Disclaimer: Mir gehört nix – alles denen!

Mal ein bisschen was anderes – kein Slash (gg) dafür sehr viel „Kitsch". Ich konnte nicht widerstehen – es ist eben Weihnachten!


Der Schutzengel

Fanfiction von Lorelei Lee

Es war der 24. Dezember und überall auf der Welt wurde Weihnachten gefeiert – auch in Hogwarts.

Das Schloss und seine Ländereien lagen unter einer dichten, makellos weißen Schneedecke halb verborgen und drinnen in der großen Halle erhoben sich gerade die Schüler und Lehrer, welche die Feiertage in der Schule verbrachten, von dem großen Tisch in der Mitte,.

Die einen, weil sie keine Familie hatten, die anderen, weil sie eine Familie hatten, die sie aber nicht leiden konnten und die restlichen, weil sie eine Familie hatten, die sie liebten, aber nicht genug Geld für die Fahrkarten.

Auch Severus Snape war wie jedes Jahr in der Schule geblieben und lief nun als einer der ersten aus der großen Halle. Er eilte mit raschen Schritten hinab in die Kerker, wo sich seine Räume befanden. Auf dem Weg dorthin ließ er immer wieder mit einem verächtlichen Schlenker seines Zauberstabes die weihnachtliche Dekoration auf den Korridoren in kleine, grüne Flämmchen aufgehen. Nicht, dass dies seine düstere Laune wesentlich gehoben hätte.

Normalerweise half es wenigstens ein ganz klein wenig, doch an diesem Weihnachtsfest konnte nichts die Stimmung des Zaubertränkemeisters heben.

Mit finsterem Gesichtsausdruck betrat er seine Räume und warf die Tür hinter sich mit einem lauten Knall zu. Dann trat er in die Mitte des Raumes und ließ seinen Blick rasch über die wenigen Einrichtungsgegenstände gleiten.

Sein Schreibtisch, sein Stuhl, ein Sessel vor dem Kamin, ein Bücherregal… das war alles. Dieses Zimmer war entsetzlich unpersönlich. Doch noch an keinem anderen Weihnachten war ihm die Parallele zu seinem leeren und kalten Leben so erdrückend – so unerträglich vorgekommen.

Er warf sich in seinen Sessel und stützte seinen Kopf in beide Hände.

„Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden", murmelte er leise. „Oder Lupin hätte mich damals einfach fressen sollen…"

Für einen Augenblick herrschte absolute Stille im Raum, doch dann hob Snape überrascht den Kopf. Hörte er da nicht so etwas wie ein Pfeifen? Er hatte doch keinen Teekessel auf dem Feuer? Oder war es jetzt doch soweit und er hatte sich einen stressbedingten Tinitus angeschafft?

Das Pfeifen wurde lauter und klang nun nicht mehr wie ein kochender Teekessel oder eine Krankheit, sondern eher wie eine Kanonenkugel oder eine Bombe kurz vor dem Einschlag. Doch bevor Snape noch in irgendeiner Form reagieren konnte, polterte etwas aus seinem Kamin heraus, rollte bis vor seine Füße und blieb dann dort liegen.

„Auuuuu", jammerte das Etwas langgezogen und entpuppte sich als ein weibliches Wesen in einem apricot-farbenen Gewand mit Brille und kurzen, braunen Haaren, das sich mit schmerzverzogenem Gesicht mit beiden Händen über den Rücken rieb.

Blitzartig hatte Snape seinen Zauberstab gezückt und ihn auf das weibliche Wesen gerichtet. „Keine Bewegung", sagte er kalt. „Wer sind Sie und was wollen Sie hier?"

„Oh, Mann, Sevie – tu bloß das Ding da weg, bevor sich noch jemand verletzt", erwiderte das Wesen unbeeindruckt. „Warum hast du eigentlich keinen Teppichboden, wie jeder normale Mensch? Ich hab mir auf diesem blöden Steinfussboden fast das Steißbein gebrochen!"

