Rastlos ging ich auf und ab in meinem Büro. Ich hasste diese Nächte. Nächte in denen mir der Schlaf verwehrt blieb, weil mein Kopf voll war mit Erinnerungen. Erinnerungen, die ich in die hinterste Ecke meines Kopfes verdrängt glaubte, bis eine Kleinigkeit sie gnadenlos wieder ans Licht holte. Heute war es der unbedachte Blick in Potters Augen gewesen, die mich so sehr an ihre erinnerten. Und nun war mein Kopf voll mit Gedanken an sie. Sie, die ich geliebt und letztenendes doch verraten hatte.
Wenn ich in mir keine Ruhe fühl,
Bitterkeit mein dunkles Herz umspült,
ich nur warte auf den nächsten Tag,
der mir erwacht.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und zog einen Stapel Hausaufgaben zu mir heran. Ich kam mir selbst töricht dabei vor, denn die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass diese Gedanken mir nicht nur den Schlaf raubten, sondern auch die Konzentration. Aber trotzdem versuchte ich es jedes Mal wieder, denn alles war besser als sich der Flut von Bildern hinzugeben. Und doch ließ es sich auch heute nicht verhindern. Nachdem ich wenige Sätze des ersten Aufsatzes gelesen hatte, schob sich ihr Bild vor mein inneres Auge. Sie kam fröhlich lachend auf mich zugelaufen und wollte sich in meine Arme werfen.
Wenn Finsternis den klaren Blick verhüllt,
kein Sinn mehr eine Sehnsucht stillt,
ruf ich mir herbei den einen Traum,
der sich niemals erfüllt.
Doch wie jedes Mal erwachte ich aus diesem Wachtraum, bevor ich sie in den Armen hielt. Und wie jedes Mal machte sich irrationale Enttäuschung in mir breit. Ich hätte schreien können vor Wut. Wut darüber, dass ich mich jedes Mal wieder von dieser Fata Morgana narren ließ, obwohl ich wusste, dass sie nicht wahr war. Wut darüber, dass dieses Hirngespinst nie wahr werden würde.
Und Du rufst in die Nacht
und Du flehst um Wundermacht,
um 'ne bessere Welt zu leben,
doch es wird keine andere geben.
Und auch das tiefe Loch, in das mich die langsam abflauende Wut fallen ließ, kam mir nicht unbekannt vor. In Momenten wie diesen hätte ich alles dafür gegeben von dieser Qual erlöst zu werden. Wie diese Erlösung jedoch genau aussehen sollte, vermochte ich nicht zu sagen. Bei all den Gedanken und Erinnerungen, die mich quälten, zum Sterben war ich noch nicht bereit. Und doch, je mehr dieser Nächte ich erlebte, desto verlockender wurde dieser Gedanke. Er frass sich von Mal zu Mal tiefer in mein Gehirn und als letzter Ausweg erschien er mir besser als jede andere Alternative.
Wann kommt die Flut - über mich?
Wann kommt die Flut - die mich berührt?
Wann kommt die Flut - die mich mit fort nimmt?
In ein anderes grosses Leben - irgendwo.
Wie viel Zeit war seit jenem verhängnisvollen Tag vergangen? Wie lange lebte ich nun schon mit der Schuld, die ich auf mich geladen hatte? Waren es tatsächlich schon siebzehn Jahre? Manchmal erschien es mir, als seien erst ein paar Tage vergangen, seit meine Welt in lauter kleine Scherben zerbrochen war.
Doch ich hatte die Zeit genutzt. War meiner Rache Stück für Stück näher gekommen. Ich war ehrlich genug, um mir einzugestehen, dass die Hoffnung darauf, dass ich sie endlich würde rächen können, das einzige war, dass mich dazu trieb weiterzumachen und nicht vollends zu resignieren.
All die Zeit, so schnell vorüber zieht,
jede Spur von mir wie Staub zerfliegt,
endlos weit getrieben,
von unsichtbarer Hand.
Ich stand auf und stellte mich ans Fenster, um hinauszustarren. Am Horizont zeigte sich die erste Morgenröte. Ich wusste, dass meine Qual bald ein Ende hätte. Zumindest für diese Nacht.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann könnte ich sie retten. Könnte dafür sorgen, dass sie lebte und mich erwählte. Doch der rationale Teil in mir wusste längst, dass man die Vergangenheit nicht ändern könnte - nicht ändern durfte. Wer konnte schon sagen, wie das Gefüge der Zeit dadurch aus den Fugen geraten würde?
Wenn ich sie schon nicht retten konnte, dann wollte ich zumindest dafür sorgen, dass Voldemort von meiner Hand starb. Ich würde ihm jede einzelne Sekunde meiner Pein doppelt heimzahlen. Ich würde ihn qualvoll verenden lassen.
Ehe ich mich jedoch in meinen Rachefantasien verlieren konnte, flüsterte die kleine Stimme der Vernunft, dass ich nicht dazu bestimmt war ihn zu töten. Ich würde einem anderem - ihrem Sohn - den Weg ebnen. Die Genugtung Voldemort sterben zu sehen, würde mir nicht vergönnt sein.
Und Du siehst zum Himmel auf,
fluchst auf den sturen Zeitenlauf,
machst Dir 'ne Welt aus Trug und Schein,
doch es wird keine andere sein.
Ich wollte schreien. Den Schmerz und die Wut in mir hinauslassen, damit sie mich nicht von Innen auffrassen. Doch ich plötzlich sah ich ein, dass es zu spät war. Sah ein, dass es zu spät war auf ein anderes - besseres - Leben zu hoffen. Die wenigen Chancen, die sich mir geboten hatten, hatte ich nicht genutzt. Aber wie hätte ich glücklich werden können, wo ich doch wusste, dass sie durch meine Schuld gestorben war? Was blieb mir also anderes, als mein ohnehin wertloses Leben für ein höheres Ziel hinzugeben?
Ich hatte einen Entschluss gefasst und wusste, dass meine Qual bald ein Ende hätte. Für immer.
Und Du rufst in die Welt,
dass sie Dir nicht mehr gefällt.
Du willst 'ne schönere erleben,
doch es wird keine andere geben.
