/ Hallo ihr Lieben!
Ich habe in meiner Kurzbeschreibung eine SPOILERWARNUNG für Staffel 7 angegeben, da ich weiß, dass einige Fans ohne irgendwelche Informationen (Teaser, Trailer) in die neue Staffel gehen wollen. Jedoch wird in meiner Geschichte eigentlich nur ein Ort gespoilert, der im jüngsten Teaser zur bevorstehenden Staffel bestätigt wurde. Der Rest ist meiner Wahn-/ Wunschvorstellung entsprungen. ;) Viel Spaß beim Lesen!?
P.S. Dies ist zwar nicht meine erste veröffentlichte Geschichte, aber die erste hier auf dieser Seite.
Und dann kommt zurück zu mir I
Daenerys Sturmtochter hatte ihren ersten Atemzug auf Drachenstein, während eines tosenden Orkans getan. Ein Wind so mächtig, dass er die gesamte Flotte der Targaryens auf den Grund des Meeres geschleudert hatte.
Von hier aus hatte Aegon seine Eroberung begonnen. Hierhin hatten sich ihre Ahnen immer wieder zurückgezogen. Hier war der Sitz ihres Hauses. Doch die Rückkehr zum Ort ihrer Geburt hielt keinerlei wärmende Erinnerungen bereit, wenngleich sich der Sturm, den sie ihren Namen verdankte, scheinbar nie gelegt hatte.
Stahlgraue Wolkenberge, schrill pfeifende Böen und eisige Regenschauer, die in das aufgewühlte Meer fielen, hatten Daenerys inzwischen jeglicher Hoffnung beraubt, je wieder warm zu werden. Wenig nur war davon zu merken, dass der Drachenberg im Rücken der Burg flüssiges Feuer beherbergte, und obwohl von Zeit zu Zeit grauer Rauch von der schwarzen Spitze des Gipfels aufstieg, herrschten Wind, Regen, salzige Gischt und eine feuchte Kälte, die bis in die Knochen drang, mit eiserner Hand über die Insel, gegen die selbst das Blut des Drachens machtlos war.
Heute allerdings schlug sie zum ersten Mal, seitdem sie ihr Königreich betreten hatte, die Augen auf und musste kein Schaudern unterdrücken. Erfreut rieb sie ihre warmen Füße aneinander und drückte die Nasenspitze, die einmal nicht taub vor Kälte war, ins Kissen. Ihr war warm, stellte sie erstaunt und erleichtert zugleich fest, und das obwohl sie kein Nachtgewand trug. In den lauen Nächten Essos' war dergleichen schlichtweg überflüssig gewesen. Erst das harsche Klima ihrer Heimat hatte die unförmigen, knöchellangen Nachtkleider wesentlich begehrenswerter erscheinen lassen. Jetzt aber lag sie so nackt, wie am Tag ihrer Geburt unter schwerem Fell und blinzelte ins trübe Tageslicht.
Im Gegensatz zu der wohligen, weichen Wärme im Bett schrie alles in dem Raum um sie herum nach harter Kälte, wogegen auch die wenigen, im Gemach verteilten Möbel mit ihrem warmen Kirschholz nichts auszurichten vermochten.
Sie ist der letzte Drache. Eroberin ebenso wie es Aegon gewesen war, und dennoch fand sie es nicht in ihrer Kraft diese dunkle Burg ihrer Vorfahren, mit ihren nackten, unbehauenen Steinwänden, in denen die steinernen Brüder ihrer Kinder schlummerten ins Herz zu schließen. Salz und Regen hatten die Steinmauern verwittern lassen und das Innere kam zeitweise eher einer zugigen Höhle gleich.
In Viserys' Beschreibungen war Drachenstein stets ein prunkvoller, Macht ausstrahlender Ort gewesen. Eine dunkle Feste zwar, aber angefüllt von Historie und Gepränge. Einzig das im matten Licht der Tage schimmernde Obsidian erweckte den Anschein von Glanz. Prunkvoll war wenig an dem Sitz der Taragaryens und die Geheimnisse der Vergangenheit werden die düsteren Hallen wohl auf ewig in ihren steinernen Klauen halten.
Unstete Bewegungen neben Daenerys ließen sie kurz die Augen zusammenkneifen und gequält das Gesicht verziehen. Als dann erneut leises Schnarchen erklang, atmete sie erleichtert aus. Zugleich hielt sie aber irgendetwas davon ab, sich zu dem eigentlichen Grund warum sie heute nicht fror, umzudrehen.