Bei der Koseform seines Vornamens verengten sich Snape's Augen zu gefährlichen Schlitzen. „Also schön – Sie haben es nicht anders gewollt", fauchte er leise. „Petrificus Totalus!"

Ein heller Lichtstrahl schoss aus seinem Zauberstab auf das Wesen zu und glitt einfach an ihm ab.

Während sich das Wesen stöhnend erhob und sich das Gewand sauber klopfte, starrte Snape abwechselnd verwirrt seinen Zauberstab und das Wesen an, das zumindest menschlich genug aussah um von einem Zauberspruch zumindest etwas irritiert zu sein.

Das Wesen richtete endlich seine Aufmerksamkeit auf Snape und schüttelte leicht säuerlich den Kopf.

„Ich hab dir doch gleich gesagt, du sollst das wegstecken. Das funktioniert bei mir sowieso nicht. Engel sind für Magie im Allgemeinen nicht sehr anfällig."

„Engel?" fragte Snape perplex und fragte sich gleichzeitig ob Dumbledore ihm vielleicht etwas in sein Essen gemischt hatte. Für die Anwesenheit dieses angeblichen Engels in seinen Räumen gab es ganz sicher eine vernünftige Erklärung.

„Ja – hab ich doch gerade gesagt, oder nicht?" Der Engel musterte Snape besorgt. „Ist dir nicht gut? Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff… aber vielleicht sollte ich mich auch erst mal vorstellen." Der Engel räusperte sich vielsagend und holte tief Luft. „Guten Abend, mein Name ist Lorelei Lee, Abgesandte der himmlischen Heerscharen, Schutzengel zweiter Klasse – Sie haben mich gerufen, was kann ich für Sie tun?" Dazu lächelte der Engel liebreizend.

Merkwürdigerweise fiel Snape auf diese erstaunliche Eröffnung nichts Intelligenteres ein als: „Und wo sind dann deine Flügel?" Gleich darauf wunderte er sich, dass er den Engel einfach so geduzt hatte.

Doch es wurde augenblicklich noch viel merkwürdiger, denn auf die Frage nach seinen Flügeln errötete der Schutzengel ärgerlich und murmelte etwas Unverständliches.

„Wie bitte?" fragte Snape aus purer Gewohnheit mit dem gleichen sarkastischen Unterton, den er mit großem Erfolg bei seinen Schülern anwandte, wenn diese im Unterricht unerlaubterweise miteinander tuschelten.

„Ich hätte schwören können, dass Gabriel nur blufft!" erwiderte der Schutzengel aufgebracht. „Und was macht dieser verdammte Erzengel? Erhöht die Einsätze solange, bis ich schließlich meine Flügel eingesetzt habe und dann hat der Kerl auch noch ein Full House mit Assen und Königen und ich sitze da mit meinen zwei Pärchen Damen und Buben!"

Snape fiel plötzlich auf, dass er stand, doch er fühlte deutlich, dass er dieser Unterhaltung im Sitzen deutlich besser gewachsen sein würde. Denn langsam aber sicher zweifelte er nicht nur an seinem Verstand, sondern auch am Verstand dieses ominösen Schutzengels. Halt – wann hatte er eigentlich akzeptiert, dass dieses Wesen ein Schutzengel war?

Etwas überwältigt sank Snape zurück in seinen Sessel und lauschte der Erzählung des Schutzengels, der nun erst richtig in Fahrt gekommen war.

