Erstes Kapitel
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Die Sonne warf ihre hellen Strahlen auf das dunkle rot schimmernde Blätterdach der hoch gewachsenen, nah aneinander stehenden Bäume, welche ihre grünen und roten Blätter in jede Richtung ausgestreckt hatten. Die Strahlen der warmen Mittagssonne schafften es nicht durch die Blätter zu dringen und ließen den Wald dunkel und kühl wirken. Dann und wann, wenn es ein Sonnenstrahl schaffte durch das Blätterdach zu brechen konnte man Hasen und anderes Kleintier vorbei laufen sehen ehe diese innehielten und lauschten.
Die Stille des Waldes wurde von federleichten kaum wahrnehmbaren Füßen unterbrochen die den Körper der zu ihnen gehörte rasch aber überraschend grazil trugen. Mit Leichtigkeit sprangen die nackten Füße über umgefallene Baumstämme oder andere Hindernisse, blieben nicht einmal in einer der vielen Wurzeln hängen. In einiger Entfernung waren andere Schritte zu vernehmen. Lauter, grober und gezielter.
Das erste Paar Füße hielt kurz inne, ehe es weiter rannte und schließlich hinter einem dicken Baum seinen Dienst versagte. Die zierliche Gestalt legte sich eine Hand auf die Stelle an der das Herz so wild schlug als würde es hinter der Brust zerspringen wollen. Das Gold-blonde leicht gewellte Haar wirkte zerzaust und die bunten Blüten darin waren teilweise zerstört. Der Blumenkranz, der das Haupt zierte, wirkte ebenso demoliert. Tiefgrüne Augen sahen sich hektisch und angstgeweitet um, während das ebenfalls kurze grüne Gewand der Person an einigen Stellen zerrissen war. Kurz schloss die Person ihre Augen und lauschte den Schritten die immer näher kommen zu schienen.
Die Gestalt wusste nicht wohin sie sollte oder gar wie sie die Verfolger abhängen sollte. Die Gestalt war alleine während es sich bei ihren Verfolgern um mindestens Zehn zu handeln schien, wenn ihre Augen ihr keine Streiche gespielt hatte. Die zierliche Gestalt erstarrte und hielt den Atem an als die schweren Schritte immer näher kamen. Geängstigt schloss sie die Augen und lauschte den Bäumen, die sich über die neuen Besucher nicht erfreuten. Sie hörte die Bäume miteinander wispern und verstand sie während andere lediglich das rauschen des Blätterdachs zu vernehmen vermochten. Langsam versuchte sie ihre Atmung zu beruhigen, sie würde es nicht mit allen aufnehmen können. Ja wahrscheinlich würde sie es nicht einmal mit einem aufnehmen können. Sie war sich bewusst dass dies nicht ihre Schuld war. Sie waren einfach nicht da. Ihre Aufgabe war nicht das kämpfen. Sie war die Balance; die Ruhige, die Ängstliche und Gutmütige. Jeder hatte seinen Platz und dies war ihrer, aber sicherlich nicht das Kämpfen mit diesen Kreaturen.
Seufzend schloss sie abermals kurz die Augen und umfasste das Schmuckstück das um ihren Hals hing. Wenn sie doch nur hier wären, wenn sie sie nur schon gefunden hätte. Aber sie war alleine. Dabei war ihre Aufgabe ebenso wichtig wie dringend.
„Sie muss hier sein! – Sucht sie!", grollte eine raue Stimme und diese jagte ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Langsam schlich sie über den Boden, hinter einen weiteren dickeren umgefallenen Baumstamm. Sie durften sie nicht finden! Ihre Aufgabe wäre dann zum Scheitern verurteilt und das würde den Untergang aller bedeuten.
Abermals krabbelte sie hinter einen weiteren Baum, weiter weg von ihren Verfolgern. Sie hatte nicht einmal die Kraft mehr um sich mit ihrer Umgebung zu vereinen. – Das würde zu viel Energie kosten die sie im Moment nicht hatte. Deswegen sammelte sie etwas ihrer verbliebenen Kräfte.
Plötzlich rankte sich ein Ast um die zierliche Gestalt und hob sich hinauf in das dichte Blätterdach. Auf einem stabilen gut versteckten Ast wurde sie abgesetzt. Schweißperlen liefen ihr über die Stirn, selbst das hatte sie enorme Energie gekostet. Seufzend stützte sie sich zusätzlich mit einer Hand am Baumstamm ab.
Sie beobachtete wie die Kreaturen Meter für Meter absuchten und schließlich auch den Platz auf dem sie kurz zuvor noch gehockt hatte.
„Sie war hier! – Ich kann sie noch riechen.", grollte eine Stimme. Ihr Herz schlug schneller, hoffentlich konnte er nicht so gut riechen, als dass er sie hier oben erspähen würde.
„Sucht weiter!", schnarrte die Kreatur, welche der Anführer der anderen war. Ihr Herz setzte aus, als eine der Kreaturen direkt unter ihr stehen blieben. Bitte nicht, dachte sie und bewegte sich nicht ein Stück.
