Kapitel 1: Geständnis

Nun stand ich also hier und vor mir die Klippe und darunter die tobenden Wellen. Es würde das Dümmste sein, das ich je tun würde, wenn es nicht so gar das Letzte wäre, was ich tun würde, schoss es mir durch den Kopf. Bella, bist du wirklich so dumm und stürzt in den Tod bevor du gelebt hast?, fragte ich mich. Ich hatte keine Lust mehr zu Leben.

Das Loch in meiner Brust blutete und lechzte nach seiner Stimme. Jetzt würde ich es tun. Ich schritt noch näher an den Abgrund.

„Bella! Nein!", hörte ich eine Stimme, aber es war nicht die, die ich erwartet hatte. „Komm da weg und zwar schnell!"

Ich war wie versteinert, als mich jemand von dem Felsvorsprung wegzog. „Bells, was machst du denn da?" Es war Charlie stellte ich jetzt erstaunt fest. „Du bist ganz durchnässt. Komm, ich fahr dich nach Hause", redete Charlie weiter.

Er schob mich mehr oder weniger zu seinem Streifenwagen, denn ich war unfähig meine Füße ordentlich zu bewegen.

Die Fahrt verlief still, aber das war nichts Besonderes. Als wir zu Hause waren, ging ich duschen. Ich war tatsächlich ziemlich durchnässt und fror am ganzen Leib. Das heiße Wasser ließ mich etwas auftauen, doch nur äußerlich. Innerlich war ich immer noch das Wrack von vorher.

Als ich aus dem Bad kam, hörte ich wie Charlie telefonierte.

„Billy, wie gut, dass du mich angerufen hast. Du hattest Recht. Sie weiß wirklich nicht mehr, was sie tut!" Charlie denkt also auch schon, dass ich den Verstand verloren habe, dachte ich.

Charlie sagte ein paar Mal „Ja" und „Hmm", ehe er sich von Billy verabschiedete: „ Ja, das wird das Beste sein. Er kann kommen, wann er will. Man sieht sich, Billy!"

Was war das Beste? Und wer kann kommen?

„Isabella?", rief er jetzt zu mir hoch. „Kommst du bitte mal runter?" Er hörte sich nicht wirklich freundlich an.

„Ja, Dad. Ich komme sofort!" Und schon schlurfte ich die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Charlie auf der alten Couch saß.

„Hier bin ich!" Ich versuche einigermaßen glücklich zu klingen, doch es gelang mir nicht im Geringsten.

„Es reicht! Du gehst zu deiner Mutter! Ich halte das nicht mehr aus mit dir. Ich dachte, Jacob hätte dich verändert, aber nein, sobald er mal was mit seinen Freunden unternimmt, versuchst du dich umzubringen. Du treibst mich in den Wahnsinn!"

So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er machte eine Pause, nur um danach weiter zu reden: „Du gehst noch heute! Jacob kommt gleich vorbei. Dann kannst du dich von ihm verabschieden. Mit deiner Mutter habe ich auch schon telefoniert. Alles ist geregelt."

„Nein, Dad, bitte schick mich nicht weg", flehte ich und damit kamen auch die Tränen.

„Glaubst du immer noch, dass dein Edward wieder kommt?" Charlie war wütend und seinen Namen zu hören tat mir weh.

„Dad, bitte, ich wollte mich doch gar nicht umbringen."

„Ach, nein? Was machst du dann da an der Klippe? Bist du verrückt geworden?"

Ich konnte ihm doch nie im Leben meine geliebten Halluzinationen beichten. Ich stand noch immer mitten im Zimmer und Charlie hatte sich auch noch nicht zu mir umgedreht, als es an der Tür klopfte. Jacob, meine Rettung!

Charlie stand auf, um die Tür zu öffnen, dabei behandelte er mich wie Luft.

„Jacob, gut dass du da bist. Sie steht da", bemerkte Charlie eher teilnahmslos.

