Kapitel 1
Die Sonne schien. Wie jeden Tag in Phoenix. Es war eigentlich nichts Neues für mich, jedoch genoss ich jeden einzelnen Sonnenstrahl, als ob es der letzte war. Und in der Tat sollte ich diese Wärme, die trockene Luft und die Dürre um mich herum eine ganze Weile nicht zu Gesicht bekommen. Meine Mutter zog inklusive unserem Hund Tosh und mir zu einem etwas anderen Fleckchen Land. Dort war weder Sonne noch Wärme keinesfalls selbstverständlich. Regen, Kälte und unglaublich viel Grünzeug waren es, was mich erwartete. Ich wusste nicht, ob ich mich auf Forks freuen sollte. Ich bin schon einige Male für ein paar Tage dagewesen, allerdings nur für einige verlängerte Wochenenden. Wer konnte schon damit rechnen, dass meine Mutter sich so sehr in dieses kleine Städtchen verliebte, dass sie gleich dorthin ziehen wollte? Natürlich hat sie mich gefragt, ob ich mit ihr zusammen umziehen würde, schließlich sei ich schon fast erwachsen und es sei mein gutes Recht, zu entscheiden, ob ich mit ihr, oder bei irgendeinem entfernten Verwandten bleiben würde. Ich war nicht sonderlich scharf auf Forks. Aber irgendwer musste ja schließlich auf meine Mutter aufpassen, wenn sie schon keinen Mann hatte.
„Bella?" Ich zuckte zusammen, als die glockenhelle Stimme meiner Mutter aus der Küche nach oben in mein Zimmer drang. „Kommst du? Das Taxi ist da!" Ich seufzte. Da war er also der Augenblick des Abschieds. Wie ich Abschiede doch hasste. Sie waren entweder übertrieben fröhlich und optimistisch, wenn man sich auf ein erneutes Wiedersehen freute, oder aber unglaublich traurig und deprimierend, wenn man sicher gehen konnte, eine geliebte Person wahrscheinlich nie wieder zu sehen. Glücklicher Weise gab es dieses Mal keine Personen von denen ich mich verabschieden musste. Unser nun vollkommen leer stehendes Haus reichte mir. Und die Sonne. Und der wolkenlose Himmel.
„Bella! Beeil dich!", quengelte meine Mutter weiter. Manchmal stellte ich mir wirklich die Frage, wer von uns beiden eigentlich die Mutter und wer die Tochter war. Ein letztes Mal schaute ich mich in meinem alten Zimmer um. Ich konnte nur hoffen, dass mein Neues mindestens genau so bequem war. Langsam trottete ich zur Zimmertür und ohne einen weiteren Blick ging ich die Treppe hinunter in den Flur, wo meine Mutter schon ungeduldig wartend mit den Fingern auf dem Treppengeländer herum trommelte. „Schön, dass Du dich auch endlich mal hier herunter begibst.", begrüßte sie mich mit genervtem Unterton. Ich sagte nichts, sondern griff mit der rechten Hand nach meinem Rucksack und mit der linken Hand Tosh's Leine. Aus den Augenwinkeln erkannte ich wie meine Mutter tadelnd den Kopf schüttelte. Ich ging an ihr vorbei, durch die Haustüre die sie mir offen hielt und marschierte geradewegs zu dem Taxi welches sie bestellt hatte. Ich stieg ein und ehe ich mich versah, befand sich meine Mutter direkt neben mir. Die Fahrt zum Flughafen verlief ruhig. Erst als wir uns im Flieger befanden, versuchte meine Mutter ein Gespräch aufzubauen.
„Bella, ich weiß, wie schwer es Dir fällt, Phoenix zu verlassen. Du musst nicht bei mir bleiben. Aber ich bitte Dich, warte wenigstens eine Woche ab." „Schon okay, Mom", sagte ich übertrieben glücklich. Mir war bewusst, was für eine miese Schauspielerin ich war. „Ich habe gesagt, ich fahre mit Dir und dabei bleibe ich auch. Ich freue mich auf Forks." Ich war überzeugt davon, dass diese Worte unter keinen Umständen glaubwürdig waren, aber sie würden reichen, um meine Mutter für den Rest des Fluges ruhig zu stellen und um ihrem Gewissen eine kleine Ruhepause zu gönnen. „Danke, Kleines.", sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich lächelte und wandte meinen Blick wieder aus dem Fenster. Ich liebte meine Mutter über alles. Sie war meine Bezugsperson, meine beste Freundin, mein Fels in der Brandung. Niemals hätte ich sie allein nach Forks gehen lassen, so sehr ich mich selbst vor diesem fremden Ort sträubte.