„Als ob dieser dämliche Erzengel nicht schon genug Flügel hätte – noch dazu viel schönere als meine… Aber nein! Herr Gabriel lässt natürlich nicht locker, bis die unteren Gehaltsklassen die Hosen runterlassen müssen. Geschieht ihm Recht, dass am Schluss der Metatron noch dazukam." Der Schutzengel kicherte boshaft. „Jetzt muss er zwei Wochen lang Spätschicht schieben. Nur leider war der Metatron der Ansicht, auch ich hätte eine Lektion zu lernen und deshalb hat er meine Flügel einbehalten, bis ich meinem Schutzbefohlenen etwas Gutes tun kann. Und hier kommst du ins Spiel!" Die Laune des Schutzengels wandelte sich schlagartig und er schenkte Snape ein strahlendes Lächeln.

„Wieso ich?" fragte Snape beunruhigt zurück. Dieses Lächeln gefiel ihm ganz und gar nicht.

Der Schutzengel seufzte genervt. „Weil ich dein Schutzengel bin! Schon wieder vergessen? Du bist mein Schutzbefohlener und wenn ich dir was Gutes tue, dann kannst du hier meinen Flügel-Unterstützungs-Antrag unterschreiben. Du hast was davon, ich habe was davon und alle sind glücklich. Also – was kann ich für dich tun, Sevie?"

Snape runzelte bei dem Namen ‚Sevie' zum zweitenmal erbost die Stirn. „Fürs Erste: hör auf, mich ‚Sevie' zu nennen", sagte er gereizt. „Und zum Zweiten: du kannst überhaupt nichts für mich tun. Und jetzt verschwinde!"

„Aber das kann ich nicht!" jammerte der Schutzengel. „Du hast mich gerufen und jetzt muss ich hier bleiben, bis ich dir geholfen habe."

Nun wurde es Snape eindeutig zu bunt. Wütend stand er aus seinem Sessel auf und ging einige Schritte auf den Schutzengel zu, der unwillkürlich etwas vor ihm zurückschreckte. „Wenn du mein Schutzengel bist, wo warst du dann, als ich von Potter und Black vor der ganzen Schule bloßgestellt wurde? Wo warst du, als ich den größten Fehler meines Lebens begangen habe und den Todessern beigetreten bin?!"

Der Schutzengel sah Snape schuldbewusst und trotzig zugleich an. „Ähm… Kino?"

„Was?!"

„Ja, sorry, tut mir leid… ich kann auch nicht überall gleichzeitig sein", sagte der Schutzengel beleidigt. „Aber ich bin wirklich ein guter Schutzengel. Ich habe schon jede Menge berühmter Leute beschützt. Rasputin, Nottingham, P. L. O'Hara, Hans Gruber …"

„Oh Gott…", murmelte Snape und sank wieder zurück in seinen Sessel. „So langsam wundert mich gar nichts mehr…"

Der Schutzengel hatte zumindest soviel Anstand um ein betretenes Gesicht zu machen. „Okay, ich hab in der Vergangenheit ein bisschen schlampig gearbeitet", gab er mit leicht wässriger Stimme zu. „Aber ich werde es wieder gut machen! Versprochen!"

„Ich glaube nicht, dass ich ausgerechnet dich damit beauftragen würde", versetzte Snape ätzend. Spätestens jetzt war es amtlich. Dieses Weihnachtsfest war wirklich das katastrophalste, das er je erlebt hatte.

„Aber ich muss!" beharrte der Schutzengel dickköpfig. „Du hast mich doch gerufen!"

„Nein, das habe ich nicht!"

„Hast du wohl!"

„Jetzt hör mir mal gut zu…"

„Nein, Sevie, jetzt hörst du mir mal zu. Du hast vor noch nicht ganz fünf Minuten gesagt, dass du dir wünscht, dass dich Lupin damals gefressen hätte. Stimmt's?"

Snape erstarrte in seinem Sessel. Ja, das hatte er tatsächlich gesagt… aber… für einen Moment vergaß er die Anwesenheit des impertinenten Engels und sah sich erneut in dem Raum um. Und ganz allmählich – sehr, sehr langsam keimte ihn ihm eine Idee – ein Entschluss.

