bin mir zwar n bissl unsicher, aber ich hoff, dass es trotzdem gut ankommt.
Habt ihr euch jemals gefragt 'was wenn?"... sicher, denn das jeder schon einmal. 'was wenn?' das ist die Frage, die ich mir täglich stelle seitdem ich hier bin. Die Wände sind rau, kalt, leer, so leer wie mein Inneres. Sollte jemand behaupten, es sei leicht allein zu sein, dann ist diese Person nichts weiter als ein Lügner. Alles um mich herum verblasst, von Tag zu Tag erscheinen mir die schrillsten Farben immer mehr zu einem unerbittlichen Grauton zu werden, doch ändern, kann ich's nicht. Mein Team hat mich zurückgelassen, ich sei zu schwach, zu zerbrechlich. Hätten die gesehen, was mir nicht erspart wurde, da draußen, dann wären die Alle n Fall für die Klapse gewesen. Nachts höre ich das Scharren an den verriegelten Türen und Fenstern und Tagsüber, wage ich mich nur raus, wenn es unbedingt sein muss. Gelandet bin ich in der Hölle auf Erden. Mitten Im Wald, umgeben von... diesen Viehchern. Selbst bei meiner Ausbildung wurde ich auf eine solche Situation nicht vorbeireitet und ich wurde auf so ziemlich alles vorbereitet. Terroristenanschläge, Gefangennahmen von Geiseln aber auch meiner eigenen Person, Überleben in der Wildnis, Kriegssituationen. Ich könnte zehn Menschen töten, ohne dass sie einen Hauch einer Chance hätten... Menschen, genau da liegt das Problem. Das da draußen sind keine Menschen. Ich lass mich auf der alten Matratze nieder und kratze mit meinem Messer einen weiteren Strich in den Beton, der mir als Wand dient. 49 Tage, das sind sieben Wochen, einen Monat und drei Wochen oder 1176 Stunden plus minus die Minuten, die ich nicht zählen kann. Sie sagten, sie würden mich nach spätestens zwei Wochen holen. Wie man unschwer erkennen kann, ist niemand aufgetaucht, doch ich warte. Sollte die Möglichkeit bestehen, dass noch jemand da draußen ist, dann wird er mich hier aufsuchen. Wie weit es sich wohl schon ausgebreitet hat? Ist es überhaupt etwas, was sich ausbreiten kann? Egal was noch auf mich zukommt... Dieses Mal bin ich Vorbeireitet. Jedes Lager ist begrenzt, so auch meines, deshalb hab ich mir gleich zwei angelegt. Das Gebäude oder eher der Betonklotz muss hier schon seit Jahrzehnten verweilen, ein Stützpunkt unserer Einheit. Es gibt ein Erd- und ein Untergeschoss. Den modrigen Keller hab ich umfunktioniert als Bunker, für den Fall der Fälle, dort unten werden mindestens 3 Menschen für locker 20 Jahre leben können, meinen Berechnungen nach zumindest. Der Wohnraum in dem ich mich derzeit befinde ist zwar trostlos aber abgesichert. In Krisenzeiten hat Ästhetik nichts zu suchen. Die Küche oder besser ausgedrückt, das was einer Küche nahe kommt ist ebenfalls mit ausreichend Lebensmitteln ausgestattet, ich werde leben so lange ich leben soll, dafür ist gesorgt. Ich starre auf den letzten Strich den ich eingeritzt hab, noch einer und ich bin 50 Tage hier. 50 Tage in völliger Isolation, das bedeutet, dass ich langsam verrückt werden müsste, wenn ich es nicht schon lange bin. „Was wenn, ich einen anderen Weg gewählt hätte" Der klang meiner eigenen Stimme versetzt meinen Körper in einen verkrampften Zustand. Menschliche Stimmen, daran werde ich mich wieder gewöhnen müssen, sollte ich jemals wieder eine andere, als die Meine zu hören bekommen. Angenommen, der Rest des Teams endete genauso wie Jerry, der Kerl der vor meinen Augen zerfleischt wurde, wer würde so blöd sein und mitten ins Nichts kommen? Die Klügsten vermutlich... Zivilisation, genau das muss man vermeiden, wenn man nicht als Zwischenmahlzeit seiner eigenen Nachbarn enden will. Alles reine Spekulation, ich könnte auch völlig Falsch liegen, aber... was wenn ich Recht hab? Das Dumme daran ist, dass ich hinterher niemandem vorhalten kann 'ich hab's dir ja gesagt', im Besten Fall das mit einer herausgestreckten Zunge und einem dämlichen Grinsen im Gesicht, denn ich hab's niemandem sagen können. Meine Kollegen zähl ich einfach mal nicht dazu, denn die... werden wohl kaum noch atmen. Der einzige Lichtstrahl, der ins Zimmer fällt, landet auf der Türschwelle zum 'Badezimmer', Zeit zum Duschen. Meine nackten Füße kommen in Kontakt mit dem kalten Boden, doch die Kälte stört mich nicht mehr, sie lässt mich wissen, dass ich noch nicht unter der Erde liege. Klein, einengend, mein momentanes Bad beschrieben in zwei Worten. Eine winzige Eckdusche, ne gewöhnliche Toilette und ein Spiegel über dem, was ursprünglich mal ein Waschbecken darstellte. Fließendes Wasser gibt's nur noch aus dem Duschkopf und der Klospülung , nein, ich putze mir die Zähne NICHT mit Klowasser. Ich habe einen geregelten Tagesablauf, Struktur, das ist es, was einem hilft nicht vollkommen durchzudrehen. Aufstehen, essen, Strich, duschen, Zähne putzen, lesen, workout, essen, sicherstellen, dass alles noch gut verriegelt ist, tun was immer mir einfällt, dann wieder essen, Zähne putzen, Notizen machen und schlafen. Das ist alles was ich mache und das mit einer Ausbildung, mit der ich ALLES hätte machen können, stattdessen hocke ich hier rum und lasse meine Talente und Fähigkeiten verkümmern, aus Angst raus zu gehen und in weniger als zwei Sekunden von irgendwelchen mit Schorf und Dreck bedeckten Wesen verspeist zu werden. Vielleicht werde ich es bald in Betracht ziehen, freiwillig zu sterben, aber bis es so weit ist... bleibt meine Waffe wo sie ist.
