Ich bin keine Heulsuse.

Klar, ich habe schon geweint, wenn ich als Kind einen Albtraum hatte oder hingefallen bin, wie halt jedes Kind. Aber ich bin trotzdem nicht nahe am Wasser gebaut, echt.

Trotzdem, jetzt gebe ich es zu: Ich, Lily Evans, heulte Schlodder und Wasser und Rotz und alles was eben dazu gehört (weiter wollen wir jetzt nicht ins Detail gehen). Kurzum, meine Sicht war einfach nur verschwommen, meine Augen ganz feucht und heiß geworden und meine Nase zog sich zusammen.

Da war es auch kein Wunder, dass ich überhaupt nicht mehr darauf achtete, wo ich hinrannte. Aber in dem Moment war es mir egal - ich dachte nur noch an eine Person, deren Gestalt immer wieder vor meinem inneren Auge (nein, Professor Trelawney, nicht das innere Auge!) auftauchte.

Langes, blondes Haar, das sie meist zu niedlichen Löckchen drehte, ein langes Gesicht, von einzelnen Sommersprossen gesprenkelt, eine hagere Figur und ein etwas zu langer Hals. Petunia. Meine Schwester.

Nur, dass sie mir eben gesagt hatte, dass sie das nicht mehr war.

In meinen Gedanken spielte sich die Szene immer wieder ab - ihre dunkelrote Handtasche mit den dezenten Perlenstickereien, der dicke, junge Mann neben ihr, ein Geschlabber, das man eigentlich nicht mehr als Kuss bezeichnen konnte, der Eiffelturm.

Wie es dazu gekommen war? Tja, es gibt eigentlich nur eine Antwort: James Potter.

ooooo

"So", rief Professor McGonagall die Klasse zur Ordnung und knallte einen Stapel Pergamente auf ihr Pult, "ich hoffe, Sie haben Ihre Sommerferien genossen und sind bereit für ein neues Jahr Verwandlungen. Mr Lupin, wären Sie so freundlich und würden das hier weiterreichen?"

Remus Lupin nickte und gab den Stapel an seinen Freund Black weiter, nachdem er sich selbst ein Exemplar genommen hatte. Sirius Black, seines Zeichens in fünfter Folge Schönling der Schule (und ja, man hatte tatsächlich darüber abgestimmt!), schenkte dem Mädchen neben sich ein charmantes Lächeln und zeigte dabei seine makellosen Beißerchen (igitt). Dass Jessica Finnigan dabei fast in Ohnmacht gefallen wäre muss ich hier nicht mehr erwähnen.

"Eine Frage, Professor!", meldete sich ein besonders eifriger Schüler in der letzten Reihe, der offenbar die Erklärung der Lehrerin nicht abwarten konnte.

"Ja, Mr Pettigrew?" Die gesamte Klasse staunte nicht schlecht, als wir uns zu Peter umwandten, dem die Lehrer sonst jeden einzelnen Beitrag zum Unterricht mit Androhung auf ein Troll bei den Prüfungen aus der Nase ziehen mussten. Mit dem angestrengt nachdenklichen Stirnrunzeln, das ihm wahrscheinlich jede einzelne Kalorie seines Frühstücks kostete, sah er neben Michael Flint fast richtig klug aus. Fast, wie gesagt. Allerdings musste ich zugeben: Seine quiekende Stimme war während der letzten Wochen auf eine fast menschliche Frequenz herabgestiegen, weshalb ich ihn auch nicht sofort erkannt hatte.

"Was sind das für ...", er sah verwirrt auf das Pergament herab, das er inzwischen in der Hand hielt, "Formulare?"

Auf die Frage schien die Professorin nur gewartet zu haben - allerdings eindeutig nicht im positiven Sinne. "Nun", begann sie und setzte eine strenge Miene zum ... nun ja, nicht bösen, aber eindeutig unerwünschten Spiel auf, "das hier sind die Einverständniserklärungen, die sie bitte Ihren Eltern zusenden sollen, damit sie sie unterschreiben. Aus ... Meinungsverschiedenheitsproblemen konnten wir sie bedauerlicherweise nicht gleich mit der Bücherliste per Eulenpost mitschicken, weshalb Sie sie erst jetzt bekommen. Bei diesen Einverständniserklärungen geht es um die geplante Abschlussfahrt, die wir an den letzten zwei Tagen vor den Weihnachtsferien für den Abschlussjahrgang geplant haben."

Gemurmel machte sich in der Klasse breit und auch ich lehnte mich neugierig in meinem Stuhl zurück. "Eine Abschlussfahrt?", ertönte auch sofort eine Stimme hinter mir, dessen Besitzer ich bisher möglichst ignoriert hatte.

Genervt - ja, so schnell konnte die gute Laune in die Kerker abdampfen - wandte ich mich zu ihm um. James Potter balancierte kippelnd auf seinem Stuhl, die Arme entspannt hinter dem Nacken verschränkt und sein übliches (ich hatte es irgendwie so gar nicht vermisst) Grinsen im Gesicht, während seine immer-wuscheligen Haare nach den Ferien heute besonders ungekämmt schienen - was mich als einzige Person auf diesem Planeten voller schmachtender Mädchen zu stören schien.

Ich öffnete schon den Mund, doch in dem Moment zischte - dieses Wort passt fast schon zu perfekt - eine andere Person: "Bist du taub, Potter, oder wirklich so ein Idiot?" Nur, dass er an Stelle von "Idiot" etwas ganz anderes sagte ...

"Ach, Schni- Snape", meinte Potter nur, mit einem Blick auf mich, "ich weiß ja, dass deine sonnigen Tage bisher nie unter deinem fettigen Vorhang, den du als Einziger Haare schimpfst, hervorgekommen sind, aber weißt du was? Ich glaube an dich!" Hierbei ließ er eine Hand gespielt ergriffen zu seinem Herzen wandern.

Ich verdrehte die Augen. "Du bist gerade der Richtige, der über anderer Leute Haare herziehen sollte", seufzte ich.

Potter drehte sich jetzt zu mir, wobei er offenbar versuchte mich mit seinem strahlenden Lächeln vom Stuhl zu hauen. Was er auch geschafft hätte, wenn ... ach, richtig! Wenn ich nicht intelligent genug gewesen wäre, um nicht, wie jedes Mädchen im Radius von zwanzig Metern, ihre Stimme an Team James abzugeben. Doch bevor Potter diesem Lächeln noch etwas hinzufügen konnte, von dem auch nur er glaubte, dass es mein Herz zum schnelleren Schlagen bringen könnte, fuhr McGonagall unwirsch dazwischen.

"Ruhe jetzt", befahl sie verärgert und hatte sofort die gesamte Aufmerksamkeit der Klasse. "Ich bin wirklich nicht bereit meinen Unterricht dafür", sie tippte gereizt auf die Formulare, die übrig geblieben waren, "zu opfern, also hören Sie sich bitte an, was ich Ihnen noch mitzuteilen habe, damit wir beginnen können. Die Fahrt wird, wie gesagt, zwei Tage gehen, mit einer Übernachtung in einer Pension in Paris. Den zweiten Tag verbringen wir dann allerdings in einem Skigebiet etwas weiter im Süden."

'Paris?', schoss es mir durch den Kopf. Ich wusste nicht richtig, was ich darüber denken sollte. Es war ja nicht so, als wäre ich das reinste ... na ja, Mannsweib, aber Paris? In der Weihnachtszeit? Das klang für andere Mädchen meines Alters sicher ausgesprochen ... viel versprechend, aber das einzige Bild, das mir dazu einfiel, war ein äußerst anhänglicher Potter und ich, die ich keine Minute Zeit bekam, meine wundervolle Jugend zu genießen, ohne ein Anhängsel in Form eines pubertären, bebrillten Sunny-Gryffindors am Rockzipfel hängen zu haben. Nicht, dass ich überhaupt zu der Jahreszeit einen Rock tragen würde - zumindest nicht ohne Strumpfhose.

"Paris?", wiederholte Flint angewidert, der offenbar ebenfalls, allerdings kaum aus derlei Gründen, nicht sonderlich begeistert schien. Eine Gruppe weiblicher Ravenclaws hingegeben verfiel sofort in aufgeregtes Getuschel, bei dem das Thema deutlich an den geradezu gruselig gierigen Blicken der Mädchen zu erkennen war, die sie entweder Potter oder Black zuwarfen - nun einmal das jeweilige Objekt ihrer ... (schauder) Begierde. Ausnahmsweise schien das McGonagall mal nicht zu stören, die schon ihren Zauberstab gezückt hatte und die erste Lektion in Verwandlung dieses Jahres an die Tafel zu schreiben. Oder zaubern, oder ... so ähnlich zumindest.

"Na brillant, das passt doch", schnurrte Potter hinter mir. "Evans, da fällt mir gleich ein-"

"Nein", sagte ich, ohne mir die Mühe zu machen, auch nur meinen Blick von der an der Tafel angegebenen Seite des diesjährigen Lehrbuches zu heben.

"Aber ich habe dich doch noch gar nicht-"

"Das brauchst du auch nicht", erklärte ich ihm geduldig und begann aufzuzählen: "Ich werde weder mit dir einen romantischen Schneesparzierung zum Fuße des Eiffelturms machen, noch mit dir zu Pour que tu m'aimes encore von Celine Dion Schlittschuh laufen oder was auch sonst dein krankes, perverses Hirn dir für Ideen in den Kopf setzt."

Potter beugte sich zu mir vor, sodass ich seinen Atem an meinem Nacken fühlen konnte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie weit er dafür über seinem Tisch hängen musste. Doch ich ließ mir nichts davon anmerken, dass sich meine Wangen gerade in ein heilloses Rot verwandelten, sodass ich sie hinter meinen eh schon feuerwehrsirenenroten Haaren verbergen musste. "Was wäre daran denn pervers?", fragte Potter an meinem Nacken.

"Nun", räumte ich ein, "DAS vielleicht nicht, aber vielleicht - ah, warte kurz, ich muss so gar nicht nachdenken! - die Tatsache, dass es DU und ICH wären!"

Zu meiner Überraschung lachte Potter amüsiert. "Wenn du meinst, es gibt ja noch vieles andere, was wir unternehmen könnten …"

Bevor ich ihm allerdings verklickern konnte, dass ich bestimmt kein Szenario in puncto Körperkontakt im Kopf hatte, das über eine polierte Kinnpartie seinerseits hinausging und sogar unter der Bedrohung für dieses Kontra ewiglich in der Hölle schmoren zu müssen, mit ihm ausgehen würde, wurde es Professor McGonagall doch zu viel und sie brachte uns mit nur einem tödlichen Blick zum Verstummen. Daraufhin wagten weder Potter noch ich auch nur ein einziges Wort herauszubringen, sodass die Unterhaltung damit beendet war.

ooooo

Und so kam es, dass die Herbstwochen nur so vorbei flogen – selbstverständlich durften dabei Potters nervige Kommentare nie fehlen – und es schneller Winter wurde, als ich hätte „Butterplätzchen" sagen können, was übrigens zu dieser Zeit das Passwort für unseren Gemeinschaftsraum war. Um es kurz zu halten: Ich mir schlussendlich nebst dem gesamten siebten Jahrgang auf dem Platz vor unserem Hotel in Paris die Füße abfror, als ich meinen Koffer versuchte aus dem Gewirr an anderen Gepäckstücken zu zerren, die man schon vor unser Ankunft per Portschlüssel hier abgeladen hatte. Man sollte eigentlich meinen, dass die Quantität an Gepäck für zwei Tage deutlich niedriger wäre, als für eine Woche, doch mir kam es eher vor, als wäre diese deutlich angestiegen …

"Hey Lily, alles klar?", fragte jemand hinter mir freundlich und ich wandte mich zu einem belustigt dreinschauenden Remus Lupin um.

Ich seufzte. "Doch, geht schon. Ich habe nur offenbar in einem Anflug von Abwesenheit jeglicher Komplentation beschlossen, das ganze Schloss in meinem Koffer unterzubringen ..."

Remus lachte und half mir mit meinem Koffer. Dankend schenkte ich ihm ein Lächeln und lehnte mich, nachdem wir aus dem Wirrwarr an aufgescheuchten Schülern heraus waren, gegen eine Straßenlaterne. "Uff", stöhnte ich, "das war ganz schön Arbeit ... Hast du deinen Koffer denn schon?"

"Sicher, der steht dahinten bei James und Si-" Remus Stimme versiegte, als er den Blick sah, mit dem Potter uns beide bedachte, ganz offensichtlich in eine tiefe Versenkung der Eifersucht verschwunden. Es war die Art Blick, bei dem in einem Comic Blitze aus seinen Augen geschossen und Remus in Flammen aufgegangen wäre. "Ich glaube", meinte der Gryffindor genervt, "ich sollte jetzt zurückgehen."

"Sicher doch", knurrte ich und starrte Potter geradezu zu Boden. "Danke noch einmal, Remus."

"Kein Problem." Damit verschwand er zu seinen beiden Freunden, wo Potter sofort auf ihn einzureden begann, während Black gelangweilt seinen Schal über die Schulter warf - und sich dabei ganz offensichtlich der vielen Blicke seine Mitschülerinnen bewusst war. Es war wirklich unheimlich, wie beängstigend verknallte Mädchen wirken konnten, wenn sie sich der großen Konkurrenz um sich herum bewusst waren. Da fragte ich mich wirklich, ob ich - angenommen, Potter würde nicht jeden Jungen (ich meine: Remus? Oh bitte ...) zu Tode ängstigen - überhaupt einen Freund haben wollte. Das war keine Liebe mehr, das war schlicht und einfach Weiberketschen.

Fröstelnd blies ich mir in die Hände, die zwar schon in Handschuhen steckten, doch trotzdem fand ich es eisig. Es wunderte mich eh, dass bei den Temperaturen (und ja, wir hatten hier hieb- und stichfeste vier Grad unter Null!) noch kein Schnee lag.

Ich hielt ja nichts von Klischees und Vorurteilen, aber Paris schien nur so vor ihnen zu strotzen: Die Gruppe Mädchen, die gerade an uns vorbeigegangen war, war mindestens hübsch, wenn es sich nicht sogar um Schönheiten handelte, und sie trugen so kurze Röcke, dass der sehr schüchterne Frank Longbottom rot wurde und Black so tat, als hätte er etwas fallen gelassen. Jedenfalls war es da doch ziemlich jämmerlich, dass gegen die Temperaturen, die ja schon an sich ein Delikt darstellten, Paris nicht mit dem Glück beschert wurde, um mit dem ultimativen Kitsch-Klischee-Romantik-Schnee das Bild zu vollenden, oder?

Aus meinen Überlegungen riss mich allerdings Professor McGonagall, die in ihrem dunkelgrünen Wintermantel heute sogar besonders schick aussah (und ja, sie hatte sich vorbildlich wie ein Muggel gekleidet!), als sie aus dem Eingang der Pension trat - sie bestand darauf, dass es kein Hotel sei, sondern eine Pension. Sie brauchte gar nicht um Aufmerksamkeit zu bitten, denn wenn McGonagall einen Raum (in diesem Fall einen Platz) betrat wurde es meistens so still, wie es sonst nur Dumbledore schaffte. Das lag aber eher an der Autorität und Strenge, die sie ausstrahlte, als an ihrer ... Aura, oder was sonst Dumbledore diese Gabe verlieh.

"Ich habe jetzt alles klären können mit dem Pensionspersonal", verkündete sie und hielt eine Liste hoch. "Ich habe hier die Zimmereinteilung - Sie werden je zu viert in einem Raum schlafen. Bringen Sie bitte Ihre Koffer auf Ihr Zimmer und kommen dann in die Empfangshalle, wir werden mit dem Bus noch zum Louvre fahren und uns dann nach einem kurzen Mittagessen den Eiffelturm ansehen. Und vergessen Sie bitte nicht, einen Stadtplan an der Rezeption zu holen, falls wir uns verlieren sollten." Damit drückte sie Potter die Zimmereinteilungsliste in die Hand und verschwand ins Warme der Pension.

Ich schleifte meinen Koffer hinter mir her und drängelte mich zu Potter durch (argh), der sich mit seinen Freunden über die Liste gebeugt hatte. Im Vorbeigehen schnappte ich die Wortfetzen einiger Mädchen aus Hufflepuff auf: "Was, du bist mit einer Slytherin in einem Zimmer?!" "Offenbar trennen sie die Häuser nicht ..." "Aber das ist doch ..."

"Potter", sagte ich und er wirbelte überrascht zu mir herum. Ich streckte die Hand fordernd aus. "Gib mal her."

Er zuckte die Achseln. "Es wird dir aber nicht gefallen, was du lesen wirst", meinte er und reichte mir das Blatt (es war kein Pergament), während er sich mit den Fingern nervös durch die Haare fuhr.

Ich nahm die Liste verwirrt entgegen und runzelte die Stirn, wobei ich ignorierte, dass seine Fingerspitzen dabei meinen Handrücken streiften. Ich überflog die Liste und fand schließlich meinen Namen.

Zimmer 24: Lily Evans, Lucinda Talkalot, Alice Knightley, Jill Macclaren

"Ach du meine Fr-", setzte ich an, doch ich wurde von einem Mädchen unterbrochen, das neben mir aufgetaucht war: "Du musst gar nicht so blöd gucken, Evans. Ich würde mich auch lieber in ein Jungenzimmer einschmuggeln, anstatt mit dir in ein und demselben Raum schlafen zu müssen ..."

Sprachlos starrte ich sie an. Lucinda Talkalot: groß, schlank, filigranes Gesicht, lange, tiefschwarze Haare. Ach ja, und bevor ich es vergesse: Sie war dafür bekannt nicht nur James Potter, sondern gleich den ganzen Rumtreiber-Clan abgrundtief zu hassen (ausgenommen vielleicht von Peter, der wirklich nichts und niemandem etwas antun könnte, selbst wenn er es wollte). Nun, inklusive mich.

"Ebenfalls", murmelte ich düster und gab Potter die Liste zurück. Ich wollte schon davon rauschen und mein - oder sollte ich sagen unser? - Zimmer suchen gehen, da hielt mich jemand auf.

"Übrigens, falls es dich interessiert, Evans", sagte dieser leise und lehnte sich ein Stück vor, "ich bin keine fünf Zimmer entfernt." Überrascht blieb ich stehen, doch dann verzog sich mein Gesicht zu einer wütenden Grimasse. "Fass - mich - nicht - an", sagte ich so langsam und geradezu tödlich ruhig, dass selbst er es mitbekommen musste. "Und wenn", ich zog ihn an seinem Hemdkragen etwas zu mir, "du noch einmal so einen Spruch loslässt, kann ich dir versichern, dass dein hochwohlgeborener Stammbaum mit deinem Namen enden wird, klar? Lass mich am besten einfach in Ruhe."

Potters Augen weiteten sich - ha! -, doch da hatte ich ihn schon wieder freigegeben und war kochend vor Zorn in die Pension gestiefelt. Dort verzog ich mich, anstatt mein voriges Vorhaben umzusetzen, in die Damentoilette und lehnte mich mit gemischten Gefühlen gegen die Tür.

"Ruhig Blut, Evans, es ist nur Potter, nur ... Potter", flüsterte ich und kaute unruhig auf meiner Unterlippe herum. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich mich fragte, wieso Potter plötzlich so ... lasziv von der Seite kam. Es war Potter, klar, was hatte ich eigentlich erwartet? Aber er hatte mich damit schon ein bisschen überrumpelt. Normalerweise war etwas, das über "He Evans, gehst du mit mir aus?" hinausging, je nach Laune auch mal das Gleiche mit "Lily", für ihn wie ein unausgesprochenes Gesetz und plötzlich fing er damit an? Aber er hatte sich seit den Ferien eh irgendwie seltsam verhalten, wenn ich jetzt mal darüber nachdachte …

Die Antwort sollte ich gleich bekommen, denn da hörte ich Schritte und hastete schnell, samt Koffer (Mist ...!) in eine Kabine. Musste mich ja nicht gleich jeder in dieser verwirrten Fassung meiner Selbst sehen.

Von den hallenden Absätzen ihrer Schuhe konnte ich heraushören, wie zwei Mädchen eintraten. "... muss ziemlich verzweifelt sein." "Klar", antwortete das zweite Mädchen, ihrer Stimme her war das Jill, eine für ihr Haus sehr vorlaute, lustige Hufflepuff, die nach dieser Liste auch meine Zimmergenossin sein würde, "immerhin versucht er es ja jetzt schon ... puh, wann hat er sie das erste Mal gefragt?"

Wieso wusste ich, dass die hier eindeutig über mich und ... na ja, bedauerlicherweise Potter sprachen?

"Das war doch, als dieser Dirk Cresswell Evans in der Dritten am Valentinstag Pralinen geschenkt hat, oder?"

"Mhm, kann sein. Aber ich möchte wetten, dass Potter schon viel länger hinter ihr herscharwenzelt - erinnerst du dich daran, wie er ihr gleich bei der Hutauswahl einen Schokofrosch hinten in den Umgang gesteckt hat?"

Das andere Mädchen kicherte. "Jaha, das war soooo süß!" SÜß?! Also ich fand das damals alles andere als "süß" ...

Auch Jill lachte und ich hörte das übliche verdächtige Geräusch eines zugeschraubt werdenden Lippgloss. "Na, jedenfalls hat er jetzt einen ganz schönen Zeitdruck. Hast du eben gesehen, wie Remus ihn angefahren hat, von wegen So bekommst du sie ganz bestimmt nicht dazu sich auf dich einzulassen ..."

"Hey, du kannst das ja richtig gut!", hörte ich Jills Freundin noch antworten, doch da waren die beiden schon wieder verschwunden. Sie hatte allerdings recht: Ihre Imitation von Remus' spöttischem und gleichzeitig ernstem Tonfall war nicht schlecht.

Doch jetzt starrte ich die Kabinentür nur etwas verdattert an, als hätte sie Antworten auf meinen wirren Gemütszustand. Potter und Zeitdruck? In dem Moment wurde mir erst klar, dass das hier unser letztes Schuljahr war. Nach dieser Reise und den Ferien würden schon die Prüfungen näher rücken und dann wären wir fertig mit der Schule, würden Hogwarts das letzte Mal Lebewohl sagen und ... Potter würde ich nie wiedersehen.

Eigentlich hatte ich diesen Tag seit unser ersten Begegnung herbeigesehnt, da sollte ich doch jetzt einen regelrechten Freudentanz vollführen, oder? Aber ... ich tat es nicht. Was schon irritierend genug war. Die nächsten Minuten verbrachte ich damit fassungslos auf dem Klodeckel zu hocken und ins Leere zu starren.