Warum nicht? Er hatte ohnehin nichts zu verlieren. Um ihn würde niemand weinen. Warum dem nicht endlich ein Ende setzen? Es musste doch sicher hunderte von Menschen geben, denen er mit seinem Ableben eine Freude machen würde.

Eine Art von grimmiger Genugtuung stieg in ihm auf und er fixierte den Schutzengel mit kaltem Blick.

„Also gut! Machen wir es!" stieß er hastig hervor, als ob er selbst Angst hätte, dass er es sich nochmal anders überlegen würde, wenn er auch nur eine weitere Sekunde zögerte.

Der Schutzengel musterte ihn mit Interesse.

„Wenn ich dich richtig verstehe, dann soll ich dir zeigen, wie sich alles entwickelt hätte, wenn du damals diesem Streich zum Opfer gefallen wärst?"

Snape nickte stumm.

„Gut", sagte der Schutzengel. „Nimm meine Hand."

Snape tat, wie ihm geheißen und fühlte einen unangenehm warmen Windhauch. Er schloss unwillkürlich die Augen und als er sie wieder öffnete, stand er mit seinem Schutzengel in einem finsteren Gang.

Die Steine waren feucht und von Zeit zu Zeit drang irres Heulen und Stöhnen an ihre Ohren.

„Wo sind wir hier?" Snape flüsterte unwillkürlich.

„Askaban", antwortete der Engel lässig. „Und niemand kann uns hören oder sehen. Wir könnten hier sogar Musicals singen und dazu steppen."

„Und was tun wir hier?" fragte Snape gehemmt. Askaban hatte auf jeden gesunden Menschen diese ungesunde Wirkung. Er erinnerte sich mit Schrecken an die eine Nacht, die er früher hier hatte zubringen müssen. Aber – Moment – das war ja niemals geschehen… oder doch? „Was ist passiert?" fragte er mit neuem Interesse.

„Oh – du wurdest wunschgemäss von Remus-Werwolf abgeschlachtet", erwiderte der Engel mit einer – wie es Snape schien – unangemessenen Fröhlichkeit. „Und glaub mir – das war kein schöner Anblick. Dein Vater sah sich dadurch in der Annahme bestätigt, dass du eine ewige Enttäuschung für ihn sein würdest und strich dich aus dem Familienstammbaum. Weder er noch deine Mutter haben dich seither wieder erwähnt. Remus Lupin wurde eine Woche später hingerichtet, Sirus Black kam nach Askaban und erhielt den Kuss der Dementoren, James Potter wurde zwar für unschuldig erklärt, doch etwas bleibt eben immer haften. Lily Evans hat ihn niemals geheiratet und Harry Potter wurde nie geboren", zählte der Engel ungerührt auf.

Snape hatte den Worten begierig gelauscht, doch jetzt fühlte er, wie er blass wurde. „Was hast du gerade gesagt?" flüsterte er wie benommen.

„Ja – schon komisch, wenn man sich es so überlegt. Der Junge, der lebt ist in dieser Wirklichkeit Neville Longbottom. Unter uns gesagt: er hat keine Chance gegen Voldemort."

„Aber… Dumbledore", wandte Snape mit versagender Stimme ein.

„Dumbledore ist nicht mehr Schulleiter – er wurde damals in Schimpf und Schande vertrieben, weil er einen Werwolf als Schüler aufgenommen hatte. Lucius Malfoy ist jetzt Schulleiter von Hogwarts."

Snape schluckte krampfhaft. „Und warum sind wir hier?"

„Ich dachte, es würde dir gefallen, einen Blick auf den seelenlosen Sirius Black zu werfen."

„Nein! Nein… das…" Er schüttelte stumm den Kopf.

„Nicht?" fragte der Engel mit großen Augen.

„Nein... ich glaube, das ist nicht ganz so, wie...", äußerte Snape verhalten. Nein, das war ganz und gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er hatte wirklich geglaubt, er hätte mit seinem blutigen Ableben allen einen Gefallen getan und jetzt stellte sich heraus, dass alles nur noch viel schlimmer geworden war.