Die restliche Zeit verbrachte ich mit meinen Kopfhören auf den Ohren und der Musik, die ich noch in Phoenix von einer Chill out CD auf meinen Mp3 Player überspielt hatte. Die Musik erfüllte ihren Zweck mich zu beruhigen recht gut, jedoch kehrte die Nervosität bei der Landung schnell wieder zurück. Zwei weitere Stunden später befand ich mich vor unserem neuen Haus. Das Haus, in dem ich die nächsten paar Monate oder gar Jahre verbringen sollte. Je nachdem, wie schnell ich meine Mutter unter die Haube bekam.
Meine Mutter schloss die Tür auf und bat mich feierlich, mit einem kleinen Knicks hinein. „Willkommen in unserem neuen Zuhause", sagte sie äußerst schwungvoll. Wieder setzte ich irgendein Lächeln auf, von dem ich ausgehen konnte, dass es nicht besonders ehrlich war und ich betrat misstrauisch den mir unbekannten Boden. Gerade rechtzeitig übrigens, da es gerade anfing zu regnen. „Schau dich ruhig ein wenig um.", sagte meine Mutter gut gelaunt und stürmte daraufhin selbst los um sich zu vergewissern, dass noch alles so war, wie sie es von ihrem letzen Besuch in Erinnerung hatte. Ich schaute mich nicht um, sondern stapfte direkt nach oben in mein neues Reich. Wie erwartet war es recht düster, sodass ich an der Wand nach dem Lichtschalter tastete. Auf einen Schlag wurde der Raum in ein warmes Licht getaucht. Ich ließ meinen Blick schweifen. „Hallo, neues Zuhause", murmelte ich und ging einige Schritte auf das Fenster zu. Die Straße, welche vor wenigen Minuten noch relativ trocken war, verwandelte ich im Nu in einen reißenden Strom. Zu mindest kam es mir so vor. Jeder Person, die vorher in Phoenix gelebt hat, würde dieser Anblick den Eindruck eines reißenden Flusses vermitteln, da war ich mir sicher.
Plötzlich umarmten mich von hinten zwei Arme und ich hörte eine flüsternde Stimme an meinem Ohr. „Es wird Dir hier gefallen, Liebes.", flüsterte meine Mutter. Ich lehnte an sie mich an ihre Brust und atmete den vertrauten Duft ihres Parfums ein. „Ich habe übrigens etwas für Dich.", sagte sie nach einer Weile und verschwand, um dann mit einem kleinen Päckchen wieder zurück zu kehren. „Für mich?", fragte ich überrascht und hob eine Augenbraue. „Für wen denn sonst?", entgegnete sie mir und drückte mir das Päckchen in die Hand. Es war schwer. „Ein Buch?", fragte ich ungläubig und begann, das braune Papier mit dem es verpackt war, zu öffnen. Der Einband des Buches schien schon einige Jahre auf dem Buckel zu haben, die Ecken waren bereits etwas verschlissen. Mit zusammengekniffenen Augen las ich den Titel des Buches. „Twilight?", fragte ich tonlos und schaute meine Mutter an. „Ganz genau", sagte sie zustimmend und bevor ich sie fragen konnte, wie ich zu der Ehre kam, ein Buch von ihr geschenkt zu bekommen, begann sie, zu erklären, was es damit auf sich hatte. „Twilight war mein absolutes Lieblingsbuch, als ich so alt war wie du. Ich dachte mir, du möchtest vielleicht auch gerne wissen, wie du zu deinem Namen gekommen bist. Und überhaupt..." sie machte eine kurze Atempause. „Vielleicht entdeckst du ja ein paar Parallelen zu Deinem, beziehungsweise unserem Leben." Sie zwinkerte und ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ sie mich allein, mit dem Buch in der Hand zurück.
Ich schaute noch einmal auf das Buch, durchblätterte es flüchtig und legte es dann achtlos auf das Bett, welches bereits fertig bezogen vor dem anderen Fenster stand. Ich las nicht besonders viel. Eigentlich kaum und ich hasste es, wenn wir in der Schule irgendeine Lektüre besprachen, wie um alles in der Welt kam meine Mutter als dazu, mir dieses, noch dazu nicht gerade dünne Buch zu schenken?
Welch ein interessanter Start in der neuen Stadt. Regen, Kälte und noch dazu ein Buch welches ich höchstwahrscheinlich niemals zur Hand nehmen würde.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und lauschte meinem Herzschlag, der sich langsam, aber sicher wieder beruhigte. „Das wird schon, Bella", sagte ich mir selbst und versuchte dabei möglichst motiviert zu klingen. Einen Haken hatte das Ganze allerdings. Meiner Mutter konnte ich meine Zufriedenheit vielleicht vorspielen. Bei mir selbst wurde es da schon etwas schwieriger.
