Erebor 3022 - 1: Cursebearer – Die letzten Schatten Morguls

Von summerald – übersetzt aus dem Englischen von jessie152


Disclaimer: ''Der Hobbit'' und ''Der Herr der Ringe'' als auch sämtliche Figuren darin sind Eigentum von Tolkien Estate und Wingnut Films. Diese Geschichten dienen ausschließlich der Unterhaltung und weder der Autor noch der Übersetzer profitieren in irgend einer Weise davon oder erheben irgendwelche Ansprüche auf ''Der Hobbit'' oder ''Der Herr der Ringe''.


Vorwort des Übersetzers:

Dies also ist der Auftakt zu Summer's Erebor 3022 Post LOTR AU. Ihre Serie umfasst 6 Geschichten und ist im Englischen veröffentlicht auf ihrem Account ''summerald''.

Ein jeder, dem es schon zu traurig war wie Prof. Tolkien im ''Hobbit'' die Blutlinie Durins während der Schlacht der fünf Heere auslöschte und dem auch die Filmadaption, um es höflich auszudrücken, nicht wirklich besser gefallen hat (ich weiß, es gibt auch andere Meinungen), der wird sich in Summer's Universum ausgesprochen wohl fühlen. Mir persönlich haben die Filmversionen ziemlich zugesetzt, speziell das Schicksal von Fíli und Kíli, und dass obwohl ich mir den dritten Teil im Kino erst gar nicht angetan habe. Meiner Ansicht nach ist Summers Universum tröstlich und macht das alles wieder gut, ohne die Helden ständig in Watte zu packen. Es ist ausgezeichnet recherchiert und verbindet Elemente des Originalkanons mit solchen aus der Filmadaption, die als gelungen anzusehen sind. Es ist spannend und voller Action, aber auch mal witzig und romantisch, ohne dabei zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Als ich Summer vor einiger Zeit schrieb, wie sehr mir ihre Serie gegen den BoFa Stress geholfen hat und dass ich die Geschichten deshalb gerne ins Deutsche übersetzen würde, war sie begeistert. Und hier sind wir nun, in einem der für meine Begriffe gelungensten Fan-Universen, welches den Söhnen von Dís das Leben und den Platz in Mittelerde gibt, den sie verdient haben, und der ihnen gemäß ihrer Geburt zusteht (und den sie in den Herzen ihrer Fans immer haben).

Schaut auch mal auf unsere jeweiligen Accounts und Geschichten unter summerald und jessie152. Kommentare und PNs, egal in welcher Sprache, sind jederzeit willkommen.

Danke fürs Lesen, Mahals Segen und viel Spaß! - Jessie


Kapitel 1

Kíli, Bruder des Königs von Erebor, sah die Ork-Pfeile die aus den Bäumen südlich von Erebors westlichem Vorposten aus sie zuschossen vor allen anderen.

Er hob seinen Bogen und feuerte. Mit einem zischenden Geräusch verließ der Pfeil die Sehne und traf blitzschnell sein Ziel. Nur wenige Augenblicke später stürzte eine dürre Gestalt in einem zerlumpten Umhang aus einer der Baumkronen und prallte mit einem dumpfen Knall auf den Waldboden. Drei andere Zwerge der Erebor-Wache ließen ihre Bogen sprechen. Einige erstickte Schreie, und mehr dieser hinterhältigen Wegelagerer kippten leblos aus den Bäumen.

''Schilde hoch!'' schrie Kíli seinen Truppen zu und sandte einen weiteren Pfeil in Richtung der Angreifer. Ein Stück voraus auf der Straße bemerkte ein Trupp reisender Zwerge das Getümmel. Sie rückten rasch zusammen und hielten ihre Äxte bereit.

Doch der Angriff war ebenso schnell vorüber wie er begonnen hatte. Fünf magere Goblins lagen tot auf dem vereisten Boden. Keine weiteren Pfeile wurden verschossen.

Kíli stürmte voran, hinter ihm sein junger Leutnant mit einem Pfeil auf der Sehne und entschlossen, seinen Prinz um jeden Preis zu verteidigen. Einige Soldaten der Wache Erebors schwärmten aus, um nach mehr verborgenen Bogenschützen in den Bäumen zu suchen.