Jake schob sich an Charlie vorbei zu mir. Bei mir angekommen nahm er mich in den Arm. Eine Geste, die bei ihm definitiv mehr bedeutete als bei mir, aber mir war es egal. Er schien wenigstens nicht sauer auf mich zu sein.

„Bella, was machst du bloß für Sachen?", nuschelte er in mein Haar. Ich schmiegte mich bloß an seine warme Brust, die ausnahmsweise mit einem T-Shirt bedeckt war.

Nach einer Ewigkeit zog mich Jake zur Garderobe. Ich sollte mir eine Jacke anziehen.

„Wo willst du mit ihr hin?", fragte Charlie skeptisch.

„Reden!", antwortete Jake eher unfreundlich. Und schon waren wir draußen.

„Was hast du vor?", fragte ich Jake vorsichtig.

„Wie gesagt: Reden! Bella, ich werde dir keine Vorwürfe machen", beschwichtigte er mich. Wir gingen ein bisschen an der Straße entlang. Dann begann er zu reden:

„Bella, Billy hat mir erzählt, dass Charlie möchte, dass du zu deiner Mutter gehst. Ich kann mir vorstellen, dass dir der Gedanke nicht gefällt." Ich nickte. „Mir gefällt der Gedanke auch nicht. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll. Wir wissen nicht viel über unser Wolfdasein. Manche Dinge sind auch furchteinflößend, wie du bestimmt gemerkt hast. Aber ich weiß nicht wie ich es dir erklären soll."

„Hat Sam es dir wieder verboten?" Ich mochte Sam nicht, auch wenn er mich gerettet hatte, als er gegangen war.

„Nein, das hat er nicht. Eigentlich hat er mir nichts zu sagen. Eigentlich bin ich der Anführer des Rudels, aber ich wollte nie im Rudel sein, geschweige denn der Anführer. Also habe ich Sam den Posten überlassen. Das ist aber eigentlich nicht, das was ich dir erzählen wollte."

„Sondern?"

„Es gibt etwas, das heißt ‚Prägung'."

„Prägung", wiederholte ich.

„Ja, darüber wissen wir nicht viel. Sam ist auch geprägt. Es bedeutet, dass … Nein, ich kann es dir nicht erzählen. Du würdest dich verpflichtet fühlen."

„Jake, du hast angefangen, jetzt musst du es auch zu Ende bringen."

Anstatt weiterzusprechen, umarmte er mich erneut. Dann, ganz langsam, hob er meinen Kopf mit seiner Hand an. Er wollte mich doch nicht… Oh, doch. Er versuchte mich zu küssen.

Ich befreite mich hastig aus seiner Umarmung und er ließ mich. Dann blieb ich einen Meter von ihm entfernt stehen.

„Jacob Black, das ist nicht dein Ernst! Du versuchst mich wirklich zu küssen! Was erlaubst du dir?" Ich war jetzt wirklich sauer auf ihn.

„Es tut mir Leid", sagte Jacob betroffen.

„Könntest du mir jetzt bitte sagen, was es mit dieser Prägung auf sich hat?"

„Hast du das noch nicht gemerkt? Ich habe es versucht dir zu zeigen. Prägung bedeutet, dass man für eine Frau genau das ist, was sie will. Die Welt dreht sich nur noch um diese Person. Im Grunde ist aber die Liebe, die man von ihr braucht. Ich war lange genug nur dein bester Freund!"

„Und du hast dich auf mich geprägt?" Ich versuchte ruhig zu bleiben.

„Bella, so war das nicht. Man kann sich nicht aussuchen, auf wen man geprägt wird. Es passiert einfach so."

„Seit wann?", fragte ich schlicht.

„Es war, als ich dich das erste Mal nach meiner Verwandlung gesehen habe. Es war schrecklich. So sehr musste ich mich noch nie zusammenreißen."

„Du kannst nichts dagegen tun?"

„Nein!" Das war eine klare Antwort.

Ich dachte über seine Worte nach. …, dass man für eine Frau genau das ist, was sie will.

„Jake, wenn du wirklich auf mich geprägt wärest, dann wärst du weiterhin nur mein bester Freund. Das ist nämlich das, was ich will."

