Der Hund saß schneller auf seinem Schoß, als er gucken konnte.

Er hatte nichts gegen Tiere. Seine Vater hatte vier Jagdhunde besessen – Weimaraner mit mausgrauem Fell. Wunderschöne, nützliche Geschöpfe, effektiv bei der Entenjagd.

Damals war er zu jung gewesen, ihre Namen sind ihm entfallen, doch er erinnerte sich genau an ihre Augen – helle, bernsteinfarbene Murmeln und er wusste noch ziemlich gut, wie stolz sein Vater auf die Leistung und Erziehung seiner Hunde war.

An kalten Winterabenden durften sie im Haus vor dem Kamin liegen.

Wenn er den Palast seiner Erinnerungen betrat und sich seinen Vater ins Gedächtnis rief, flankierten die Hunde ihn manchmal stolz und wachsam.

Abgesehen davon war er mit vielen Tieren aufgewachsen: Hühner, Katzen, Kühe, Pferde, Schweine. Aber in seinem Leben als großstädtischer Psychotherapeut mit unkonventionellen Hobbys war für Haustiere kein Platz. Zu viel Verantwortung, zu wenig Zeit und zu viele Haare.

Haare, die sich auf seinem 2,500 Dollar Anzug festsetzten.

Haare, die er Wochen später noch finden würde.

„Miss Woodbury, in der Praxis sind Tiere nicht erlaubt."

Miss Woodbury nickte, tat jedoch nichts, um den Hund an seine Manieren zu erinnern. Im Gegenteil, ihre roten Lippen teilten sich für ein halbes Grinsen und sie entblößte einen Moment ihre weißen, geraden Zähne, doch der Ausdruck in ihren Augen war blank, ohne jede Emotion.

Hannibal kannte diesen Blick.

So sah ein Alligator aus, der mit offenem Maul auf sein nächstes Opfer wartete. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie ihn als ihr Opfer auserkoren hatte, auch wenn er noch nicht genau erfassen konnte, was sie vor hatte.

Nun, aber das würde sich zeigen. Letztlich.

„Das ist mir bewusst, Dr. Lecter, aber leider habe ich keine andere Wahl und ich hoffe, dass Sie für mich heute eine Ausnahme machen können."

Sie lächelte, aber sie sah alles andere als glücklich aus. Er wusste, dass sie vor kurzem ihre Mutter verloren hatte – ein Schicksalsschlag, der ihr sehr zu schaffen machte. Brustkrebs. Innerhalb eines halben Jahres nach der Diagnose war es vorbei gewesen.

„Benny war Mamas Liebling. Dr. Lecter, der Tod meiner Mutter ist ein Teil des Problems. Ich habe viel zu wenig Zeit, mich um diesen Schatz zu kümmern und bin bereits auf der Suche, nach einem Ersatz. Jemand, der ihm ein zu Hause bieten kann, liebevolle Hände."

Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt, sandten ein Prickeln aus, das selbst die letzten Nervenenden erreichte und alles in ihm rief: GEFAHR IM VERZUG!

Sie sah ihn an, als wäre er ihre letzte Hoffnung und er lächelte, doch es war nicht seine beste Performance, da eine kleine, aber kräftige Pfote zielsicher in seine Genitalien trat und eine elektrisierende Welle des Schmerzes auslöste.

Er bot all seine Disziplin auf, um die Hand nicht auszuholen und den Hund mit einer Bewegung von seinen Beinen zu fegen.

Der Jack Russell Terrier war ein quirliges Energiebündel, eine kleine, gecheckte, braun-weiße Rakete, die erst fünf Runden auf seinem Schoß drehen musste, bevor sie eine akzeptable Landeposition einnehmen konnte.

Was nichts, aber auch rein gar nichts mit der Würde und Grazie eines Weimaraners gemein hatte.

„Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie suchen", sagte Hannibal und tätschelte den Kopf des Hundes, woraufhin sich das kleine Maul teilte und eine grotesk überdimensional große Zunge zwischen den Lefzen zum Vorschein kam.

Sabber tropfte auf seine 900 Dollar Hose.

„Sie sind doch Junggeselle! Oder nicht?"

Miss Woodbury gab sich nicht so leicht geschlagen. Ihr Gesicht erhellte sich und sie klatschte in ihre kleinen, manikürten Hände, woraufhin sich ein Ohr des Hundes neugierig und aufmerksam aufstellte.

