Dorcas interessieren nicht die Bilder, sondern die Männer.
Die Männer sind alleine da und tragen schwarze Roben mit silbernen Abzeichen. Eigentlich sind es nicht nur Männer, sondern zwei Frauen sind dabei, aber sie tragen die gleichen Roben und haben kurze Haare, und sie hätten genauso gut Männer sein können. Sie stehen isoliert in einer Gruppe und unterhalten sich und nennen Mutter „Amanda", und sie haben ernste Mienen und Blicke, die überall sind. Einem fehlt ab dem Ellenbogen ein Arm, und ein anderer, ein junger, hat zwei riesige Narben quer über dem Gesicht.
„Das waren Arbeitskollegen deines Vaters", hat Onkel Blaise gesagt, als sie ihn fragte, bevor er wieder durch den Raum tänzelte und die Aufmerksamkeit genoss. „Der mit den blonden Haaren, das ist Diggory. Und der junge mit den Narben, das ist Moody."
Dorcas findet die Männer unheimlich, so unheimlich, dass sie nicht mehr Kleider beobachten will. Sie versteckt sich hinter dem Hausmädchen, bis Zach endlich auftaucht und sie wegzerrt, denn er hat andere Kinder zum Spielen gefunden. Sie schleichen an der Mutter vorbei, damit sie sie nicht aufhält, und Dorcas fühlt sich, als würden Moody mit den Narben sie die ganze Zeit dabei beobachten.
Es ist 1957, und Dorcas und Zach sehen zu, wie ein Arbeiterzauberer ein Portrait im Salon montiert, direkt über dem Stuhl, auf dem Vater immer gesessen hat. Dorcas kommt es plötzlich vor, als sei er nie weg gewesen, und sie starrt den Mann auf dem Bild an, der ärgerlich schaut, weil er herumgeschüttelt wird, und sich sorgsam die schwarzsilbernen Roben glatt streicht.
Donovan Meadowes sieht jünger aus, als Dorcas ihn je erlebt hat. Jedes Mal, wenn sie ihn ansieht, nickt er ihr würdevoll zu. Neben ihr schneidet Zach eine Grimasse, und sie kichert, und Mutter wirft ihnen einen strafenden Blick zu, der sie heute nicht verstummen lassen kann, denn das würdevolle Portrait ist zu komisch, zumindest jetzt noch.
Mutter hat jetzt oft Besucher, und Dorcas weiß, dass sie sich politisch engagiert und liberal ist, und dass alle Meadowes' liberal sind. Mutter spricht oft von Vater, mit den Gästen, und Dorcas sieht sie dann mit großen Augen an, weil ihr ist, als spreche Mutter von einem Mann, denn sie niemals gekannt hat.
Das Portrait macht Vater wieder lebendig, und so viel Lärm sie auch mit Zach macht, wenn Mutter nicht da ist, er ist überall.
Es ist 1958, und Onkel Blaise ist wieder zu Besuch. Er hat ihr eine Puppe mitgebracht, aus Frankreich, und Dorcas liebt diese Puppe, weil sie herumläuft und mit ihr spricht. Als sie am Abend auf dem Boden vorm Kamin sitzt und ihr ein Kleid anzieht - Dorcas ist neun, aber sie findet nicht, dass neun zu alt ist für Puppen -, findet sie aber plötzlich etwas Interessanteres als ihre Puppe: Onkel und Mutter spielen Schach, und jetzt sieht auch Zach zu, von einem Stuhl aus, und Dorcas wird neugierig.
„Darf ich auch mitspielen?", fragt sie, vergisst sie Puppe und steht auf, um einen Blick auf das Schachbrett zu werfen. Onkels Springer massakriert gerade Mutters Turm, und Dorcas sieht faszinierende Splitter fliegen.
Die Mutter wirft ihr einen entrüsteten Blick zu. „Natürlich nicht", sagt sie entschieden. „Das ist ein viel zu brutales Spiel. Spiel lieber weiter mit deiner Puppe, Dorcas."
Dorcas zieht eine beleidigte Schnute, und als Onkel es sieht, lacht er und klopft auf den Platz neben sich. Dorcas sitzt schon lange auf keinen Schößen mehr, erst recht nicht auf dem von Onkel Blaise mit seinen feinen Fingern und der eleganten blassen Haut, ganz wie die ihrer Puppe, weil sie ihm zu schwer geworden ist. Die Mutter sagt, sie ist pummelig.
„Das ist doch Unsinn, Amanda", sagt er, und Dorcas nimmt selig den Platz an seiner Seite ein. „Dorcas kann mit mir spielen. Ich erklär ihr die Regeln."
Der Springer schleudert die Überreste des Turms vom Brett, und Dorcas lächelt vergnügt und grinst Zach über den Tisch herüber zu. Zachs Augen funkeln, aber sie funkeln immer. „Kannst du auch so kämpfen, Onkel?", fragt sie ihren Paten neugierig, und Onkel Blaise lacht erneut auf seine gezierte Weise.
„Ich? Ich könnte nicht mal gegen ein Grindeloh kämpfen. Dein Vater konnte das, aber deine Mutter und ich lassen das lieber die Figuren für uns machen, was, Amanda?"
„Dad hat gegen Grindelwald gekämpft!", fügt Zach naseweis hinzu. „Das Portrait hat's mir erzählt."
Dorcas hört nicht mehr zu. Sie ist in die Welt des Schachbretts vertieft und sucht schon nach dem besten Weg, den König zu umzingeln.
Es ist 1959, und Zach und Dorcas spielen draußen auf dem Familienfriedhof. Die Mutter sagt, sie seien zu alt um zu spielen, und sie sagt auch, dass man auf Friedhöfen nicht lacht, aber ihr Bruder kann sie immer schnell überzeugen, dass Mutter das sicher nicht so gemeint hat. Alle Kinder spielen schließlich, das haben sie mit zehnjähriger Präzision genau beobachtet.
„Hokus Pokus!", ruft Dorcas und lacht triumphierend, als ein Regen blauer Funken aus ihrem Kinderzauberstab auf Zach niederprasselt, der über eine Wurzel gestolpert ist und auf dem Hintern sitzt und lacht.
„Das ist doch überhaupt kein echter Zauberspruch", mahnt er dann in brüderlichem Ernst, als er sich gefangen hat, rappelt sich auf und bemerkt gar nicht die erdigen Flecken überall auf seinen Roben. „Nächstes Jahr sind wir in Hogwarts, da musst du echte benutzen."
„Dann benutz du doch einen echten", gibt Dorcas schnippisch zurück und duckt sich wie ein echter Kämpfer, oder so, wie sie sich einen echten vorstellt. Bei dem Spiel ist keiner von ihnen Grindelwald, weil keiner der Böse sein will. Sie haben sich geeinigt, dass sie beide die Guten sind, nur eben anderer Meinung. Dorcas findet das herrlich tragisch.
„Also gut." Zach grinst, und plötzlich stürzt er sich vorwärts und schwingt seinen Kinderzauberstab wie ein Schwert. „Stupor!"
„Immenimenta!", kontert Dorcas, und die blauen und grauen und roten Funken treffen sich in der Mitte und versprenkeln sich gegenseitig, fallen auf Tante Cornelias Grab und verkohlen ihrer beider Roben. Zach ist der Feind, erinnert sie sich, und hastet ungeschickt hinter einem schiefen alten Grabstein in Deckung, noch bevor Zach ein entschlossenes „Aba Kadabra!" rufen kann.
Dorcas kichert über die albernen Silben, und die Sonne scheint ihr auf die Nase, und Zacharias fällt ein. Wirklich, so dringend muss sie nicht nach Hogwarts!
Es ist 1960, der Sprechende Hut ruft „GRYFFINDOR!", und das Problem daran ist, dass er auf Zachs Kopf sitzt, und dass Dorcas gerade am Tisch von Hufflepuff platz genommen hat. Ihr Herz sinkt ein wenig, als ihr Zwilling zum Tisch auf der anderen Seite der Großen Halle hastet, und die Schulroben mit der Krawatte ziepen plötzlich unbequem. Sie hat gleich gewusst, dass sie nicht richtig passen; gegen die älteren, so hübschen und schlanken Mädchen am Tisch fühlt sie sich dick.
„Das war dein Zwillingsbruder, nicht wahr?", fragt eine andere Erstklässlerin neben ihr, und Dorcas sieht sich um und registriert, dass es das Mädchen ist, dass nur zwei Reihen vor ihr in der Reihe stand und Hannawal heißt, Thalia Hannawal. Sie hat dicke blonde Haare und ein freundliches Lächeln, und als Dorcas ihre Figur bemerkt, die ihrer ziemlich ähnlich ist, fühlt sie sich nicht mehr so schlecht. Thalia versteht ihre Grimasse als Bestätigung und zuckt mitfühlend mit den Schultern. „Das ist ja dumm gelaufen", sagt sie. „Aber ihr könnt euch ja im Unterricht sehen."
Dorcas nickt und zögert, weil sie nicht weiß, was sie sagen soll. Sonst ist immer Zach da, um zu sprechen, wenn ihr nichts einfällt, so wie sie für ihn spricht, und sie fühlt sich ziemlich hilflos.
„Geht es um diesen Meadowes?", fällt ein anderes Mädchen ein, das gerade eben in ihr Haus sortiert worden ist - „Spikes, Dory" - und sich jetzt so schwungvoll auf einem Stuhl ihnen gegenüber niederlässt, dass ihr langer Zopf auf und ab hüpft. Sie grinste schelmisch. „Ziemlich süß, muss ich sagen."
Die Mädchen kichern, und Dorcas fällt ein, denn die Vorstellung, dass ihr Bruder süß ist, ist fremd und außerordentlich lustig. Die Roben fühlen sich nicht mehr ganz so eng an, und dann kommt schon Professor Dippets Ansprache. So schlimm kann es nicht werden, befindet Dorcas und häuft sich schon eine Portion Nudeln auf den Teller.
Dory macht einen Witz, und die Mädchen kichern schon wieder.
