Die Zurückgelassenen

A/N: Diese Story ist gewissermaßen ein Experiment. Ich habe keine Ahnung, ob es funktioniert oder nicht - das zu entscheiden ist Eure Sache. Die Idee ist mir mehr oder weniger im Traum gekommen, und wie das eben so ist mit den „Plot Bunnies"… sie lassen einen nicht mehr los. Und was auch schnell geschieht – man hat, egal wie kreativ man ist, doch immer eine reale Person im Hinterkopf, wenn man Charaktere erschafft. In diesem Fall ist das nicht anders, jedoch ist „Felix" eine Mischung aus verschiedenen Bekannten und steht in seiner Funktion stellvertretend für eine Gruppe von Menschen, nämlich meine Ex-Klassenkameraden aus grauer Vorzeit, mit denen ich damals überhaupt nicht auskam. Ich kann nicht oft genug betonen, dass niemand Bestimmtes damit gemeint ist. Es ist nur so, dass die Ich-Erzählerin in mancher Hinsicht durchaus autobiografische Züge aufweist, weil die Story sonst so nicht funktioniert. Und ich brauchte einen realistischen Gegenpart, also habe ich auch da auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen. (Ergibt das Gelaber hier überhaupt irgendeinen Sinn?!) Ich glaube, was ich hier eigentlich sagen will: Sollte (aus was für einem Grund auch immer) einer meiner alten Klassenkameraden diese Story lesen (und wissen, dass ich die Autorin bin) – keine Angst kriegen! Ihr seid vielleicht Pate gestanden, aber ich beschreibe hier niemanden im Besonderen. Und mittlerweile hat sich die Lage ja sowieso entspannt :)

Was jetzt das Experimentelle an dieser Story ist? Ich habe bisher noch nie auch nur im Ansatz versucht, ausgewalzte Sexszenen und Schockeffekte einzubauen, was ich mit dieser Story aber fest vorhabe. Nur um zu sehen, ob ich das kann. Bin selbst gespannt auf das Ergebnis und natürlich auf Eure Reviews. Natürlich ist die Story gewissermaßen keine "richtige" Fanfiction, weil sie eigentlich relativ wenig mit Stephen King zu tun hat. Sie baut nur auf "The Stand" auf, aber ich glaube kaum, dass ich Frannie, Stu und Konsorten einbauen werde. Wäre auch schwierig, mal eben ohne Strom etc. den Atlantik zu überqueren, um nach Boulder, Colorado, zu pilgern...

Jetzt reicht's aber mit der Einleitung

Disclaimer: "The Stand - Das letzte Gefecht" gehört voll und ganz dem großen Meister Stephen King (verbeugt sich). Aber ich habe mir Captain Trips und seine Folgen mal eben ausgeliehen, um ein paar Charaktere, die auf meinem eigenen Mist gewachsen sind, damit zu quälen. Besagte Charaktere sind größtenteils meiner Phantasie entsprungen, und jede Ähnlichkeit mit tatsächlich existierenden Personen ist entweder zufällig oder beabsichtigt. Ich war übrigens zu faul, um mir einen Namen für die Ich-Erzählerin auszudenken, also halte ich es wie Daphne duMaurier in "Rebecca" und erwähne den Namen überhaupt nicht. Die Erzählerin ist außerdem ein eigenständiger Charakter, der nichts mit mir zu tun hat. Dass ich die Ichform gewählt habe, liegt nur daran, dass das Ganze immerhin auf einem (Traum-) Erlebnis von mir beruht, was sich auf diese Weise besser erzählen lässt. Man versetzt sich einfach besser hinein...

Jetzt aber auf zur Story! Mal sehen, was draus wird...

Kapitel Eins - Die Geisterstadt

Alles um mich herum war tot.

Längst war ich über den Punkt hinaus, an dem ich brüllend meinen Schmerz herausschrie und Gott verfluchte. Längst hatte ich es aufgegeben, mit meinem klapprigen Fahrrad durch die Straßen zu fahren und an Haustüren zu klopfen in der Hoffnung, doch noch eine lebende Seele anzutreffen - das hatte ich fast eine Woche lang versucht und war doch nur immer wieder auf verlassene Häuser getroffen oder auf solche, in denen die Leichen langsam verwesten. Längst fuhr ich nicht mehr beim kleinsten Geräusch mit wilder Hoffnung in die Höhe und rannte zur Tür hinaus, um auch ja niemanden zu verpassen, denn meistens war es nur irgendein Tier gewesen, und so hatte ich die letzten Tage im Wohnzimmer des Hauses verbracht, in dem ich bis vor ein paar Wochen mit meinen Eltern gewohnt und nichts Böses geahnt hatte.

