Meine erste öffentliche Fiction :)

Für S., der mich auslachen würde, könnte er sie noch lesen.

Disclaimer: Die Charaktere und ihre Welt gehören mir nicht, ich habe sie nur geliehen.

Die Möglichkeit der Bewegung

Eine Geschichte aus dem „Versus die Prophezeihung"-Kontext

von Raona

Eins: Lähmung

Die Sonne auf seinem Gesicht, er spürt sie, verirrte Strahlen haben ihn wohl gestreift, ohne es wirklich zu wollen. Ein seltsam willkommenes Gefühl; sogar die Schmerzen, die seinen Körper durchdringen, hat die plötzliche Wärme ein Stück zurückgetrieben, so scheint es. Keine Lust, weiter darüber nachzudenken – es hat sich etwas gebessert, das reicht doch, oder? Also war es die richtige Entscheidung, zurückzugehen, zu fliehen kann man es nennen, nicht einmal nur uneigennützig, wie eigentlich geplant. Aber bis wohin bin ich eigentlich zurückgegangen? Ich müßte gerade den halben Weg bis Hogwarts zurückgelegt haben. Warum bin ich eigentlich nicht einfach appariert? Die Schmerzen. Ach ja. Deine Gedanken schwirren in die falsche Richtung, Malfoy. Gerade doch ging es noch um die Sonne auf deinem Gesicht und um die gute Entscheidung. Also, schweif nicht in die nahe Vergangenheit ab. Jetzt ist es besser. Mach die Augen auf. Du mußt weiter.

Und er bemüht sich, seinem eigenen Befehl zu folgen und ins Licht zu blicken. Er bemüht sich redlich. So geschwächt kann er schließlich wirklich nicht sein. Komm schon, ermuntert er sich selbst. Doch es hilft nicht. Er kann seine Lider nicht einen Millimeter bewegen. Angst durchströmt ihn. Ist das nicht eine der Erfahrungen, denen er zu entkommen versucht hat, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren? Beruhig dich, du hast nicht die Kontrolle verloren. Wahrscheinlich ist es nur die Müdigkeit oder besser knochentiefe Erschöpfung, die dich lähmt. Tief durchatmen. Deine Brust hebt sich und senkt sich, hebt sich und senkt sich im Rhythmus des Atems. Warte. Ich kann meine Brust nicht im mindesten so heben, wie ich vorhatte. Ich kann mich nicht bewegen. Keine Beschönigungen mehr möglich, ja? Er überprüft die Hypothese, verzweifelt. Hände, Arme unbeweglich. Beine, Füße gelähmt. Er spürt den harten Untergrund, auf dem er liegt, aber nichts, nichts kann er gegen die unbequeme Lage tun. Falls sein Zauberstab sich, höchst unwahrscheinlich, noch in der Hosentasche befindet, dann spielt das keine Rolle. Er könnte ebensogut am Grund des Ozeans liegen, so unerreichbar ist er. Petrificus Totalus also, der ultimative Zauberspruch, um jemanden gefangenzusetzen.

Klar ist, denkt Draco, während er so gut wie irgend möglich versucht, sich vom Verrücktwerden abzuhalten, daß es mir wenig bringt, meine Situation zu analysieren, es hat nie viel gefruchtet, die Dinge sind immer trotzdem passiert, aber irgendetwas muß ich mit meinen Gedanken tun, nicht daran denken, daß ich wieder zurück bin, daß alles sinnlos war, daß – nein! Laß es! Petrificus Totalus. Wer nutzt ihn? Gibt es nicht doch einen Gegenzauber? Wann haben sie mich überhaupt erwischt, ich kann mich nicht erinnern, von einem Fluch getroffen worden zu sein. In welchem Buch...? Ich kannte sie alle fast auswendig, zumindest die mit den effektiven Flüchen, aber gerade jetzt kann ich mich an keinen einzigen Buchtitel erinnern. Was werden sie wohl mit mir vorhaben? Wenn nur mein Herz nicht so schnell klopfen würde. Wenn ich nur sprechen könnte. Ich würde nicht mehr so sprachlos sein wie vor vier Monaten, Dumbledore gegenüber auf dem Astronomieturm. Oh verflucht. Kein guter Gedanke. Nichts von Dumbledore, nicht jetzt. Ich will alles, nur nicht weinen. Ich will wenigstens wie ein Erwachsener sterben, da ich offensichtlich nicht wie ein Erwachsener töten konnte. Oder wollte? Meine Gedanken rasen so. Wenn ich jetzt die Augen öffnen könnte, würde ich nichts sehen, alles würde flimmern. Immer verliere ich den Mut, ja, aber war das nicht –

Draco. Reiß dich zusammen. Sicher sind Leute hier, auch wenn sie nicht zu hören sind, und sie sehen, wie du reagierst. Was du spürst ist simple Panik. Laß dich nicht von ihr beherrschen.