Es ist 1961 und einer der seltenen Tage, an denen Dorcas nicht mit ihren Freundinnen unterwegs ist, denn heute ist Samstagnachmittag und sie spielt Quidditch mit Zach. Zach muss Quidditch gleich unmittelbar im ersten Schuljahr mit einem Enthusiasmus entdeckt haben, den Dorcas nicht teilen kann. Sie fühlt sich unwohl auf dem Besen, und sie schwört, dass ihr schwindelig wird, wenn sie zu hoch fliegt und ihr Bruder zu wild um sie herum schießt. Aber Dorcas ist entschlossen.
Ein Siebtklässler hat ihr im Gang zugelächelt, und Dorcas hat nicht nur auf der Stelle sterben wollen, sondern auch instantan beschlossen, dass sie abnehmen muss. Sie hat weniger gegessen und weniger gelesen. Es hat nichts gebracht, sie ist immer noch pummelig, und Quidditch ist die letzte Lösung, die ihr einfällt.
„Herrje, Dorcas, du musst den Quaffel schon fangen!", ruft Zach ihr durch den Wind zu, der seine Haare zerzaust, und schießt schon an ihr vorbei, um den Ball zu fangen. Er kommt dem Trollgehege, das auf die UTZ-Prüfungen wartet, ungemütlich nah dabei, auch wenn der lange Arm, der über das magisch gesicherte Gatter nach ihm ausholt, ihn noch nicht ganz erreichen kann, doch Zach lacht nur und fliegt einen fröhlichen Looping. Der Troll grunzt träge und empört. Dorcas ist jetzt definitiv schwindelig.
„Können wir nicht damit anfangen, dass ich auf dem Besen bleiben lerne?", ruft sie ärgerlich zurück und versucht nicht die Hände um den Griff zu verkrampfen. Es wird schon leichter, aber sie hat trotzdem das Gefühl, dass Quidditch einfach nichts für sie ist und ihr Problem nicht lösen kann. Sie sollte lieber zurück ins Schloss gehen und Thalia und Dory suchen. Sie hat ja auch noch Hausaufgaben.
Zach verdreht die Augen. Sie kann es nur sehen, weil er den Besen mitten in der Luft gestoppt hat, eine Hand in die Hüfte gestemmt. „Mädchen können einfach nicht Quidditch spielen!", neckte er sie über den Wind und grinste verschmitzt.
Dorcas verdreht ebenfalls die Augen. „Dafür haben sie mehr im Kopf!", gibt sie zurück und duckt sich, weil Zach den Quaffel auf eher klatschermäßige Weise nach ihr geworfen hat, und fällt fast, und lacht zwischen dem Schwindelanfall.
Es ist 1962, das dritte Schuljahr, und Dorcas hat schlechte Laune.
„Es ist unfair!", beschwert sich Dorcas und lässt sich in einen der gemütlichen Sessel fallen, die so natürlich den Hufflepuff-Gemeinschaftsraum füllen wie Bäume den Wald. Dory grinst wissend, und Thalia kichert.
„Er ist trotzdem süß", sagt ihre hübsche blonde Freundin verträumt und mein den Hüter des Slytherin-Quidditchteams. Und er ist süß, Dorcas muss das zugeben, aber das geht ganz entschieden am Thema vorbei.
„Du hast ihn nicht süß zu finden!", gibt sie entrüstet zurück und runzelt ärgerlich die Stirn. „Er hat uns weggeputzt! Weggeputzt! Zweihundertzehn zu dreißig, was war das denn für ein Spiel!"
„Ach komm." Dory zuckt einen Sessel weiter mit den Schultern. „Es ist doch nicht so, als würde dich Quidditch interessieren. Tut es sonst nicht, nicht wahr? Du kannst es ja nicht mal spielen."
„Im Gegensatz zu deinem Bruder", fügt Thalia hinzu und grinst unverschämt. „Und der ist auch süß."
„Gib schon zu, Dorcas, du bist doch auch nur deshalb so heiß auf Muggelkunde, weil er dich näher an Warner ran bringt..."
Dorcas verdreht die Augen. Einmal nur, ein einziges Mal will sie Hufflepuff gewinnen sehen. In irgendetwas. Den Quidditchpokal, oder den Hauspokal. Aber es ist ihr drittes Schuljahr, und es ist Juni, und Hufflepuff schließt den Häuserwettbewerb schon wieder als vorletzter ab - wenigstens Ravenclaw haben sie dieses eine Mal geschlagen. Dorcas kann nicht glauben, dass die anderen nicht einmal gewinnen wollen, während das Haus ihres Bruders einen Pokal nach dem anderen abräumt.
„Gib zu, dass er süß ist", neckt Thalia, und Dorcas seufzt.
Es ist 1963, und Dorcas spielt mit dem Essen.
Neben ihr klirrt Zachs Gabel, und sie weiß, wenn sie aufsieht, wird sie ihn friedlich mampfen sehen, große Mengen von irgendetwas in sich hineinstopfen, sich völlig des Portraits unbewusst, das hinter ihm an der Wand hängt und mit strenger Miene auf sie hinunter sieht. Dorcas weiß auch, dass sie ihre Mutter sehen wird, die ihrerseits auf ihren Teller sieht. Was sie nicht sehen wird, sind die Geister, von denen sie sicher ist, dass sie durch das Haus streichen, auch wenn man sie nicht sehen kann.
Dorcas schiebt das Gemüse von links nach rechts und zurück, obwohl sie weiß, dass die Mutter das nicht mag. Es sind Winterferien, und es ist dunkel und kalt in dem burgähnlichen Haus. Dankbar, dass niemand sich unterhalten will, kaut sie lange auf einem Stück Fleisch herum, wünscht sich sehnlich, endlich abzunehmen, spielt in Gedanken Gespräche durch und fragt sich, warum Mutter Zach immer mit Vater vergleicht.
„Immer mit dem Kopf durch die Wand", wird die Mutter ihn etwa ärgerlich schelten und, weil sie sich eigentlich gar nicht ärgert, sanfter hinzufügen: „Genau wie dein Vater. Dein Vater bekam immer, was er wollte."
Oder dann „Professor Dumbledore schreibt, dass deine Noten besser geworden sind, Zach. Verwandlung und Verteidigung, ganz wie dein Vater. Im Ministerium arbeiten, das könnte auch etwas für dich sein, oder?"
Dorcas seufzt und kaut weiter. Wenn sie länger kaut, muss sie weniger schlucken und wird dann vielleicht dünner. Sie vermutet, dass es irgendetwas an Zachs sportlicher Figur ist, ganz der Jäger, oder etwas an seinem Zwillingsbrudergrinsen, was die Mutter an den Vater erinnert.
Die Frage ist nur, warum sie immer mit Onkel Blaise verglichen wird. Dorcas mag ihren Onkel, aber sie weiß nicht genau, ob sie mit ihm verglichen werden will. Onkel Blaise kommt und verschwindet, tänzelte durch die Räume mit seinen Tänzerfüßen und ist... nun ja, mehr Frau als Mann. Freilich ist sie ebenfalls mehr Frau als Mann, aber sie sich entschieden unsicher, ob sie wie Onkel Blaise sein will.
Sie spürt Vaters Blick im Rücken und ist dankbar, dass ihr Vergleiche mit ihm erspart bleiben. Sie will nicht wie der Vater sein. Glaubt sie. Aber Dorcas ist vierzehn, und unsicher über viele Dinge.
„Spiel nicht mit dem Essen, Dorcas", tadelt ihre Mutter, und sie nickt und schluckt.
Es ist 1964, und Dorcas steht mit durchgedrücktem Rücken im Büro von Schulleiter Dippet. Ein alter Mann mit schneeweißem Bart gluckst in seinem Portrait, und Dorcas wirft ihm einen düsteren Blick zu.
„Weil ich es genauso kann wie sie!", entfährt es ihr wütend, als der Professor sie fragt, warum in aller Welt sie diese Slytherin, diese Scamander eine Schlampe genannt hat. Scamander hat die Bemerkung nicht sehr lustig gefunden, schließlich war sie auch nicht lustig gemeint, aber die Rache hat sie trotzdem ein paar männlichen Slytherin überlassen, die Dorcas nicht kennt und die nach der Tat irgendwo in den Korridoren verschwunden sind. Sie merkt, dass sie ein blaues Auge bekommt, und es fühlt sich an, als sei eine Rippe gebrochen, aber sie hält sich trotzdem ärgerlich aufrecht. Dippet wird sie ohnehin gleich in den Krankenflügel schicken. Sie ist wütend, und deshalb will sie nicht, dass die schmerzende Rippe ihre Haltung kontrolliert.
„Hmhm", macht der Schulleiter nachdenklich und streicht sich durch den grauen Bart, während er lange auf sie hinabsieht. Tief hinabsehen muss er nicht mehr, denn Dorcas schießt schwindelerregend in die Höhe und ist so groß wie die meisten Jungen.
„Zwei Wochen Nachsitzen bei Professor Sprout", sagt er schließlich seufzend, weil sie nichts hinzuzufügen hat, und sie zuckt mit den Schultern und wartet darauf, auf den Krankenflügel entlassen zu werden. Sie hat nichts mehr zu sagen. Kein Schüler keines Hauses hat Hufflepuffs zu belächeln, nur weil sie Hufflepuffs sind. Thalia und Dory sind ziemlich entsetzt, das weiß sie, aber damit kann sie leben. Sie ist nicht respektvoll zu Scamander, wenn Scamander nicht respektvoll zu ihr ist.
Eine Woche später wird sie wieder nach dem Grund gefragt werden, von Professor Dumbledore diesmal, den die Schreie angelockt haben. „Weil sie es verdient hat", wird sie antworten und auf Scamander niedersehen, die am Boden kniet und schluchzt, und aus deren Nase die verräterischsten Sträucher wachsen.
Es ist 1965, es ist hinter Gewächshaus 2, und Dorcas schließt die Augen, während eine fremde Zunge sie fast erstickt, und versucht angestrengt, sich vorzustellen, dass es romantisch ist.
