Kapitel 1

"Ausweglose Situationen verlangen nach verrückten, rabiaten, aber überaus spannenden Lösungen. Solche, die einem nicht gleich ins Auge stechen mögen, aber einen packen, bezwingen, ja vielleicht sogar vergiften...denn dann kann nicht einmal der Teufel selbst nach deiner Seele greifen." -Long John Silver-

„Kaum habt Ihr Eure schicke Uniform und Euren hübschen Hut wieder, da vergesst Ihr unsere so mühevoll aufgebaute Freundschaft, nicht?"

Der Pirat, von dem ich mir am meisten erhoffte, ihm nie wieder begegnen zu müssen, außer betend unter dem Galgen mit mir als Henker, stiefelt um mich herum, übellaunig, müffelnd und… angetrunken.

„Mister Sparrow, ich kann mich an keinen Moment entsinnen, an dem eine solche jemals bestünden hätte.", formuliere ich deutlich, während er auf mich zukommt, ein triumphierendes Funkeln in den Augen. Mir schwant Übles, denn was ich jetzt von diesem Mann vorgehalten bekommen werde, verfolgt mich mein ganzes Leben wie ein dunkler Schatten…

„So. Nicht mal nachdem ich Euch in meiner überaus großzügigen und völlig uneigennützigen Art das Leben gerettet habe? Sagen Euch diese Begriffe etwas: Flying Dutchman?... Schwertstich?... Entzückendes Treiben in der kalten See?"

Na bitte…

Unangenehm berührt von dem erschütternden Wahrheitsgehalt mein Leben einem Piraten zu verdanken und der Tatsache, dass ich eine Weile vielleicht selbst mal so etwas wie einer gewesen bin, räuspere ich mich unwohl.

„Mir scheint, Euch ist der Ernst Eurer gegenwärtigen und, wenn ich mir erlauben darf, gelinde gesprochen, ausweglosen Lage, wohl nicht ganz bewusst, Mister Sparrow.", versuche ich ihn auf den eigentlichen Grund meiner Anwesenheit auf der Black Pearl zurückzubringen und dieses leidliche Thema gleich zu beenden, bevor es Kreise zieht.

Unwillkürlich straffe ich dabei meine Schultern, um mehr Schärfe und Autorität in Haltung und auch Stimme zu legen, als es vielleicht erforderlich wäre, jedoch scheint es mir in der Gegenwart von Captain Jack Sparrow eine stets unverzichtbare, ja sogar notwendige Handlung meiner Person zu sein.

Ich sehe den Piraten mit gelassenem, jedoch unmissverständlich scharfem Blick an. Dieser sieht mürrisch zurück, mustert mich undefinierbar aus den schwarzumrandeten Augen, die diese versteckte Bauernschläue ausstrahlen und wie sonst auch einen gewissen Spott. Obwohl mir ein Treffen mit diesem Mann, gottlob, für längere Zeit erspart geblieben ist, so muss ich erkennen, dass er sich in dieser Zeit kein bisschen verändert.

Noch immer in alte, abgerissene Hosen gewandet über denen ein bunt gestreiftes Tuch gebunden ist und in ein schmuddeliges weiße Hemd, darüber die schon leicht verdreckte Weste und der knielange, offene Mantel. Neben seiner Kleidung, die er wohl nie zu wechseln scheint, ist er auch seiner, sagen wir mal, ungewöhnlichen Haartracht treu geblieben.

Immer noch klimpern Perlen, Steine, Münzen ja sogar ein Stück Elfenbein in dieser von einem breiten, roten Stirnband gehaltenen Menge zerzausten Haars. Um das Bild zu verkomplettieren fehlt jedoch sein ihm heiliger Hut.

Es ist doch immer wieder erstaunlich, was Menschen als äußerlich ansprechend empfinden.

In meine Musterung vertieft bemerke ich nur am Rande, dass er mit weit aufgerissenem Mund seinen beringten Zeigefinger erhebt, um mir eine passende Antwort entgegen zu werfen. Dies tut er in dieser absolut grotesken und zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, einer gewissen Komik und Anmut eigenen Weise. Es kommt jedoch kein einziger Laut heraus. Stattdessen zieht er die Augenbrauen zusammen und führt seinen Finger an seine Lippen, sieht mich kritisch an, nur um sich dann plötzlich, leicht schwankend, umzudrehen. Den Finger noch an seinem Mund, bettet er seinen freien Arm um Turners Schultern, der mit vor der Brust verschränkten Armen schweigend neben ihm steht.