Ein jähes Stechen in der Magengrube ließ Dany wissen, dass die Zeit fürs Morgenmahl längst überschritten war, und auch Missandei, mit welcher sie dieses einzunehmen pflegte, schien ihre Pflichten zu vernachlässigen. Aber was wenn sie dies gar nicht tat, kam es Daenerys ungebeten in den Sinn. Eilig hob sie den Kopf vom Kissen und sah sich nach einem Tablett mit frischem Brot, Honig, gekochten Eiern, Obst und Minztee um.
Sie vermisste die Speisen Essos', Gewürze aller Art und eine Auswahl von Früchten, die noch nicht vom angebrochenen Winter beschränkt wurde. So hatte es auch eine Zeitlang gedauert, ehe sie sich an die doch recht karge Küche des Landes gewöhnt hatte.
Augenscheinlich hatte jedoch niemand ihr Schlafgemach betreten. Zu ihrem Glück?, fragte sich Dany im Stillen und fühlte bei diesem Gedanken sofort einen Anflug von Schuld. Andererseits, wem wollte sie täuschen? Die Geschehnisse des letzten Abends, der letzten Nacht, sind mittlerweile wahrscheinlich sogar den Küchenmägden bekannt.
Vorsichtig, um den Schlafenden nicht zu stören, drehte sich Daenerys nun doch auf die andere Seite und erstarrte in ihrer Bewegung, als ihr Knie ein ausgestrecktes Bein streifte. Fast gewaltsam musste sie ihre Augen von der schwarzbraunen Pelzdecke lösen, um ihren Blick den Körper des Mannes emporzuschieben, und mit jedem Stück, das sie eroberte, schlug ihr Herz etwas schneller, ehe es dann mit einer solchen Kraft in ihrem Hals pulsierte, dass ihr beinahe übel wurde.
...Ich brauche euch an meiner Seite...
...Wenn ich die sieben Königslande erobere, brauche ich euch an meiner Seite...
...Ich brauche euch...
Für einen Moment war Daenerys versucht das Bett, oder gar den Raum zu verlassen, doch dann beugte sie ihren Arm und ließ sich zurück auf die Matratze sinken. Darauf bedacht, ihn nicht noch einmal zu berühren. Trotzdem sie während ihres Versuchs sich so unauffällig wie möglich umzudrehen die Hälfte des Fells von ihm gezogen hatte, und nun ausgeprägte Rückenmuskeln und lange Beine entblößt vor ihr lagen, strahlte der nackte Leib neben Dany eine verführerische Wärme ab.
Niemals hätte sie sich vorgestellt, dass er es bevorzugt auf dem Bauch zu schlafen, und wahrscheinlich tat er dies, von vielerlei Gefahren zur steten Wachsamkeit ermahnt, auch selten. Doch hier lag er nun, eines der mit Leder überzogenen Kissen unter dem Kopf zusammengeknüllt, von seinen Armen in eine müde Umarmung eingeschlossen.
Wann hat er wohl zuletzt in einem anständigen Bett geschlafen und wann war sein Schlaf das letzte Mal frei von dem Drängen gewesen ihren Befehl auszuführen?
...Ich befehle euch nach einer Heilung zu suchen...
...Ich befehle euch wieder gesund zu werden und dann zu mir zurückzukehren...
Seine Position spiegelnd zog Dany ihre Arme unter den Kopf und wischte unwirsch silberne Strähnen, die ihre Sicht behindert, hinters Ohr. Was tat sie hier nur? Was hatte sie nur getan? Was hatten sie nur getan? Und warum rauschten nicht tausend andere Fragen, Vorwürfe und Rechtfertigungen durch ihren Kopf? Gestern hatte sie nicht einen einzigen Wimpernschlag lang nachgedacht. Natürlich nicht. Sonst würden sie hier jetzt nicht liegen. Aber jedes Mal, wenn sie glaubte von einer Flut unbequemer Gedanken überrollt zu werden, lösten sich diese in einem Gefühl unerklärlicher Gelassenheit auf.