Der Junge heißt Jasper, ist ein Siebtklässler, und er sagte, ihre Augen seien schön. Dorcas ist fast so groß wie er, wenn auch fast so breit - oder so kommt es ihr jedenfalls vor -, und Jasper scheint das egal zu sein, denn seine Hände tatschen unangenehm kalt unter ihren Roben herum, auf der Suche nach Haut.
Dorcas versucht sich auf die Romantik zu konzentrieren, aber ihre Gedanken werden von den kalten Händen abgelenkt, und von dem eiskalten Wind. Sie denkt an die Berufsberatung und daran, dass ihre Mutter zu glauben scheint, dass sie heiraten will, und dass sie Professor Sprout immer noch nicht sagen könnte, was sie plant, während Zach entschieden vom Zaubererbaugewerbe spricht. Quidditch wäre ihm lieber, aber Baugewerbe ist...
„Ich liebe dich", murmelt Jasper und leckt ihren Hals ab. Sie glaubt, dass sie sich verhört hat, und kichert verlegen.
„Ich... ich liebe dich auch...?", versucht sie, weil es das Richtige in dieser Situation zu sein scheint, und bemerkt zu spät, dass ihre Worte eine Erlaubnis erteilt haben, denn kalte Hände tasten sich zu ihrem Slip vor, und jetzt kann sie schlecht zurück.
Sie will nicht glauben, dass Jasper so ist, dass er morgen wieder verschwindet. Sie will glauben, dass sie ihm etwas bedeutet. Aber selbst Dorcas ist nicht so weltfremd, um sich das einreden zu können.
Jasper drängt sie runter ins Gras, und Dorcas starrt in die Sterne, froh, dass sie aufgegangen sind und wenigstens ein bisschen romantisch strahlen.
Es ist 1967, und Dorcas steht vor dem Portrait ihres Vaters. Sie hat eine Unterhaltung hinter sich.
Es ist Sommer, die Schule ist vorbei - diesmal für immer -, und Zach hat lange seine Bewerbung an ein Architekturbüro abgeschickt. Ihre Mutter wird ungeduldig und hat erneut gedrängt, sie solle sich über ihre Zukunft Gedanken machen - oder gibt es nicht einen netten jungen Mann in ihrem Leben? -, und Dorcas hat sich auf der Wanderschaft durch die Gänge plötzlich im Salon wieder gefunden, unter dem Portrait ihres Vaters, allein, und starrt ihn an.
Ihr Vater starrt zurück. Er spricht nie viel, aber Dorcas hat dem Mann, den sie vor elf Jahren sterben sah, ohnehin nicht viel zu sagen. Schwere schwarze Festroben, Aurorenroben hängen von breiten Schultern. Keine Narbe verunziert sein Gesicht. Dorcas erinnert sich an sein Brabbeln und sein Murmeln, und sie hasst ihn dafür, dass er nie richtig gestorben ist.
Dorcas weiß jetzt, was sie machen will, nach der Schule. Es ist keine Möglichkeit, die sie vorher in Betracht gezogen hat, aber sie weiß, dass sie es schaffen kann. Sie muss nur hart genug daran arbeiten. Sie weiß, was sie tun muss, um ihren Vater ein für allemal los zu sein.
„Ich werde Aurorin", verkündet sie. „Und ich werde so viel besser sein als du", fügt sie höhnisch hinzu. Sie dreht sich um und geht, bevor das Portrait eine Antwort geben kann. Es ist nie sehr schlagfertig gewesen.
Die Mutter wird nicht sehr begeistert sein.
Es ist 1967, und Dorcas bewohnt jetzt ihre eigene kleine Wohnung in der Winkelgasse. Es ist spät am Abend, und sie ist müde, so müde, als sie geistesabwesend den Mantel in eine Ecke wirft und die Tür hinter sich zuknallt. Als sie die Küche betritt, steckt das verquollene Gesicht einer sehr schwangeren Frau im Feuer.
„Thalia", stöhnt sie und widmet dem Feuer nur den kürzesten Seitenblick, während ihr Zauberstab wirbelt und Tee aufsetzt und den Eintopf von vorgestern aufwärmt. Töpfe klappern protestierend und schrill und dröhnen in ihrem Kopf.
„Dorcas", stellt ihre alte Freundin fest und mustert sie von oben bis unten. „Wir müssen reden."
„Wenn Dory dich geschickt hat" - ein Wutschen des Zauberstabs lässt einen wilden Rennbesenschauer aus Tasse und Teller und Besteck auf den kleinen Holztisch sausen - „dann vergiss es. Das erste Trainingsjahr ist fast um, jetzt hör ich nicht mehr auf."
„Dorcas", sagt Thalia wieder und seufzt. Dorcas gewährt ihr einen zweiten Blick und tippt die Teekanne noch einmal an, damit das Wasser schneller aufkocht. Sie ist jetzt recht geübt mit den Küchenzaubern, und sie ist nicht mehr so plump und pummelig wie früher. Das Training hat ihre Reflexe gestärkt; sie ist einer von nur drei Rekruten, die Auroren haben alle Zeit der Welt für sie, und sie ist jetzt selbst im Schlaf hellwach.
Thalia verstummt einen Augenblick, aber jetzt fängt sie wieder an. „Dorcas, das ist nicht gesund für dich, wir machen uns Sorgen. Das ist doch keine Arbeit für dich! Du bist doch..." Sie ringt nach Worten.
„Ungefährlich?" Dorcas lächelt. „Daran arbeite ich noch."
„Nachgiebig", antwortet Thalia eingeschnappt. „Du brauchst einen ruhigen Beruf, der dir noch Zeit für dich selbst lässt!"
„Ich bin ich selbst", sagt Dorcas und zuckt mit den Achseln. Sie sitzt mittlerweile am Tisch, und das Essen brät sich rasant auf ihrem Teller zu Ende. Zauberstablose Zauberei. Ihre Magie ist förmlich explodiert, seit sie mit dem Training angefangen hat, und sie kann noch viel mehr als das, aber Thalia sieht das nicht. Thalia sieht - Dorcas seufzt innerlich -, dass sie nach keinem Mann sucht, nicht mehr Zeit für Tee bei ihren Freundinnen hat und nicht mehr ganz so weich und schwach aussieht.
„Also", fährt Dorcas fort, weil sie keine Geduld mehr hat. „hast du auch was Wichtiges zu sagen oder kann ich jetzt essen?"
Es ist 1968, und ein anderer Kopf steckt im Feuer. Zachs Gesicht ist jetzt wettergebräunt von den komplizierten Montagearbeiten des Hauses, das sie gerade bauen, er wird schnell erwachsen, aber das ewige Funkeln in seinen Augen funkelt noch immer.
„Mutter", sagt er vergnügt. „macht sich Sorgen."
„Déjà vu", murmelt Dorcas zu sich selbst, obwohl Zach es nicht hören kann und das letzte Treffen mit Thalia schon Monate zurückliegen muss, und lehnt sich mit ihrem schmal gewordenen Hintern gegen den Küchentisch. „Was ist es diesmal?", fragt sie lauter und sieht flüchtig auf die Uhr, denn es ist schon spät und sie muss bald zum Training. Niemand ist so verrückt, zu spät zu kommen, wenn Vektor das Feldtraining leitet.
Zachs Grinsen wächst in die Breite. „Sie macht sich Sorgen, dass deine Berufswahl sich negativ auf deine Anziehungskraft auf Männer auswirken könnte."
Dorcas schnaubt, amüsiert über die moderne Formulierung. „Das ist ja nun nichts Neues."
Ihr Bruder schüttelt nachsichtig den Kopf. „Mutter findet es neu, weil sie es so noch nie gesagt hat. Hab Nachsicht mit der alten Frau, Schwesterherz. Sie braucht was, um sich zu beschäftigen."
Dorcas hebt die Augenbrauen. „Sag ihr doch einfach, dass ich mit Frauen schlafe", sagt sie und verschränkt erwartungsvoll die Arme vor der Brust.
„Ist das wahr?" Neugierig schielt er zu ihr hoch. „Das wäre schade, denn dann würde ich ja Konkurrenz bekommen. Du bist ziemlich scharf."
„Wenn man bedenkt, wie ähnlich wir aussehen, wundert mich das aus deinem Mund nicht." Sie rollt die Augen. „Natürlich stimmt es. Wenn Mutter dann endlich Ruhe gibt, würde ich sogar mit einem Troll schlafen."
Zach lacht und unterbricht sich, als im anderen Zimmer Geräusche erklingen. Dorcas folgt seinem Blick zur Tür, und Sekunden später erscheint ein verschlafenes Männergesicht in ihrem Rahmen. „Morgen", murmelt er vage in ihrer beider Richtung und sieht sich um, ohne richtig die Augen aufzubekommen. Er trägt nichts außer wollener Unterwäsche, und da Zach ein Mann ist, scheint er beschlossen zu haben, dass das niemanden stört. „Gibt's Kaffee?"
„Bedien dich", sagt Dorcas und weist auf die Kanne bei der Spüle. Dann dreht sie sich abwartend zu ihrem Bruder um.
„Du Lügnerin!", stößt er aus und beäugt den Gast beinahe ebenso interessiert wie zuvor sie. „Einen Moment lang hab ich es fast geglaubt! Wer ist das! Wie ist sein Name?"
Dorcas wirft einen Blick über die Schulter. „Wie ist dein Name?", fragt sie und stellt fest, dass diese breiten Schultern im Tageslicht nicht mehr halb so interessant aussehen wie in der letzten Nacht.
„Timothy", sagt die Stimme hinter den breiten Schultern, ohne aufzusehen, während Kaffee in eine Tasse gegossen wird, und Dorcas sieht wieder ihren Bruder an.
„Das ist Timothy", stellt sie Timothy vor.