„William. Mein Freund. Auf ein Wort.", kommt die vom Rum vernebelte, wenig erfreute Stimme tief aus Sparrows, von der Sonne braun gebrannten Brust. Sein Griff um Turners Schulter wird fester, als wolle er ihn sogleich erwürgen. Mit überschwänglichem Wohlwollen erkenne ich, dass er über die Anwesenheit meiner Männer und meiner selbst hochgradig erfreut ist.

„Hast du dir was gedacht dabei, als du diesen… diesen… Mann… auf mein Schiff gebracht hast, hä? Oder hat dich dein Schnuckelschnäuzchen Elisabeth um den Verstand geküsst?" platzt es vorwurfsvoll aus ihm heraus.

Bei der Erwähnung von Elisabeths Namen durchfährt mich ein leichter Stich, direkt in der Nähe meines Herzens.

„Jack, es tut mir Leid. Ich hatte keine Wahl….er braucht Hilfe."

„Welcher ´er´? Dieser ´er´?" fragt er mit einer Kopfbewegung in meine Richtung.

Turner tritt nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Der Governor ist verschollen.", offenbart er schließlich unwohl des Pudels Kern.

In Sparrows Augen erscheint hingegen dieser eine bestimmte Funken Neugierde, der einmal geweckt, ihn nicht wieder loslässt.

„Nen bisschen präziser, Junge. Wär er bloß verschollen, würd die Navy nach ihm suchen.", wieder ein Nicken in meine Richtung, „Wozu braucht der feine Commodore dann mich?" Eher eine Feststellung denn eine Frage.

Gut gemacht Turner. Wirklich. Richtig gut gemacht.

Mir war zwar bewusst, dass es nicht zu den schwierigsten Dingen gehört die Neugier meines Gegenübers zu wecken, aber dass es so leicht sein würde…

Turner seufzt tief und beginnt in seiner Schultertasche zu kramen. Zum Vorschein kommen ein Brief, sowie ein Stück Leinenstoff. Beides Dinge, die mir bereits bestens bekannt sind und mich in Sorge versetzen.

„Hier"

Mit spitzen Fingern nimmt Sparrow zuerst das Leinen entgegen und entfaltet es. Seine Augen werden größer, zeigen Erstaunen… und ein beträchtliches Maß an Angst. Ja Mister Sparrow, Ihr kennt diese Abbildung, nicht wahr? Und diejenigen, von denen sie stammt.

Dürftig lächelnd vollführt er eine nervöse Handbewegung und zupft an seinen Haaren.

„Eine schwarze Spinne. Und? Sollte mir das was sagen?" lügt er wenig überzeugend.

Auch Turner bemerkt dies.

„Jack, du weißt genau, was das ist, oder? Wer immer den Governor entführt hat und das hier geschickt hat, er will dich!"

Schweigend sehe ich zu wie der Schmied Sparrow nachdrücklich den zu dem Leinen dazugehörigen Brief in die Hand drückt. Der simple Handel darin:

Einen Piraten gegen einen Vater

„Jack, du kennst diese Zeichnung. Was weißt du darüber?"

In Turners Stimme liegen Sorge und Angst um den Vater von Elisabeth.

„Ich? Gar nichts….", antwortet der Pirat ganz das Unschuldslamm und will sich ein paar Schritte von uns entfernen, das Leinen und den Brief in seinem Mantel verstauend.

„Mister Sparrow! Soll ich Lieutenant Gilette Befehl geben, zu schießen?", hinter mir legt meine Begleitung unwillkürlich auf den Piraten an. Diese Handlung bringt den Bedrohten dazu zusammenzuckend stehen zu bleiben und auf seinen Absätzen kehrtzumachen.

„Wisst ihr, vielleicht weiß ich doch was.", kommt es schnell von seinen Lippen.

Turner und ich sehen ihn wenig überrascht an.

Seufzend kommt der Halunke zu uns zurück, zieht das Leinen wieder aus der Tasche und lehnt sich gegen den Schmied.

„Will, was weißt du alles über schwarze Witwen?"

