Prolog: Aus der Distanz
Man hätte glauben können, mein Hunger an diesem Morgen wäre schon kaum zu bändigen gewesen. Dann traf mich gleich zu Beginn des Geschichtsunterrichts neuerliche Gier und ich wusste nur, dass es nicht meine eigene war, stattdessen wenige Meter entfernt, irgendwo im Gebäude.
Einen Wimpernschlag lang hatte ich Irritation empfunden, Witterung aufzunehmen von etwas verführerisch Köstlichem und plötzlich ….übersteigerter Blutdurst, animalischer Heißhunger, völlig hemmungslos, der mit einer nahezu lüsterne Note einher ging? Wie ein Fiebertraum: heiße unvorstellbar exquisite Flüssigkeit auf der Zunge.
Es war dem Wahnsinn erschreckend nah, fast schlimmer als ich es aus meiner Zeit als neugeborener Vampir erinnerte. Fühlte sich so ein Süchtiger, der lange enthaltsam gelebt hatte und dem man seine Droge unter die Nase hielt? Derart willenlos?
Ein Vampir war kurz davor sein Opfer zu reißen, es an sich zu drücken und seine Fänge in den Hals zu schlagen, nur um Erlösung zu finden. Es folgte, nur für den Bruchteil einer Sekunde, das Sehnen nach weicher warmer Haut unter den eisigen Händen, unerträglich intensiv.
Schemenhafte Bilder, mehr als nur Blut saugen zu wollen, wollten sich eben ihren Weg bahnen. Ein einziges Begehren hinzu diesem Wesen.
Und dann stieg ein wütender Hass gegen die Gestalt gewordene Versuchung auf.
Da endlich zog mit verzweifelter Anstrengung eine Kette die Bestie zurück, doch es blieb ein erbitterter Zweikampf. Ich spürte noch immer eine enorme Spannung, quälend lange.
Ich schluckte hart, dankbar mich nicht unmittelbarer Nähe dieses Dramas aufhalten zu müssen als mit dem Klingeln zum Ende der Stunde eine Art Fluchtimpuls eintrat.
Jeder Nerv bis aufs Äußerste gespannt, war ich noch immer völlig benommen.
Erst ganz allmählich begriff ich, dass es Edward war, kurz davor sich völlig gehen zu lassen. Er riss sich zusammen, aber litt entsetzlich und ich konnte ihm nicht beistehen, nicht in meinem Zustand.
Hätte ich mich eben im gleichen Raum aufgehalten, dann wäre ich ihm keine Hilfe gewesen. Seine Gier hätte mich mitgerissen und ich hätte wie ein Katalysator gewirkt, willensschwach und durstig wie ich war. Innerhalb kürzester Zeit hätten wir aus der Schule ein Schlachthaus gemacht.
Niemand hätte sich uns in den Weg stellen können.
Ich war bis in die Grundfesten erschüttert. Wieso hatte Edward so die Fassung verloren, ausgerechnet er?
Die Lage beruhigte sich nicht wirklich, eine Art Nachbeben folgte und er hatte nur noch einen Wunsch:
Davonlaufen _vor sich selbst!