Meine Eltern waren beide in der letzten Woche gestorben und ich hatte sie nachts im Garten begraben. Tagsüber war es brütend heiß und die Insekten kamen in Scharen, angelockt von dem süßlichen Verwesungsgestank, der wie eine Glocke über der Stadt lag. Wahrscheinlich nicht nur über der Stadt, sondern über dem ganzen Land, wenn nicht sogar über der ganzen Welt. Bevor die Fernsehstationen endgültig verlassen worden waren, hatte es immer noch in unregelmäßigen Abständen Nachrichten gegeben, und so hatten wir mitbekommen, dass alle Berühmtheiten der Welt, ob nun Politiker, Schauspieler, Sänger, Sportler oder Firmenbosse, starben wie die Fliegen. Der amerikanische Präsident ebenso wie der deutsche Bundeskanzler, der spanische König und der englische Premierminister. Überall auf der Welt geriet die soziale Ordnung aus den Fugen; Länder blieben führerlos auf der Strecke, weil die Führungsmächte schneller starben als man Nachfolger erwählen konnte.

Auch wenn meine Heimatstadt nicht zu den größten gehört, hatte ich mich auch hier kaum auf die Straße getraut aus Angst vor den vielen normalerweise anständigen Bürgern, die plötzlich durchdrehten und Geschäfte plünderten, Frauen und Männer gleichermaßen vergewaltigten und mit der Verzweiflung des Todgeweihten ein letztes Mal mit aller Kraft über die Stränge schlugen. Erst in der letzten Woche war es ruhiger geworden. Die Supergrippe, die man in den Staaten anscheinend auch "Captain Trips" nannte, hatte sich allmählich alle Opfer gegriffen, derer sie habhaft werden konnte. Irgendwann nach dem Tod meiner Eltern und Freunde war mir alles egal geworden und ich war Tag und Nacht herum gelaufen ohne mich um die Ansteckungsgefahr oder die Bedrohung durch die wenigen übrig gebliebenen Amokläufer zu scheren. Aber so sorglos ich auch damit umging, ich bekam noch nicht einmal einen Hustenreiz. Die Krankheit verschonte mich nach wie vor, auch wenn es Momente gab, in denen ich geradezu darum bettelte, ebenfalls krank zu werden und zu sterben. Dennoch wäre es mir nie in den Sinn gekommen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. So schlecht war es um meinen Lebensmut anscheinend doch nicht bestellt.

In den letzten fünf Tagen hatte ich mich jeden Tag auf den Weg in die Innenstadt gemacht und systematisch alle mir bekannten Refugien auf der Suche nach weiteren wie mich abgeklappert. Aber ich fand nichts als Leichen. Die meisten selbstverständlich in den Kirchen - Leute, die als letzten Ausweg den Glauben gesucht hatten. Aber ihre Gebete waren nicht erhört worden. Auch in den Schulen fand ich keine Überlebenden, ebenso wenig wie in den Gemeindezentren, den Schwimmbädern, Fitnessstudios und Krankenhäusern. An den Gestank hatte ich mich irgendwann gewöhnt. Auch die Fliegen waren mir nach einer Weile egal. Sie ließen mich sowieso in Ruhe, da ich eine weitaus weniger verlockende Mahlzeit darstellte als die halb verwesten Leichen, die die Straßen und Gebäude bevölkerten.

Seit vor vier Tagen der Strom endgültig verschwunden war, ernährte ich mich aus Dosen. Ich hatte einen Spirituskocher im Trekkingladen mitgenommen - und hatte dabei dem Impuls widerstehen müssen, das Geld dafür auf die Theke zu legen - zusammen mit einem Spiritusvorrat, mehreren Sturmfeuerzeugen und Streichhölzern, Töpfen und noch so einigen Sachen von denen ich glaubte, sie mal brauchen zu können. Ich hatte einen Schleichweg gefunden, der nicht restlos verstopft war, so dass ich einen Großteil der Strecke vom Haus ins Zentrum mit dem Auto fahren konnte. Dort lud ich nach und nach alles ein, was ich mir "besorgte" - haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung, haufenweise Batterien aller Stärken, Kerzen, ab und zu auch mal einen Stapel Bücher oder Kassetten, die ich dann abends zu Hause im Walkman hörte, so dass die Welt beinahe wieder normal wirkte.