In Zachs Gesicht kämpfen einen Moment lang so widersprüchliche Emotionen, dass es beinahe Spaß macht, zuzusehen. „Na", sagt er schließlich etwas hilflos. „vielleicht sollte sich Mutter einfach weiter Sorgen machen."
Es ist 1969, und Dorcas kann sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal geschlafen hat. Sie weiß nicht, wann sie an etwas anderes gedacht hat als an Flüche und Ausweichbewegungen und Deckung. Sie ist in einem der Trainingräume der Zentrale, aber der Zauber simuliert einen Kriegsschauplatz, und sie weicht aus und blockt und weicht aus und hätte schon lange keine Kraft mehr, anzugreifen, wenn es etwas anzugreifen gäbe.
Dorcas ist drahtig geworden, und jeden Tag werden ihre Muskeln zäher und ihre Haut verschorft von Schürfwunden und Kratzern. Narben hat sie noch keine, doch als sie hochkommt und herumfährt und blockt, und herumfährt und wieder blockt, hätte sie alle von Moodys Narben als Preis genommen, um endlich ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
Der Gedanke hat sie abgelenkt; Sekunden, die reichen, und ein Stoßfluch trifft sie mittschiffs, weht sie um wie einen Strohhalm und lässt sie gegen die entfernte Wand donnern. Dorcas stöhnt, als sie hochkommt; sie hat ihren Zauberstab verloren. Alles in ihr ist angespannt, und sie schafft es gerade, auszuweichen, als ein zweiter Fluch von der Seite folgt. Sie rollt sich ab, tastet im Rollen nach dem Zauberstab, bis sie vertrautes Holz fühlt.
„Immer WACHSAM!", donnert Moodys Stimme und hallt an den Wänden wider. Sie hört ein Surren, und sie weiß, dass es der Zauberstab ihres Mentors verursacht hat - noch mehr und noch härtere Flüche beginnen zu fliegen. „NIE die Konzentration verlieren!"
Dorcas keucht und schmeckt Blut, wo sie sich auf die Zunge gebissen hat, doch sie hat keine Zeit dafür. Ausweichen, blocken, abrollen. Blocken und wieder blocken. Erwacht sie nachts von einem unerwarteten Geräusch im Bett, ist ihr erster Reflex, zu blocken. Moody programmiert ihre Instinkte um.
Er hat sie in der Nacht um drei aus dem Bett geholt, und sie weiß nicht, wie spät es jetzt ist. Sie trägt jetzt mehr Verantwortung, als erlaubt sein kann. Sie ist eine Klinge, die in Moodys Schmiedefeuer hängt. Blocken, ausweichen.
„Everbero!", brüllt sie und wirft sich einem zweiten Stoßfluch entgegen, und die Zauber treffen sich in der Mitte und blocken sich ab. Dorcas hätte das Blut in ihrem Mund ausspucken können, in der gewonnen Sekunde, aber sie weiß, dass Moody abbricht, wenn er Blut fließen sieht, und sie beißt die Zähne zusammen, und schluckt es, und rollt sich ab.
„Konzentration!", brüllt ihr Mentor. „Immer die Deckung im Auge! Nie die Kontrolle verlieren! Nutze jeden Vorteil, und IMMER WACHSAM!"
Moodys Zauber surrt wieder, und Dorcas stählt sich, als sie wieder hochkommt. Sie werden noch mehrere Stunden trainieren, und sie weiß, dass diesmal die Dunklen Flüche hinzugekommen sind.
Es ist 1970, und als Dorcas auf den Ablageschrank zuhält, sieht sie eine Frau im Eingang vom Fluchbrecherkorridor lehnen. Sie hat die Frau noch nie bewusst gesehen; die schwarzsilbernen Aurorenroben allerdings, die seit neustem einen moderneren, schärferen Schnitt haben, sind unverkennbar. Die Frau kann nicht älter als Ende zwanzig, Anfang dreißig sein und wirkt nicht fremd hier. Dunkle Augen unter ungemein wirrem schwarzem Haar übersehen interessiert die Zentrale.
„Wer sind Sie denn?", fragt Dorcas geradeheraus, als sie am Schrank angelangt ist, und ohne große Umstände. Sie genießt die kollegiale Atmosphäre in der Zentrale; ein paar der Senioren haben noch im Grindelwald-Krieg gekämpft, und man kennt hier die Bedeutung von Vertrauen, das keine Höflichkeit mehr braucht - ein fremdes und angenehmes Konzept.
„Jepedina Potter", stellt die andere sich vor und streckt ihre Hand aus. Dorcas schmeißt ihre Akte in Doges Fach und ergreift sie; der Griff ist fest und entschlossen. „Aus Missbrauch der Magie. Ich fange heute hier an."
„Sie sind Aurorin?", fragt Dorcas mit gehobenen Augenbrauen, weil Leute nicht einfach in die Zentrale versetzt werden und dann Auroren sind. Die Zentrale ist eine eigene kleine Ministeriumsinsel mit ganz eigenen Regeln. „Dorcas Meadowes", stellt sie sich verspätet vor.
Potter nickt und streicht sich durch unzähmbares Haar, das zwischen Fingern hängen bleibt. „Freut mich. Ja, ich hatte mich versetzen lassen. Da war '65 dieser Zusammenstoß mit einem Riesen" - sie schneidet eine Grimasse - „und mein Knie brauchte eine Pause. Eine lange. War nicht schlecht - mehr Zeit für meinen Sohn." Wieder schweift ihr Blick durch die Zentrale, als suche sie nach vertrauten Gesichtern. Dorcas fragt sich, wie lange sie schon hier steht. „Aber ich habe mir sagen lassen, dass es wieder Arbeit gibt, also bin ich wieder da."
Diesmal nickt Dorcas. „Ein paar unerklärbare Vermisstenmeldungen", stimmt sie zu. „Und ein Name. Voldemort."
Der Name lässt sie schaudern. Es ist eine Sache, in der Zentrale über den Kerl zu reden, aber eine gänzlich andere, wenn Kontakte ihn weitergeben, flüsternd und verängstigt. Es braucht keinen Auroren, um Verbindungen zwischen den Fällen und diesem Mann herzustellen. Rote Augen. Die Kontakte sprechen von roten Augen.
„Ja, Vektor hat mich schon eingewiesen." Potter zuckt mit den Schultern. „Ich sehe mir später die Akten an. Hast du einen der Fälle?"
„Nein, ich bin erst seit ein paar Monaten mit dem Training fertig." Dorcas fühlt das Verlangen, ebenfalls mit den Schultern zu zucken. Stattdessen grinst sie. „Nicht, dass ich nicht einen Fall gebrauchen könnte. Es ist beängstigend langweilig, Moody nicht mehr im Rücken zu haben."
Potter lacht leise, bevor sie plötzlich innehält, als ob ihr ein Gedanke gekommen sei. Prüfend sieht sie Dorcas an. „Dorcas Meadowes... Moodys Schützling? Du warst auf diesem Vampireinsatz, nicht wahr? Ich hab davon in der Zeitung gelesen, sie haben die Namen aufgelistet. Hat mich wünschen lassen, ich sei schon wieder hier."
„Ja, ich war da.", stimmt sie zu. „Aber Moody hat mich nicht viel machen lass..."
„Jepedina! Ich glaub es nicht!", unterbricht sie eine Frauenstimme, Aurorenroben wirbeln näher, und Dorcas grinst, als Alice Longbottom der neuen Aurorin um den Hals fällt. Sie vermutet, dass sie mit ihr auskommen könnte, und dass es nur gut sein kann, wenn ein paar zusätzlicher Augen sich in dieser Voldemort-Sache umsieht.
Es ist 1971, und Dorcas weiß, dass etwas da draußen lauert. Sie weiß es, weil sie Aurorin ist. Ein paar der Kollegen zucken noch mit den Schultern und nennen es Paranoia, aber sie ist mit Moody draußen gewesen, hat das Geflüster in der Nokturngasse gehört und die Vermisstenmeldungen gezählt. Etwas kommt. Moody riecht es, und sie riecht es auch.
Zach riecht es nicht.
„Du musst den Kopf unten halten, Zach", wiederholt sie eindringlich und lehnt sich über den Schreibtisch vor, um ihre Worte zu betonen. „Jetzt ist nicht die Zeit für politische Glaubensbekenntnisse. Ich habe es schon Mutter gesagt, und ich kann es nur immer wieder wiederholen. Haltet euch raus. Lasst das Ministerium Ministerium sein. Die Leute, die verschwunden sind, waren alle Zivilisten wie du, und sie haben alle offen Bagnold unterstützt."
Zach lehnt sich in seinem Sessel zurück, einem bequemen Sessel in einem geräumigen Zaubererarchitekturbüro. „Herrje, Dorcas", sagt er und grinst und schüttelt den Kopf. „Du klingt ja, als herrsche Krieg. ‚Zivilisten'. Herrje, nur weil ich Bagnold was von meinem Geld gebe, obwohl ich sowieso viel zu viel davon habe."
Dorcas schluckt. Zach benutzt andere Worte, aber es ist, was sie schon von Mutter gehört hat. Es würde sie wütend machen, wenn sie nicht so besorgt wäre. „Seid vorsichtig", sagt sie sehr ernst und betont und sucht den Blick ihres Bruders. „Himmel, seid vorsichtig."
„Und seit wann bist du vorsichtig?", erwidert Zach und lacht.
Es ist 1972, und Dorcas steht im Flur im Haus ihrer Mutter.
Viel ist passiert in den letzten Wochen: Der erste Vermisste ist wieder aufgetaucht. Sie haben den Leichnam eines berüchtigten Gegners der Dunklen Künste, einen McKinnon - einen Verwandten Potters - aufgequollen in der Themse gefunden, und auch wenn das Wasser seine Haut hat wächsern und schlammig werden lassen, hat kein Zweifel bestanden, dass ihn der Todesfluch von langer Folter erlöst hat. Die neue Ministerin übt sich in Beschwichtigungspolitik, aber alle, die es sein müssen, sind jetzt wachsam. Mit einer Ausnahme.
