1. Kapitel

Die Unterrichtsstunde verlief eigentlich wie immer und nichts deutete darauf hin, dass diese Normalität schon bald ein jähes Ende finden würde, ganz besonders für Hermine. Sie befand sich zusammen mit Harry und Ron in ihrem letzten Schuljahr und sie alle drei waren nun schon seit zwei Jahren UTZ-Schüler im Fach Zaubertränke, das Professor Severus Snape lehrte.

Da nur wenige Schüler den Mut hatten, Zaubertränke bei Snape als UTZ-Fach zu belegen, vom fehlenden Interesse ganz zu schweigen, war die Klasse ab dem fünften Schuljahr merklich geschrumpft. Was den zweifelhaften Vorteil für jeden Schüler hatte, noch mehr in den Genuss von Snapes Aufmerksamkeiten zu kommen.

Hermine ließ die letzten Zutaten in ihren Kessel gleiten und rührte den Trank bedächtig um. Da sie als erste mit dem Zaubertrank fertig war, erlaubte sie sich ihre Gedanken ein wenig schweifen zu lassen.

Ihr Blick fiel auf Ron. Er war noch größer, schlaksiger, linkischer und launischer geworden. Hermine seufzte leise. Ron hatte die Anforderungen des UTZ-Kurses mit Hängen und Würgen erfüllt und litt am meisten unter Snape. Er bekam für seine Leistungen fast immer null Punkte und Snape bezeichnete ihn als zweiten Neville Longbottom. In seiner Gegenwart den Namen Snape auch nur zu erwähnen war lebensgefährlich geworden. Hermine hatte nur begrenztes Mitleid für Ron übrig. Sie war der Meinung, er sei einfach zu faul und würde sich zu sehr auf sie verlassen. Aber jeder Versuch mit ihm über dieses Thema zu sprechen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ron war ein Vulkan der jeden Moment zu explodieren drohte.

Hermines Blick wanderte nun zu Harry, der stumm und mit hochkonzentrierter Mine an seinem Zaubertrank arbeitete. Auch er hatte sich verändert. Er war nachdenklicher geworden, in sich gekehrter, aber auch selbstbewusster. Ron war zwar der größere von beiden, aber Harry eindeutig der attraktivere. Die Haare immer noch verstrubbelt, die grünen Augen, die statt des üblichen Lächelns nunmehr einen sehr ernsten Ausdruck hatten. Er wirkte reifer, erwachsener. Doch er schien seine Lebendig- und Fröhlichkeit verloren zu haben. Hermine hoffte, er würde irgendwann wieder der Alte werden. Um seinetwillen aber auch wegen Ginny. Snape und Harry hatten so etwas wie einen Waffenstillstand geschlossen. Sie ignorierten sich so gut es ging gegenseitig, und Snapes Kommentare bezogen sich nur noch auf Harrys Hausaufgaben oder Zaubertränke und nicht mehr auf seine Person.

„Tja, und wie hast du dich verändert", fragte sich Hermine und biss sich nachdenklich auf die Lippen. Sie fühlte sich eigentlich nicht anders. Sie war durch die Ereignisse im letzten Jahr zwar auch reifer, klüger und selbstsicherer geworden aber sie war trotzdem immer noch die Gleiche geblieben. Im Gegensatz zu ihren Freunden.

Hermine hörte das leise Rascheln eines Umhangs hinter sich und wusste sofort wer es war. Snape. Er hielt seine Nase über ihren Kessel, warf einen prüfenden Blick hinein, drehte sich, ohne Hermine eines Blickes oder Kommentars zu würdigen, auf dem Absatz um und nahm erneut seinen Rundgang durch die Klasse auf der Suche nach neuen Opfern auf. Hermine bekam nie ein Lob von Professor Snape. Wenn er an ihren Tränken nichts auszusetzen hatte ging er einfach weiter. Nicht das Hermine sonderlich erpicht gewesen wäre mehr als nötig mit Eisschrank-Snape zu sprechen. Doch nie etwas Gutes über seine Arbeit zu hören, konnte entmutigend sein.