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Tag 55. Verliere die Geduld und die Lust.
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Tag 59. Heute Nacht hab ich ein Wimmern gehört. Es hörte sich so... echt an, so menschlich, also wagte ich es raus zu gehen um... nichts zu finden. Nichts außer einer dieser... was auch immer sie sind. Es sah aus wie ein Tier, es kroch auf allen Vieren, hatte weder Hände noch Füße, sondern Klauen. Ein weit aufgerissenes Maul, mit einem Gebiss, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte, ein menschlicher Kiefer mit Zähnen eines Hais. Gelbe Raubtieraugen und eine Haut so bleich, dass man die feinsten Adern sehen konnte. So schnell, wie in dieser Nacht hatte ich eine Tür noch nie erreicht und hinter mir verschlossen. Mein Herz hämmert immer noch wie wild bei dem Bild, welches sich in meinem Kopf so fest verankert hat, dass mein geistiges Auge es mir immer wieder vorführt.
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Tag 61. Die übliche Routine, bis auf eine Sache. Ich konnte den Anblick meiner langen blonden Haare nicht mehr ertragen also hab ich mir ne schicke Kurzhaarfrisur zugelegt. Dabei ist mir aufgefallen, dass das strahlende Blau meiner Augen nichts weiter mehr ist als ein Blau-grauer Schleier. Ob meine Seele wohl langsam aber sicher stirbt? Denke schon, wäre möglich.
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Ein weiterer Strich ziert meine Wand. 62 Tage. Ich spreche immer häufiger mit mir selbst, doch meine eigene Stimme ist mir Fremd. Drehen, drehen, ich drehe mich im Kreis, weiß weder ein noch aus. Wenn ich doch nur ein Zeichen bekäme, dass alles in Ordnung ist. Tagtäglich die selbe Tortour, tagtäglich die gleiche unzulängliche Hoffnung. Der Alkohol, der bisher alles erträglicher machte wird rar. 62 Tage und niemand in Sicht. Langsam aber Sicher denke ich, ich bin vollkommen allein. Ironischer Weise würde das meinem Teenie-Ich gefallen. Immer, ständig war ich auf mich allein gestellt. Mum pflegte zu sagen „Naomi, Liebling, geh raus, hab Spaß, du könntest so viele Freunde haben" und ich... ich gab ihr jedes Mal die Antwort, die sie eigentlich nicht hören wollte „Gina, wenn die Anderen mich wollen würden, dann würden sie was sagen" dann wartete ich kurz ab und fuhr fort „außerdem, bin ich besser dran, wenn ich mich auf mich konzentriere, ich brauche niemanden und ich WILL auch niemanden". Man sollte vorsichtig mit seinen Wünschen umgehen, sie könnten wahr werden. Diese scheiß Viehcher sind da draußen, im Wald und ich bin gefangen in meinem eigenen Gefängnis. Heute breche ich eine meiner eigenen Regeln, ich bin müde, müde in jeder möglichen Form. Es ist Nachmittag, der Lichtstrahl trifft die erste Ecke meiner Matratze, ich leg mich hin und... lass mich gehen.
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Ein Knall lässt mich mich mitten in der Nacht hochschrecken. Ein zweiter Knall ertönt und ich weiß, es sind Schüsse, abgefeuert aus einer gewöhnlichen neun Millimeter. Ich streiche meine blonden Haare ausm Gesicht, lausche dem Ungewissen. Schritte, schnelle, hektische Schritte. Ein Trommeln, jemand trommelt gegen meine Tür mit voller Wucht „HALLO?" Für einige Sekunden bin ich starr vor Schreck, es ist die erste menschliche Stimme, eine richtige Stimme, die ich seit langem gehört hab. Zögernd steh ich auf, sie macht sich auf ein Neues bemerkbar „Hallo? Fuck... BITTE!" sie hört sich heiser an. Etwas in mir zwingt mich in Windeseile zur Tür, ich öffne sie. Jemand dringt in mein Revier ein, eine kleine Rothaarige mit einer Brünette, die an ihr hängt. Beide stolpern geradewegs in den winzigen Wohnraum. Rein Instinktiv lass ich mich gegen die Holztüre fallen, bis sie fest verschlossen und verriegelt ist. Sie sieht mich an, ihre Reh-artigen Augen starren direkt in meine mittlerweile verblassten blauen. Das erste Mal seit genau 62 Tagen und ein paar zerquetschten Stunden, fühle ich wieder etwas außer Einsamkeit, Angst und Ungewissheit.
