Arizona ´65
Zum Abschluss des Winterhalbjahres durften die Schüler der zweiten Klasse der Elementary-School ein Wissenschaftsprojekt ausarbeiten. Die Schule wurde nicht nur von den Kindern der Anwohner besucht, sondern auch die meisten Kinder im Grundschulalter vom nahegelegenen Fliegerhorst der US Armee besuchten diese.
Am Vortag hatte Gregs Mom geholfen, das Projekt ihres achtjährigen Sohnes in die Schule zu schaffen und Greg war den ganzen Tag noch hippeliger gewesen als sonst. Der Junge hatte kaum geschlafen, was gut war, denn deswegen machte er nicht ins Bett und bekam mal keinen Ärger zum Frühstück serviert.
Greg war gerade völlig besessen vom Weltall und hatte ein Mobile des Sonnensystems gebastelt und die Planeten liebevoll bemalt. Die Abstände waren maßstäblich korrekt, auch die Größenverhältnisse der Planeten zueinander und der Saturn hatte sogar bewegliche Ringe!
Und heute hatte er tatsächlich den ersten Platz gewonnen! Als der Bus hielt, rannte er so schnell er konnte quer über den Stützpunkt zu dem kleinen Häuschen, das die junge Familie des Piloten John House bewohnte.
„Mommy! Mommy! Ich hab' gewonnen!" rief der Junge schon von weitem. Die Tür flog so weit auf, dass sie gegen die Wand knallte und seine Mutter kam aus der Küche.
„Oh, Schatz das ist wunderbar. Ich habe Dir ja gesagt, dass Deine Arbeit großartig ist." Blythe nahm den dürren Jungen in die Arme und küsste ihn herzlich. Sie war stolz auf ihren kleinen Gregory, auch wenn seine ständigen Fragen sie manchmal verrückt machten. Der Wissensdurst des kleinen Gregory war unstillbar.
Für einen Moment schmolz das Kind in der Umarmung dahin, aber dann griff die Rastlosigkeit wieder zu und er rannte in sein Zimmer, um den Ranzen abzustellen. „Darf ich mit Billy und Charlie an den Bach?"
„Wenn Du die Hausaufgaben gemacht hast."
„Oooch!"
„Was musst Du denn machen?"
„Rechnen. Das ist langweilig. Da haben wir doch schon in der Schule gemacht!"
„Na, dann geht es doch schnell. Hol Dein Heft, ich setze mich zu Dir." Schlug Blythe vor. Wenn sie nicht dabei war, verlor Greg sich schnell in Tagträumen, weil die Hausaufgaben ihn derart langweilten. Manchmal saß er eine Stunde so da, und war mit den Gedanken ganz woanders. Nach einem Gespräch mit einem der Lehrer hatte sie damit begonnen. Man hatte ihr gesagt, ihr Junge sei alles andere als dumm oder faul, aber er langweile sich oft im Unterricht und das würde dann zu solchen Dingen führen. Also achtete Blythe darauf, dass es nicht soweit kam. Zumindest zu Hause konnte sie darauf einen Einfluss nehmen.
Auch heute waren die Hausaufgaben schnell erledigt und Greg war frei. Auf seinem kleinen Fahrrad strampelte er, so schnell er konnte, hinüber zum Bach.
Pünktlich für das Abendessen war Greg wieder zu Hause, wusch sich die Hände und das GEsicht und setzte sich an den gedeckten Tisch. Beten. Essen. Das Essen verlief im Haus immer sehr still, denn sein Vater vertrat die Ansicht, man solle sich seiner Nahrung wirklich bewusst sein – wie sonst könnte man dem Herrn aufrichtig dafür danken? Greg platzte fast.
Als John House endlich das Besteck beiseite legte, legte Greg sofort los:
„Daddy, Sir? Ich hab den ersten Preis gewonnen!"
Ein irritierte Blick flackerte zu Greg „Wobei denn?"
„Bei dem Wissenschaftswettbewerb! Mein Planeten-Mobile! …Sir."
John erinnerte sich daran, den Jungen in der Garage gesehen zu haben, als er mit der viel zu großen Laubsäge gekämpft hatte. Einer der Wehrpflichtigen aus der Mannschaftsunterkunft nebenan hatte ihm geholfen. „Muss man das nicht alleine ausarbeiten?"
Greg war fast entrüstet „Habe ich doch! Ich habe drei Tage lang die Größen überlegt und die Abstände. Ich habe sogar das Holz ganz alleine gekauft! Das war ganz schön schwer, aber ich hab's geschafft!" er hob sein Ärmchen, um seinem Vater zu demonstrieren, wie stark er war.