Dieser hebt unschlüssig die Schultern, irritiert was diese Frage soll. Ich kann nicht bestreiten, dass es mir genauso geht.

„Nicht viel. Spinnen würd ich sagen"

„Aye, Spinnen." Sparrow deutet auf den Stofffetzen. „Spinnenfrauen besser gesagt. Schöne, gefährliche und überaus blutrünstige." Er beugt sich dicht an Turners Ohr. „Welche von der Sorte, denen ein Mann nur einmal begegnet."

„Und?"

„DAS ist eine!"

Sparrow rollt mit den Augen. „Liest du überhaupt jemals ein Buch?"

Ich will schon ansetzen den Piraten zu maßregeln, als dessen Aufmerksamkeit plötzlich von uns weg und zu Mister Gibbs wandert, der an uns vorbei in Richtung Steuer eilt. Mit einem schnellen Schritt ist Sparrow neben ihm und entreißt dem Überraschten seine Taschenflasche.

„Besten Dank, Mister Gibbs.", erstickt er gleich jeglichen Versuch eines möglichen Widerspruchs und nimmt einen kräftigen Schluck daraus. Während er trinkt, folgt er dem unerfreuten Steuermann zu einer der beiden Treppen, die zum Rad hinaufführen. Dort lehnt Sparrow sich mit dem Ellbogen auf das Geländer. Mit seinem anderen Arm beschreibt er einen ausladenden Halbkreis, eine Bewegung, die allen Seebären eigen ist, die mit einer übertriebenen und völlig unwahren Geschichte beginnen wollen:

„Eine große Mannschaft!", grölt er narrativ in unsere Richtung, „niemand weiß genau, wie viele Mitglieder. Man weiß nur dass sie in den Gewässern von den Jungferninseln bis hinauf nach Singapur segelt. Auf der unvergleichlichen ´Soul of Empress´… Schöner Name.…", er nimmt einen weiteren Schluck, „…die Geschütze sind´s dafür umso weniger. Ohne einen eigenen Heimathafen zu haben zieht sie plündernd von Schiff zu Schiff, Hafen zu Hafen, Stadt zu Stadt, schnell und gnadenlos…. doch WAS dieses Schiff so gefährlich macht ist nicht seine Bewaffnung oder die Schnelligkeit des Kiels, nein, sondern die Crew! Ihr will kein klar denkender Mann begegnen.", er taumelt schwankend auf uns zu, genauer gesagt zu mir und flüstert mir ins Ohr:

„Jedenfalls keiner, der sich vorgenommen hat seinen Lebensabend gesittet bei seinem Liebchen zu verbringen."

Dann stellt er sich zwischen Turner und mich.

„Jeder Mann, der auf die Empress trifft, verbucht diese Begegnung als seine letzte …"

Er setzt den Hauch eines Grinsens auf, so dass seine Goldzähne kurz aufblinken.

„Und jede Frau… ist wie auf zauberhafte Weise verschwunden. Man munkelt der Captain würde sie in seine Crew aufnehmen…"

„Und was hat das mit der Spin -? …Willst du mir damit sagen, dass die Mannschaft nur aus Frauen besteht?", unterbricht Turner ihn nach Luft schnappend und in seiner Stimme schwingt ein ungläubiges Lachen mit.

„Absolut, voll und ganz, ganz und gar. Kluges Köpfchen.", bestätigt Sparrow und fährt nach kurzer Pause fort: „Angeführt werden die Witwen von einer Frau aus Santa Lucia. Eine Frau, unbeugsam, grausam und wild wie das Leben selbst. Wahnsinnig dominant, nicht zu vergessen, könnte glatt mit der schönen Elisabeth verwandt sein…", Wenn Sparrow bisher auch wenig Begeisterung für das Thema gezeigt hat, so wird er jetzt verträumt, „aber ihre Haut und das gekrauste, lange Haar sind so dunkel wie Schokolade und glänzend wie Seide. Und ihre dunklen Augen, so saphirblau, als sehe man direkt ins Meer.", ein sehnsüchtiges Seufzen entgleitet ihm, „als müsste man in ihnen ertrinken…Und sie hat …" er formt zwei Halbkugeln mit anzüglichem Grinsen über seiner Brust. „… eine überaus anregende Landschaft." Dann legt er seine rechte Hand über sein Herz. „Und ich schwör´s bei der Pearl, nie hab ich eine vollkommenere Kämpferin gesehn."