Die Kreatur sah sich mehrmals um, wahrscheinlich war ihr Geruch noch immer stark.
„DA!", grollte die eine Kreatur, als er sie erspäht hatte. Hastig rappelte sie sich auf und versuchte noch höher zu klettern, doch das kleine Messer das sie nur knapp verfehlte ließ sie vor Schreck innehalten.
„Du Nichtsnutz! Tot bringt sie uns nichts!", schnarrte der Anführer und zog sein Schwert, ehe er damit den Unglücklichen enthauptete der das Messer geworfen hatte. Sie konnte dem ganzen nur entsetzt zusehen. Nicht nur das diese Kreaturen abscheulich aussahen, nein, sie benahmen sich auch so!
Ihre Unachtsamkeit wurde jäh bestraft, als sie die Balance verlor und von dem Ast fiel. Ihren Sturz konnte sie nur mit müh und Not durch den letzten Rest ihrer Energie abfangen, sodass sie beinahe sanft in dem Geäst landete.
Mit schwerem Atem rappelte sie sich auf und lief weiter. Erbarmungslos rissen die Äste an ihrer Person, während die schweren Schritte hinter ihr sie immer weiter trieben. Strauchelnd kam sie an dem Ufer des Flusses an, der sich direkt hinter den Baumreihen befand. Panik ergriff ihr Herz und drückte es erbarmungslos zusammen. Hektisch sah sie zwischen dem reißenden Fluss und den Baumreihen hin und her.
„Da ist sie!", grollte es wenig später. Als die Kreaturen einen Schritt auf sie zumachten, trat sie zurück. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und landete mit einem schrillen Schrei in dem Fluss, der sie sogleich mit sich riss. Es gab nichts, an dem sie sich hätte festhalten können. Deswegen versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, durch die reißende Strömung nicht unter Wasser gezogen zu werden. – Etwas das ihr nicht wirklich gelang. Nach mehreren Minuten bemerkte sie bereits wie ihr Blickfeld immer kleiner wurde und die schwarzen Punkte vor ihrem Auge mehr und mehr wurde, bis sie schließlich den Kampf und damit das Bewusstsein verlor.
Die Bäume raschelten leise im Wind. Dies war das erste das sie bemerkte, als sie langsam wieder aus der Ohnmacht erwachte. Dann bemerkte sie den dunklen Himmel über sich, der mit tausenden weißen Sternen versehen war, die auf sie hinab leuchtete. Erst dann realisierte sie die Grashalme, die sich unter ihrem Körpergewicht beugten und ihren Körper dennoch umspielten. Als letztes drang das flackernde Feuer nicht unweit von ihr an ihr Bewusstsein.
Verwirrt setzte sie sich langsam auf. Wie war sie an Land gekommen? Wie war sie an dieses Lagerfeuer gekommen? Sie war sich sicher, dass jemand sie hierher gebracht und demnach auch aus dem Fluss gerettet haben muss. Die Überreste ihres Kleides waren durch die Wärme des Feuers bereits getrocknet und ihr Blütenkranz war verschwunden. – Nicht das sie dies als schlimm empfand, wahrscheinlich hatte sie ihn in dem reißenden Fluss verloren.
Erst als sie langsam aufstand, bemerkte sie dass sie nicht alleine an dem Feuer war. Nicht unweit von ihr lag ein kleines Kind. – Ein Mädchen mit schwarzen Haaren und einem orangefarbenen Kimono, lag neben einem Drachen mit zwei Köpfen. An den Drachen angelehnt konnte sie eine grüne Kreatur in einem braunen Gewand und mit einem Stab bewaffnet erkennen.
Suchend sah sie sich um. Wo war sie gelandet? Diese Frage beschäftigte sie bereits schon bevor sie vor diesen Kreaturen fliehen musste. Sie war sich sicher, dass sie sich nicht mehr in ihrem Wald befand. Wo also war sie? Ihr Blick glitt zu den drei Wesen, die noch immer fest schliefen.
Den Drachen und das Menschenkind konnte sie zuordnen, doch wer oder was sollte das grüne Wesen sein? Eine solche Kreatur hatte sie noch nie gesehen. Langsam entfernte sie sich von den schlafenden Gestalten. Sie musste zusehen, dass sie die anderen fand, auch wenn sie keine Ahnung hatte wie sie das bewerkstelligen sollte.
In Gedanken verloren irrte sie durch den Wald. Lies sich von dem Wispern der Bäume leiten, während ihre Gedanken versuchten zu rekonstruieren was in den letzten Stunden passiert war.
Summend saß Freya an einem Baum gelehnt. Die Augen hatte sie geschlossen, während sie dem sachten rascheln der Bäume lauschte. – Sie musste sich eine Pause gönnen. Seit Tagen nun schon suchte sie die anderen. Jedoch ohne Erfolg. Seufzend spielten ihre Finger mit dem Anhänger ihrer Kette. Freya seufzte abermals. Nur wenige wussten wie wertvoll der Inhalt des Anhängers war und jene die es wussten jagten Wesen wie sie eines war.
Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während die Äste um sie herum begannen ein Eigenleben zu entwickeln.
„Danke.", murmelte sie sanft und betastete den Haarkranz der sachte auf ihrem Haupt abgelegt wurde. Abermals raschelten die Blätter.
Freya öffnete nur langsam die Augen. Zwar war ihre Ausdauer um einiges besser als die eines Menschen, aber auch sie musste sich von Zeit zu Zeit erholen. Langsam erhob sich das zierliche Wesen und sah gen Himmel. Wenn sie nur wissen würde, welche Schemen im Dunkeln gesponnen wurden. – Doch sie wusste es nicht. Jedoch konnte sie die greifbare Anspannung in der Natur, in den Tieren und auch in ihr spüren. Etwas bewegte sich, ungesehen und im Verborgenen. Sie spürte, dass sehr bald etwas geschehen würde. Nur wie bald war ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen.
Es war Abend als es passierte. Freya überquerte mit Leichtigkeit den schmalen Bach, als ein blendendes Licht auf sie zu schoss. Noch ehe sie hätte irgendetwas tun können war sie von dem leuchten komplett umgeben. – Und noch bevor sie vollends in Panik verfallen konnte war das seltsame Leuchten wieder verschwunden.
Sie stand noch immer am Ufer des Baches. Stirnrunzelnd sah sich Freya um. – Nein nicht des Baches. Sondern eines Baches. Erst dann bemerkte sie das das Flüstern der Bäume sich verändert hatte. Instinktiv ergriff sie ihren Anhänger, schloss die Augen und konzentrierte sich.
- Nichts.
Ihr Herz schlug mit einem Mal schneller in ihrer Brust. Wie konnte das sein? Wieso funktionierte es nicht?
Um sich selbst zu beruhigen atmete sie einige Male tief ein und aus, ehe sie sich in Bewegung setzte.
Mit unsicherem Schritt wanderte sie durch die Wildnis, ohne auch nur irgendeiner Seele zu begegnen. Wie um sich zu beruhigen, umfasste sie in einem unbewussten Rhythmus immer wieder ihren Anhänger. Ihre einzige Möglichkeit etwas Heimat bei sich zu haben.
Die ganze Nacht war sie gewandert. Zum einen musste sie unbedingt einen Weg zurück finden, zum anderen wollte sie sich nicht Ausruhen ehe sie wusste wo sie sich befand.
Es war, als die Sonne bereits aufging, als sie erschöpft zwischen den Sträuchern auf eine Lichtung trat.
Mit einem Mal blieb sie stehen und richtete ihre Augen auf das was vor ihr passierte. Mindestens Zehn Kreaturen standen auf der Lichtung und wandten sich ihr alle zu.
Kurz schluckte sie. Ihr Instinkt riet ihr zu flüchten… Irgendetwas zu tun. - Hätte sie nur auf ihr Gefühl gehört.
„E-entschuldigt… - I-ich wollte nicht…"
Einer der fremd aussehenden Kreaturen kam auf sie zu, blieb nur kurz vor ihr stehen, sodass sie den Impuls nicht unterdrücken konnte einen Schritt zurück zu treten.
„Junsuina hana!", grollte die Kreatur plötzlich und deutete auf ihren Anhänger.
Freya, welche zuvor unbewusst mit der Kette gespielt hatte, zog ihre Finger abrupt zurück, ganz so als hätte sie sich verbrannt.
„W-was?", stammelte sie.
„Gib es mir!", grollte ihr Gegenüber.
Freya schüttelte prompt den Kopf. Sie mochte um ihr Leben bangen, aber niemals würde sie ihre Kette ablegen. – Niemand ihrer Art würde dies tun. Es war mit das, was sie ausmachte. Nervös trat sie einen weiteren Schritt zurück.
„B-bitte ich…" „Schnappt sie euch!"
Freya reagierte prompt. Sie wandte sich auf der Stelle um und rannte. Ihren erschöpften Körper ignorierend. – Sie durften die Kette nicht bekommen. Sie wusste zwar nicht mit Sicherheit, ob diese Kreaturen wussten was sie da eigentlich um ihren Hals trug, aber sie durfte kein Risiko eingehen. Etwas Dunkles ging von diesen Kreaturen aus. Etwas das ihre Nackenhaare zu Berge stehen ließ. – Und so begann ihre Flucht.
Freya seufzte. Rückblickend musste sie zugeben, dass sie beim spüren der dunklen Aura hätte wissen müssen, dass sie direkt in die Gefahr hinein gelaufen war. – Aber so war sie nun einmal. Sie war einfach zu Gutmütig gewesen. Hatte gehofft sie würde doch Hilfe bekommen. – Andere würden sagen, sie war einfach zu Naiv gewesen.