''Einfacher gemeiner Goblin,'' murmelte Kíli verächtlich zu sich selbst. Er hatte die erste am Boden liegende Gestalt erreicht und sie mit seinem Stiefel auf den Rücken gewälzt, um einen Blick auf das missgebildete Gesicht der Kreatur zu werfen.

Einer der reisenden Zwerge kam näher. Seine Axt kampfbereit in seinen Händen blickte er prüfend auf die Straße und die umstehenden Bäume.

''Spindeldürr und unterernährt,'' stellte er mit einem abfälligen Blick auf den Goblin fest. ''Sind da noch mehr?''

Kíli warf einen abschätzenden Blick auf den Neuankömmling. Seine blonden Haarflechten kennzeichneten ihn eindeutig als Feuerbart. ''Wenn da noch mehr waren,'' sagte Kíli, ''dann haben sie sich jetzt längst zerstreut.'' Kíli richtete den Blick zum Himmel. Ein Trio Raben schoss über ihren Köpfen vorbei. Die Vögel gaben keinen Laut von sich, was ihm sagte, dass die Gefahr vorüber war.

Der Neuankömmling, gekleidet in traditionellem Blau der Ered Luin, sah den Raben nach und nickte kurz, als er schließlich den Heerführer erkannte, den er vor sich hatte. Er verbeugte sich: ''Brunsder von den Ered Luin. Zu Euren Diensten.''

Kíli erwiderte die Verbeugung, Hand auf dem Herzen. ''Kíli, Prinz von Erebor, zu den Euren.''

Brunsder nickte erneut. ''Ich dachte mir, dass Ihr es seit. Mahals Segen, Junge,'' er streckte die Hand nach Kíli aus und die beiden begrüßten sie nach Soldatenart, ein jeder die Hand auf des anderen Schulter. ''Wir sind wirklich froh, Euch zu sehen. Der Krieg mag vorbei sein und Der Eine Ring zerstört. Aber es sind immer noch jede Menge Straßenräuber unterwegs. ''Sogar,'' er deutete mit einem angewiderten Seitenblick auf die toten Goblins, ''so nah am Erebor''.

''Ganz besonders so nahe,'' stimmt Kíli zu und blickte finster auf die Gestalten am Boden. ''Sie sind nicht mehr genügend organisiert, um einen ernsten Angriff zu führen, aber es gibt weit mehr als nur eines ihrer dreckigen Verstecke im nördlichen Düsterwald… wir vertreiben sie aus den Ländern Erebors, aber sie verstecken sich auf Elbischem Territorium und es ist uns verwehrt, ihnen dort hin zu folgen. Wir brauchen dringend das neue Abkommen mit Gondor.''

''Stimmt,'' antwortete Brunsder. Dieses Abkommen zu beschließen war letztlich der Grund, weshalb er gekommen war – er sowie Abgesandte aller Sieben Königreiche der Zwerge. ''Aber nicht alle unter uns ist davon überzeugt, fürchte ich. Wir haben Gerüchte gehört, dass es Streitigkeiten gibt…''

''Ja,'' bestätigte Kíli. Aber wir sind nicht so weit gekommen, nur um jetzt einfach aufzugeben. Kíli wandte sich um und begleitete Brunsder zurück zum Weg.

''Sind wir nicht, in der Tat,'' Brunsder war derselben Ansicht. ''Wie geht es Eurem Bruder? Neuigkeiten erreichen uns in den Blauen Bergen nur sehr langsam. Als wir von den Verlusten in der letzten Schlacht hörten... zwei Könige gefallen am Haupttor... wir fürchteten um Fíli. Um Euch beide.''

''Fili ist wohl wie immer,'' bestätigte Kíli. Die schwere Verwundung seines Bruders erwähnte er vorsichtshalber nicht. Ebenso wenig, dass Fíli nur knapp überlebt hatte. ''Unsere Verluste waren jedoch wahrhaft entsetzlich,'' räumte er ein. ''Brand von Thal. Unser Cousin Dain von den Eisenbergen…'' Kíli legte zu Ehren von Cousin Dain seine Faust auf sein Herz.