Er drückt Turner auffordernd Gibbs´ Flasche in die Hand.

„Und nun lasst mich raten, Mister Sparrow, ihr seid dieser Dame auf das Äußerste vertraut.", werfe ich ein, um mich an der Unterhaltung der beiden zu beteiligen.

„… war… früher irgendwann mal… gewesen…" weicht er aus und wischt sich unschuldig ein nicht vorhandenes Staubkörnchen vom Ärmel.

„Und die Dame wünscht wohl, Euch zurückzubekommen?"

„Wär möglich… ihre Statistik stimmt ohne mich nicht so ganz."

Entnervt stöhne ich auf. Muss dieser Pirat immer Dreh- und Angelpunkt jeden Übels sein? Verdammt sei er!

„Sparrow, wem in den sieben Weltmeeren habt Ihr eigentlich nicht Eure Seele verkauft?" lasse ich meine Gedanken gleich frei heraus.

„Ihr jedenfalls nicht!", verneint er sogleich patzig, als hätte er meine Frage bereits geahnt und finstere Augen treffen mich. Die Empörung über meine Einschätzung seiner Person erstaunt mich und ich ertappe mich dabei, dass mein Interesse nach dem ´wieso´ größer ist, als es sein sollte. Der unerklärliche Anflug darüber nachzudenken die Befindlichkeiten dieses Mannes verletzt zu haben verfliegt aber sofort, als er mit hochgezogenen Mundwinkeln hinzufügt:

„Was sie bekommen hat, vom guten, alten Jack war was andres… etwas besseres, etwas viel besseres."

Wir beide stehen uns gegenüber und starren einander an. Sparrow mustert mich eigentümlich, so als ob er sich mein Gesicht einprägen wollte, um es nicht zu vergessen. Ich bedenke ihn lediglich mit kalter Ausdruckslosigkeit.

„Kann ich mir vorstellen" versuche ich ihn zu provozieren und lasse meine Stimme völlig gleichgültig klingen.

„Aaah… könnt Ihr das?"

Sparrow streichelt beinah anrüchig über seine Schärpe und beobachtet mich verschlagen.

„Für so etwas haben wir jetzt keine Zeit!" schreitet Turner schließlich vehement ein, indem er Jack am Arm packt, ihn fortzieht und damit unser Gefecht beendet.

„Wirst du uns helfen? Kannst du die Empress finden? Und ihren Captain?"

Mit einem letzten Blick auf mich wendet er sich dem Schmied zu.

„Dir helfen?"

„Ja"

„Nein."

„Wieso nicht?"

Sparrow atmet tief durch.

„So gern ich den guten Governor Swann wieder in den sicheren Arme der ihn über alles liebenden Familie wissen will... darf ich dich daran erinnern, dass DU es warst, der den lieben Commodore hier auf die Pearl gebracht hat?"

Schuldbewusst versucht Turner etwas zu erwidern um sich zu verteidigen, doch die Tatsache, dass er seinen Freund verraten hat, spricht nun mal gegen ihn.

Verstummt sieht er, jeder Hoffnung beraubt, auf den Boden der Pearl, dann nach kurzer Zeit entschlossen wieder zu Sparrow.

„Ich will handeln!"

Der Pirat lacht auf.

„Und was bietet Ihr an, junger Mister Turner?", fragt er ziemlich formell und es ist ihm anzumerken, dass er dem Schmied meine Anwesenheit nicht recht verzeihen will.

„Was könntet Ihr mir anbieten, dass es mir wert sein könnte, mich zurück in die überaus reizvollen Fänge dieser Frau zu begeben und damit dem Blick ins Angesicht des beinah sicheren Todes?"

Die Aufmerksamkeit des Schmieds widmet sich damit abrupt mir. Mit bittendem Blick wendet er sich Hilfe suchend an mich, was mir ein leises Knurren entlockt, da ich ganz genau weiß, was er will.

Mit einem lauten Seufzen, das ich dieses Mal gar nicht verhindern will, greife ich in die Innentasche meiner Uniform.

Da ich damit gerechnet hatte, dass Sparrow mit uns nicht aus reiner Nächstenliebe und aus dem dringenden Bedürfnis heraus für seine Taten auch einmal die Verantwortung zu

übernehmen, kooperieren würde, ziehe ich ein Dokument heraus, das ihn sicherlich dazu überreden wird.