Als ein schwaches Zucken durch seine schlafende Gestalt fuhr, fielen feine Haare in seine Stirn. Ohne zu Zögern streckte Daenerys die Hand aus und schob sie zurück zu den grauen Strähnen, die mehr und mehr das Rotblond verdrängten. Leise seufzend ließ sie ihre Finger bis zu den leicht lockigen Haarspitzen gleiten, welche so lang gewachsen waren, dass sie auf seine Schultern auftrafen, und in denen sie sich gestern so vehement festgekrallt hatte, um den Rhythmus, den sie sich so hart erkämpft hatten, nicht zu verlieren.
Die törichte Röte des naiven Mädchens, welches sie schon lange nicht mehr war, stieg ihr bei dieser Erinnerung ins Gesicht und noch etwas anderes wallte durch ihr Inneres. Ein Glühen, das sie dazu bringen wollte den Schlaf endgültig aus ihren Räumen zu verbannen. Doch sie war noch nicht bereit in die blauen Augen zu sehen, geschweige denn die so dringend benötigte Erklärung in Worte zu fassen. Sie konnte ja noch nicht einmal entscheiden, welche Anrede sie von ihm zu hören wünschte.
Daenerys. Ihr Name war während der Nachtstunden hundertfach von den Steinwänden widergehallt. Ob sie jedoch irgendeine zusammenhängende Äußerung hervorgebracht hatte, daran konnte sich Dany nicht entsinnen. Ohnehin war ihr Wiedersehen von nicht allzu vielen Worten begleitet gewesen. Das klärende Gespräch stand ihnen immer noch bevor.
Es wäre eine Lüge, würde sie behaupten, dass sie mit aufopfernder Hingabe auf seine Rückkehr gewartet hat. Im Moment des Abschieds hatte sie auch aufgehört, um ihn zu weinen. Ihre Tage waren zur Genüge von unerwarteten Problemen und bekannten Herausforderungen erfüllt gewesen. Es waren stille und manchmal auch völlig unvermutete Momente, die ihr mit dem Gedanken an ihm einen Stich versetzt hatten.
Lieder, von denen sie zum ersten Mal aus den von ihm geschenkten Büchern gehört hatte, verfehlten meist nie diese Wirkung, und umgeben von der Gefolgschaft der Tyrells und Martells, hatte es reichlich Gelegenheiten für jene kleinen Stiche gegeben.
Und als sie hier in Westeros das erste Mal den unverkennbaren Akzent des Nordens vernahm, hatte sie fast erwartet, dass sich die dünne Stimme des Gesandten in ein tiefes, kratziges Raunen verwandeln würde.
Ebenso schmerzten einsame Momente, wenn ihr Blick über das fremde Land streifte, das es selbst jetzt, da sie endlich hier war, immer noch zu erobern galt, und sie gedankenverloren ihren Ring betastete.
Und vielleicht zog sich auch insgeheim ihre Brust zusammen, wann immer einer ihrer Blutreiter sie Khaleesi nannte.
Und vielleicht vermisste sie auch die Möglichkeit seinen Rat einzuholen, wenngleich Tyrion diese Rolle besser ausfüllte, als er es je getan hatte.
Und vielleicht durchfuhr sie stets ein Hauch von Enttäuschung, wann immer ein Reiter in der Nacht angekündigt wurde und es doch nur wieder irgendein Bote gewesen war.
Und vielleicht hatte sie ihn einfach vermisst, weil... weil sie ihn brauchte... an ihrer Seite.
Aber war dies eine Erklärung dafür, dass kaum, dass er gestern ihr Solar betreten hatte, die Verunsicherung was ihre Beziehung, ihre Freundschaft zu dem Ritter betraf, zu Staub zerfallen war? Wiederum schuldete sie, Daenerys Targaryen, Westeros' rechtmäßige Herrscherin, niemanden Rechtfertigung. Nur lag eben genau da das Problem. Er war von Beginn an bei ihr gewesen, hatte miterlebt wie aus dem unerfahrenen Mädchen die Khaleesi geworden war, die Mutter der Drachen, die Sprengerin der Ketten, Königin von Meereen. In seinen Augen war sie nicht nur die gefürchtete Eroberin, die erhabene Herrscherin. Sie war so viel mehr. Sie war einfach nur Daenerys.
...Tyrion Lannister hatte recht...