„So selbstlos bin ich nicht. Kann ich nicht sein. Ich bin auch nur ein Junge und ich weiß, dass du mich auch liebst."

Ich überlegte. Im Grunde hatte Jake ja so Recht. Ich liebte Jake ja auch. Es war nur weniger als ich ihn geliebt hatte. Vielleicht sollte ich es mit Jake probieren. Immerhin waren wir in letzter Zeit ja schon fast so etwas wie ein Paar geworden. Charlie würde das sicher auch gefallen. Aber würde ich Jake dann nicht benutzen, um meinen Verlust zu vergessen.

Jake bemerkte meine Nachdenklichkeit. „Bella, ich will nicht, dass du unglücklich bist, aber es wäre einfach mit mir. So einfach wie Atmen."

Er hatte ja Recht, aber wollte ich das wirklich? Das konnte ich jetzt nicht einfach so hier auf der Straße entscheiden.

„Jake, vielleicht. Ich muss nachdenken. Alleine. Ich rufe dich an, sobald ich eine Lösung für mich gefunden habe."

Ich drehte mich um und ging ohne Jacob auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Ich fahr dich nach Hause!", rief mir Jake nach, aber ich ging einfach weiter.

Wir waren ziemlich weit gegangen. Nach Hause wollte ich nicht. Da würde nur ein überdrehter Charlie auf mich warten. Ich schaute mich um. Von hier aus war es nicht weit bis zu Angela. Vielleicht konnte ich bei ihr übernachten. Das wäre doch eine Möglichkeit, dachte ich.

Also ging ich zu Angela. Ich hoffte inständig, dass sie Zeit für mich hatte. Während ich so lief, fing ich wieder an zu überlegen. Ich war immer noch der Ansicht, dass es eigentlich gar nicht so schlimm wäre mit Jake zusammen zu sein. Edward würde eh nicht wiederkommen. Warum auch? Aber wenn er doch zurückkommt? Fragen über Fragen in meinem Kopf. Und dann immer noch das Gefühl, dass ich Jake nur benutzen würde. Das konnte ich ihm nicht antun, dafür war er mir viel zu wichtig.

Mittlerweile stand ich bei Angela vor der Haustür. Ich klingelte.

„Ich komme sofort!", hörte ich Angela rufen, dann rannte sie die Treppe runter. Sie öffnete mir.

„Hi, Bella!", begrüßte sie mich freundlich. Sie hatte es mir nicht übel genommen, dass ich die letzten Monate abwesend gewesen war.

„Hallo! Sorry, dass ich hier einfach so reinplatze. Wahrscheinlich hast du gar keine Zeit."

„Bella, was ist denn mit dir passiert? Und nein, ich wollte dich gerade anrufen und fragen, ob du vielleicht Zeit hast, aber wie ich sehe hast du Zeit. Aber komm doch erst mal rein!"

Ein ganz normales Mädchen, stellte ich zufrieden fest. Kein Werwolf und auch kein Vampir.

Angela machte uns eine heiße Schokolade und wir setzten uns an den Küchentisch. Es war schön hier. Alles war hell eingerichtet. Der Küchentisch war aus dunklem Holz, aber die Schränke waren hellgelb. Ein schöner Kontrast, dachte ich. Durch das Radio drang leise Musik. Es war schön hier. Sie erzählte mir, dass ihre Eltern über das Wochenende verreist waren. Andere Mädchen in unserem Alter hätten wahrscheinlich eine riesen Party veranstaltet, aber so war sie nicht. Und ich erst recht nicht.

„Angela, weißt du, ich habe im Moment ziemlich Stress zu Hause und ich wollte dich fragen, ob ich heute Nacht vielleicht hier bleiben kann." Das entsprach tatsächlich der Wahrheit.

„Klar, kein Problem, Bella. Ich nehme an, du willst keine Sachen von zu Hause holen?"

„Ja, das stimmt!", gab ich zu.

„Trotzdem kein Problem!"