Aber eben nur beinahe.

Ich brauchte fast vier Tage um meine Aktionen als das zu erkennen, was sie in Wirklichkeit waren, nämlich Vorbereitungen zur Flucht. Ich war drauf und dran, diese tote Kleinstadt zu verlassen. Vielleicht würde ich in der nächsten Großstadt auf weitere Überlebende treffen. Oder im nächsten Dorf.

Als ich an diesem Tag aufwachte - längst hatte ich den Überblick über die Wochentage verloren, da ein Tag wie der andere war -, beschloss ich, dass dies mein letzter Tag in dieser Stadt sein würde. Ich hatte keinen besonderen Grund dafür. Es erschien mir einfach richtig.

Ich packte also meine Habseligkeiten ins Auto und ging dann langsam durch das Haus, das einundzwanzig Jahre lang mein Heim gewesen war. Es wirkte seltsam kahl, obwohl ich eigentlich gar nicht so viel vom Inventar entfernt hatte. Alles Leben war aus ihm gewichen, es war nur noch ein Haufen Stein, Holz und Dachpappe. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich hatte das Weinen schon längst aufgegeben, aber die Endgültigkeit des Abschieds ließ alle Ereignisse der vergangenen Wochen wieder auf mich einstürzen. Ich dachte an meine Familie, meine Freunde, meine Welt, die nun unwiderruflich tot waren, und taumelte, von Kummer überwältigt, an die Wand. Daran gelehnt glitt ich langsam zu Boden und weinte um alles, was ich in so kurzer Zeit verloren hatte.

Viel später schaffte ich es endlich, das Haus zu verlassen. Obwohl es unter diesen Umständen völlig sinnlos war, hatte ich die Sicherungen heraus gedreht, sämtliche Stecker gezogen und alle Fenster geschlossen und die Jalousien heruntergelassen. Als ich das Haus endgültig verließ, schloss ich die Tür ab.

In einem Film hätte ich mich jetzt wahrscheinlich umgedreht und irgendwas Sinnloses wie "Mach's gut, altes Haus" oder "Danke für alles" gemurmelt. Aber ich bin noch nie der Typ gewesen, der mit Häusern spricht, und so drehte ich mich einfach um, stieg ins Auto und fuhr davon.

Ich hatte vor, an der nächsten Tankstelle noch jede Menge Benzin einzuladen, aber als ich dort ankam, ausstieg und den grünen Golf 3 betrachtete, kam mir eine andere Idee. Warum sollte ich mich mit so einem engen Wagen herumschlagen, wenn ich doch ebenso gut einen Jeep besorgen konnte? Entschlossen stieg ich wieder ein, wendete und schlug den Weg zum Chrysler-Center ein. Wenn schon, denn schon. Ich war zwar mit dem Golf bestens vertraut, aber ein Jeep war sicher auf lange Sicht besser. Ich würde schließlich ständig querfeldein fahren müssen, da die Autobahnen heillos verstopft waren, und dafür war ein Geländewagen genau das Richtige. Außerdem hatte ich schon immer mal so ein Ding fahren wollen.

Nach etwa zwanzig Minuten war ich beim Chryslerhändler angekommen. Schon von weitem sprang mir ein glänzendes, pechschwarzes Prachtexemplar ins Auge, doch beim Näherkommen sah ich, dass alle Reifen durchstochen worden waren und das Auto nur noch auf den Felgen stand.

Auch die anderen Autos waren irgendwie beschädigt und ich fluchte laut. Aber gerade als ich aufgeben und wieder in den Golf steigen wollte, ließ mich ein Geräusch herumfahren.

Zunächst dachte ich, ich hätte mich verhört, aber das Geräusch hielt an und wurde sogar lauter. Es war ein ganz alltägliches Geräusch, das aber in der letzten Zeit einen absoluten Seltenheitswert gewonnen hatte, und für mich war es das lieblichste Geräusch der Welt: Das sanfte, gleichmäßige Brummen eines Automotors.