Nothing Else Matters
Prolog
"Junge, komm sofort hierher!", hallte der Schrei durch das ganze Haus bis in sein Zimmer. Harry seufzte und stand auf, jedoch ohne sich besonders zu beeilen. Er stieg die Treppe hinunter und ging ins Wohnzimmer, wo sein Onkel vor der Bar stand, sein Gesicht noch roter als Harry das jemals für möglich gehalten hätte. Dann begann er zu sprechen, doch seine geheuchelt liebenswürdige Stimme wollte so gar nicht zu seinem Gesichtsausdruck passen.
"Junge, hast du vielleicht irgendeine Ahnung, wo meine zwei Flaschen Rotwein hin sind, die ich erst letzte Woche von meinen Mitarbeitern in der Firma bekommen habe?" Ach, darum ging es also. Er hatte sich den Rotwein schon vor 3 Tagen genommen und sich in der Zwischenzeit allmählich gewundert, warum das immer noch niemandem aufgefallen war. Kurz spielte er mit dem Gedanken, zu leugnen, verwarf diesen aber sofort wieder. Er hatte sich in den letzten Wochen einen Plan zurechtgelegt und jetzt war es an der Zeit, ihn zu verwirklichen.
"Ach, du meinst diesen köstlichen italienischen Rotwein, der im Barschränkchen stand? Ja, den hab ich mir genehmigt, war ganz nett," meinte er betont locker. Sein Onkel starrte ihn kurz einfach nur an, wahrscheinlich überrascht, dass sein Neffe es einfach so zugegeben hatte; doch nun wurde er erst so richtig sauer. "Waaaasss?", schrie er und überschüttete Harry mit Spucke. "Was fällt dir eigentlich ein? Na warte, das wirst du bereuen, Bürschchen!", meinte er, machte seinen Gürtel los und ging damit auf Harry zu.
Kurz überflutete diesen eine Panikwelle, wie all die Male zuvor. Doch sofort hatte er sich wieder im Griff. Wenn es etwas Gutes gab, das die letzten Geschehnisse ausgelöst hatten, dann war es die Tatsache, dass Harry seine Gefühle jetzt vollkommen beherrschen konnte. "Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen", sagte er. Sein Onkel blieb stehen. Er hatte zwar leise gesprochen, aber mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme. "Was sagst du da?", wollte Vernon von ihm völlig verdutzt wissen, doch dann ging er weiter und meinte höhnisch:
"Und wieso nicht? Sollte ich vor dir etwa Angst haben?" "Das wäre klüger", meinte Harry und zückte seinen Zauberstab, der bis dahin in seiner hintersten Hosentasche gesteckt hatte. Wie angewurzelt blieb sein Onkel stehen. "Das darfst du nicht, sie würden dich aus der Schule werfen und ins Gefängnis stecken, wenn du in den Ferien zauberst!", meinte er immer noch höhnisch, doch konnte er die Angst nicht vollständig aus seiner Stimme verbannen, was Harry sofort auffiel. Zusätzlich zu seiner eigenen Gefühlskontrolle hatte er gelernt, mehr auf die Gefühle anderer zu achten.
Wenn nun jemand in seiner Nähe Angst hatte, konnte er es förmlich riechen. Als er jetzt seinen jämmerlichen Onkel ansah, stahl sich ein fieses Grinsen auf seine Lippen. "Ja, das würden sie", meinte er und beobachtete seinen Onkel aus schmalen Augen, "Wenn sie es merken würden. Tatsache aber ist, dass ich in den letzten Tagen des vergangenen Schuljahrs ziemlich viel Zeit in der Verbotenen Abteilung der Bibliothek in Hogwarts verbracht habe, und dabei auf einen sehr interessanten Spruch gestoßen bin, der es mir nun ermöglicht zu zaubern wann und was immer ich will, ohne dass das Ministerium davon auch nur das Geringste mitkriegt." Und mit diesen Worten hob er nun endlich seinen Zauberstab, blickte seinem Onkel direkt in die Augen und sagte kalt, und dennoch fast lässig: "Crucio!"
Vernon fiel auf die Knie und fing an zu schreien, Harry wusste, er litt Todesqualen. Er hielt den Spruch noch ein paar Sekunden aufrecht, senkte dann aber seinen Zauberstab, woraufhin sein Onkel auf dem Boden zusammenklappte. "Und jetzt hör mir gut zu, denn ich werde es nicht wiederholen.", zischte Harry eindringlich. "Weder du noch sonst irgendwer in diesem Haus wird mich jemals wieder zu Gesicht kriegen. Ich gehe. Ihr habt mich lange genug schikaniert und erniedrigt. Bis jetzt habe ich mir das gefallen lassen, aber damit ist nun Schluss.
Ich habe es nicht nötig mich mit euch abzugeben; ihr seid der letzte Abschaum. Ihr seid nur gewöhnliches, konservatives Pack, eifrig darauf bedacht, normal zu sein." Er verzog sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. "Normal! Wer will schon normal sein? Aber okay, für euch mag das in Ordnung sein, aber nicht für mich. Ich bin keiner normaler kleine Junge, den ihr rumschubsen könnt, wie es euch beliebt. So was bin ich nie gewesen und werde es auch niemals sein! Und das bedeutet, dass mich alles hier einfach nur total ankotzt, und deshalb verschwinde ich!
Und wag es bloß nicht, mir zu wiedersprechen; Ich weiß dass es euch ohne mich hier viel besser gefallen wird. Solltest du mich jedoch trotzdem versuchen aufzuhalten, wird es dir sehr, sehr Leid tun", fügte er noch drohend hinzu, bevor er die Treppe hinauf ging, um zu packen. Er schlug die Tür seines Zimmer hinter sich zu und blieb dann stehen. Was sollte er mitnehmen und was nicht? Er überlegte kurz und sammelte dann alles ein, was er für die Schule brauchen würde. Dann packte er noch seinen Tarnumhang, die Karte des Rumtreibers und das Fotoalbum mit den Bildern seiner Eltern in den Koffer.
Nun blieben nur noch die Geschenke und Briefe, die er in den vergangenen Jahren, seit er nach Hogwarts gekommen war, von seinen Freunden bekommen hatte. Kurz blitzten die Bilder von Ron, Hermine und Hagrid vor seinem inneren Auge auf, doch dann schüttelte er den Kopf, wie um sie zu vertreiben, packte seinen Koffer in die eine, Hedwigs Käfig in die andere Hand, schulterte seinen Besen und verließ sein nun ehemaliges Zimmer. Dann fiel ihm etwas ein, er legte sein Gepäck noch einmal ab, zückte seinen Zauberstab und murmelte ein paar Worte, woraufhin all die Andenken an seine "Freunde" verschwanden.
Zufrieden nahm er seine Sachen wieder auf und stieg die Treppe nun zum letzten Mal hinunter. Unten angekommen hielt er Ausschau nach seinem Onkel, doch der ließ sich nicht mehr blicken. Gut für ihn dachte Harry und trat hinaus auf die Straße, wo er in wenigen Sekunden den Fahrenden Ritter rufen würde. Endlich bin ich frei dachte er noch, ehe er die Tür zu Nummer 4 des Ligusterwegs mit einem lauten Knall für immer hinter sich schloss.
30 Meilen entfernt schreckte ein Junge mit silberblondem Haar aus seinem unruhigen Schlaf hoch.