Es ist ihr erster eigener Fall; Moody hat ihn ihr übertragen, aber sie weiß, dass es eine Geste des Mitgefühls ist, denn es gibt in solchen Fällen nicht viel zu ermitteln. Und deshalb steht sie jetzt im Flur ihrer Mutter und beobachtet die hastige Geschäftigkeit der Ermittlungszauberer, die ab und zu knappe Berichte erstatten, und erfährt im Detail, wie ihre Mutter gestorben ist.
Onkel Blaise war zu Besuch gewesen und ist ebenfalls tot. Oder scheinbar war er zu Besuch gewesen - sie hat seit Wochen nicht mit Zach gesprochen. Sie haben Streit, weil er ihren Rat nicht befolgt, ihre Hilfe nicht akzeptiert, den mutigen Gryffindorjungen spielen muss.
Amanda Meadowes hat sie freiwillig hereingelassen. Dem Hauself zufolge haben sie im Salon geredet. Dorcas kennt die Geschichte, noch bevor die Ermittlungszauberer den Elfen befragen: Sie sind gekommen, um der reichen alten Dame ein Angebot zu machen, und ihre Mutter hat reiche alte Dame gespielt und abgelehnt.
Die Mutter schaffte es in die Küche, ermitteln die Ermittlungszauber. Der Bereich um den Eingang liegt in Trümmern; Tapete schält sich von den Wänden, Bücherregale sind explodiert und sogar die Portraits sind in Mitleidenschaft gezogen. Der Onkel hat versucht, ihnen den Durchgang zu versperren. Er muss gekämpft haben wie ein Löwe, stellt ein Ermittlungszauberer lobend fest, man sehe es an den Fluchschäden und den Wunden, und Dorcas versucht sich ihren Onkel im Kampf vorzustellen und versagt. Sie sieht ihn immer wieder nur beim Schach.
Dorcas hat die Leichen gesehen und bequemerweise gleich identifiziert. Es gibt nicht mehr viel zu identifizieren, aber Dorcas erkennt den Ehering und Onkels ergrauende goldene Locken. Sie will nicht wissen, wie lange die Leichen im Haus gelegen hätten, hätte der Hauself nicht die Zentrale informiert.
Dorcas' Welt ist still, und alles andere wuselt herum und bewegt sich. Mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt wartet sie auf die Berichte. Sie hat Moody um diese Aufgabe gebeten, und sie wird sie zu Ende bringen.
Es drängt sie, hoch in den Salon zu gehen und mit dem Portrait ihres Vaters zu sprechen, aber sie geht keinen Schritt. Die Ermittlungszauberer bringen die Leichen weg.
Gut, dass wir uns nicht mehr leiden konnten, denkt Dorcas und ballt die Faust und sieht zu Boden, bis sie fühlt, dass ihre Augen nicht mehr brennen. Gut, dass wir uns nicht mehr nahe standen.
Es ist 1973, und Dorcas sitzt zum ersten Mal auf der falschen Seite des Aurorenschreibtischs, der Seite, auf der niemand sitzen will.
Auf der richtigen Seite sitzt Frank Longbottom, und die Angelegenheit ist ihm sichtlich unangenehm. Die Haare stehen ihm etwas schief von der Stirn ab. Dorcas starrt seine Haare an. Unbehaglich räuspert er sich und spielt mit seiner Feder.
„Name?", fragt er und kommt sich sicherlich genauso bescheuert vor, wie sie sich fühlt.
„Zacharias Donovan Meadowes", antwortet sie und lehnt den Arm auf die Stuhllehne, um nicht so steif dazusitzen. Diese Haarsträhne... Kann der Mann sich nicht kämmen? Wozu hat er denn eine Ehefrau? „'49er Jahrgang. Ledig. Wohnhaft auf den Meadowes-Ländereien in Wales."
Frank nickt nervös und schreibt die Angaben auf, wie Dorcas es selbst schon ein paar Mal getan hat. Sie ist nicht gerade gut mit dieser Sorte Schreibtischarbeit, hat seit den ersten Versuchen keine Geduld mehr dafür, aber in der Regel schlägt sie sich besser als Frank im Moment.
„Zum letzten Mal wann gesehen?"
„Sein Chef sagt, er sei Freitag noch zur Arbeit gekommen."
Frank schreibt. Sie erinnert sich daran, wie sie in den Kamin gestiegen ist, weil Zach über das Flohnetzwerk nicht erreichbar war. Sie wusste bereits, was sie vorfinden würde, denn schon in dem Moment, als sie den Kopf durch den Kamin steckte, hat es im Atelier gestunken vor den Dunklen Künsten.
„Lebende Verwandte?"
„Dorcas Cornelia Meadowes. Schwester. Zwillingsschwester", stellt sie auf einen flüchtigen verwirrten Blick Franks hin klar.
Ihre Hände zittern. Sie ärgert sich. Sie weiß, was sie erwarten muss, und was Frank nicht aussprechen wird, weil jeder Auror es jetzt zu oft erlebt hat. Entführt, gefoltert, vermutlich getötet. Manchmal tauchten Leichen auf. Wenig Hoffnung, sagen sie den Verwandten normalerweise bedauernd, aber sie beschönigen es, weil bisher noch keiner überlebt hat.
„Andere Verwandte?"
Sie hat es ihm gleich gesagt, aber er hat nicht auf sie gehört und weiter die verdammte Bagnold-Kampagne unterstützt. Es ist leichter zwischen ihnen gewesen, nach Mutters Tod, aber dann hat sie von seinen Eskapaden gehört und ist ausgeflippt. Er hat nicht auf sie gehört und den Preis dafür gezahlt.
„Keine anderen Verwandten.", antwortet sie und starrt diese Locke an.
Es gibt keine Leiche, und sie hat Übung, und als ihr später die Tränen kommen, kann sie sie rasch verscheuchen.
Es ist 1974, und Dorcas trainiert.
Der Trainingszauber arbeitet ganz von alleine. Die wirklich gefährlichen Flüche beinhaltet er nicht, denn es wäre schierer Wahnsinn, sich zur Übung einem Todesfluch zu stellen, aber Moody hat sich mit Vektor abgesprochen, und vor ein paar Tagen haben sie den Folterfluch aufgenommen. Dorcas ist in der dritten Runde, und flucht und blockt und hat ein Stadium erreicht, in dem alles verschwimmt, in dem sie sich schnell fühlt und gefährlich, und die Fluchnachwirkungen des Feldeinsatzes früher am Tag sind dankbar vergessen und mit dem Adrenalin verschmolzen.
Sie fährt herum, als die Flüche plötzlich nicht mehr fliegen, den Zauberstab bereit, und sieht Potter im Eingang stehen. Es dauert eine Sekunde, bis sie den Kampfmodus verlässt, der sozusagen ihr Standardmodus geworden ist, und sie zwingt ihren Zauberstabarm, sich zu senken.
„Du brauchst ein Hobby", kommentiert Potter und sieht beiläufig auf etwas am Boden hinab, das sich als Fetzen von Dorcas' Robe entpuppt. Sie hat nicht gemerkt, dass er abgerissen ist. „Ich wollte mir diese Wunde ansehen."
„Wunde?", wiederholt Dorcas mit fragender Miene. Sie verstaut den Zauberstab unter den Roben und verzieht das Gesicht, als sie etwas Schmerzhaftes in Hüfthöhe berührt.
„Fluchwunde", stimmt Potter friedlich zu. Sie winkt leger mit dem Zauberstab über die Schulter, ohne sich umzudrehen, und die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Keine der Frauen reagiert auf das Knallen. „Zieh diese Roben aus."
Dorcas verdreht die Augen, seufzt, gehorcht aber. Roben fallen zu Boden und ein Hemd folgt, von dem sie nicht weiß, wann es blutig geworden ist. Etwas überrascht bleibt ihr Blick an einer breiten und gefährlichen Schnittwunde hängen, die sich quer über ihren Bauch zieht.
„Diese Wunde", sagt die andere Auroren überflüssigerweise und deutet auch noch darauf. Dorcas hält still, als Potter sich niederkniet und die Verletzung vorsichtig mit dem Zauberstab berührt. Den sehr einfachen Diagnosezauber lernt jeder im Training.
Sie haben noch nicht viele Feldeinsätze, denn was 1974 geschieht, geschieht hinter den Kulissen, aber kein Auror lässt sich mehr einreden, es herrsche Frieden im Land. Der Einsatz heute ist, was Auroren als einen Ausreißereinsatz bezeichnen - ein lustiger alter Zauberer lief Amok, verkündete seine Ergebenheit für den ‚Dunklen Lord' und die ‚Todesser', wedelte mit einem Tattoo, das gerade sehr genau von Ermittlungszauberern untersucht wurde, und mähte jeden nieder, der in seinem Weg stand. Verrückte sind unberechenbar, und deshalb gefährlich, das muss Dorcas nicht im Training gelernt haben, und an einem Punkt stand sie in seinem Weg. Sie hat nicht mehr daran gedacht.
„Ich habe mit Moody gesprochen", sagt Potter, und das Prickeln des Diagnosezaubers klingt ab. Als Dorcas hinabsieht, sieht sie ihr konzentriertes Stirnrunzeln, als sie einen ebenso einfachen Desinfektionszauber spricht. Dickflüssige, übel riechende Masse quillt aus dem Zauberstab und verteilt sich auf der Wunde. „...und er sagt, du nimmst dir nicht mehr frei."
„So?", antwortet Dorcas und findet das reichlich unbemerkenswert. Sie hat ihre Urlaubstage noch nie gezählt. Sie hat nicht die geringste Ahnung, wann sie zum letzten Mal frei genommen hat und interessiert sich auch nicht dafür. Ungeduldig sieht sie Potter bei der Arbeit zu und bemerkt neue Muskulatur unter ihrer Haut, die ihr vorher noch nie aufgefallen ist. „Herrje", sagt sie und breitet die Arme aus. „Kaum zu glauben, dass ich mal ein pummeliges kleines Kind war."