Hermine blickte Snape nach, der mit stechendem Blick auf Seamus zuging und ihn wegen einer Kleinigkeit tadelte. „Komischer Mann", dachte sich Hermine. Jetzt ist er schon so lange dein Lehrer und du kannst ihn immer noch nicht einschätzen. Hermine wusste nicht was sie von Snape halten sollte. Er war eine Koriphäe in Zaubertränke und Verteidigung gegen die dunklen Künste und sie respektierte ihn, aber als Mensch? Ein sympathischer Mensch war er nicht gerade. Er nannte sie immer noch Know-it-all-Granger, was sie maßlos ärgerte. Aber beschweren konnte sie sich darüber nicht. Außer sie wollte Gefahr laufen von Snape zu einer Strafarbeit verdonnert zu werden.

Im Hintergund hört Hermine Snapes barsche Stimme einen Befehl bellen. Doch was er genau sagte, nahm sie nicht wahr. Zu tief war sie in ihren Gedanken versunken.

Harry stupste sie sanft an und Hermine erwachte wie aus einer Trance. „Hermine was ist denn los mit dir? Hast du nicht gehört? Die Stunde ist zu Ende und wir sollen eine Probe des Trankes abgeben", flüsterte Harry.

Hermine blickt sich hastig um und sah wie ihre Mitschüler bereits Richtung Ausgang drängten.

„Wir gehen schon mal in die große Halle", sagte Ron. Er und Harry gliederten sich in die Schlange der nach draußen Strömenden ein.

„Miss Granger, Sie haben die Geschwindigkeit einer Schlafwandlerin! Geht das ein bisschen schneller?", schnarrte Snape.

Hermine packte hastig ihre Tasche zusammen, füllte eine Probe ihres Trankes ab und räumte ihren Tisch leer.

Sie wollte gerade zu Snapes Pult laufen und ihre Probe abgeben als sie seine Stimme sagen hörte: "Lassen Sie die Phiole an Ihrem Platz stehen und scheren Sie sich endlich raus!"

Rasch ging Hermine zur Kerkertür und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Sie hatte nicht bemerkt, das, ihre Schultasche nicht richtig verschlossen war und ein kleines schwarzes Buch heraus fiel und nun auf dem Boden, inmitten des Kerkers lag.

Hermine hastete die Treppen hinauf und ging in die große Halle, in der bereits das Mittagessen begonnen hatte.

Professor Snape schritt zu Hermines Platz, nahm sich ihre Probe und dabei fiel sein Blick auf das kleine schwarze Buch, das vor ihm auf dem Boden lag. Er runzelte die Stirn, bückte sich und hob es auf.

Schon beim Betreten der großen Halle tauchte Hermine in das Stimmengewirr aus Unterhaltungen und vereinzeltem Gelächter, untermalt von Besteckgeklapper ein. Der würzige Duft heißer Kürbissuppe kitzelte ihr in der Nase und verbreitete trotz der Betriebsamkeit Wärme und wohlige Vertrautheit.

Sie ging an den Tisch der Gryffindors und setzte sich zu Harry, Ron und Ginny, zog sich einen Teller heran und füllte ihn mit Kürbiscremesuppe. Ron schaufelte sich Kartoffelbrei auf seinen Teller und machte sich über ihn her, als hätte er schon drei Tage nichts mehr zu essen bekommen. Harry dagegen stocherte lustlos in seinem Essen herum, und fixierte einen Punkt über Ginnys Schulter, die ihm gegenüber saß.

Hermine löffelte ihre Suppe und betrachtete aus den Augenwinkeln Ginny, die nichts aß sondern statt dessen Harry anstarrte und offenbar versuchte ihn zu hypnotisieren. Harry erwiderte ihren Blick nicht, sondern senkte die Augen auf seinen Teller.