Noch einmal meinen Entschluss überdenkend werfe ich es ihm unwillig vor die Füße, ohne dabei ein Wort zu verlieren.

Überrascht doch interessiert hebt er das in Leder gebundene Edikt auf, um es zu öffnen. Als er den Text darauf liest findet sein spöttisches Grinsen den Weg zurück in sein Gesicht.

„Commodore Norringon!" ruft er laut, dabei halb lachend, „Ihr werdet in Langweile zergehn! Und das Unglück mich und unsre amüsanten Verfolgungsspielchen schmerzlich vermissen zu müssen -…"

„Mister Sparrow, Ihr seid nicht der einzige Pirat zwischen England und Port Royal, den es zu fassen gilt. Ich traue es mir zu für euch einen adäquaten Ersatz zu finden."

Das Lachen des Piraten verebbt und ich könnte schwören in seinen Augen ein kurzes Aufblitzen echter Empörung zu entdecken.

„Und wenn ich mich weigere?"

Auf diese Frage hin wärmt sich mir das Herz und selbstzufrieden sehe ich an Sparrow vorbei. Auf die See. Dort wo meine herrlichen Schiffe sich um die Pearl reihen, samt meinem neuen Flaggschiff, der ´Fortress´. Ein wenig schadenfroh kehrt mein Blick zu ihm zurück.

„Ihr habt kaum eine andere Wahl, Sparrow. Erfüllt Ihr unsere Bedingungen nicht, so werde ich der Fortress Befehl geben die Black Pearl auf den Meeresgrund zu schicken und... - "

„Aye, hätt Eure Schiffchen doch beinah übersehn. Nett, dass Ihr mich dran erinnert.", unterbricht mich seine vor Ironie triefende Stimme. Der mörderische Blick den er mir dabei zuwirft ist der gleiche, wie zu dem Zeitpunkt, als ich vor einer Stunde meinen Fuß auf sein Schiff gesetzt habe.

Dieses Mal sitzt Ihr endgültig in der Falle!

Dann jedoch geschieht etwas, mit dem ich bei Jack Sparrow zuletzt gerechnet hätte: Er schweigt.

Minuten in denen er mich ausgiebig mustert, von oben bis unten. Dann widmet sich sein Augenmerk der kleinen Flotte um uns herum, dann wieder mir…. den Schiffen und wieder mir…

Er streicht über seinen Oberlippenbart und man sieht es ihm förmlich an der Nasenspitze an, dass sein Hirn arbeitet und dann… dann weicht der Ärger urplötzlich einem süffisanten Lächeln und leuchtenden Augen, gleich einem Kind, das sich einen ganz reizenden Streich erdacht hat.

Lautlos wie ein Tiger beginnt er um mich herum zu pirschen und ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass er dabei ist etwas auszubrüten. Zweifellos etwas total Irrsinniges, aber dadurch nicht weniger effektiv. Ich glaube, nein, ich weiß, dass er einen Plan hat, wie er durch pure Berechnung seinen Hals einmal mehr aus der Schlinge herauslavieren kann.

„So gern ich dem lieben Commodore, also Euch, mit Leib und Leben zu Diensten sein würde… wieder einmal…"

und dann trifft mich, während er mit seinen Händen in meine Richtung gestikuliert, einmal mehr dieses unverkennbar respektlose Grinsen der goldenen Zähne, die ein anderer Mann mit geringerer Geduld als der meinigen, unzweifelhaft bereits aus dem wettergegerbten Gesicht geprügelt hätte.

„…kann ein ehrenwerter, stets aufrichtiger und die Gesetzte… zumindest teilweise… achtender Pirat, Euch auch glauben? Dass Ihr mich einfach so gehen lasst?"

Sparrow legt den Kopf schräg und hebt herausfordernd seine Augenbrauen.

Am liebsten würde ich ihn daran kielholen lassen schießt es mir durch den Kopf, denn eine solche Offerte gegen meine Ehre und mein Wort verlangt geradezu nach Satisfaktion! Zudem haben wir tatsächlich nicht die Zeit für kindische Mätzchen. Trotzdem fühle ich mich in höchstem Maße provoziert.

