Kapitel eins: Die Story
„Und was ist mit Loch Ness? Gibt es das Ungeheuer nicht mehr?"
Janet Muir legte möglichst viel, wie sie hoffte, absolut beißenden Spott in ihre Stimme.
Aber ihr Chefredakteur lächelte nur mit milder Ironie.
„Das Ungeheuer hat seine Schuldigkeit getan, Janet. Denken Sie doch nur – jahrzehntelang hat es für uns in der Saure-Gurken-Zeit die Spalten gefüllt und die Auflagenzahl stabil gehalten, es hat ein Recht auf eine Pause."
Janet schnaubte verächtlich.
„Abgesehen davon ist die Galloway-Sache wesentlich publikumswirksamer. Da ist Spannung drin, Grusel, Gefühl... Es handelt sich nicht nur um ein geheimnisvolles Phantom, sondern noch dazu um eines, das Menschen rettet. Unschuldige Menschen, die in Not geraten sind."
„Durch ihren bodenlosen Leichtsinn," ergänzte Janet schneidend.
„Genau, und deshalb können sich die Leser ganz gemütlich in der vorteilhaften Situation des Klügeren sonnen. Janet, Sie haben doch sonst auch einen ausgezeichneten Riecher für eine gute Story."
„Peter, verdammt, mein Spezialgebiet sind Kriminalfälle..."
„Genau, da passt doch dieses Hochlandgeheimnis bestens hinein."
„Galloway ist nicht im Hochland."
„Schon recht, auch egal. Ich möchte, dass Sie sich dieser Sache annehmen. Sie haben, sagen wir, eine Woche Zeit und ansonsten völlig freie Hand. Als Schottin sind Sie doch prädestiniert dafür, Sie kennen das Land, Sie sprechen die Sprache der Bewohner. Ist doch eine Art Heimspiel für Sie."
Janet verdrehte die Augen.
„Peter, zugegeben, ich bin in Edinburgh geboren, mein Urgroßvaterwar Schotte, aber meine Eltern sind beide in London aufgewachsen. Was die Sprache anbelangt, so habe ich genau die selben Schwierigkeiten, die Schotten zu verstehen wie Sie und außerdem..."
Der Chefredakteur hob die Hand.
„Janet! Wie auch immer, ich will die Hintergründe zu diesen Gerüchten und ich will sie aus erster Hand und gut recherchiert und deshalb von Ihnen. Besorgen Sie sich einen Flug."
Er hatte sich halb aus seinem Stuhl erhoben, hielt ihr einen grünen Aktenordner und eine CD hin und bedachte sie mit dem Nicken, das, wie jeder in der Redaktion wusste, erstens keinen Widerspruch zuließ und zweitens jedes Gespräch unerbittlich beendete.
Janet schnappte sich die Unterlagen, stieß heftig die Luft aus, drehte sich um und stürmte aus dem Büro. Die Tür war leider so schwer, dass man sie nicht zuwerfen konnte, deshalb machte sie ihrer Wut Luft, indem sie der Sekretärin nur einen grußlosen, wütenden Blick zuwarf.
Galloway – Wald, Berge, Hochmoor, Schafe, Nebel, Regen und Kälte auch im Sommer. Und das ihr, einem bekennenden Stadtmenschen mit einem zwanghaften Bedürfnis nach Wärme und Sonnenschein. Sie besaß noch nicht einmal die richtige Kleidung für einen Ausflug in diese Wildnis!
Nur weil sie auf der falschen Seite der Grenze geboren war.
Sie blätterte in dem Ordner, überflog im Gehen die kopierten Zeitungsseiten. So ein Blödsinn: Der Schutzengel von Galloway National Park. Wirre Geschichten von irgendwelchen Zeitgenossen, die sich wichtig machen wollten. Rettung aus auswegloser Situation – Geretteter erinnert sich an nichts – Verirrt im Nebel. Bullshit, gerade gut genug für die Lokalzeitungen. Wollte man diesen Leuten und ihrer blühenden Phantasie noch Vorschub leisten, indem man ihnen ein überregionales Forum schuf? Saure-Gurken-Zeit hin oder her, dieser Schutzengel machte sich noch rarer als Nessie. Niemand hatte ihn je gesehen, niemand außer den angeblich Geretteten hatte etwas von den Rettungsaktionen gemerkt. Aber na gut, wenn es denn sein musste, würde sie hinfahren, gründlich recherchieren und dann das Ganze höchstwahrscheinlich als den Quatsch enttarnen, der es war.
Entschlossen warf sie den Ordner auf ihren Schreibtisch, ließ sich auf ihren Stuhl fallen, griff mit der linken Hand zum Telefon und mit der rechten zur Computermaus.
Herzlichen Dank an J.K.Rowling für das Ausleihen von Charakteren und Plot