John grinste kurz amüsiert, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „Hat dir da nicht ein Private mit dem Bohren geholfen?"
„Wilson ist total nett! Er lacht mich nicht immer aus wie die anderen." Mark Wilson war ein Wehrpflichtiger, der es kaum erwarten konnte, endlich ‚sein Mädchen' wie er es nannte, wieder zu sehen. Dafür hatte Greg kein Verständnis, denn Mädchen waren erwiesenermaßen doof! Dennoch hatte Wilson immer ein nettes Wort für ihn übrig und als der Private gesehen hatte, wie der Junge sich mit der viel zu schweren Bohrmaschine fast umbrachte, hatte er schnell die paar Löcher gebohrt und war dann zu seinen Kameraden gelaufen. Niemand hatte sich dabei etwas gedacht. „Die Bohrmaschine kann ich noch nicht heben, Sir. Sie ist zu schwer."
„Dann musst Du Dir ein Projekt aussuchen, dass Du auch durchführen kannst. Du hast Dir den Preis erschummelt." Sagte sein Vater streng. „Du wirst Dich morgen dafür entschuldigen und Dein Projekt zurückziehen."
Tränen schossen dem Kind in die Augen „Aber…" er hatte so hart daran gearbeitet, hatte so sehr gehofft, auf das Wohlwollen seines Vaters zu treffen…
„Du willst doch nicht betrügen, oder?"
„…nein… es, Daddy, es waren doch nur ein paar Löcher…"
Aber John House war eisern „Du sollst nicht lügen, Sohn."
Gregory schniefte laut. Das war so unfair! Er sah hilflos zu seiner Mutter, aber die blickte nur betroffen auf den Tisch. John war der Herr im Hause und auch, wenn sie das übertrieben fand, so wusste John sicherlich am besten, was gut für den Jungen war.
John stand auf, um ins Wohnzimmer zu gehen „Und hör auf zu heulen, dafür bist Du schon lange zu alt!"
Es wäre Gregory nie im Leben eingefallen, einen Befehl seines Vaters zu verweigern. Also ging er zu seiner Klassenlehrerin und sagte ihr, er habe gelogen, das ganze nicht alleine gemacht und deswegen müsste der Preis an Beth gehen.
Die Frau wollte das eigentlich nicht zulassen, aber sie sah, dass der Kleine fast panisch wurde, als sie ihm sein Mobile nicht mitgeben wollte. Sein Vater würde die Mülltonne kontrollieren und wenn er dort das Mobile nicht finden würde, würde es wirklich schlimm werden. Wahrscheinlich würde er ihn wieder im Schrank einsperren! Die ganze Sache war so schon schrecklich genug!
„Hey, Kumpel, was machst du denn da?" Private Wilson beobachtete, wie der Kleine von nebenan weinend sein Mobile in den Müll stopfte.
Ertappt wischte Gregory sich den Rotz aus dem Gesicht. „ich… ich hab gelogen und deswegen darf ich den Preis nicht haben."
„Wobei hast du denn gelogen?"
„Man muss das alleine machen und Du hast mir geholfen. Das hatte ich aber nicht gesagt."
„Aber es war deine Idee und ich hab' die Löcher nur da gebohrt, wo Du sie haben wolltest." Der Private kniete sich hin und reichte dem Jungen ein sauberes Taschentuch. „Das ist verdammt unfair! Dein Daddy sollte mal mit deiner Lehrerin reden!"
Gregory schaute sich um „Aber mein Daddy will das doch so. Daddy sagt, man darf auf keinen Fall lügen!"
Darauf wusste Private Wilson nichts zu sagen. Er war fassungslos über die härte, die dieser ‚Vater' seinem kleinen gegenüber zeigte.
Drei Tage später klopft es an der Tür und als Blythe öffnete, stand ein junger Soldat vor der Tür. „Ja, bitte?"
„Ma'am, ich würde gerne zu Gregory." Er hielt ein notdürftig verpacktes Paket in der Hand.
Als Gregory an die Tür kam, hielt Private Wilson ihm das unförmige Paket hin „frohe Weihnachten, Gregory." Er wuschelte dem Knirps durch die Haare und ging. Er schwor sich – sollte er mal Kinder haben – niemals so mit ihnen umzugehen!
Als Gregory sein Geschenk auspackte, hielt er die Luft an. Es war sein restauriertes Mobile!