„Na schön", seufzte der Engel. „Also alles noch mal zurück auf Anfang." Sie schnipste mit den Fingern und im nächsten Moment sassen sie und der Tränkemeister auf einer violetten Wolke unter einem zartgrünen Himmel.

Snape sah sich verwundert um. „Wo sind wir hier?" Langsam aber sicher wurden ihm diese plötzlichen Ortswechsel etwas zu viel. Und das obwohl er ja ans Apparieren gewöhnt war, doch dabei wusste man wenigstens, wo man wieder rauskam.

„Ach, nennen wir es doch einfach eine Art Lounge für Durchreisende", erläuterte der Engel fröhlich und ließ seine Beine über den Rand der Wolke baumeln. „Es ist angenehmer für dich, wenn wir nicht jedes Mal in deine eigene Dimension zurückkehren, verstehst du?"

Snape nickte, auch wenn er es nicht wirklich verstand. Gut, der erste Versuch war also gescheitert. Aber vielleicht... er dachte angestrengt nach, während ihn der Engel interessiert musterte.

„Und? Wie sieht's aus?" fragte sie ungeduldig. „Ich hab an Weihnachten auch noch was vor."

„Wie wäre es, wenn... wenn ich erst später... sterbe?" Es kostete ihn seltsamerweise große Überwindung, dieses Wort auszusprechen.

„Klar – lässt sich machen", erwiderte der Engel jovial.

„Vielleicht, als ich damals verhaftet wurde... von den Auroren... und Dumbledore zu der Verhandlung kam um für mich zu sprechen..."

Der Engel schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Schon klar – hab's verstanden. Geht in Ordnung."

Ein Augenzwinkern später standen er und der Engel vor einem verwitterten Grabstein dessen Schrift von einem wild wuchernden Efeu verdeckt wurde.

Snape schluckte unwillkürlich. „Ist das meiner?" fragte er leise.

„Sieh doch einfach mal nach", riet ihm der Engel.

Langsam bückte sich Snape hinunter und schob mit der linken Hand einen Efeuzweig beiseite.

„Harry Potter?!" rief Snape überrascht aus. „Aber... aber... warum?"

„Ich dachte schon, du fragst nie", bemerkte der Engel trocken. „Guck mal auf das Datum, Sevie – der Junge ist knapp 12 Jahre alt geworden. Erinnerst du dich noch an das Quidditch-Spiel? Als du verhindert hast, dass Professor Quirrell den Jungen zum Absturz bringt?"

„Verdammt", fluchte Snape leise und biss sich auf die Lippen. „War denn wirklich niemand anders fähig diesen Quirrell aufzuhalten?"

„Offensichtlich nicht." Der Engel sah sich nach den umliegenden Grabsteinen um. „Willst du vielleicht noch wissen, was aus den anderen geworden ist?"

„Kein Bedarf", knirschte Snape zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wir gehen wieder zurück."

Er hatte den Satz noch kaum beendet, da saßen sie schon wieder gemeinsam auf der violetten Wolke. Snape haderte noch immer mit der Unfähigkeit seiner Kollegen im allgemeinen und des Direktors im besonderen, dass wirklich niemand von ihnen Quirrell's Plan vereiteln konnte und der Engel lag auf dem Rücken und vertrieb sich die Zeit damit, kleine violette Fetzchen aus der Wolke zu zupfen und sie wie Seifenblasen in die Luft zu pusten.

„War wohl auch nicht so der Hit, hm?" fragte der Engel schließlich teilnahmsvoll.

„Sieht so aus", brummte Snape einsilbig.

„Was versprichst du dir eigentlich von dieser Ich-gebe-vorzeitig-den-Löffel-ab-Nummer?"

„Ich wüsste nicht, dass dich das was angeht!" erwiderte Snape scharf.