Er war zu ihr zurückgekehrt, und so auch der Schock über ihre Machtlosigkeit, den sie während des Abschieds von ihm erfahren hatte. Zweimal hatte sie ihn von sich gewiesen und zweimal hatte er sich ihrer Verbannung widersetzt. Als ihn dann aber das Schicksal von ihrer Seite reißen wollte, ohne dass sie darauf Einfluss nehmen konnte, wollte sie nur eines. Ihn. Ihn an ihrer Seite. So wie einst. War er doch der einzige Mensch, der ihr geblieben war, der ihr eine Ahnung von Geborgenheit und von bedingungsloser Zuneigung gab. Seine Loyalität, sein Leben, seine Liebe gehörte ihr. Sie allerdings war niemals sein gewesen. Nichtsdestotrotz brach ihr Herz, als sie glaubte ihn für immer verloren zu haben.
Doch gestern hatten sie endlich die Möglichkeit erhalten die schneidende Leere zwischen ihnen zu schließen. Ohne den Blickkontakt abreißen zu lassen, war er auf sie zugeschritten, hatte ein ehrfurchtsvolles „Khaleesi" gehaucht, und sich sich mit der Absicht getragen vor ihr niederzuknien, als Daenerys die Königin, die Eroberin und eben auch die Khaleesi vergaß, und sich gegen seine regennasse Reisekleidung gedrückt hatte.
Jene Umarmung hatte sich wie das Bitten um Vergebung angefühlt. Vergebung, die erst mit seinen zögerlich um sie gelegten Armen gewährt wurde.
Rau und spröde war seine Haut unter ihrer Berührung, als Daenerys jetzt zwei Finger über seinen Unterarm wandern ließ. Eine unnachgiebige graue Hülle, die um dehnbare Muskeln lag. Tiefe Furchen hatten damals seinen Arm überzogen und schuppenförmige Haut hinterlassen. Heute wirkte es, als wurden die Kanten und Risse ungeschickt glatt geschliffen, obwohl sie es geschafft hatten, bis zu seinem Oberarm emporzukriechen. Dennoch war er gestern nicht vor ihr zurückgewichen, als sie auf ihn zugeeilt war, hatte sich nicht ihrer Umarmung entwunden, hatte ihre Hand auf seinem entblößten Arm geduldet. Unwillkürlich drängte sich die Erinnerung an das Gefühl seiner zerklüfteten Haut auf ihren glatten Rücken in den Vordergrund, und wie schon letzte Nacht durchfuhr sie ein Schaudern. Und ebenso wie letzte Nacht wusste Daenerys nicht, ob es ein angenehmer Schauer oder ein mit Schuldgefühlen beladenes Erbeben war.
...Gibt es eine Heilung?...
...Ich weiß es nicht...
Es gab sie. Er hatte sie gefunden. Für sie gefunden. Wäre es anders, hätte sie ihn wohl nie wieder gesehen, nie wieder auch nur von ihm gehört.
…Ich habe gesehen was passiert, wenn es weit genug fortschreitet. … Ich setze dem vorher ein Ende...
Tod fühlte sich das Fleisch unter ihrem Handballen an, unter ihren Fingerspitzen jedoch spürte sie warmes Blut unter der Haut fließen. Von einer makaberen Faszination gelockt zog Daenerys ihre Finger von der gesunden Haut zurück und ließ sie erneut über den von der Krankheit gezeichneten Arm gleiten.
Es fühlte sich nicht wie Drogons Schuppen an, unter denen stets Feuer zu wallen schien, doch es war auch nicht mit dem Gefühl leblosen Steins zu vergleichen, sinnierte Dany und warf einen fragenden Blick zu dem in Stein gemeißelten Drachenkörper hinter dem Bett.
Von einem tiefen Brummen unterbrochen, hielt Dany in ihren Bewegungen inne, nahm ihre Hand von seinem Arm und wartete angespannt darauf, dass er die Augen aufschlug. Bis auf ein kaum auszumachendes Zucken unter einem ungewohnt dichten Bart, rührte er sich jedoch nicht.
Angenehm gekitzelt hatten jene für ihn untypisch langen Barthaare, als Daenerys tags zuvor ihre Wange an seine geschmiegt hatte, ehe sie dann, scheinbar all ihrer Vernunft und ihren Willen beraubt, ihren Mund an seinen Hals gepresst hatte. So warm und weich. Verschwommen entsann sie sich seiner Hände um ihre Taille, die halbherzig versucht hatten sie wegzuschieben. Als sich dann aber, gefangen in jener aufgeladenen Spannung kurz vor einem Kuss, ihre Lippen fanden, wollten eben jene Hände sie nicht mehr gehen lassen.