Aber Potter beachtet den Einwurf nicht. Sie spricht einen Heilzauber, und die Wunde, die sich schon entzünden wollte, verheilt zu einer beinahe unsichtbaren Linie. „Was machst du den ganzen Tag, hm?", fährt die Aurorin fort und reinigt ihren Zauberstab mit ihren Roben und mit beiläufigem magischen Wedeln. „Wenn du nicht im Dienst bist?"
Dorcas blinzelt irritiert. Die Fragen beginnen sie zu nerven. „Was man halt so macht. Trainieren. Fallberichte überarbeiten..." Sie zuckt mit den Achseln. „Ich lerne Okklumentik", fügt sie hinzu, weil Potter offenbar auf Hobbys abzielt. „Und ich jogge." Sie rennt. Aber sie bezweifelt, dass die andere den Unterschied verstehen würde.
„Du brauchst Urlaub", stellt Potter ohne Vorrede fest. „Nimm eine Woche frei und apparier irgendwo in den Süden. Leg dich an den Strand und lunger herum. Mach irgendwas. Richtige Hobbys, die nichts mit der Zentrale zu tun haben." Sie runzelt wieder die Stirn. „Wir werden früh genug keine Zeit mehr dafür haben."
„Ich brauch keinen verdammten Urlaub, Potter." Dorcas schnaubt und findet das Thema höchst lächerlich. „Red keinen Stuss und tu mal was für dein Geld, anstatt mich mit deinen Mutterinstinkten zu vergewaltigen."
Sie lacht und zieht ihre Roben über, bevor sie aus dem Raum stapft.
Es ist 1975, und es herrscht Krieg. Das Ministerium sieht das nicht ganz so, und die Zaubererwelt ahnt nur wenig davon, auch wenn schon lange die lächerlichsten Umschreibungen für den Namen des neuen Dunklen Lords kursieren, aber für die Zentrale ist es ausgemachte Sache. Sie kämpfen. Gegen Todesser. Sie haben Kollegen verloren. Doch, es herrscht definitiv Krieg.
Dorcas steht auf einer Wiese an der Grenze nach Schottland, die für die Muggel gar nicht existiert. Es ist eine der Feldanlagen des Rekrutentrainings, und sie hat hier vor Jahren mehr Zeit verbracht, als sie abrufen kann. Flüche fliegen. Rauch liegt in der Luft, obwohl es regnet. Dorcas ignoriert den Regen, und die Flüche ignorieren sie.
„Immer wachsam!", bellt sie, als nicht weit entfernt ein junger Rekrut zu Boden geht und sich mühsam wieder aufrappelt. Blocken steht nicht zur Debatte; ein Dutzend Zauberstäbe ruht sicher verwahrt in einer ihrer Robentaschen.
Sie braucht keinen Sonorus-Zauber, um sich verständlich zu machen; obwohl sie Aurorentraining hasst - Moodys verdammte Schuld -, sie ist das Schreien lange gewohnt.
„Immer wachsam!", doziert sie donnernd, klatscht in die Hände, scheucht die Rekruten auf, damit sie ihre Hintern in die Luft bekommen. „Dreht euch im falschen Moment um, und ihr seid tot! Schätzt die Lage falsch ein, und ihr seid tot! Vertraut den falschen Verbündeten, und ihr seid tot!"
Es donnert, und der Donner übertönt das Fluchsirren und macht das Ausweichen noch schwieriger. Dorcas grinst grimmig. Sie denkt nicht daran, das Training abzubrechen. Das Feld wartet nicht auf Sonnenschein.
„Wachsam, verdammt!", wiederholt sie, als schon wieder einer zu Boden geht und diesmal nicht aufsteht. Wenn er in einer Minute nicht oben ist, wird sie ihn rausholen, aber erst einmal lässt sie ihn liegen. Es gehört dazu. So funktioniert Training. „Eine Unaufmerksamkeit, und ihr seid tot! Oder wollt ihr da draußen verdammt noch mal sterben? Hoch mit den Hintern und WACHSAM! Das ist Krieg, Kinder! Das ist Krieg!"
Es ist 1976, und Dorcas steht in Apparationsbereich 1, die Fäuste in die Hüfte gestemmt, und mustert einen Moment lang ihr Team. Ein Fluchbrecher ist dabei, Sean Rosier, und sie ist misstrauisch, weil sie ihn nicht kennt und weil Fluchbrecher Amateure sind und weil Unerfahrenheit sie alle töten kann. Vance ist dabei und beäugt seinen Rekruten. Shawn ist dabei und Norn und noch ein Rekrut, McKinnon, den sie sich ausgeliehen hat. Es ist nicht das Team, das sie sich gewünscht hätte, aber es ist 1976, und man kann froh sein, überhaupt noch ein festes Team zu haben. Es herrscht Krieg, und mittlerweile weiß es sogar das Ministerium.
Dorcas schnaubt. „Ich nehme an, ich sollte eine Ansprache halten oder etwas in der Art." Sie zieht eine Grimasse um anzudeuten, was sie von Ansprachen hält. „Also hört von mir aus weg, aber seid still."
Sie erntet ein paar Lacher. Es ist komisch, aber seit es richtig losgegangen ist, wird es leichter, zu lachen. Sie kämpfen jetzt offen. Kaum ein Tag vergeht, an dem Moody sie nicht ins Feld schickt, und Dorcas hat endlich, was sie die ganze Zeit wollte.
„Also, der Antrag ist endlich durch. Crouch hat uns die Unverzeihlichen genehmigt. Wurde auch verdammt Zeit." Sie ignoriert geflissentlich das Augenverdrehen von Vance und die Augenbraue, die Rosier hebt. Niemand widerspricht. Sie ist jetzt ganz oben in der Kommandokette, und sie holt sich nur die härtesten Auroren in ihr Team. Wenn sie im Feld ist, hat sie keine Zeit zum Babysitten. Und die liberalen Kollegen ziehen sowieso andere Teams vor. „Mir ist scheißegal, ob ihr sie einsetzt oder nicht", fährt sie fort und misst ihre Leute mit einem langen Blick. „Aber Hölle, wenn uns auch nur ein einziger Todesser entkommt, weil einer von euch zu feige war um ihn zu töten, dann bekommt ihr es verdammt noch mal mit mir zu tun."
Lange sieht sie ihre Leute an, aber niemand widerspricht. Gut. Dorcas will endlich aufbrechen und endlich ins Feld. Sie ist die erste gewesen, die applaudiert hat, als Crouch den verdammten Wisch unterschrieben hat. Endlich. Endlich kann sie richtig kämpfen, richtig arbeiten.
„Also gut", sagt sie und überprüft ihren Zauberstab ein letztes Mal. „Ihr kennt den Plan. Wir apparieren auf drei. Und los geht's!"
Ein Knallen hallt in ihren Ohren wider, und als die Szene wechselt, erwarten sie schon Rauch und Lärm und Todesser. „Avada Kedavra!", brüllt Dorcas und springt in Deckung und blockt, und ist die erste, die unter dem Schatten des 76er-Erlasses tötet.
Es ist 1977, und Diggory hat gerade Dorcas für die Koordination mit dem Aufräumkommando eingeteilt, denn jemand muss nach dem Einsatz zurückbleiben und sich mit den Leuten aus Magische Katastrophen kurzschließen.
„Alles klar, Chef", sagt Dorcas schulterzuckend und sieht sich auf der Straße um, die die Auroren gerade fachmännisch demoliert haben. Sie findet, sie können zufrieden sein, denn für die Festnahme von vier Todessern haben sie mit nur einem Kollegen bezahlt.
Diggory nickt und sieht sich nach den anderen beiden Auroren um, die noch nicht mit den Gefangenen appariert sind. Dorcas seufzt, weil dieser Fudge drüben beim Muggel-Imbiss auf sie wartet, aussieht, als friere er erbärmlich, und ihr immer wieder ungeduldige Blicke zuwirft. Überall sind Vergissmich zu sehen, die sich um die Muggel kümmern, und ein Heiler versorgt Verletzte und Magische Katastrophen bringen eilig das Dekor - Laternen, Asphalt, Mauern - zurück in Position. Dorcas weiß, am Ende werden sie sogar Schnee beschwören, um die Szene wirklich muggelgerecht zu hinterlassen.
„Alles in Ordnung mit dir?", fragt Diggory noch und sieht sie lange und mitfühlend an.
Dorcas verspürt den Drang, wieder mit den Schultern zu zucken. „Klar. Alles in Ordnung."
Diggory nickt. „Schön. Shacklebolt, du nimmst Zacharias. Bis später dann, Meadowes."
Der dunkelhäutige Auror nickt, doch Diggory ist bereits appariert, und Fenwick, der dritte Auror, folgt ihm Sekunden später. Shacklebolt schenkt ihr ein verhaltenes Lächeln, bevor er sich niederkniet und vorsichtig Zacharias Shunts reglose Brust umfasst. Dorcas sieht bedauernd zu ihm hinab und findet es sehr merkwürdig, dass ihr Rekrut von allen möglichen Namen den ihres Bruders getragen hat.
Einen Moment später sind Auror und Leichnam verschwunden. Es ist ein Jammer, befindet sie, während sie ihre Roben gerade zieht und sich durch fluchgeschmolzenen Schnee auf den Weg zu Fudge macht. Ein Jammer, dass sie so viel Zeit und Energie in einen Mann verschwendet hat, der am Ende doch gestorben ist. Sie weiß natürlich, dass viele Rekruten sterben, aber es bleibt dennoch ein Jammer.
„Miss Meadowes! Miss Meadowes!" Dorcas dreht sich nach der Rufenden um und erkennt zu ihrem Ärger eine Reporterin des Tagespropheten, die es irgendwie an den Ministeriumsleuten vorbei geschafft hat und es nun ausgerechnet auf sie abgesehen zu haben scheint. So unfair Dorcas es findet, sie haben es jetzt immer auf sie abgesehen. Seit ein paar Monaten scheint der Prophet sie zum Kriegsmaskottchen machen zu wollen, und die anderen Zeitungen ziehen begeistert nach.