Ich schnaube laut aus, unfähig es zu verhindern und bemerke mit Widerwillen, wie der Zorn auch heute wieder in mir aufsteigt, was in der Gegenwart dieses ´Subjekts´ in heiterer Häufigkeit bei jedem unserer Stelldicheins, die ich als zu zahlreich und überaus lästig empfinde, geschieht.

Ich stiere in diese schwarz umrandeten, verschmitzten Augen und lese in ihnen die bittere Wahrheit, die mir mein Gegenüber nicht wirklich sympathischer macht:

Hah!!! Sauber versenkt, was Commodore?

Er weiß es. Dieser schändliche Pirat weiß es. Das weit demütigendere Gefühl, das mich jetzt zusätzlich überkommt, ist das des Durschaut-werdens.

Sparrow mir gegenüber, der meine Fassade aus Disziplin und Emotionslosigkeit durchblickt und genau darum weiß, wie einfach es für ihn ist, mich an den Rande meiner britischen Selbstbeherrschung und ansonsten beispiellosen Ruhe zu bringen. Und das auch mit Freuden ausnutzt.

So bitter diese Erkenntnis auch sein mag, sie trifft mich heute bedauerlicherweise nicht zum ersten Mal mit der Wucht einer Kanonenkugel.

Jack Sparrow. Der kleine Makel meiner selbst. Ein Makel, den ich nicht loszuwerden imstande bin…. nein…. NEIN! Nicht akzeptabel! Ich weigere mich, das zu akzeptieren! Absolut inakzeptabel!

Ich seufze leise auf und führe meinen gegenwärtigen Gedankengang zu Ende: Meine Nemesis. Ja, das mag er wohl sein. Hm, eine hervorragend zutreffende Bezeichnung.

Vielleicht habe ich es deshalb noch nicht aufgegeben diesen vermaledeiten Piraten zu jagen und mich geweigert wider besseren Wissens Hilfe zu seiner Ergreifung anzunehmen.

Ich atme tief ein, um mich zu fassen, schließe hinter meinem Rücken die Hände, gemäß soldatischer Manier und begegne ihm selbstsicher.

„Mister Sparrow, Euch mag es unvorstellbar erscheinen, dass ein Mann sein Wort einzuhalten gedenkt, selbst wenn er sich mit einer Person wie der Euren gegenüber konfrontiert sieht und wenn ich Eurer Verabredung mit dem Galgen auch mit allergrößter Freude beiwohnen würde, so habt ihr dennoch mein Wort als Gentleman und Offizier der Royal Navy, dass wenn unser Handel sich als rentabel herausstellt, ihr Eures Weges ziehen könnt… mit der Black Pearl, Eurer Mannschaft…" und mit in Falten gelegter Stirn, die mein Missfallen zum Ausdruck bringt füge ich knirschend hinzu "…und der euch vorliegenden Amnestie Govenor Swanns, die Euch und Eure Gefährten vollständig rehabilitiert."

„Aha!" er erhebt den Zeigefinger „Nur, Ihr müsst verzeihen, Commodore, aber da gibt´s einen klitzekleinen Haken in Eurer hübschen Rechnung: Der Governor weiß nichts von Eurem Plan, da seine Unterschrift fehlt! So denke ich wird er denken, nicht daran zu denken mir meinen, sagen wir mal, außerordentlich unredlichen Lebensstil so gedankenlos durchgehen zu lassen. Also kann man denken, dass dieser Umstand jemanden auf den Gedanken bringt, dass ich Eurem bloßen Worte nicht zu glauben gedenke. Klar soweit?"

Für einen Moment bleibe ich sprachlos, die Worte des Piraten in meinem Kopf ordnend.

Sparrows Grinsen wird dadurch um einiges breiter, was meine Miene wiederum um einiges düsterer werden lässt und zum ersten Mal in meinem Leben erwische ich mich dabei, wie ich an meinem eigenen Verstand zweifle, der diesen Handel ersonnen hat.

„Dann müsst Ihr mir wohl vertrauen.", sage ich entwaffnet, den auffrischenden Ärger bei der Vorstellung den verhassten Piraten sein schändliches Treiben fortfahren zu lassen.

In diesem einen speziellen Fall würde ich mir wohl selbst nicht trauen wollen.

Schon ärgerlich, dass mein Gegenüber mich genauso gut kennt, wie ich mich selbst.