''Möge er in Ehren ruhen in Aüles Hallen.'' Brunsders Stimme war gemessen und sein Gesicht voller Trauer, als er Kíli ansah. Dann beugte er sich näher und fügte er leise hinzu: ''Nehmt Euch in Acht, Junge. Irgendjemand innerhalb den Sieben Familien ist fest entschlossen, die Konklave zu stören und das Abkommen zu verhindern.''

''Und wer würde das sein?'' Kíli's Gesicht war ausdruckslos. Er hatte dasselbe Gerede gehört und hoffte inständig, dass die Feuerbärte vom Ered Luin nichts damit zu tun hatten.

''Keine Ahnung.'' Mit dieser Bemerkung stieg Brunsder auf sein Pony und winkte seine Gruppe von Reisenden voran. Er warf Kíli einen letzten Blick zu und sein zerfurchtes Gesicht war erneut traurig und voller Bedauern. ''Ich wünschte, ich wüsste es.''

Kíli konnte nur nicken. Ered Luin war zu abgelegen und es war unwahrscheinlich, dass die Verschwörer sich dort versteckt hatten. Er war geneigt, Brunsder beim Wort zu nehmen.

''Wir folgen Euch,'' rief Kíli ihm zu während er zur Seite trat um die Gruppe passieren zu lassen. ''Wir halten euch den Rücken frei von diesem Pack.'' Im selben Moment wurde seine Aufmerksamkeit vom lauten Ruf eines Raben abgelenkt und er schaute nach oben. Der große, schwarz schillernde Vogel flog auf ihn zu, schlug mit den Flügeln und setzte zur Landung an. Rasch hielt Kíli einen Arm für den Raben hoch. ''Berichte dem König, dass Ered Luin gekommen ist,'' sagte Kíli zu ihm. Der gefiederte Bote gab ein einzelnes kehliges Geräusch von sich, zupfte am Ärmel von Kílis Mantel, schwang sich dann in die Luft und flog davon.

Kíli wartete am Wegesrand und blieb wachsam, als die lange Reihe von Reisenden an ihm vorüber zog. Die letzten Herbstblätter rieselten von den Bäumen und morgendliches Gewölk verbarg die Sonne. Des Nachts hatte es Frost gegeben, doch der Pfad war trocken und die Hufe der Ponys fanden guten Halt. Die Karawane aus Ered Luin war eine weitaus größere Gruppe als Kíli es vermutet hatte. Vielleicht fünfzig Zwerge insgesamt. Fíli würde sehr erleichtert sein zu hören, dass sie endlich eingetroffen waren. Die Abgesandten aus den Blauen Bergen waren einige Tage überfällig und man hatte begonnen, sich zu sorgen – zumindest bis die Raben am Morgen zuvor Alarm geschlagen hatten und von einer Karawane am Rande des Düsterwaldes berichteten.

So war Kíli an diesem Morgen aufgebrochen, um ihnen entgegen zu reiten.

''Sie reisen wahrlich gut bewaffnet.'' Bemerkte Kíli anerkennend zu Skirfir, seinem jungen Leutnant der Bogenschützen, als dieser sein Pony neben ihn lenkte – ausnahmslos jeder Zwerg in der ankommenden Gruppe trug Waffen – von Schwertern und Äxten bis zu Bögen und langen Messern.

''Aye,'' Skirfir nickte zustimmend. Dann bemerkte Kíli mehrere Mädchen unter den Zwergen die vorüber ritten – einige im typischen Braun der Bogenschützen, einige im feurigen Rot der Schmiede. Er erkannte sie als Kadetten und Lehrlinge aus Erebor, ausgesandt im Austausch gut vier Jahre zuvor. Doch als der Krieg sich ausbreitete über die Länder des Nordens, war es zu gefährlich geworden, als dass sie unbeschadet hätten zurückkehren können.

''Da kehren unsere eigenen Schüler endlich heim,'' Kíli lächelte ihnen zu. ''Ich kenne so manche Sippe in Erebor die überglücklich sein wird, sie wiederzusehen.'' Doch dann seufzte er traurig. Einige dieser Familien waren mit Sicherheit während der letzten Belagerung umgekommen… sie hatten so viel verloren, viel zu viele bei der letzten großen Schlacht am Tor. Unter ihnen auch Skirfirs Vater. Nun stand Kíli neben dem Jungen, als die Rückkehrer auf ihren Ponys vorüber ritten, erschöpft von der langen Reise und begierig Sicherheit zu finden im Schutz des Berges.

''Willkommen,'' begrüßte Kíli eine Dreiergruppe von jungen Bogenschützinnen, die das Siegel Erebors auf ihren Mänteln trugen. ''Willkommen zu Hause.'' Eins der drei Mädchen sah ihm ins Gesicht, zwinkerte ihm zu und lächelte ihn mehr als vielsagend an. Kíli spürte wie seine Wangen heiß wurden.

Er hatte nur freundlich sein wollen und wandte sich rasch ab. Gewöhnlich ging er interessierten Mädchen wie selbstverständlich aus dem Weg. Was sonst konnte er tun?

Sieh Dich doch bitte anders wo um nach dem was Du suchst, hätte er dem Mädel am liebsten gesagt. Du findest leicht jemanden, der weitaus besser zu Dir passt.

Und er selbst? Er war sowieso besser dran, wenn er alleine blieb!

''Mein Herr,'' ein jüngerer Zwerg neigte dem Kopf mit der Hand auf dem Herzen, als er vorüber ritt.

Kíli nickte und erwiderte den Gruß. Der Bursche trug das traditionelle Blau der Heiler. Und gleich hinter ihm ritt ein groß gewachsenes Mädel mit jugendlich frischem Gesicht aber ernstem Blick. Ein einzelner rabenschwarzer Zopf fiel lang ihren ganzen Rücken hinab. Ihre Haltung, ihr Sitz, ihre Selbstsicherheit… er konnte nicht umhin, sie zu bewundern.

Einer der Raben flog vorüber. 'Keine Orks, keine Gobbs', krächzte der Vogel. 'Keine Gobbs!'

Das Mädchen schien überrascht. Sie sah auf und folgte dem Raben mit ihrem Blick. Beinahe als ob sie seine Worte verstünde, dachte Kíli. Einen kurzen Moment später trafen sich ihre Blicke, doch dann wandte sie sich scheu ab.

Das konnte nicht sein, er musste sich das einbilden. Nur diejenigen seines Volkes, die in direkter Linie Durins Geschlecht nachfolgten, konnten die Raben sprechen hören.

Und doch… Er sah ihr nachdenklich hinterher, als die Gruppe der Heiler weiter ritt.


Fíli, König von Erebor stand auf den Wehrgang hoch über den großen Tor, hart und aufrecht wie der Berg selbst. Das Rot und Gold seines königlichen Ornats schimmerte im Morgenlicht. Ein gut bewaffnetes Aufgebot von Zwergen näherte sich dem Tor. Sie ritten in Dreierreihen, die Helme in respektvoller Geste in ihren Händen. Sie entrollten ein einzelnes blaues Banner und ein Trommler schlug einen feierlichen Takt.

''Seid gegrüßt, ihr Zwerge aus den Ered Luin'' erschallte die Stimme des Anführers der Wache von Erebor.

Fíli stand in der mittleren Scharte zwischen den Zinnen und hob die Hand zum Zeichen für sieben Zwerge seiner Wache, die königlichen Banner zu hissen. Mehr als festlich sah der Einsame Berg aus an diesem Tag, eine Pracht die er lange nicht gezeigt hatte. Heute jedoch zeigte Erebor seine ganze Schönheit. Gerade sechs Monate war es her, dass sie das große Tor vollständig repariert hatten. Wer genau hinsah, und Zwerge hatten einen Blick für den Stein, konnte die Folgen der Schlacht noch erkennen: die Spuren der tiefen Scharten, welche der Angriff in den Fels gerissen hatte.

Fíli konnte nur hoffen, dass niemand sah, was die Schlacht ihm angetan hatte. Eine Lanze hatte seine Hüfte durchbohrt. Er war getroffen worden, als er den alten Dain zu schützen versuchte… und wenn Kíli nicht so blitzschnell reagiert und diesen Bastard von einem Ork aufgeschlitzt hätte, ehe er auch nur noch eine weitere Bewegung machen konnte - sie hätten seinem gewaltigen Angriff nicht entgehen können. Es hätte sie wohl beide erwischt. So wie Dain, ihren Cousin, König der Eisenberge.

Fili, wie betäubt von unerträglichem Schmerz wusste nicht mehr viel von dem, was danach geschehen war. Man hatte ihn in den Berg geschleppt und in die Obhut der Heiler gebracht. Rechtzeitig noch, gerade so. Doch Fíli war sich sicher, er - nein, der gesamte Berg - wäre gefallen an jenem schicksalhaften Tag, wäre da nicht die mutige Tat eines Hobbits aus dem Auenland gewesen. Durch Frodos aufopferndes Handeln an den Hängen des Schicksalsberges in Mordor und Aragorns Sieg vor dem Schwarzen Tor hatte sich das Schicksal gewendet und die Macht des Bösen wurde gebrochen.

Unter schweren Opfern hatte das Volk von Erebor überdauert. Und das hatte auch er, so wie sein Bruder und seine vier noch viel zu jungen Kinder, tief im Berg und gut versteckt zusammen mit ihrer Mutter, der Königin.

Jedoch hatten nicht alle Familien so viel Glück gehabt.

Jetzt sah Fíli mit stählernem Blick auf die eintreffenden Zwerge. Er ging ein großes Risiko ein, indem er so eine große Versammlung der Sieben Königreiche beherbergte, um Gondors neuen König zu unterstützen. Augenscheinlich war er der einzige Zwergenherrscher, der dreist oder auch dumm genug war, etwas derartigen zu tun. Ihm waren die Kritik und die Einwände bereits zu Ohren gekommen.

Immer noch unter der Fuchtel eines Zauberers.

Kein Zwerg wird nach der Pfeife eines Emporkömmlings wie diesem hergelaufenen Waldläufer tanzen.

Was bedeutet uns Gondors Friede?

Fíli glaubte, dass Gondors Friede einfach alles bedeutete. Mordor mochte gefallen sein, aber immer noch lauerten böse Mächte in Mittelerde und immer noch machten sie Jagd auf die Zwerge, ganz besonders auf die Söhne Durins. Sie brauchten dieses Abkommen über gegenseitigen Beistand mit Gondor, unbedingt. Und die Wahrheit war, tatsächlich teilte er Gandalfs Meinung uneingeschränkt, dass Aragorn ihre beste Chance war, den Frieden zu sichern. Und Fíli wollte erreichen, dass die Sieben Königreiche mit Schwert und Axt Seite an Seite mit Gondors König standen.

Er wusste ebenso: ihm als König und Sohn aus Durins Geschlecht fiel die Aufgabe zu, sie alle zu überzeugen, dass es für die Zwergenreiche an der Zeit war, Groll und alten Vorbehalte abzulegen und Aragorns Abkommen zu unterstützen.

Um ehrlich zu sein, er wäre lieber einer Horde wilder Goblins entgegen getreten als einer Versammlung seiner streitsüchtigen Zwergensippe, aber er war fest entschlossen, sich durchzusetzen.

Mit einem letzten Trommelschlag kamen die Zwerge aus den Ered Luin unmittelbar vor der neuen Brücke und dem Graben zum Halt. Ein jeder respektvoll die Hand auf dem Herzen. Dem Protokoll entsprechend ließen die Wachen Erebors zu Ehren der Ankömmlinge die großen Hörner der Schlacht erschallen. So tief waren die Töne, ein jeder Krieger konnte sie in seinen Knochen spüren.

Die Hörner verstummten und ihr Klang hallte nach im ganzen Tal. Fíli wartete, bis es wieder ganz still geworden war, ehe er vortrat und seine Stimme erhob.

''Ich grüße Euch, Zwerge und Brüder aus den Ered Luin. Mit Eurem Kommen mag die Große Konklave beginnen. Ich gewähre Euch Eintritt! Willkommen in Erebor!''

Ein Jubel auf beiden Seiten, von den Mauern Erebors und aus den Reihen der Ankömmlinge, antwortete ihm, als die Tore aufschwangen. Blaue und Silberne Fahnenbänder mischten sich mit denen in Rot und Gold. Das Volk aus den Blauen Bergen ritt voran, überquerte den Graben und passierte das Tor.

Fíli lächelte und winkte. Dann begab er sich zum seitlichen Ausguck und beobachtete, wie die Delegation vorüber zog. Im Hintergrund bemerkte er die hochgewachsene Gestalt seines Bruders in Kettenhemd und schimmernder Rüstung, der die Nachhut bildete. Über ihm schossen einige Raben auf den Berg zu.

Für einen kurzen Moment trafen sich die Blicke der Brüder. Kíli war wachsam, ernst und nickte ihm einmal zu.

Fíli erwiderte die Geste, er verstand die unausgesprochene Nachricht seines Bruders nur zu gut: Bleib wachsam. Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen.


Zwei Tage später traf Fíli, König unter dem Berge seinen Bruder während der vormittäglichen Pause des Großen Konklaves. Er platzte beinahe vor aufgestaute Anspannung und Ärger. Sie standen im königlichen Arbeitszimmer, während sich die unterschiedlichen Ratsmitglieder außerhalb in der angrenzenden Kammer versammelten.

In der Großen Halle draußen wimmelte eine riesige Menge. Es war die größte Zusammenkunft der Sieben Königreiche seit der Zeit, bevor der Drache den Berg genommen hatte, und Erebor war eindeutig brechend voll.

''Wir haben noch nicht mal die Eröffnungsreden beendet,'' stöhnte Fíli zwischen zusammengebissenen Zähnen. ''Niemand bleibt bei der Sache. Die Delegation aus den Grauen Bergen drängt darauf zuerst mehrere völlig unwichtige Nebenfragen zu klären, bevor sie auch ansatzweise bereit wären, über das Abkommen mit Gondor zu sprechen…'' Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. ''Und ich habe sechs unterschiedliche vertrauliche Hinweise bekommen, dass es Intentionen gibt, die Beratungen zu stören.'' Sein Gesichtsausdruck war finster. Dann sah er Kíli scharf an, niemand entging diesem Blick. ''Irgendwas Neues von den Raben?''

Kíli runzelte die Stirn. ''Ich habe sie ausgeschickt, um im weiten Umkreis des Berges alles auszukundschaften… aber bis jetzt ist die einzig interessante Neuigkeit, dass die Elben ihre Patrouillen am Rande des Düsterwaldes verstärkt haben. Die Truppen von Thal sind in Alarmbereitschaft, aber sie beobachten nur.''

Fíli ließ resignierend die Luft aus dem Lungen.

''Ich habe auch noch mehr Gerüchte gehört,'' Kíli senkte seine Stimme. ''Von einigen der Jungs aus den Eisenbergen, und jetzt noch mehr von der Gruppe aus den Ered Luin.'' berichtete er seinem Bruder.

''Irgend etwas Konkretes?''

''Nur dass Gruppen, die gegen das Abkommen sind, planen, es zu stoppen.

Fíli fluchte leise auf Khuzdul.

Kíli sprach weiter. ''Bofur hat die letzte Nacht mit den Wachen aus den Blauen Bergen getrunken, Ale natürlich, eine ziemliche Menge vermutlich. Er sagt, achtet auf Tricks, die die Abstimmung unterbrechen.''

Fíli kniff die Augen zusammen, sein Blick wurde hart. ''Na, das ist einfach,'' sagte er. ''Alles was sie tun müssen, ist einen von uns daran zu hindern, an der Abstimmung teilzunehmen. Alle Sieben müssen anwesend sein, sonst kann die Wahl nicht stattfinden.'' Er legte die Stirn in Falten.

''Einer der Würdenträger aus den Grauen Bergen stellt andauernd völlig lächerliche Forderungen. Wenn ich einen Verdächtigen brauche, würde ich bei ihm anfangen.''

''Yngvli,'' stellte Kíli fest und nannte damit einen einflussreichen Händler aus den Grauen Bergen beim Namen. Er genoss ein höchst zweifelhaftes Ansehen, war es doch bekannt, dass er in der Vergangenheit mit den Gundabad Orks Geschäfte gemacht hatte. ''Er ist zusammen mit deren Delegation aufgetaucht. Er hat seine sämtlichen Töchter angeschleppt…''

Fíli schnaubte verächtlich. ''Er versucht auch noch, eine Heirat zu arrangieren. Wer wäre denn blöd genug, darauf reinzufallen?'' Er sah ins Leere. ''Nicht mal An kann diese Weibsbilder ertragen, und sie hat mehr Geduld als wir alle.''

''Nun, danke Mahal dafür.'' Kíli lächelte.

Fíli nickte. Er wusste, was es hieß, eine politische Ehe einzugehen. Seine Verbindung mit dem Mädchen aus den Eisenbergen war vor gut sechzig Jahren arrangiert worden. Glücklicherweise für ihn hatte Balin seine Interessen wahrgenommen und die Arrangements ausgehandelt. Doch sowohl er als auch Kíli verstanden genau, unter was für einem Druck man dabei stand und welche Komplikationen es geben konnte. Fíli und An's erstes Jahr war mehr als nur ein bisschen holperig verlaufen. Und dennoch, mit der Zeit hatte Fíli gelernt, seine Frau zutiefst zu lieben. Nicht nur um ihrer selbst willen, sondern letztlich auch für ihre gewandten Fähigkeiten, sowohl die gesellschaftlichen Belange am königlichen Hofe zu lenken, als auch vier lebhafte junge Zwerge. Und das, ohne je die Ruhe zu verlieren. Im letzten Krieg hatte sie zudem die belagerte Stadt geführt wie ein erfahrener Krieger.

Wenn vier Kinder nicht Beweis genug waren (doppelt so viele wie üblich bei einem Zwergenpaar), zeigte jeder Blick: es war offensichtlich, dass auch sie Fíli zu lieben gelernt hatte, und das mit unerschütterlichem Stolz.

''Du hast so ein Glück, dass Du sie hast,'' sprach Kíli leise.

''Ja,'' Fílis Stimme klang entschlossen. ''Und mit Mahals Willen wirst Du vielleicht eines Tages auch dieses Glück haben.'' Fílis hingebungsvolle Liebe zu seinen Kindern war allgemein bekannt. ''Sieh mal,'' sagte Fíli und legte seine Hand auf seines Bruders Schulter. ''Heute Abend gibt es ein riesiges Festmahl. Geh und misch Dich unter die Gäste. Sicher wirst Du Neuigkeiten hören. Gib den Leuten genug Essen und Trinken, und sie fangen an zu reden… besonders die Mädels. Sie werden ganz erpicht darauf sein, Deine Aufmerksamkeit zu erregen... sie werden Dir alles erzählen.''

Kíli sagte nichts. Er hatte absolut kein Bedürfnis, Zeit mit diesen hochwohlgeborenen Mädchen zu verbringen. Ein bisschen gequält sah er auf und erkannte die tiefe Besorgnis in den Augen seines Bruders.

''Wie geht es Deinem Knie?'' fragte Fíli.

''Es ist in Ordnung,'' Kíli winkte ab. ''Bis jetzt hat es mich überhaupt nicht geplagt.''

Fílis Gesicht war unbewegt. Mehr als 80 Jahre lag ihre schicksalhafte Fahrt zum Einsamen Berg nun zurück. Und immer noch trug Kíli eine grausame Wunde.

''Die Dinge haben sich geändert. Der Dunkle Herrscher Sauron ist tot, '' sagte Fíli. Vielleicht geht es Dir dieses Jahr gut.''

Kíli blieb erneut still.

Fíli zog seinen Bruder zu sich heran und umarmte ihn. Für einen kurzen Moment drückte er ihn fest an sich. ''Denk einfach nicht dran,'' sagte er leise. ''Tanze, flirte… verbringe ein bisschen Zeit mit den Mädels.'' Er löste die Umarmung und trat einen Schritt zurück. ''Bitte sag mir, dass Du es versuchst.'' Er sprach das aus als direkten Befehl des Königs und nicht als bloße Bitte eines Bruders.

''Schon gut, ja. Ich werde es versuchen.'' Kíli ließ die Schultern hängen.

''Ich danke Dir.'' Damit wandte sich Fíli der offenen Halle zu, wo er bereits von zwei Pagen und seinem Ratssekretär erwartet wurde. Letzterer folgte ihm in den letzten Tagen anscheinend auf Schritt und Tritt.

Kíli seufzte. Verlass dich auf einen Bruder, wenn du jemanden suchst, der genau weiß, wie er einen Kerl an der empfindlichsten Stelle treffen kann. Tatsache war, er könnte sich eingestehen wie einsam er war. Fíli wurde mehr und mehr von den Aufgaben am Hofe gebunden, und Mahal wusste, dass die Sicherheit Erebors seine eigene Zeit und Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch nahm.

Es stimmte, die Zeiten waren ruhiger geworden waren, jetzt, mit einem neuen König in Gondor.

Und daher konnte Kíli seine Einsamkeit mehr und mehr spüren. Es war wie eine schmerzende Kriegswunde in den frühen Morgenstunden, wenn er in der Dunkelheit erwachte. Und es war wie ein dumpfes Bedauern spät in der Nacht, wenn er erschöpft von langen Patrouillen einsam und allein in seine kalte leere Kammer zurückkehrte.

Aber diese hochwohlgeborenen Mädels…? Mahal! Diese aufgeblasenen Klatschbasen interessierten ihn überhaupt nicht. Tief in seinem Herzen war er einfach nur ein Junge aus den Ered Luin, glücklicher auf der Jagd an den westlichen Hängen des Berges als irgendwo in Mitten einer feinen Gesellschaft. Und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendeine dieser jungen Damen auch nur im Entferntesten verstehen konnte, was jedes Jahr immer wieder mit ihm passierte…

Was genauer gesagt in nur wenigen Tagen mit ihm geschehen würde. Weil es während der letzten 81 Jahre zu jedem Durins Tag passiert war: das immer wiederkehrende Fieber von seiner Morgul Wunde. Albträume, Stimmen in seinem Kopf, grausame Traumbilder von Untergang und Verderben…

Es war ein Fluch. Und der Fluch zog Geister an. Einzig und allein der Berg schützte ihn. Er war an Erebor gefesselt, und in Sicherheit nur solange er niemals den Berg und seine Lande verließ. Es war ein Geheimnis der Familie. Sorgsam gehütet über all die Jahre, aus Angst, was der Dunkle Herrscher Sauron ihm hätte antun können, hätte er je davon erfahren. Es war ein Fluch, den nicht einmal Gandalf hatte brechen können.

Welches Mädchen würde sich mit so etwas abfinden? Welche Familie hätte ihn akzeptiert, wenn sie die Wahrheit erfahren hätte?

Die einzigen beiden, die es vielleicht verstanden hätten, waren beide lange fort: Tauriel, die Elbenfrau, die mehr als einmal sein Leben gerettet hatte. Sie war umgekommen in dem entsetzlichen tosenden Inferno des Drachenfeuers, welches Seestadt verschlungen hatte.

Und Jô… die wilde Bogenschützin, die er vor gut 40 Jahren getroffen hatte. Erstklassige Pfeilmacherin und eine fröhliche Seele. Ein Niemand war sie im Vergleich zu den adligen Damen, doch wären es andere Zeiten gewesen, wer weiß, vielleicht hätte sie ihn gewählt, wäre bei ihm geblieben, wenn sie die Wahrheit über den Fluch erfahren hätte.

Doch die Zeiten waren keine anderen gewesen, und Jô war während eines Einfalls von Goblins im Kampf gefallen. Zwei Tage lang hatte er es nicht mal erfahren. Sie hatte unter Dwalins Kommando gestanden, und sein alter Cousin war untröstlich, als er ihm die traurige Nachricht überbrachte.

Kíli holte tief Luft und seufzte erneut. Ihre Freundschaft war leidenschaftlich gewesen und hatte ihnen so viel Freude beschert. Doch was im Frühling so spontan und stürmisch begonnen hatte, war vorüber ehe der Herbst begann. Sie war eine Kriegerin gewesen, sie hatte gelebt wie eine Kriegerin und sie war gestorben wie eine Kriegerin, ohne je erfahren zu haben, dass er eine Morgul Wunde trug. Er segnete ihr Andenken und versuchte die Erinnerungen abzuschütteln, zwang sich zurück ins Hier und Jetzt.

Ehrlich, er würde es vorziehen, Warge zu bekämpfen als heute Abend mit den Hochwohlgeborenen zu tanzen!

Aber er verstand, warum er es tun musste.

Er würde gehen, doch schwermütig machte sich Kíli zunächst auf den Weg zu den Unterkünften der Wache und fand Trost auf die Art, wie er ihn immer fand: in seinem Dienst für das Volk Erebors. Das wenigstens war etwas, was er verstand.