Ein Blick wie Eis bringt die Frau zum Schweigen, und sie stolpert und starrt, und Dorcas vergisst sie und stapft weiter. Sie wünscht sich, dass alle Probleme so leicht zu lösen seien, und denkt an Zacharias Shunt, der dunkle Haare hatte und blaue Augen, die selbst noch fröhlich funkelten, wenn er sich in Trainingsräumen Folterflüchen stellte.
Was eine Schande, denkt Dorcas und schüttelt wieder bedauernd den Kopf. Ich hab ihm immer wieder gesagt, dass er zu schlecht mit den Gegenflüchen ist.
Sie seufzt. Wirklich ein Jammer.
Es ist 1978, und Dorcas spielt mal wieder Ordensschnüffler. Der Orden ist nicht anders als die Arbeit, findet sie, nur dass sie oft mit Anfängern zusammenarbeitet, auch wenn viele Auroren mit von der Partie sind. Und meistens geht es ruhiger zu. Jetzt ist es sicher ruhiger.
Interessiert schaut sie sich in den Kellergewölben im kleinen Landschloss der Abenhoods um. Es ist dunkel hier unten, und ungeheuer kalt und moosig und nass, und es ist völlig offensichtlich, dass die Gewölbe für keine Zwecke benutzt werden, die mit Wohnen zu tun haben.
„Es ist wirklich sicher hier?", fragt Marlene McKinnon mit den braunen Zöpfen unbehaglich und schaut sich sehr nervös um, bemüht, mit den Rändern ihrer Roben nicht den Boden zu berühren. Dorcas sieht sich kaum zu ihr um und ist zu beschäftigt damit, Potter zuzusehen, wie er die Verhüllungszauber bearbeitet, die sie entdeckt haben. Der Junge kommt sehr nach seiner Mutter mit den wirren Haaren und der schlanken Figur, und seine Zauberfähigkeiten beeindrucken selbst Dorcas ein wenig. Er ist es, der die Verhüllungszauber entdeckt hat, und obwohl er noch im ersten Jahr seines Trainings im Fluchbrecherbüro steckt, scheinen sie kein Problem für ihn darzustellen.
„Ganz sicher", beruhigt der ältere Potter - Jepedinas Mann Tobias - seine Mitstreiterin, während eine Lage von Zaubern von der harmlos aussehenden Gewölbewand abfällt. „Abenhood wartet in Askaban auf seine Verhandlung, und er hat keine Verwandten. Niemand wird uns stören, es ist völlig ungefährlich. Und Jepedina würde uns informieren, wenn sich die Situation ändern würde, richtig, Dorcas?"
Dorcas fühlt sich versucht zu antworten, dass sie das wohl kaum so gut wissen kann wie er, denn schließlich ist nicht sie mit Jepedina verheiratet, aber sie weiß, dass McKinnon den flachen Witz nicht lustig finden würde. Manchmal findet sie die Ordensmitglieder schon etwas weich. „Natürlich", stimmt sie daher zu.
Tobias' Sohn stößt dann ein kurzes „Ha!" aus, und der Verhüllungszauber bröckelt, und dann zerfällt er ganz.
Gemeinsam mit den beiden Potters und McKinnon und Lupin, der jetzt von der anderen Seite des Raumes näher kommt, sieht Dorcas den niedrigen, türlosen Raum an, der gerade hinter dem Zauber zum Vorschein gekommen ist. Er ist trocken, der Zauber hat ihn für eine kleine Ewigkeit vom Rest der Welt isoliert, und die Knochen darin sind gut erhalten.
Dorcas erwartet, dass McKinnon jetzt ausflippt, aber dann erinnert sie sich, die Frau ist Heilerin, und wahrscheinlich die einzige von ihnen, die schon einmal lange verweste Menschenleichen gesehen hat.
Tobias Potter ist leicht grün im Gesicht, als er vortritt, und die beiden Jungen folgen ihm. Dorcas schließt sich schließlich an. Neben ihr murmelt Marlene Diagnosezauber, aber sie beachtet sie nicht, sondern schaut auf die lange, lange Toten hinab, die Abenhood in seinem Keller versteckt hat wie in einem schlechten Krimi.
„Oh Gott", sagt Lupin erstickt und wirkt sogar noch blasser als normal. „Also hatte er wirklich etwas zu verstecken."
„Das kann man wohl sagen", schnaubt Dorcas und stößt vorsichtig einen Knochen mit der Fußspitze an, der unter einem lange grau gewordenen Robenärmel hervorlugt. Sie glaubt, dass der Stoff einmal rot gewesen sein muss. Schreiend rot, wie es vor ein paar Jahren Mode war. „Dafür kriegen wir den Bastard auf lebenslänglich dran", fügt sie befriedigt hinzu.
Dorcas findet die Vorgehensweise des Ordens ja leicht interessant. Er nutzt Schlupflöcher im Gesetz, um Beweise zu finden, und dann fälscht er Indizien, um sie in die Zentrale zu bringen. Auch in diesem Fall wird in ein paar Tagen ein anonymer Tipp in Potters Büro eingehen, und einer ihrer Kollegen wird genau hier stehen, wo sie jetzt steht, und offiziell Abenhoods Opfer entdecken.
Rot, denkt sie und kickt noch einmal leicht gegen den Knochen, ohne Tobias' tadelnden Blick zu beachten, und sieht auf die Leiche hinab, von der man lange nichts mehr sagen kann, außer dass sie vor sehr vielen Jahren gestorben ist. Rote Roben. Etwas ist damit, aber sie kommt nicht darauf, was es sein konnte.
Neben ihr lässt McKinnon den Zauberstab sinken, streicht sich dunkle Haarsträhnen aus der Stirn und tritt vor. „Diese beiden waren Männer", sagt sie und weist auf die beiden, die Dorcas am nächsten sind. Sie klingt jetzt weit professioneller als zuvor; Dorcas ist vage beeindruckt. „Das war eine Frau." Sie zeigt auf das Knochen- und Robenarrangement zu den Füßen James'. Schließlich kniet die Heilerin sich nieder und sieht sich irgendetwas an, was auch immer, und führt ihren Zauberstab über eine der Leichen. „Sie sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten gestorben.", stellt sie fest. „Der hier am frühesten - vor ungefähr fünf oder sechs Jahren, würde ich sagen." Sie zeigt auf Dorcas' Leiche.
„Dann war er unter den ersten Kriegsopfern", sagt der ältere Potter leise und schiebt sich seine Brille auf die Nase zurück. „Damals sind viele verschwunden, und die meisten Leichen haben sie nie gefunden..."
„Meint ihr, sie können identifiziert werden?", fragt James unbehaglich. Dorcas sieht noch immer auf die roten Roben, und ihr Blick wandert höher zu einem hellen Rüschenkragen.
„Wahrscheinlich." McKinnon nickt zuversichtlich. „Wenn wir ihr Alter bestimmt haben. Es wird ein paar Tage dauern, aber St. Mungo hat eine Abteilung für so was."
Rote Roben. Heller Rüschenkragen. Dorcas schiebt den Stoff mit ihrem Fuß beiseite und enthüllt eine goldene Kette, mit einem goldenen Anhänger, die Sorte, in der man Bilder einschließt. Er ist zwischen die Schlüsselbeinknochen gerutscht.
„Es muss schlimm sein, wenn jemand verschwindet, und man erfährt nichts mehr..." Lupin klingt ein bisschen verloren. Die jungen Ordensmitglieder klingen immer ein wenig unsicher. Lupin und der junge Potter sind neu im Geschäft.
„Diesen müsst ihr nicht identifizieren", sagt Dorcas, als sie sich wieder auf das Gespräch konzentrieren kann, und sieht auf den goldenen Anhänger hinab. Es hat in ihrem Kopf geklickt. Herrje. Sie hatte vergessen, dass Zach immer diese furchtbaren grellen Roben getragen hat. „Das hier ist mein Bruder. Zacharias Meadowes. Also, Potter, sag deiner Frau, dass wir die Akte schließen können."
Sie zuckt mit den Schultern. Sie weiß, was sie sehen wird, wenn sie den Anhänger öffnet. Es ist ihr eigenes Bild, Dorcas Meadowes mit zwanzig, und sie wird lachen und winken und Zach eine Kusshand zuwerfen, nur dass Zach schon seit fünf Jahren tot ist, und Dorcas Meadowes mit zwanzig genauso.
Es ist 1979, und Dorcas arbeitet Berichte ab. Sie lehnt an der Innenwand ihrer Bürozelle, hat die Arme vor der Brust verschränkt und gibt vor, Altair Pepples über die Schulter zu sehen, den sie die Wilkes-Akte durchgehen lässt, während sie in Wirklichkeit desinteressiert einem Gespräch zuhört, das Potter und Longbottom im Durchgang führen. Das Wettebüro lässt es vorweihnachtlich schneien.
„Gott, Alice, ich hatte noch nie so viel Angst." Auch Potter hat die Arme vor der Brust verschränkt, aber bei ihr sieht es eher aus, als wolle sie sich selbst beschützen. Sie hat Ränder unter den Augen wie sie alle, und Dorcas weiß, dass sie die ganze Nacht durchgearbeitet hat. „Nicht mal bei meinen allerersten Einsätzen als Rekrutin. Nicht mal '76 in der Winkelgasse, als sie uns alle getrennt haben und ich dachte, dass ihr alle tot seid..." Sie verstummt und seufzt. „Nicht mal, als Toby gestorben ist.", fügt sie dann elend hinzu.
„Das ist ganz normal, Jepedina", tröstet Longbottom und tätschelt ihr die Schultern. Pepples sieht neugierig auf, als wolle er über die Bürowand nach den Stimmen schielen, und Meadowes räuspert sich scharf. Eilig senkt er den Kopf zurück über die Pergamente. „Also ich würde mich nass machen vor Angst, wenn mein Kind von Voldemort angegriffen würde. Natürlich machst du dir Sorgen. Aber wirklich, ich glaube nicht, dass er so schnell wieder angreift." Sie schnaubt abfällig, ein sehr untypisches Geräusch für Alice Longbottom. „Er wollte sich einen Spaß mit ihnen machen und es hat nicht geklappt. Jetzt ist er erstmal verwirrt und lässt den Ärger an seinen Todessern aus."