Alles was danach geschah, war ein Rausch aus wild klopfenden Herzen, gierigen Küssen, ungeduldigen Fingern, die mit Schnürren und Schnallen kämpften, sanften Berührungen, prickelndem Drängen, heiserem Wispern und unendlich süßer Erlösung.
Jede unschöne Wahrheit, jeder Zweifel, jedes Leugnen, jegliche Reue, jegliche Schuld, jede Befangenheit, war in ihrer Gier nach Liebe verbrannt.
...Ich liebe euch...
...Ich werde euch immer lieben...
Es war so seltsam einfach gewesen mit ihm eins zu werden. So seltsam einfach... Aber war das etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Vielleicht beides.
Erst im Licht dieses neuen Tages begann ihr Verstand nach Antworten zu verlangen, die ihr Körper in der Nacht glaubte gefunden zu haben.
Immer noch kamen tiefe, regelmäßige Atemzüge von der anderen Bettseite, und mit einem letzten kontrollierenden Blick auf den schlafenden Mann, setzte sich Dany auf und rutschte an die Bettkante.
Ungeachtet der noch leicht glühenden Asche im Kamin, prallte eine Wand eisiger Luft gegen ihren nackten Leib und überzog sie mit Gänsehaut. Das mit Silberfäden durchsponnene Nachtgewand, welches Daenerys nun doch eilig überstreifte, war von der Kühle der Nacht durchtränkt und bot somit kaum Schutz vor dem eindringenden Luftzug.
Zwei Schritte vom Bett entfernt wurde der mürbe Teppich nicht, wie von Dany erwartet, von dem fugenlosen Steinboden abgelöst, sondern ging in einen anschmiegsamen Stoff über. Ohne hinab zu sehen, wusste sie was sich unter ihren Fußsohlen befand, und mit einem lautlosen Seufzen las sie den fadenscheinigen Fetzen auf. Denn mehr als ein Fetzen war es nicht mehr. Das Leinenhemd, welches einst in einem satten Sonnengelb gestrahlt hatte, war jetzt zur Farbe angespülten Blütenstaubs nach einem kräftigen Gewitterregen verblichen.
War es schon zerrissen gewesen, als sie den schweren Wollumhang von seinen Schultern geschoben hatte?, fragte sich Daenerys, während sie lange Fäden, die aus dem gebrochenen Gewebe hingen, zwischen Daumen und Zeigefinger hinweggleiten ließ. Oder hatten sie das gestern in ihrer unbedachten Ungeduld getan?
So oder so, er wird neue Gewänder benötigen. Mit schief gelegtem Kopf betrachtete Dany die bewegungslose Gestalt, die sie mit dem wilden Bart, den langen, vom Schlaf zerzausten Haaren zum ersten Mal wirklich an einen Bären denken ließ. Doch vielleicht war diese Erkenntnis auch dem Erlebnis seiner gekräuselten Brusthaare auf ihrer erhitzten Haut geschuldet.
Ob ihm Schwarz gut kleidet? Seine Haut hatte immer noch den leicht goldenen Schimmer der Sonne Essos'. Die dunklen Farben, welche sie sich hier angenommen hatte, sollten ihm demnach nicht zu blass erscheinen lassen.
Kopfschüttelnd vertrieb Daenerys jene belanglosen Überlegungen, und schritt dem milchigen Tageslicht entgegen, welches durch das, die gesamte Südwestseite einnehmende Fenster strahlte.
Von weißem Schaum gekrönte Wellenkämme peitschten über die See. Das Wasser hatte die Farbe von Eisen und die vom Sturm getriebenen Wolken verschmolzen am fernen Horizont zu einer einzigen Masse, die Daenerys' Auge nicht mehr zu trennen vermochte.
Sturmtochter. Wahrlich. Nie hatte sie während eines tobenden Sturms Angst verspürt. Auch die Orkanböen, die sie auf dem offenen Meer erlebt haben, hatten sie nicht bangen lassen. Wie könnten sie auch? In luftigen Höhen, auf Drogons Rücken, wirbelte die Luft stets ungezähmt und frei um sie herum. Und dies war dann auch sie. Ungezähmt. Frei. Von unendlicher Macht getragen.
