Inhalt
1. Der dreizehnte Brief
Auf ihrem Bett im ausgebauten Dachstuhl hockte Suzette Smith und versuchte verzweifelt sich daran zu erinnern, wo sie ihre Nagelfeile gelassen hatte. Sie schaute sich einmal suchend um, blinzelte einmal mit dem rechten Auge und wartete. Ein paar Sekunden später schoss die gesuchte Nagelfeile zusammen mit einigen anderen dieser Gattung über die Treppe und durch die Tür genau in ihre schon bereite, offene Hand.
Sofort nachdem sie ihre Faust geschlossen hatte, hörte sie es auch schon von unten her keifen: „Suzette, ich habe dir gesagt, wenn du unbedingt zaubern musst, weil du faul und eine Schlampe bist, dann konzentrier dich auf eine Sache! Eine Sache! Nicht alle! Ich war gerade dabei... Kann man denn nicht konkret zaubern? Ich versteh das nicht!". Mit Sicherheit tobte Penny noch einige Minuten weiter, aber Suzette hatte die Tür zugeschlagen und sich ihre Kopfhörer aufgesetzt, als sie begann sich die Nägel zu feilen und die nicht benötigten Feilen unbeachtet auf den Boden fallen und liegen ließ.
Es war schon spät und dunkel draußen. Suzette überlegte, ob sie langsam schlafen gehen sollte, als fast gleichzeitig zwei Eulen auf ihrer Fensterbank landeten. Das Mädchen erschrak kaum und öffnete kurz ihr Fenster einen winzigen Spalt breit, dass gerade eine Eule hindurchschlüpfen konnte. Sie warf ihr eine winzige Silbermünze in das Ledersäckchen an ihrem Fuß und löste den Tagespropheten von ihrem anderen Bein. Dann ging sie zu ihrer Schreibtischschublade und kramte nach einem Eulenkeks für das Tier.
Während der Vogel genüsslich an dem Leckerbissen knabberte, schlug Suzette die Zeitung auf, um die Schlagzeilen zu überfliegen: „Das neuste vom Trimagischen Turnier – Das sind die Teilnehmen!". Weiter las sie erst gar nicht. Es war überhaupt ein Wunder, dass sie einen so langen Satz zu Ende gelesen hatte. Sie zerknüllte die Zeitung und warf sie in den Müll. Wieso bezog die dieses Mistblatt überhaupt noch? Ihr fiel es einfach unheimlich schwer, eine Kündigung zu verfassen, die ausdrückte, wie sehr sie das Blatt und die ganze Zauberergemeinschaft hasste.
Sie öffnete das Fenster wieder kurz einen Spalt breit und ließ die Tagesprophet-Eule hinaus.
Gähnend streckte Suzette sich auf ihrem Bett aus und war kurz vor dem ersten Schlaf, als die zweite Eule vor ihrem Fenster zu schuhuen begann und energisch mit den Flügeln flatterte, um auf sich aufmerksam zu machen. Suzette warf ein kleines Kissen gegen das Fensterglas und drehte der Eule den Rücken zu. Der Vogel begann mit seinen Krallen gegen die Scheibe zu scharren und klopfte mit den Schnabel wütend dagegen.
„Ist ja schon gut!", knurrte Suzette, schwang sich auf und ließ die Eule mit einer theatralischen Handbewegung in ihr Zimmer flattern, suchte nach einem zweiten Eulenkeks und wickelte das Pergament vom Bein des Kauzes. Ohne auch nur nach dem Absender zu sehen warf sie das Pergament in den Papierkorb. „Er versucht es immer wieder! Ha! Aber nicht mit mir! Das hätte er sich so gedacht... Und jetzt raus hier!". Sie hob die Eule von ihrem Schreibtisch und bugsierte sie unsanft wieder aus dem Fenster.
Diese Eule hatte ihr die gesamte Nacht verdorben! Jetzt würde sie vor lauter Wut nicht wieder einschlafen können! Drecksvieh! „Wieso kann er es nicht einfach aufgeben?", rief sie laut und hysterisch, als zuerst ihr und dann das Licht im unteren Stockwerk anging. „Schon wieder 'ne Eule von diesem Professor Sowieso?", machte unten die gelangweilte Stimme von Penny. „Er versucht immer noch, seine Schuld abzustreifen... Von mir aus kann er sie mit ins Grab nehmen!", Suzette trat voller Hass gegen den Papierkorb, sodass er umkippte und der Tagesprophet und das ungelesene Pergament heraus kullerten. Sie stopfte die Zeitung zurück und behielt den Brief in der Hand. Sie mochte das Gefühl von Pergament auf der Haut.
Gerade setzte sie an, das Schriftstück zu zerreißen, das entdeckte sie, dass es nicht sie schräge Schrift von Dumbledore war, die sich bei ihr entschuldigen wollte, sondern die kleine, enge und gedrungene Handschrift von Severus Snape.
Sie überlegte kurz, ob sie ihm eine Chance geben sollte und befand schließlich, dass, weil Severus damals zu ihr gehalten hatte, es ihre Pflicht war, jetzt zumindest seinen Brief zu lesen.
„Liebe Suzette,
Ich gehe davon aus, dass du die letzten zwölf Briefe des Schulleiters, auf Grund deines verletzten Stolzes, ungelesen weggeworfen hast.
Es handelte sich allerdings diesmal nicht um Einladungsschreiben, zur Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei zurückzukehren, sondern um eine dringende Bitte um Hilfe.
Wie du vielleicht aus dem Tagespropheten weißt, findet in diesem Jahr das Trimagische Turnier an unserer Schule statt und wie du vielleicht auch weißt, wurde Harry Potter vom Feuerkelch auserwählt, um anzutreten. Der Schulleiter und ich haben den Verdacht, dass diesbezüglich eine Manipulation stattgefunden haben muss und der junge Potter in große Gefahr geraten könnte. Bis jetzt wissen wir noch nicht wer oder was hinter den Geschehnissen steckt und können derzeit nur vage Vermutungen verfolgen.
Es ist unbedingt wichtig, dass Harry Potter überlebt. Er benötigt Schutz. Seither konnten Professor Dumbledore und ich ihn vor dem Gröbsten bewahren, doch wir beide sind der Ansicht, dass der Junge – auch deswegen, weil er ständig Schulregeln übertritt und eine seltsame Begabung dafür hat, in die gefährlichsten Situationen zu stolpern – unter besondere Beobachtung gestellt werden muss.
Der Schulleiter und ich kommen auf dich zurück, weil du über ungewöhnlich starke Kräfte verfügst und zudem etwas von schwarzer Magie verstehst und den Feind womöglich besser kennst als alle Auroren zusammen, denn selbst Alastor Moody, Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste, extra in diesem Jahr gegen solche Vorfälle an der Schule angestellt, hat noch keine Erklärung.
Professor Dumbledore schlägt dir folgendes Geschäft vor: Du kommst nach Hogwarts als Erzieherin – eine solche hatten wir ohnehin bitter nötig, so wie die Schüler uns zurzeit auf der Nase herumtanzen – und behalten Potter im Auge. Du bleibst Undercover. Du hast die Befugnis Punkte zu verteilen und abzuziehen. Als ehemalige Slytherin werde ich dein Mentor sein.
Im Gegenzug möchte der Schulleiter Nachforschungen anstellen um deine Herkunft und dein außergewöhnliches Talent zu klären. Du erhältst zudem ihren Zauberstab zurück, wie Professor Dumbledore es dir schon vor Jahren angeboten hatte.
Bitte schicke deine Antwort eulenwendend an uns zurück.
Liebe Grüße
Severus Snape"
Moody, der Blindgänger, dachte Suzette und grinste. „Verdammt!", rief sie, als ihr in den Kopf schoss, dass die Eule, die sie eben etwas grob aus dem Fenster geworfen hatte, wohl nicht wieder zurückkommen würde. Eine eigene Eule besaß sie nicht.
Suzette öffnete ihr Fenster und pfiff einmal schrill durch Daumen und Mittelfinger. Nur ein paar Augenblicke später hopste ein ruppiger, aber dennoch stattlicher Rabe durchs Fenster. Suzette kraulte ihrem Freund mit dem Zeigefinger den Bauch und fragte den Vogel mit ihrem niedlichsten Hundeblick: „Pip, könntest du dich herablassen und Severus eine Botschaft überbringen?". Der Rabe neigte den Kopf und klapperte ein bisschen mit dem Schnabel, was Suzette als klares „Sicher, mach ich doch gerne!" interpretierte. Sie suchte in den Schubladen ihres Schreibtisches nach einem Stück Pergament, doch sie fand nur Eulenkekse. Also zuckte sie ein wenig mit dem rechten Auge und vor ihr in der Luft schwebte plötzlich eine zum Beschreiben bereite Tierhaut.
Sie rollte den fertigen Antwortbrief zusammen und befestigte ihn am Bein den Raben, der damit ungeschickt zur Fensterbank humpelte.
„Zu Severus!", rief Suzette dem Vogel nach, als er schon abgeflogen war.
Am nächsten Morgen hockte Harry Potter halb-anwesend, halb noch im Nest des ungarischen Hornschwanzes beim Frühstück, als Professor Snape eilenden Schrittes und mit einem seltsam ruppigen Vogel auf der Schulter, der versuchte, die fettigen Haare mit dem Schnabel zu säubern, wie er es womöglich bei den Federn eines Artgenossen getan hätte, auf den Lehrertisch und zu Professor Dumbledore trat. Snape wirkte äußerst zufrieden, was nichts gutes zu bedeuten hatte und als er Dumbledore etwas zugeflüstert hatte, wirkte der ebenfalls erleichtert. Professor McGonagall rümpfte ein wenig die Nase über das Gesagte und Professor Moody gar erzürnt.
Der Schulleiter stand schließlich von seinem Platz auf und sofort herrschte in der großen Halle dröhnendes Schweigen.
„Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!", begann er und holte, der Wirkung wegen, einmal tief Luft, „Ich habe eine Ankündigung zu machen! Bald werden wir an unserer Schule ein neues Mitglied in unserem Erziehungsrat willkommenheißen können. Ich habe eine Erzieherin angestellt, die das Kollegium insbesondere in diesem besonderen Jahr, das der Lehrerschaft besonderes Engagement - für das ich mich hiermit besonders bedanken möchte -", er blickte zu Professor McGonagall, die immer noch ein wenig säuerlich dreinschaute, „unterstützen wird. Suzette Smith wird...", ein dumpfes Raunen ging mit einem Mal durch die große Halle. Die älteren Schüler riefen halblaut Dinge wie „Mörderin", „Todesserin" oder „von der Schule verwiesen", während die jüngeren versuchten sich aus den Wortfetzen eine Geschichte zu bastelt. Professor Snape ergriff das Wort und bellte durch die Halle: „Ruhe, wenn der Schulleiter sprechen will!". „Danke, Severus!", machte Dumbledore ruhig und mit einem Blick, der sagte: „Nicht übertreiben, Sev!" in Snapes Richtung. Er setzte von Neuem an: „Suzette Smith wird das Nachsitzen betreuen und ist Ansprechpartnerin für alle kleineren Probleme. Sie organisiert zudem den traditionelle Weihnachtsball des Trimagischen Turniers. Ihr werden Räumlichkeiten in dem Kerkern zugewiesen werden und sie untersteht direkt den Anordnungen von Professor Snape. Ich hoffe ihr werdet sie freundlich empfangen!". Dumbledore wollte sich gerade wieder setzten als ein rundlicher Sechstklässler vom Huffelpuff-Tisch durch den Raum rief: „Aber sie war eine Todesserin! Sie hat einen Jungen in dieser Schule erm...". Bevor es einen Tumult in der Halle geben konnte, fiel Snape dem Jungen ins Wort: „Wenn es im Unterricht darum geht ein einfaches, nachvollziehbares, seit Jahrhunderten verwandtes Rezept für einen Erkältungsheiltrank aufzulisten, versagtst du kläglich, Philipp Pikes, aber ein dummes, längst aufgeklärtes Gerücht plapperst du ohne dein Gehirn einzuschalten nach!". „Aber es stimmt!", überschlug sich die Stimme einer blonden Ravenclaw aus der fünften Klasse: „Meine Schwester war...". „... schon immer schwer von Begriff!", beendete Snape den Satz und ein paar Slytherins feixten, als das Mädchen rot anlief.
Als Harry, Hermine und Ron den noch immer erhitzte Diskussionen widerhallenden Saal verließen, besprachen auch sie das eben gehörte. „Wer ist die Suzette Smith?", wollte Harry wissen, „und was sollen diese Anspielungen mit den Todessern?". „Sie wollen hier doch nicht noch mehr von denen aufnehmen?", zischte Hermine und warf einen unauffälligen Blick zurück an den Slytherintisch, an dem auch die Gäste aus Durmstrang saßen.
„Ich weiß es!", warf Ron ein und sowohl Harry als auch Hermine wunderten sich darüber. „Bill war dabei, als es passierte. Er war damals in der fünfen Klasse und diese Suzette in der dritten. Sie war eine Slytherin...". „Natürlich!", unterbrach Harry mit finsterem Blick. „Und bei einem Duell... es gab damals einen regelmäßigen Duellierkurs... hat sie einen Jungen so dermaßen gegen die Wand geschleudert, dass es ihn fast zerrissen hat. Die ganze Schule hat davon gesprochen. Snape hat sie natürlich in Schutz genommen, aber Dumbledore hat sie von der Schule geworfen. Daraufhin hat sie sich angeblich den Todessern angeschlossen, obwohl diese schon lange zerschlagen und Ihr-Wisst-Schon-Wer für tot gehalten wurde. Sie haben ihr natürlich den Zauberstab abgenommen... aber ich traue ihr nicht!", schloss Ron und auch die anderen beiden, entschieden sich skeptisch zu bleiben. „Wieso holt Dumbledore sie wieder nach Hogwarts?", fragte Hermine. „Da steckt Snape dahinter!", entgegnete Harry düster, der schon wieder eine Verschwörung witterte.