„Du hast ja recht..." Potters Stimme verklingt zu einem Murmeln. Dorcas hat ihre Chefin in all den Jahren noch nie so besorgt gehört, und sie schnaubt leise. Nicht einmal Jepedina ist also über diesen gefühligen Unsinn erhaben. Herzerweichend. Wenigstens kann sie sich auf Alastor verlassen.
„Was war das?", fragt Longbottom freundlich, wie sie immer freundlich ist. Dorcas erinnert sich vage, dass sie nicht ganz so freundlich war, als Voldemort im letzten Jahr ihren Ehemann folterte, aber man kann sich darauf verlassen, dass Longbottom immer flott in ihren üblichen freundlichen Zustand zurückkehrt, der Dorcas auf die Palme bringt, wenn sie nicht gerade darüber lacht.
„Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn Lily und James etwas passiert. Gott, Alice, Lily ist schwanger! Ich werde Großmutter! Natürlich, ich wusste, dass sie sich zu Zielen machen könnten, mit James im Fluchbrecherbüro und allem, und es ist ihre Entscheidung... Ich bin nur froh, dass sie Sirius haben. Zwei Auroren sind besser als einer."
„Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass James oder Lily Schutz durch euch brauchen, Jepedina", neckt Alice und versucht offensichtlich, die Stimmung zu heben. Es klappt: Jepedina lacht leise.
„Zumindest sollten wir es ihnen nicht so ins Gesicht sagen, nein. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Potters in diesem Krieg noch viel mehr verlieren werden. Ich weiß nicht wieso, aber..." Sie schüttelt den Kopf. Ihre Stimme wird härter. „Sie haben schon Tobias bekommen, aber wenn sie James wollen, müssen sie vorher an mir vorbei."
Dorcas schnaubt leise, bevor sie sich wieder Pepples zuwendet. Es ist immer das gleiche - immer die goldenen Gryffindors mit ihren goldenen Ideen.
Sie wirft Pepples einen scharfen Blick zu, als er fragend aufsieht, denn immerhin wartet die Arbeit nicht.
Es würde sie nicht wundern, wenn dieser Krieg noch ein paar alte Familien auslöscht, und es wundert sie auch nicht im Geringsten, dass Jepedina drei Wochen später stirbt.
Es ist 1980, und Dorcas wacht auf. Die Welt ist verschwommen und dreht sich, und sie blinzelt und will sich konzentrieren, aber sie kann nicht.
Sie sieht eine weiße Decke und die obere Kante eines Bildes mit beruhigenden Blumendingen darauf; sie hat so oft hier gelegen, dass sie ihre Umgebung noch nicht einmal bewusst identifizieren muss. Dafür konzentriert sie sich auf die Erinnerung daran, wo sie zuletzt gewesen ist, reiner Schutzmechanismus, weil sie wissen muss, was passiert ist, und ihr fällt eine Straße in Nottingham ein, und dass es ein Notfalleinsatz war, dass der Todesfluch Cassandra Lane gefällt hat und dass sie von etwas getroffen wurde, bevor es schwarz wurde.
Sie ist in St. Mungo. Tief durchzuatmen ist ein Reflex, als reine Panik in ihr aufsteigt.
Alles schwimmt vor ihren Augen, und die Gedanken sind nur vage Farbtupfer in der Gestalt von Springbällen. Dafür sind die weißen Wände zu weiß und die Kissen zu sauber und der Geruch nach Nichts und Krankheit schnürt ihr die Kehle zu.
Dorcas rappelt sich auf und lallt Flüche, als sich alles zu drehen beginnt. Sie trägt ein widerlich sauberes weißes Krankenhausnachthemd, und zwischen den Narben auf ihren Armen schimmern blaue Verfärbungen unter der Haut. Knochen und Muskeln und Gelenke flammen bei jeder Bewegung auf, aber Dorcas kämpft sich hoch und sieht sich wild um, bis sie die Tür lokalisiert.
Es schmerzt, die Beine über die Bettkante zu zwingen. Ihre Beine sind fast so weiß wie das Laken des Krankenhausbetts. Es kostet Mühe, sich zum Stehen zu zwingen, aber Dorcas stützt sich auf dem Bett ab und kneift die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren - auf die Tür, auf den Ausgang -, bis es besser wird.
Um sich schlagend, damit sie nicht die Balance verliert, stößt sie sich ab und taumelt die vielen Schritte auf die Tür zu. Als sie sie erreicht, stößt sie an die Wand und muss sich wieder anlehnen und wieder durchatmen, und sie weiß, dass es mit dem Weg zur Tür noch nicht getan ist; aber sie wird dieses verdammte Zimmer verlassen, weil sie zwar den Grund gerade nicht weiß, aber sie weiß, dass sie es hasst, hilflos zu sein, und dass sie verdammt noch mal nicht in einem blutigen Krankenhausbett verrotten wird.
Sie stöhnt und murmelt Flüche, ohne es zu merken oder ohne sie zu verstehen, und zwingt ihren Arm, die Klinke herunterzudrücken. In dem kleinen Stück Gang, das sie jetzt sehen kann, ist niemand, und sie hält sich an der Wand fest und arbeitet sich ein paar Schritte vor, bevor ihre Beine endgültig nachgeben. Im letzten Moment kann sie sich abfangen, und dann sieht sie eine blaue Robe vor sich. Eine Gestalt lehnt an der Wand und sie erkennt verspätet ein Narbengesicht mit erhobenen Augenbrauen.
„Halt's Maul", spuckt sie aus, und Moodys schon geöffneter Unterkiefer klappt wieder zu. „Halt einfach dein Maul und bring mich nach Hause."
Moody ist sehr gelassen und ein bisschen amüsiert und ein bisschen besorgt, und was immer er Trockenes sagen wollte, sie will es nicht hören. Sie ist wütend, weil sie Angst hat, vor den weißen Kissen und dem Krankenhaus und dem Bett, sie muss weg, und sie klammert sich verzweifelt an die Wand, weil sie weiß, wenn sie fällt, bringen sie sie in dieses Bett zurück.
„Also zu mir dann", sagt Moody und zuckt mit den Schultern. Kräftige Arme schieben sich um ihre Taille, und sie atmet auf, als sie wieder stehen kann, auch wenn sie erst richtig aufatmen wird, wenn sie das Krankenhaus verlassen haben. „Ist sicherer."
Sie nickt zittrig und fühlt sich scheiße und hilflos, und sie hasst es, dass sie es zulässt, dass Moody erst ihre Sachen holt. Sie lässt auch zu, dass Moody mir ihr appariert, weil sie für die Kamine zu schwach ist und kaum ihren Zauberstab heben kann. Und dann sind sie in Moodys Wohnung und er grunzt und bringt sie zur Couch, und als sie liegt, hört sie auf zu zittern.
So wie immer.
Es ist 1981, und Dorcas liegt mit so vielen gebrochenen Knochen am Boden, dass sie sie nicht zählen kann und will. Todesser haben sie umzingelt und lachen höhnisch, aber sie hört es nicht, denn sie kämpft um Kontrolle. Sie weiß, dass sie verloren hat, aber sie würde alles in Kauf nehmen, wenn es nur heißt, den Bastarden die Befriedigung an ihrem Tod zu nehmen.
Dorcas hustet, als sie sich an einem blutigen Klumpen Spucke verschluckt. Sie fixiert den Boden vor sich, während sie mühevoll darum kämpft, auf die Beine zu kommen.Im Augenwinkel sieht sie, wie sich Füße in Bewegung setzen, zur Seite treten und den Weg für die Ränder einer weiten schwarzen Robe freimachen.
Erstaunlicherweise lässt der Schmerz etwas nach, als sie auf die Knie kommt und sich von dort aus weiter nach oben arbeitet. Ihre linke Schulter ist gebrochen; mit dem rechten Arm kann sie sich am Boden aufstützen, um hochzukommen.
Als sie schließlich steht, schwankt sie, und es dauert eine Sekunde, bis sie den Blick wieder fokussieren kann. Sie zählt die Namen der Toten auf, weil sie jetzt ihr Mantra sind, aber diesmal sind es vertraute Namen: Amanda Meadowes, 1972. Blaise Meadowes, 1972. Zacharias Meadowes, 1973. Dorcas Meadowes, 1981. Haha, kommentiert sie den letzten innerlich trocken. Wieder stirbt eine Reinblüterfamilie aus. Kein großer Verlust.
„Hi mal wieder, Tommy-Boy", krächzt sie mühsam, fängt ein weiteres Schwanken ab, und der so genannte Dunkle Lord bleibt ein paar Meter von ihr entfernt stehen. Rote Augen betrachten sie kalt. „Schade, dass ich keinen Incontinentus-Fluch mehr für dich übrig habe..." Zu stehen wird schwieriger. „...darf ich dich stattdessen hauen?" Ihr Schwanken verstärkt sich; Dorcas spürt, wie sie die Kontrolle über ihre Beine verliert, doch bevor es so weit ist, gelingt ihr ein blutiges Grinsen. Die Haltung Voldemorts versteift sich sichtlich. Sie könnte schwören, dass er die Zähne fletscht.
„Crucio", zischt er.
Der Bastard stiehlt mir die Show... Doch Dorcas kann den Gedanken nicht recht beenden. Sie spürt noch, wie ihr der Zauberstab aus der Hand gleitet, doch wie sie fällt, spürt sie nicht mehr, denn eine Welle aus Agonie und Schmerz wischt alles andere mit sich weg, und viel folgt ohnehin nicht mehr.
So was passiert, hätte sie gesagt und mit den Schultern gezuckt.
Kein großer Verlust.
