Schmerz. Alles an was ich denken konnte, hatte mit diesem unsagbar schrecklichen Schmerz zu tun, den ich mich selbst zugefügt habe. Ich weiß nicht wie ich das überleben konnte. Ich verstand nicht wie ich mit diesem Schmerz weiter leben konnte. Ich fühlte nur ihn. Alles andere verblasste um mich herum. Keine fremden Gedanken drangen mehr in meinen Kopf. Außer meinen eigenen qualvollen blieb alles um mich herum still. Früher war ein andauerndes Rauschen um mich herum. Ständig. Egal ob ich es wollte oder nicht. Egal ob ich mich auf einen Gedankenstrom konzentrierte oder nicht. Mein Leben lang hatte mich dieses permanentes und penetrante Rauschen nicht in Ruhe gelassen. Egal wie es mir ging. Egal ob mich die Gedanken der anderen über die Maßen aufregten. Es hatte nie aufgehört. Es hatte mich nie allein gelassen. Noch nie. Bis jetzt.
Jetzt vermisste ich es. Ich sehnte mich geradezu danach. Ich wollte mich ablenken lassen. Mich nerven lassen von diesen banalen und bescheuerten Gedanken, die in den Köpfen der Menschen auftauchten. Sie dachten immer über dieselben stumpfsinningen Themen nach. Nie überraschten sie mich mit etwas. Sie waren immer so einfach und primitiv gewesen. Wie ich mir doch immer gewünscht habe sie endlich zum Schweigen zu bringen. Doch nicht jetzt. Jetzt hätten sie mich überfluten sollen. Jetzt hätten sie mich von mir selbst ablenken sollen.
Es geschah nicht.
Die Welt schien stehen geblieben zu sein. Alle Gedanken verstummt. Alle menschlichen Themen ausgedacht. Jeder war wie SIE geworden. Jeder erinnerte mich daran, wie grausam ich sein konnte und wie gut meine schauspielerischen Fähigkeiten waren. Ich hatte diese Fähigkeit in fast hundert Jahren perfektioniert. Kein Unsterbliches konnte in meinem Gesicht die Wahrheit lesen, wenn ich es nicht wollte. Wie sollte es dann ein Mädchen, das sich leicht von der Wahrheit ablenken lassen konnte tun.
Während ich die Worte aussprach, die mein Leben für immer in einen kompleten Scherbenhaufen verwandelten. Schrie mein Kopf ihr die Wahrheit entgegen: 'GLAUB MIR KEIN WORT! HÖR EINFACH NICHT HIN! ICH LIEBE DICH! BITTE! SAG ES EINFACH! SAG ES, DASS DU WEIßT, DAS ICH DICH AUF EWIG LIEBEN WERDE! DANN HÖRE ICH SOFORT AUF! ICH BRAUCHTE DICH DOCH! DU WARST ES DIE LICHT IN MEIN LEBEN GEBRACHT HAT! WIR GEHÖREN ZUSAMMEN AUF IMMER UND EWIG! BELLA, BITTE! WARUM SIEHST DU ES NICHT?'
Gesagt habe ich allerdings folgendes: "Ich will dich nicht. Es hat mit uns keinen Sinn. Wir sind komplett verschieden. Ich habe mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Du bist nicht gut für mich Bella. Mit dir verleugne ich nur das was ich wirklich bin und das kann ich nicht länger tun. Ich gehöre nicht in deine Welt genauso wenig wie du in meine gehörst. Wir haben in einem Traum gelebt und der ist jetzt ausgeträumt. Jetzt muss jeder wieder sein Leben leben und den Traum vergessen."
Ich konnte diesen unendlich traurigen Blick von ihr nicht länger ertragen. Es war Zeit für mich zu gehen. Jetzt. Sofort. Ich durfte nicht länger zögern. Sonst würde ich nie gehen. Doch ich wurde noch ein letztes Mal schwach und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Stirn.
Ich musste sie einfach noch ein letztes Mal berühren. Ein letztes Mal ganz nahe spüren. Ich konnte nicht anders. Ich hatte mir das erlaubt. Damit konnte ich uns beiden nicht noch mehr weh tun. Egal was ich getan hätte. Ich hatte ihr einen Moment zuvor das Herz gebrochen. Schlimmer konnte ich es also nicht machen.
Ich wusste nicht, ob sie überhaupt mitgekriegt hatte. Ihr Blick war total ausdruckslos. Keine Träne war zu sehen. Ihre Augen waren einfach... tot. Mit dieser Geste, die meine ganze Schwäche, Liebe und Lüge offenbarte versiegelte ich diese letzte gemeinsame Szene in meinen Gedanken. Sie würde mich davon abhalten jemals schwach zu werden und zurück zu kommen. Sie würde Bella ein Leben ohne Albträume und albtraumhafte Wesen bescheren. Sie würde mich für immer fern halten.