„Keine Kinder – Sie müssen Zeit haben ohne Ende! Es kann sehr erfüllend sein, sich um ein Lebewesen zu kümmern, dass auf Sie angewiesen ist!"

Hannibal blickte auf seinen Schoß, das Tier blickte zu ihm auf und der Mundgeruch des kleinen, haarigen Geschöpfes umnebelte seine empfindlichen Geruchsnerven dermaßen, dass er mit erstaunlich viel Energieaufwand einen Brechreiz unterdrücken musste.

„Miss Woodbury, ich werde mich umhören, ob sich nicht jemand für den kleinen", er schluckte seine Übelkeit runter, „ob sich nicht jemand für den Hund finden lässt. Leider bin ich die letzte Person, die sich so gut um ihn kümmern könnte, wie er es verdient."

Die Enttäuschung war Miss Woodbury deutlich anzusehen, aber sie nickte.

„Natürlich, Sie haben vollkommen Recht. Ich weiß auch nicht, warum ich gefragt habe."

„Sie haben gefragt, weil sie sich um das Wohl ihres entzückenden Schützlings sorgen, der immerhin das Vermächtnis Ihrer Mutter ist."

Sie weinte nicht, doch ihre Augen wurden glasig und die nächste Dreiviertelstunde lang arbeiteten sie an ihrer Trauerbewältigung, wobei es ihm jedoch schwer fiel, ihr seine gesamte Konzentration zu schenken.

Mit einem Auge starrte er immer wieder auf das Tier, das seinen Schoß nicht verlassen wollte, eingerollt auf seinen Oberschenkeln, die feuchte Nase unter den Pfoten versteckt.

Er würde den Anzug so schnell wie möglich reinigen lassen. Wahrscheinlich würde er ihn wegschmeißen müssen. Ziemlich verschwenderisch, doch er wusste, dass der charakteristische Eigengeruch des Tieres nie wieder ganz verschwinden würde.

Zumindest nicht aus seiner Nase.

Nach der Stunde bat Miss Woodbury darum, die Örtlichkeiten aufsuchen zu dürfen, um sich frisch machen zu können. Hannibal zeigte ihr gerne den Weg, immerhin war jetzt ein unmittelbares Ende dieses animalischen Überfalls abzusehen.

Als er in sein Büro zurückkehrte, kniete Will Graham auf dem Boden und streichelte den Bauch des Jack Russell Terriers, der sich auf den Rücken gedreht hatte, alle Viere von sich streckend.

Hannibal musste nicht auf seine Uhr sehen, um zu wissen, dass Will zu früh für seinen Termin dran war, mindestens zwanzig Minuten. Normalerweise war er stets pünktlich, nie zu spät und selten vor seiner Zeit da.

Etwas außergewöhnliches musste geschehen sein.

Der Hund schien zu grinsen, indem er die Lefzen zurückzog und seine kleinen, spitzen Zähne zeigte. Will Graham lachte als er aufsah – direkt in Hannibals Gesicht – und seine blauen Augen strahlten wie ein klarer Frühlingstag, verweilten sogar einen Moment länger als üblich, bevor sie abdrifteten und sich auf etwas ungefährlicheres fokussierten.

Die Nase, die Stirn oder die Schulter.

In letzter Zeit auch öfter der Mund.

Hannibal wusste, dass die Zuneigung, die er jetzt in Wills Augen sah, nicht an ihn, sondern das zappelnde Fellknäuel zu seinen Füßen gerichtet war, trotzdem verpasste sein Herz einen Schlag, geriet ins stolpern, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit seinen Rhythmus wiederzufinden.

„Ist das Ihr Hund, Dr. Lecter?"

Hannibal ergriff Gelegenheiten, wenn sie sich anboten. Er hatte noch nie dieses Ausmaß an offener Begeisterung in Will Grahams Gesicht gesehen. Hunde hatten einen Zugang zu ihm, öffneten all die Schranken und Barrieren, die er so sorgfältig errichtet hatte, beim ersten Hallo.

Ein direkter Weg in sein Herz.

Es wäre praktisch unverzeihlich diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen zu lassen.

„So ist es", sagte Hannibal. „Wie ich sehe, hat er bereits Bekanntschaft mit Ihnen geschlossen."

„Sie haben nie erwähnt, dass Sie einen Hund haben."

Wills Augen musterten ihn mit interessierter Aufmerksamkeit, aber seine Hände kümmerten sich weiterhin um das Wohl des Terriers, der sich unter seinen Fingern rollte wie eine paarungswillige Katze.