„Vertrauen, Commodore Norrington?"

Sparrow tritt mit seinem wackeligen aber grazilen Gang nah vor mich hin, mit einem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht.

„Ja, Vertrauen Captain Sparrow.", wiederhole ich, ihm das ´Captain´ dieses Mal zugestehend, um ihm ein wenig zu schmeicheln.

Mit seltsamer Zufriedenheit dieses Wort aus meinem Mund gehört zu haben, mustert er meine Augen eingehend, als wolle er darin lesen und sein mit Rum getränkter Atem streift mit einem Mal mein Kinn. Jetzt erst registriere ich, WIE nah wir beieinander stehen!

Nicht zurückweichen Norrington! mahnt mich mein Stolz.

„Aye, Vertrauen.", murmelt Sparrow heiser und sein lächelnder Blick wandert hinunter zu meinem Mund. Erstarrt und abgelenkt von diesen Augen und seiner Nähe, die mir einen leichten Schauer unerklärlicher Furcht verpassen, bemerke ich zu spät, wie er mit seiner Hand in Richtung meines Kopfes greift… und… nun ja, mir meinen Hut entwendet.

„Gut, Commodore. Dann nehm ich Euren Hut hier als vorläufige Anzahlung auf mein Vertrauen.", spottet er und tritt grinsend mit einem großen Schritt wieder neben Turner.

Für einen Moment bin ich unfähig zu denken und ich weiß, dass ich starre. Nachdem mein Gehirn endlich, gleich einem Uhrwerk, einige Male geklickt hat, weicht meine Irritation augenblicklich einer neuen Welle des Unmuts. Wie ich es hasse von ihm aufgezogen zu werden!

Das heitere Gekicher von Turner und Sparrow bringt mich dazu mich verschnupft zu dem kleinen Schreibtischchen hinter mir umzuwenden. Darauf liegt in einer Mappe der vorgefertigte Vertrag, der die Bedingungen für das Geschäft zwischen Sparrow, seiner Crew und mir festlegt, mit William Turner als Vermittler. Die Piraten würden diese Art der Vereinbarung wohl mit ihrem beliebten „Parlay" betiteln.

Ich rolle mit den Augen bei der Absurdität dieses Begriffes und hege gehöriges Mitleid für die Franzosen, deren Sprache für zweifelhafte Regelaufstellungen von noch zweifelhafteren Gestalten, missbraucht wird.

Ich öffne den ledernen Schutz, greife nach der Schreibfeder, tunke sie in die Tinte und unterzeichne das Papier mit Namen und Titel.

Hinter meinem Rücken nehme ich aber überdeutlich das Getuschel zwischen Turner und Sparrow wahr, letzterer hat sich anscheinend meinen Hut aufgesetzt.

Wie mir scheint sind die Unstimmigkeiten im Paradiese Sparrow-Turner beigelegt und es bereitet ihnen offensichtlich größtes Vergnügen sich über meine geweißelte Perücke zu erheitern, zweifelsohne eine weitere Probe des Piraten hinsichtlich meiner Geduld. Ich spüre förmlich seinen herausfordernden Blick auf meinem Rücken und wie er darauf wartet, dass ich etwas erwidere.

Ich denk ja gar nicht dran!

Als ich mich wortlos wieder zu ihnen wende verstummen ihre Kommentare wie auf Befehl, die dümmliche Grinserei jedoch bleibt.

„Wenn ich dann bitten dürfte, Gentlemen" fordere ich gereizt.

Sparrow betrachtet noch einmal Turner, der ihm bittend zunickt. Dann seine Leuten, die auf der Pearl ihrer Arbeit nachgehen, tunlichst darauf erpicht, mir und meinem Begleiter Gilette aus dem Wege zu gehen.

Dann nimmt der Captain der Black Pearl mir mit spitzen Fingern die Feder aus der Hand, als wäre ich heißes Eisen, an dem er sich nicht verbrennen will.

Meinen herzlichsten Dank. Zumindest in diesem Punkt werden wir uns immer einig sein.

Unschlüssig den Vertrag begutachtend, dann nachdenklicher mich, lässt Sparrow sie über dem Papier schweben.

„Nein…" murmelt er, „weiß´s genau, nich gut…" nuschelt er, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er wirklich den Vertrag meint.