„Och – das würde ich nicht sagen", protestierte der Engel. „Ich bin immerhin dein Schutzengel und ich pfusche hier nur für dich in der Realität herum. Das sieht natürlich jetzt ganz locker aus, aber das ist harte Arbeit, kann ich dir sagen!"

Snape musterte den Engel, der im Moment ein wenig wie ein aufgeplusterter Spatz wirkte, dann seufzte er.

„Also schön, von mir aus...", antwortete er widerstrebend. „Ich dachte, ich tue damit der Menschheit einen Gefallen."

„So wie's aussieht, liegst du damit bis jetzt ziemlich daneben", sagte der Engel respektlos.

„Eine Möglichkeit haben wir noch", entgegnete Snape düster entschlossen. „Als Voldemort nach dem Trimagischen Turnier die abtrünnigen Todesser bestraft hat..."

„Ach du liebe Zeit", stöhnte der Engel. „Du willst, dass Voldie dich kaltmacht?"

„Ja – was passt dir daran nicht?"

Der Engel hob abwehrend die Hände. „Oh – nichts, nichts. Bitte, es ist schließlich dein Leben... oder vielmehr... das war es..."

Als Snape dieses Mal die Augen wieder aufschlug standen sie schon wieder zwischen Grabsteinen.

„Schon wieder ein Friedhof?" murrte er. „Fällt dir nichts Besseres ein?"

„Gib nicht mir die Schuld", meckerte der Engel. „Es war immerhin deine Entscheidung."

Snape fühlte sich plötzlich sehr müde. „Spar dir das. Gib mir einfach die Kurzfassung. Was ist dieses Mal schiefgegangen?"

„Naja...", der Engel druckste ein wenig herum, doch dann traf ihn ein scharfer Blick von Snape und er schluckte. „Es ist so... als Dolores Umbridge Harry in ihrem Büro überrascht hat... da... na ja... du warst ja nicht da. Harry konnte also niemandem diese verschlüsselte Warnung wegen Sirius zu kommen lassen..."

„Ich glaube, ich hatte um die Kurzfassung gebeten!"

„Ja, ist ja schon gut! Hetz' mich nicht!" erwiderte der Engel und stampfte kurz zornig mit dem Fuß auf. „Niemand war da um den Orden zu mobilisieren. Die Kids mussten allein mit Lucius und den anderen Todessern fertig werden und das ist ihnen nicht geglückt. Keiner von ihnen hat das Ministerium lebend verlassen, Sirius hat darüber den Verstand verloren, Voldie hat zwar noch nicht vollständig die Macht an sich gerissen, aber Hogwarts ist ungeschützt, weil Dumbledore... na ja, er ist seit dieser Sache einfach nicht mehr derselbe und Remus hat sich das Leben genommen."

„Wie war das gerade? Wieso hat er das denn getan?"

„Es war einfach zu viel für ihn", erklärte der Engel mit sanfter Stimme und wies auf einen Grabstein mit der Inschrift ‚Remus John Lupin'. „Es war schwierig für ihn ohne den Wolfsbanntrank und Sirius' Geisteskrankheit hat es nicht einfacher für ihn gemacht."

„Dämlicher Werwolf", knurrte Snape leise, doch es fehlte ihm die rechte Überzeugung.

Schweigen senkte sich über den Friedhof.

Schließlich fragte der Engel: „Warum gehen wir nicht wieder zu dir, hm? Nach Hause?"

Snape nickte.

Kurze Zeit später saß Snape wieder in seinem Sessel vor dem Kamin, der Engel saß mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen auf dem Fußboden.

„Du bist anscheinend doch wichtiger, als du gedacht hast", sagte der Engel behutsam und lächelte leise.

„Sieht so aus", erwiderte Snape dumpf und ohne jede Begeisterung.

„Und anscheinend bleibst du jetzt doch am Leben?" Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

„Bleibt mir etwas anderes übrig?"