Alle Albträume würde ich mitnehmen. Alle Albträume würde ich jetzt Leben. "Pass auf dich auf!" waren die letzten Worte, die ich noch zu ihr sagen konnte. Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von einem gemeinsamen Leben mit Bella. Mit diesen Worten begann mein immer wärender Albtraum.
Ich konnte hören wie sie sich aus ihre Starre löste und mir hinterher stolperte. Am liebsten wäre ich umgedreht und hätte sie nach Hause gebracht. Sie schien total unkoordiniert herumzuirren. Doch ich riss mich zusammen.
'Sie schafft das schon.' versuchte ich mir einzureden und mich damit zu beruhigen. 'Sie ist nicht weit vom Haus entfernt. Sie konnte noch den Waldrand sehen als ich sie auf den Weg hinein geführt hatte. Ich war deswegen nicht extra tief hineingegangen.'
Ich rannte so schnell wie ich konnte nach Seattle, wo die anderen schon auf mich warteten. Wir hatten beschlossen nach New Jersey zu fliegen. Natürlich waren die anderen nicht gerade begeistert vor allem Rosalie hätte mich am liebsten erwürgt.
"Ich hab es doch von Anfang an gesagt, das wir alle darunter leiden würden, wenn das mit Bella nicht funktioniert. Und jetzt haben wir den Salat. Es war doch klar, dass das niemals hätte gut gehen können." Ihre Gedanken schrien noch lauter als ihre Worte. Sie waren voller Wut. Ich hatte ihnen in der selben Nacht von Bella's Geburtstag meinen Entschluß mitgeteilt.
"Rose, beruhig dich wieder. Was würdest du davon halten, wenn wir die Gelegenheit nutzen und in die Flitterwochen zusammen fahren. Machen wir einfach das Beste draus." Emmett konnte sich das Geschrei einfach nicht mehr anhören. In seinen Gedanken sagte er zu mir: 'Sorry Mann, aber ich glaub ich muss sie erstmal wieder zur Vernunft bringen und das geht am Besten, wenn wir uns weit weg befinden.'
Ich verstand ihn vollkommen. Ich hätte Rosalie sowieso nicht in meiner Nähe ertragen. Eigentlich konnte ich niemanden mehr in meiner Nähe ertragen. Doch Carlisle beschloss die Familie so gut wie möglich beieinander zu behalten. Er hätte nie zugelassen, dass unsere Familie auseinander fiel. Nur seiner großartigen Überredungskunst war es zu verdanken, dass ich mit Esme, Alice, Jasper und ihm zusammen nach New Jersey zog. Ich wäre wohl ans andere Ende der Welt gezogen und mich irgendwo in einer Höhle verkrochen, bis ich gelernt hatte mit dem Schmerz und der Leere in mir umzugehen.
Doch auch das ließ Carlisle nicht zu. "Du kannst dich genauso gut in New Jersey verkriechen, das kommt auf das Gleiche hinaus. Und da wohnen wir wenigstens etwas komfortabler als in einer Höhle und mit dem Umziehen dahin klappt es dahin auch um einiges leichter. Es würde sehr lange dauern, bis Esme eine passende Höhle gefunden hätte." Carlisle versuchte es damit etwas mit Humor zu sehen. Hinter dieser Fassade merkte ich wie sehr ihn das selbst mitnahm. Er hatte nie geglaubt, dass diese Liebesgeschichte so enden würde. 'Er war schon vorher total verschlossen. Bella hatte ihn etwas aufleben und offen werden lassen. Wie soll es nur jetzt mit ihm weiter gehen.' konnte ich in seinen Gedanken aufschnappen. Ich ließ es mir nicht anmerken, doch ich vermutete er wusste, dass ich es gehört hatte.
Erst als ich am Seattle Airport ankam bemerkte ich die erdrückende Stille. Keiner sprach ein Wort. Doch nicht nur das. Keinen Gedanken konnte ich hören. Weder die meiner Familie noch die der ankommenden und abreisenden Passagiere. Selbst der Gesprächslärm war in meinen Ohren verstummt. Unser Flug dauerte annähernd sechs Stunden. Ich bemerkte es nicht. Ich nahm auch nicht war als wir in einen Wagen stiegen und in unser neues Haus fuhren. Ich bemerkte nur das ich irgendwann mal alleine in einem Zimmer stand und durch die Fensterwand irgendwo hin starrte.
Was ich anstarrte konnte ich nicht erkennen. Die Farben verschwommen vor meinen Augen. Alles um mich herum war unscharf und konturenlos. Ich dachte an überhaupt nichts. Mein Kopf war vollkommen leer. Ich sah nur SIE wirklich klar und scharf vor mir und dieser Anblick lämte mich für mehrere Monate.