Daenerys schloss die Augen und atmete die salzige Kälte ein, die silberweiße Haare über ihre Schultern in zuckender Verworrenheit flattern ließ. Sturmtochter. Als solche hatte sie Westeros einst verlassen, und die war sie geblieben. Was bedeuteten all ihre Titel den Menschen hier auch schon? Weder Khaleesi, noch Sprengerin der Ketten, noch Königin Meereens konnte sie hier sein. Königin der sieben Königslande musste sie in den Augen des Reiches erst werden. Sturmtochter war sie jedoch bereits seit ihrem ersten Schrei, den sie in den Sturm ihrer Geburt geworfen hatte.
Stirnrunzelnd blickte Daenerys auf das abgetragene Leinen in ihren Händen, und drückte einen unbestimmten Impuls folgend den weichen Stoff an ihre Wange. Ein feiner, kaum noch wahrnehmbarer Schweißgeruch lag unter dem übermächtigen Duft nach Kälte. Dennoch wurde ihr warm, als sie an den Geruch nach Mann dachte, den sie, ihr Gesicht an seine Halsbeuge gepresst, inhaliert hatte.
Und immer noch keine Spur von Reue. Allerdings begann die Frage nach dem Warum mehr und mehr Platz einzunehmen. War es letzten Endes nur Mitleid gewesen oder der absurden Vorstellung entsprungen, dass sie ihm dies irgendwie schuldig war? Nein. Dafür ging es zu schnell, war zu leidenschaftlich gewesen. Zu impulsiv. In dieser Nacht hatten sie sich beide ein Stück weit vergessen. Waren an einem Punkt nur noch zwei Lebewesen gewesen, die es nacheinander verlangt hatte. Und womöglich war jener plötzliche, gestern noch so unstillbar wirkende Hunger mit jener einen Nacht gestillt. Womöglich hatte es gar nicht die Bedeutung, die es für zwei Liebende gehabt hätte. Jedenfalls nicht für sie. Aber wie dachte er darüber? Sie wusste was er für sie empfand. Auch wenn er jene drei Worte vergangene Nacht kein einziges Mal ausgesprochen hatte, stellte Daenerys erst jetzt verwundert fest und fragte sich nun einmal mehr, welche Bedeutung ihr Zusammensein für ihn hatte.
Sie empfand große Verbundenheit, Achtung, Dankbarkeit und ja, auf eine gewisse Weise liebte sie ihn auch. Und nach allem was geschehen war, nach allem was sie voneinander getrennt hatte, hatten sich all die ungesagten Worte, die zurückgedrängten Gefühle einen Weg gesucht, der es ihnen unmöglich gemacht hatte, sich länger vor diesen Empfindungen zu verstecken. Gestern, in dem Augenblick, da sie zueinander gefunden hatten, war es eine Notwendigkeit gewesen. Unumgänglich, um zu heilen, um wieder zu denen zu werden, die sie einst füreinander gewesen waren. Nur wie sollte dies möglich sein? Es gibt kein Zurück. Sie könnten nur zu etwas anderem werden. Etwas, was seinen Beginn in letzter Nacht gefunden hatte. Aber dann...
Auf einmal begann eine winzige Stelle in ihrem Nacken zu kribbeln und Dany wusste sofort, dass sie beobachtet wurde. Gebannt lauschte sie auf das Tapsen großer Füße, die sich in ihre Richtung bewegten. Doch der Raum hinter ihr verharrte weiterhin in Stille. Verärgert über die törichte Nervosität, welche sich ihrer bemächtigte, und die sie auch dazu zwang das zerschlissene Hemd fest an ihre Brust zu drücken, schürzte Daenerys die Lippen, ließ das Leinen sinken, und drehte sich entschlossen um.
...Ich liebe euch...
...Ich werde euch immer lieben...
Vor einem Augenblick war es ihr noch gelungen das Geschehen der letzten Nacht zu einem etwas zu stürmischen Wiedersehen herunterzuspielen. Jetzt folgte jedoch jeder neue Herzschlag schneller, als der vorangegangene, und die Antwort auf das Warum, starrte ihr aus dem warmen Blau weit geöffneter Augen entgegen.
/ Und wie sehr ich wünschte, dass diese Geschichte von vorn bis hinten ein Spoiler wäre. *Seufz.*
Vielen Dank fürs Lesen und vielleicht wird es zu dieser kleinen Wahnvorstellung auch eine Fortsetzung geben. Mal abwarten... ;)