Na, keine albernen Witze mehr parat? Keine Sticheleien? ... Nein, die stumpfsinnige Freude von vor einigen Augenblicken ist mit einem Schlag vorbei. Wie mir scheint, weiß der Mann offenbar doch in welch prekärer Situation er sich befindet. Sein Zögern lässt mich dadurch allerdings nicht weniger ungeduldig werden.

„Sparrow, macht endlich Euer Kreuz, damit wir dieses unselige Intermezzo zu Ende bringen."

„Intermezzo!" knurrt er, „Welch schnuckeliges, kleines Zwischenspiel, eh?"

Angesäuert ziehen sich seine schwarzen Augen zu Schlitzen zusammen, die mich erdolchen wollen, als hätte ich ihm mit diesen Worten den Fehdehandschuh ins Gesicht geschlagen.

„´ Tschuldigung Freund, hab mir die Freiheit raus genommen das Schicksal meiner Männer zu überdenken, bevor ich sie in den Tod schicke."

Dass er bei all den Äußerungen, die ich ihm während unserer Bekanntschaft bereits entgegen geworfen habe, gerade jetzt auf diese anspringt, verwundert mich. Könnte es sein, dass er sich an seiner Ehre als Captain gepackt fühlt?

Wie du mir so ich dir… kommt mir in den Sinn doch seltsamerweise schreit mein vorhin beleidigtes Ehrgefühl nicht triumphierend auf.

„Ich glaube Euch kommen diese Überlegungen einige Jahre zu spät" bleibe ich trotzdem hart, wobei ich innerlich Verständnis für ihn aufbringe, weil er nicht leichtfertig über das Leben seiner Männer entscheiden will… Verständnis? Für Sparrow?

Knips deinen Verstand an Norrington!

„Jack bitte. Hilf Norrington ihn zu finden.", mischt sich Turner mit ein und sieht auf den Sonnenuntergang. „Weil ich es nicht tun kann."

Richtig. Der eine Tag, den er an Land verbringen kann ist bald vorbei und er hat geradeso gereicht um Sparrow zu finden.

„Lässt mir keine Wahl, hm Junge?", murmelt der Pirat leise mit dünnem Lächeln, bis er schlussendlich unterzeichnet….überraschenderweise nicht mit einem Kreuz.

Dann atmet er tief durch, setzt ein strahlendes Grinsen auf, von dem ich weiß, dass es falsch ist, wedelt vergnügt mit den Armen in der Luft und brüllt so laut seinen Befehl, dass keiner ihn überhören kann.

„Master Gibbs, holt den Rum! Drinks für alle!"

Mit stolzierendem Gang und übergroßen Schritten zu den Fässern trommelt er seine Leute zusammen, die begeistert eines jener Trinklieder anstimmen, das ehrbaren Damen die Röte ins Gesicht treibt.

Zurück bleiben Turner und ich, welcher sich mir gegenüberstellt.

„Glaubt Ihr, er wird die Soul of Empress finden? "

Überrascht über das geringe Vertrauen des Schmieds in seinen Freund sehe ich ihn ratlos an. In seinen Augen erkenne ich aber, dass es nicht primär das Vertrauen zu Sparrow ist, um das er sich sorgt, sondern dass in ihnen vielmehr der Wunsch nach Bestätigung für ein gutes Gelingen der Befreiung des Governors liegt. Die Bestätigung, die er im Augenblick mehr als alles andere braucht... selbst verdammt zu sein handlungsunfähig zuzusehen. Die Bürde des Captains der Flying Dutchman.

Unüblich in meiner Art, lege ich ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter.

„Mister Turner, wir mögen vielleicht in allen Meinungen und Vorstellungen über das Leben und den Anstand auseinander gehen… Aber was die Liebe zu Miss Swann und den Respekt gegenüber dem Governor angeht…. In dieser Beziehung werden wir immer Verbündete sein."

Und dann, ohne dass ich es wirklich will, lächle ich ihn an.

„Seid unbesorgt. Ich werde Sparrow dazu bringen uns zu der schwarzen Witwe zu führen."

Selbst noch nicht wirklich von meinen zuversichtlichen Worten überzeugt, sehe ich hinüber zu dem Piraten, dessen Schicksal wohl untrennbar mit meinem verknüpft zu sein scheint, ganz gleich wie sehr es mir und ihm auch widerstreben mag.