„Sie sieht erschöpft aus", dachte sich Hermine besorgt. Ginny war mager geworden. Die sonst so glänzenden Haare waren strähnig und ungepflegt. Sie war unnatürlich blass, und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Hände spielten nervös mit dem unbenutzten Besteck. Man sah ihr den Liebeskummer an. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, wieder mit Harry zusammen zu kommen. Doch so langsam nagten auch an ihr Zweifel, wie Hermine aus den zahllosen Gesprächen mit Ginny wusste. Hermine wusste auch von Harry, dass er zwar Ginnys Gefühle erwiderte, aber noch nicht bereit war die Beziehung wieder aufzunehmen. Harry behandelte Ginny mit ausgesuchter Höflichkeit, aber Herzlichkeit ließ er ihr nicht zu teil kommen. Doch Hermine hatte, ohne Harry zu verraten, Ginny überzeugen können nicht aufzugeben, egal wie lange es dauern sollte. Mehr konnte Hermine für die Beiden nicht tun.

Die Stimmung war gedrückt und bis jetzt hatten die Freunde kein Wort miteinander gewechselt. Hermine zog es vor, sich ihrem Essen zu widmen, statt den Versuch eines Gesprächs zu wagen.

Ron schob den leeren Teller von sich und sah mit missmutiger Mine in die Runde. „Mein Gott, dieser Gesichtsausdruck muss sich doch schon festgefroren haben", dachte sich Hermine und musste unwillkürlich grinsen.

Hermine schloss eine innere Wette mit sich selbst ab. „Wie lange wird es wohl dauern, bis er wieder über Snape zu meckern anfängt?", überlegte sie sich.

Schon unterbrach Ron ihre Gedanken mit den Worten: "Oh wie ich ihn hasse. Er ist so unfair. Ein arroganter Pinsel und ein menschliches Ekel, denkt er hat das Wissen gepachtet", schimpfte Ron lautstark.

Hermine setzte zu ihrer üblichen Ansprache an: "Ron, erstens hat Professor Snape ohne Frage mehr Wissen als wir alle zusammen, zweitens könntest du dir wirklich mehr Mühe mit dem Unterrichtsstoff geben und drittens wird es nicht besser, wenn du nur jammerst!", dozierte sie.

„Sprich außerdem nicht so laut Ron. Sonst hört dich noch einer der Lehrer", fügte sie tadelnd hinzu und warf einen verstohlenen Blick hoch zum Lehrertisch. Direktor Slughorn war in ein Gespräch mit dem kleinen Professor Flitwick vertieft. Prof. McGonaghall und Prof. Lupin, der ab diesem Jahr wieder Verteidigung gegen die dunklen Künste lehrte, hatten allerdings diesen kurzen Disput zwischen Ron und Hermine bemerkt und schauten aufmerksam herüber. Sie nickten Hermine bestätigend zu und nahmen ihr Gespräch wieder auf.

Ron, der dies registrierte, sprang mit zornrotem Gesicht auf, wobei er Neville von der Bank fegte, und zischte Hermine leise zu : "Schön, dann will ich dich nicht länger mit meinem Gelaber belästigen Miss-Know-it-all.", und rauschte davon.

Hermine war sprachlos. Diesen Ausdruck zu benutzten war gemein. Doch sie übte Nachsicht mit Ron und sie wusste, im Laufe des Tages würde sie ihm verziehen haben.

Harry und Ginny hatten immer noch kein Wort miteinander gewechselt, und Hermine hütete sich die etwas frostige Stimmung mit Smalltalk aufzuheitern, was garantiert nach hinten losgehen würde.

Ginny warf Harry noch einen letzten enttäuschten Blick zu, stand auf und schlurfte mit hängenden Schultern hinaus.

Gerade als Hermine Harry ansprechen wollte, sagte dieser: "Ich geh in die Bibliothek", und stürzte fluchtartig davon. Harry ging immer in die Bibliothek wenn er alleine sein wollte.

Hermine löffelte ihre Suppe zu Ende, packte ihre Schultasche und ging gemeinsam mit Neville in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors.