Ich will mein Leben zurück
„Lasst mich endlich nach Hause. Ich will zu Rory.", schrie das dunkelhaarige Mädchen noch einmal. Der Arzt, der vor ihr stand legt beide Hände auf ihre Schultern um sie zu beruhigen: Miss, hören sie mir bitte zu, sie müssen sich beruhigen." Der hektische und doch sehr unregelmäßige Atem der Frau wurde wieder langsamer. „Gut Miss, das war der erste Schritt. Jetzt würde ich ihnen gerne noch zwei Fragen stellen. Wie alt sind sie?" Mit leicht krächzender Stimme antwortete sie: „Ich hab es doch schon oft genug gesagt, ich bin 32 Jahre alt." „Nein Miss, das sind sie nicht. Sie sind gerade einmal 15 Jahre alt." „ Nein, sie müssen sich irren, ich bin 32 Jahre alt und jetzt stellen sie schon ihre zweite Frage, damit ich gehen kann." „Okay vorerst die letzte Frage. Wie lautet ihr kompletter Name?" „Wie oft wollen sie das denn noch hören? Mein Kompletter Name lautet Lorelai Victoria Gilmore. Kann ich nun gehen?"
Der Arzt senkte traurig seinen Blick und schüttelte sanft den Kopf: „Verzeihen sie Miss, ich möchte nur noch einen Moment draußen mit ihren Eltern sprechen, warten sie hier und bleiben einfach ruhig sitzen." „Sind meine Eltern mittlerweile da? Aber bitte dann tun sie sich keinen Zwang an, aber die werden ihnen auch nur das sagen, was ich ihnen schon seit bestimmt 20 Minuten versuche klar zu machen, nämlich, dass ich Lorelai heiße und 32 bin. Los gehen sie und fragen sie meine Eltern." Der Arzt drehte sich um und öffnete die Tür die auf den Flur hinausführte. Als sich diese mit einem lauten „Klack" geschlossen hatte, murmelte das Mädchen: „Das kann doch echt nicht war sein, seh ich aus wie ne Verrückte? Ich will hier weg, die können mich doch nicht zwingen hier zu bleiben. Wieso kommen Mum und Dad nicht einfach rein und nehmen mich mit. Ich will zu Rory. Wo ist die eigentlich? Wieso ist sie nicht hier? Ach, sicher ist sie irgendwo mit Jess unterwegs. Aber trotzdem! Wieso dauert das denn so lange? Sie müssen doch nur bestätigen wie ich heiße und dass ich sicher keine 15 mehr bin. Oh man hier drin wird man doch echt verrückt. Ist ja nicht auszuhalten. Ob ich hier irgendwo einen Kaffee kriegen kann, der nicht total schrecklich schmeckt? Mal sehn."
Langsam erhob sich das junge Mädchen aus dem Sessel, ging zur Tür und öffnete diese einen Spalt breit. Draußen stand der Arzt, mit einer schlanken, blonden Frau in einem dunkelblauen Hosenanzug und einem kleinen etwas rundlicheren Mann. Das Mädchen zögerte noch einen Moment an der Tür um zu hören, was der Arzt mit diesen Leuten bereden wollte, denn er wollte doch eigentlich mit ihren Eltern sprechen, wo waren die überhaupt? „Mister und Misses Corner ich habe ihre Tochter nun im Behandlungszimmer eingehend untersucht." „Sagen sie mir doch, was mit meiner kleinen Mary los ist! Wieso behauptet sie sie sei 32 und hieße Lorelai? Sie ist 16, das können sie doch nun wirklich nicht abstreiten." „Misses Corner, bitte sie müssen sich beruhigen. Zu diesem Zeitpunkt kann ich nicht sagen, was mit ihrer Tochter los ist. Aber ich denke es handelt sich um eine vorübergehende Verwirrung, dass hoffe ich zumindest." Die Frau schluchzte laut auf: „Können sie sich vorstellen, wie es für eine Mutter ist, wenn ihre eigene Tochter sie nicht mehr kennt? Sie streitet ab, dass ich ihre Mutter bin, wissen sie wie schwer das ist und wie weh das tut?"