Zu spät, du besserwisserische innere Stimme. Da ist etwas Feuchtes in meinen Augen, und ich kann es nicht wegblinzeln, keine Chance. Ich habe also versagt, auf ganzer Linie und in der letzten aller Aufgaben, der, die ich mir selbst gesetzt habe: finde den Orden des Phönix und biete deine Hilfe an. Oder alternativ: stirb mit Stolz.

Es war schon immer unrealistisch zu glauben, daß ich es schaffe.

Schritte sind zu hören, langsam, beinahe zögerlich. Draco wappnet sich gegen das, was kommen mag, auch wenn er nicht glaubt, daß das Wappnen je einen Effekt hatte. Das unruhige Atmen einer Person neben ihm. Er glaubt, das leise, sirrende Geräusch wahrzunehmen, das ein Zauberstab in Gebrauch macht.

„Finite Incantatem."

Verwirrt blinzelt Draco und wundert sich, daß er es noch kann. Die Lähmung ist von seinen Gliedern abgefallen, und er genießt zwei wirklich tiefe Atemzüge, bevor er sehr langsam und überaus vorsichtig die Augen einen Spalt weit öffnet.

Was er sieht, ist nicht exakt das, was er erwartet hat, es sei denn, man würde einen ängstlich-aufmerksamen Neville Longbottom, der seinen Zauberstab auf seinen alten Feind gerichtet hat, zum tödlich erzürnten Todesser erklären. Und Neville sieht nicht einmal wütend aus. Den Ausdruck in seinem Gesicht kann Draco nicht klar zuordnen, aber es spielt auch keine besonders große Rolle.

„Longbottom! Was zur Hölle soll das hier sein?" faucht Draco.

Sicher ist es am besten, auf gewohnte Verhaltensweisen zurückzugreifen, nichtwahr? Nicht, daß mir irgendwelche anderen zu Verfügung stehen würden. Wie verhält sich ein siebzehnjähriger Todesser im Angesicht eines... sagen wir, potentiellen Störfaktors? Bekannt. Wie verhält sich ein Möchtegern-Überläufer, der so unglaublich erleichtert ist, NICHT seinen Todesser-Freunden gegenüberzustehen? Und der immer noch beweisen muß, das es irgendeinen winzigen Grund geben könnte, ihm zu vertrauen, während es keinen gibt. Und das nur zwei mögliche Rollen, die ich spielen könnte, alle irgendwie real und sehr fremd. Lieber so tun, als sei alles wie früher.

Neville schluckt, aber der Zauberstab in seiner Hand zittert nicht. Wann hat der kleine Gryffindor gelernt, so geistesgegenwärtig zu sein?

„Longbottom! Lebst du noch?" Er läßt seine Stimme so gifttriefend klingen wie nur möglich.

„Malfoy. Ich wollte dir nur was zu trinken und zu essen vorbeibringen, es steht da drüben. Ich bin nicht der einzige, der im Moment seinen Zauberstab auf dich richtet, also versuch nichts. Und deinen Zauberstab brauchst du nicht zu suchen, er ist nicht hier."

Kaum mehr als ein sehr kurzes Zittern ist aus seiner Stimme zu hören. Nachdem er gesprochen hat, geht er einige Schritte zurück, macht aber noch keine Anstalten, sich zu entfernen. Er wartet wohl auf eine Reaktion?

Draco richtet sich vorsichtig auf und unterdrückt ein Stöhnen. Unbewegliches Herumliegen ist nicht unbedingt die beste Behandlung für diese Art von Schmerzen, aber nichtsdestotrotz sind sie am Abklingen, nur noch eine Erinnerung an die eigentliche Erfahrung.