„Nicht, wenn dir der Rest der Welt so wichtig ist, wie er es anscheinend ist", erwiderte der Engel mit einem Grinsen. „Doch nicht so misanthropisch, wie alle denken, hm?"

„Glaub doch, was du willst!" Snape blickte einen Moment nachdenklich in die Flammen des Kaminfeuers. „Und was wäre, wenn ich jetzt...?"

„Keine Ahnung", antwortete der Engel gelangweilt.

„Wie bitte?"

Der Engel verdrehte die Augen. „Bin ich Jesus? Weiß ich alles? Hängt mir ein Schild um den Hals mit der Aufschrift ‚Prophet – Einwurf eine Galleone', kann ich in die Zukunft sehen?"

„Entschuldige", erwiderte Snape reflexartig. Seinen Schutzengel so wütend zu sehen war kein schöner Anblick. „Und was mache ich jetzt?"

Der Engel legte seinen Kopf leicht schief und sah Snape mit mutwillig blitzenden Augen an. „Warum liest du nicht erst mal deine Weihnachtspost?" schlug er vor und deutete auf einen kleinen Stapel Briefumschläge, die auf dem Kaminsims lagen.

„Ich bekomme nie Weihnachtspost", stellte Snape misstrauisch fest. „Hast du etwas damit zu tun?"

„Nein – und nun mach sie schon auf. Los! Hopp! Ich bin neugierig, wer dir so alles geschrieben hat", kommandierte der Engel und hopste auf seinem Kissen aufgeregt auf und ab.

Snape stöhnte, doch dann stand er doch auf und ging zum Kamin. Dort öffnete er einen Umschlag nach dem anderen. In jedem von ihnen war eine Weihnachtskarte, die er gewissenhaft las.

„Und?" fragte der Engel aufgeregt.

„Die kitschigste ist von Lupin...", sagte Snape nachdenklich. „Es ist auch eine von Minerva dabei und von einem ehemaligen Schüler..." Er wusste offensichtlich nicht so recht, was er damit anfangen sollte.

„Siehst du?!" sagte der Engel triumphierend.

„Was sollte ich schon sehen außer dir?" beschwerte sich Snape. „Warum bist du eigentlich immer noch da?"

„Weil du meinen Flügel-Unterstützungs-Antrag noch nicht unterschrieben hast", sagte der Engel und hielt Snape mit einem hoffnungsvollen Lächeln ein Formular und einen goldenen Füllfederhalter unter die Nase.

„Ist ja schon gut! Gib her – anders werde ich dich Landplage ja nie los." Er nahm dem Engel das Formular aus der Hand und unterschrieb hastig.

„Danke schön, Sevie", sagte der Engel und verstaute das Blatt in seinem Gewand.

„Und hör auf, mich ‚Sevie' zu nennen!"

„Wenn du willst, dass ich zukünftig besser auf dich aufpassen soll, solltest du mir besser erlauben, dich zu nennen wie ich will. Und das sollte ich wohl besser... besser auf dich aufpassen, meine ich. Irgendwie habe ich mittlerweile das Gefühl, dass du hier ganz schön wichtig bist."

Snape seufzte resigniert. „Also schön... Erlaubnis erteilt. Würdest du dann jetzt bitte endlich verschwinden?"

„Aber gern, Sevie", sagte der Engel und bevor Snape es verhindern konnte, küsste der Engel ihn sacht auf die Wange. „Schöne Weihnachten und pass auf dich auf..."

Snape sah sich um, doch der Engel war schon verschwunden.

Er schüttelte den Kopf, wie um einen dummen Gedanken zu verscheuchen und beschäftigte sich dann damit, die Weihnachtskarten sorgfältig auf seinem Kaminsims aufzustellen. Es fiel ihm nicht auf, dass er dabei ein Weihnachtslied vor sich hin summte und ein feines Lächeln über seine Lippen huschte.

Ende