Obwohl der Gedanke absurd war, schien das Grinsen des Hundes breiter zu werden. Eine Beobachtung, die er abspeicherte, um später darauf zurückzukommen.

Hannibal entschloss sich bei der Wahrheit zu bleiben. „Bis vor wenigen Minuten war das auch noch nicht der Fall."

Hannibal hörte Miss Woodbury kommen, noch bevor sie den Raum wieder betreten hatte.

„Oh, wie schön!" rief sie und klatschte in die Hände.

„Also darf ich davon ausgehen, dass Sie Benny adoptieren?"

Er spürte Wills Blick in seinem Rücken und sagte: „Wie könnte ich einer reizenden Dame in Not, wie Sie es sind, eine Bitte abschlagen?"

„Wunderbar, einfach wunderbar!"

Der Hund stürmte los, seine Krallen wetzten beim Laufen über den unbezahlbaren Holzfußboden, erzeugten klickende Geräusche auf dem Parkett und in Hannibals Augenwinkel löste sich ein unkontrollierbares Zucken.

Der Terrier rieb sich an seinem Hosenbein und bellte in erstaunlich lauten, hohen, abgehackten Tönen, die sein Trommelfell reizten. Hannibal starrte in die Augen des kleinen Vierbeiners und brachte ihn mit seinem Blick zum Schweigen.

„Eine ausgesprochen lebhafte Rasse haben Sie sich da ausgesucht", sagte Will und grinste.

In der Tat, dachte Hannibal. „Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass ich derjenige war, der ausgesucht wurde, aber ich wachse gerne mit meinen Aufgaben."

„Ausgezeichnet!" Miss Woodbury klang äußerst zufrieden.

Will spielte wieder mit dem Hund. Beide sahen ebenfalls sehr zufrieden aus.

Hannibal erblickte einen Kratzer auf seinem Schuh, der das italienische Leder verunstaltete.

Er hoffte, dass die Kreatur wenigstens stubenrein war.

Nachdem Miss Woodbury die Praxis mit dem Versprechen verlassen hatte, am nächsten Tag zurückzukehren, um ihm den Hausstand seines frisch adoptierten Schützlings auszuhändigen, konnte sich Hannibal endlich dem Teil des Abends widmen, auf den er sich am meisten freute.

Er bemerkte die dunklen Ringe unter Wills Augen, die Müdigkeit in seinem Gesicht und fragte: „Sind die Träume schlimmer geworden?"

Wills Blick flackerte, huschte flüchtig über Hannibals Züge, bevor er den Kopf wieder senkte und den Hund streichelte, der es sich auf seinen Beinen bequem gemacht hatte.

Dieses durchtriebene Biest ließ sich keine Gelegenheit entgehen.

Erst glaubte Hannibal, dass er keine Antwort erhalten würde, doch nach einer Weile sagte Will: „Nicht unbedingt schlimmer, nur anders."

„Inwiefern?"

Wieder eine lange Pause.

Hannibal reichte ihm ein Glas Rotwein und Will trank einen kräftigen Schluck, doch als er sprach, wählte er seine Worte immer noch mit Bedacht.

„Ich weiß nicht, ob Sie die richtige Person sind, mit der ich darüber sprechen sollte."

„Will, ich bin nicht Ihr Therapeut, ich bin Ihr Freund. Wenn Sie mit mir nicht darüber sprechen können, mit wem dann?"

Will verlagerte seine Position in dem Ledersessel, deutlich unwohl in seiner Haut, die eine Hand auf dem Rücken des Hundes, die andere Hand klammerte sich am Stiel des Weinglases fest.

Hund und Alkohol, die zwei Grundfeste seiner Sicherheit.

Hannibal lehnte sich vor, die Ellbogen auf seinen Knien abstützend und er versuchte es nochmal, diesmal anders: „Erzähl mir, was du geträumt hast, Will."

Oh, die Veränderung in seinem Gesicht war sehr visuell.

Will schnappte nach Atem und begegnete aus Versehen Hannibals Augen, woraufhin sich eine zarte Röte auf seinen Wangen ausbreitete, ehe er wieder wegsah.

Der Hund spürte, das etwas in der Luft lag, winselte, wedelte mit dem kleinen Schwanz und Will sprach mehr zu dem Tier als mit Hannibal.

„In letzter Zeit habe ich feuchte – ", er schluckte, schüttelte den Kopf, „ – durchlebe ich sexuelle Fantasien in meinen Träumen."

Will blickte auf und flüsterte: „Jede Nacht."