Er sieht sich um. Tatsächlich, das Sonnenlicht ist keine Einbildung gewesen. Von rechts oben fallen einige Strahlen in den Raum, in dem er sich befindet, durch das kleine Fenster am schmuddligen alten Vorhang vorbei. Der Raum muß sich in einer Art alten Hütte befinden, sicher gewöhnlich unbewohnt; der weiße Wandverputz ist abgeblättert, die Decke fleckig wie von Feuchtigkeit. Holzboden, auf dem er gelegen hat, eine zusammengerollte Robe als Kissen. Nur das eine Fenster läßt noch Licht durch, auch wenn Glasscheiben fehlen, das andere, hinter ihm, scheint schon vor längerer Zeit zugenagelt worden zu sein, die Nägel haben Rost angesetzt, ebenso wie die Angeln der Holztür gegenüber des vernagelten Fensterlochs, die vielleicht nach draußen, wahrscheinlicher in einen anderen Raum führt. Ein Muggelhaus. Halbwegs sauber immerhin, was man von den magischen Zwischenmietern wohl auch erwarten kann. Neben Draco auf dem Boden – wo auch sonst, denkt er, da es keine Möbel gibt – stehen ein Becher, der wohl Wasser enthält, eine Tonflasche und ein Teller mit Käsebrot.

Neville hat das Zimmer noch immer nicht verlassen. Eine andere Person ist nicht zu sehen, trotz der Behauptung des jungen Zauberers. Allerdings gibt es ein michglasiges Fenster in der Tür, durch das durchaus jemand zielen könnte, ganz so hell ist es doch wieder nicht, man kann nicht alles genau sehen.

Draco beschließt, den anderen Jungen zu ignorieren. Beleidigungen zu schleudern wäre anstrengend und sinnlos außerdem. Was zählt jetzt noch ein Image? Das Wasser sieht viel interessanter aus. Er greift nach dem Becher. Warte. Vergiftet vielleicht? Immerhin bin ich ihr Feind. Sie dürften wütend genug auf alle Todesser sein nach Snapes Verrat. Er wirft einen kurzen Blick zu Neville, doch der reagiert nicht. Er steht einfach da und sieht etwas unbehaglich aus. Mmm. Vergiften wäre nicht sehr gryffindorhaft, nicht wahr? Selbst wenn. Früher oder später muß ich etwas zu mir nehmen. Warum nicht jetzt? Seine Kehle fühlt sich trocken an, staubtrocken. Wann hat er das letztemal etwas getrunken? Keine Ahnung. Er kostet. Wasser, ohne Nebengeschmack, beschworenes Wasser. Es fühlt sich gut an. Sicher ungefährlich. Ja, sicher. Er trinkt, ißt etwas von dem Brot. Einige ruhige, lange Minuten gehen ihm keine wirren Gedanken durch den Kopf, er konzentriert sich nur auf das elementare Erlebnis des Nahrungaufnehmens. Und wenn sie ihn beobachten. Es spielt keine Rolle. Was eine Rolle spielt, ist daß er lebt, gerade jetzt, in diesem Moment, und daß er in der Lage ist, dieses Jetzt zu genießen, die Sonne, die höher gestiegen ist und nun die Wand über ihm beleuchtet, sehen zu können, den Geschmack der Lebensmittel, die er früher sicher verschmäht hätte, auf seiner Zunge, die Kühle des Wassers, das seine Kehle hinunterrinnt, den vergleichsweise winzigen Rest des schmerzhaften Stechens in seinen Gliedern, wie es abklingt, die Müdigkeit, die ihn so plötzlich überfällt, zu plötzlich, um Furcht in ihm heraufbeschwören zu können.

Er tastet sich zurück zu dem mehr als improvisierten Lager, auf dem er vorhin erwacht ist. Neville steht noch immer in der Ecke neben der Tür, ein seltsam geformter Schatten, jetzt bewegt er sich, schiebt sich durch den Türspalt nach draußen, wo schemenhaft eine zweite Gestalt zu erkennen ist.

Draco läßt sich zurücksinken. Er fühlt sich schwer, aber ruhig. Selbst wenn etwas in dem Essen war, denkt er, seine Gedanken fließen träge, selbst wenn, alles ist ruhig, ich habe keine Angst mehr, das dürfte es wert sein.

Er schläft ein, tief, fest, scheinbar ohne wirre Träume.