Der rundlichere Mann, der neben seiner, mittlerweile sehr aufgelösten, Frau stand legte den Arm um sie und flüsterte ihr zu: „Es wird alles gut Schatz. Meine Liebe glaub mir, alles wird sich zum Guten wenden. Sie wird gesund und wird dann nicht länger behaupten sie hieße Lorelai sowieso!" „Gilmore, Mister Corner, sie behauptet, sie heißt Lorelai Gilmore." Bei dem Namen Gilmore zuckte die blonde Frau fast unmerklich zusammen. Es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht, wieso hatte sie vorher nicht zugehört, wie sie behauptet zu heißen. Wie konnte sie diesen Namen vergessen oder besser gesagt verdrängen. Innerhalb von Sekunden flogen ihr so viele Gedanken durch den Kopf: „Oh mein Gott, wie konnte ich das vergessen? Aber wie kann das sein? Nach all diesen Jahren. Nur… nur wie kommt sie auf diesen Namen, woher hat sie ihn, sie kann ihn unmöglich kennen. Das kann nicht sein, denn sogar ich hatte ihn aus meinem Gedächtnis gestrichen. Aber, nein, wie konnte das sein?" „Liebling hörst du mir zu? Hast du gehört, was ich gesagt habe?" Mister Corner wedelte mit der einen Hand vor dem Gesicht seiner Frau herum, die wie in Trance an die gegenüberliegende Wand starrte und erst jetzt wieder zu sich zu kommen schien. „Ähm… ja, es tut mir leid Tom. Ich hab nur nachgedacht, was hast du gesagt?" „Ich sagte nur und der Arzt stimmt mir dabei zu, dass es vielleicht erst einmal besser wäre, wenn wir sie hier lassen. Hier haben die Ärzte sie im Auge und können sich ordentlich um sie kümmern." „Aber Tom, du kannst doch unsere Tochter nicht einfach… einfach einweisen lassen. Sie ist doch nicht verrückt." „Miss Corner ich bitte sie, seien sie nicht so unvernünftig und beruhigen sie sich. Ihr Tochter ist mit Sicherheit nicht verrückt, nur etwas… etwas verwirrt und desorientiert. Wir wollen sie nur ein oder im Höchstfall zwei Tage zur Beobachtung hier behalten, um sie zu beruhigen und den Grund ihrer Verwirrung festzustellen. Das alles hat nichts mit verrückt sein zu tun und sie würden ihre Tochter auch nicht einweisen lassen." „Verrückt oder Verwirrt, es ist beides nicht schön, aber ich verstehe ihre Punkte. Okay, ich sehe auch keinen anderen Weg, es ist in Ordnung, sie kann hier bleiben. Aber können wir sie vorher noch einmal sehen?", fragte die blonde Frau mit einigen Tränen in den Augen. Leise zog sich das Mädchen, das immer noch in der Tür stand, aus dem Türspalt zurück und schloss leise die Tür. Schnell ging sie zum Sessel zurück und setzte sich. Alles sah so aus, als hätte sie die ganze Zeit über gesessen. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und die drei Personen vom Flur traten in das kleine Behandlungszimmer. Das junge Mädchen blickte erwartungsvoll zu ihrem Arzt empor. Zum ersten Mal erkannte man deutlich die Angst in ihren Augen, die Angst, vielleicht doch verrückt zu sein, die Angst ihr Leben nicht zurück zu bekommen. Miss Corner stürzte sofort zum Sessel auf dem ihre Tochter saß, kniete sich davor und sagte weinerlich zu ihrer Tochter: „Mary, wie geht es dir? Was ist denn los? Wieso erkennst du deine eigene Mutter nicht mehr?" „Misses Corner, beruhigen sie sich doch bitte, seien sie ruhig, ihre Tochter darf sich nicht aufregen." Das Mädchen blickt sich hilflos im Raum um, während Misses Corner und ihr Ehemann auf zwei Stühlen platz nahmen. „Mary, wie es scheint liegt bei dir eine zeitweilige Verwirrung vor." Das Mädchen fühlte sich nicht angesprochen und blickte sich weiterhin im Raum um, ohne von dem Gespräch auch nur etwas zu folgen. „Miss, hören sie mir zu. Lorelai!" Mit einem Ruck drehte das Mädchen den Kopf: „Ja was ist? Haben sie es endlich eingesehen?" „Nein, ich habe gerade gesagt, dass bei ihnen eine zeitweilige Verwirrung vorzuliegen scheint." Bei dem Wort Verwirrung sprang das junge Mädchen so hektisch auf, dass der Sessel, auf dem sie gesessen hatte, nach hinten umkippte. „Ich bin doch nicht verwirrt, ich bin total klar im Kopf. Was wollen sie eigentlich von mir? Wo sind meine Eltern? Lassen sie mich nach Hause, zu meiner Tochter." Misses Corner brach in Tränen aus und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.
