Kapitel 1

"Graf? Graf von Krolock?" Die Frauenstimme hörte ich nur wie durch Watte. Unfähig, mich zu bewegen, blinzelte ich zweimal, um zumindest ein paar schärfere Umrisse zu erkennen. Eine zierliche Gestalt hatte sich über mich gebeugt. Was tat ich hier überhaupt? Wieso lag ich, geschwächt und fast ohnmächtig auf dem Boden des großen Tanzsaals? "Sarah, ich bitte dich! Der Professor irrt alleine durch den Schnee…" Wieder blinzelte ich. Sarah? Sie war hier? Plötzlich brach die Erinnerung wieder über mich herein. Der Tanzsaal…der Mitternachtsball. Ich hatte sie gebissen. Und dann waren dieser einfältige Professor und sein Gehilfe aufegtaucht…und dann…das Kreuz! Sie hatten mit Kerzenständern ein Kreuz geformt, unter dessen Anblick meine Kraft in sich zusammengefallen war. Was für ein unwürdiger Anblick! Ich, Graf Breda von Krolock, lag zusammengekrümmt und schwach am Boden! Mit Mühe öffnete ich die Augen, und sah das bleiche Antlitz von Sarah, die mich mit tiefer Besorgnis anschaute. Am ihren Hals sah ich noch die Wunde, die meine Zähne geschlagen hatten. Oh, was war das für ein Glücksgefühl gewesen, als ihr warmer Lebenssaft durch meine ausgetrocknete Kehle rann. Ich spürte wie ihr leben sie verließ, und es auf mich überging. Ihr schwacher Körper zitterte in meinen Arm, und schließlich war sie in meinen Armen zusammengesunken. Plötzlich tauchte neben ihr Herbert auf. "Paps? Wie fühlst du dich? Du siehst nicht gerade gut aus…" Er schien vollkommen aus dem Häuschen, aber ich ging davon aus, dass es eher am Erscheinen Alfreds lag, hinter dem mein Sohn her war wie die Fliege hinter dem Licht. Ich wollte antworten, doch ich spürte, sobald ich den Mund aufmachte, würde ich vor Schmerzen stöhnen. Schwäche stand mir, einem edlen Vampirgrafen, nicht zu Gesicht. So versuchte ich, den Schmerz zu ignorieren, und brachte ein dünnes "Bringt…mich…zu…meinem Sarg…" hervor. Meine Stimme zitterte arg, und diese Anstrengung raubte mir die letzte Kraft und ließ mich in eine tiefe Ohmacht sinken.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber als ich wieder zu mir kam, fühlte ich, dass meine alten Kräfte fast vollständig zurückgekehrt waren. Es musste finsterste Nacht sein, denn als ich den Sargdeckel leicht anhob, war es stockdunkel. Plötzlich spürte, wie sich neben mir etwas bewegte. Ich hatte garnicht wahrgenommen, dass ich nicht allein im Sarg lag. Ich blickte zur Seite, und neben mir lag, den Kopf an meiner Schulter, mein Sternkind! Sie musste sich zu mir gelegt haben…ich ließ den Sargdeckel vorsichtig wieder über uns gleiten. Ich würde sie wecken, wenn ich jetzt aus dem Sarg steigen würde. So blieb ich still neben ihr liegen. An Schlaf war nicht zu denken, davon hatte ich in letzter Zeit mehr als genug. Wieder fiel mein Blick auf die zwei Bisswunden an ihrem Hals. Erneut spürte ich diesen unbändigen Hunger in mir aufwallen. Ich hatte es noch nicht beendet. Ihr Körper war noch so warm an meiner Seite. Sie gehörte noch nicht ganz zu uns…etwas in mir sträubte sich dagegen, es hier und jetzt zu Ende zu bringen. Sie im Schlaf zu beißen…nein. Es sollte so sein, wie beim Mitternachtsball. Ich wollte in ihre Augen sehen, bevor ich meine Zähne in ihr Fleisch grub, wollte sehen, dass sie ebenso nach diesem Vampirkuss gierte wie ich. Das Blut, das mir freiwillig gegeben wird, macht mich viel stärker. Und mein Sternkind würde mir sein Blut wieder geben. Freiwillig, hoffnungslos in meinen Bann geschlagen. Mein Sohn sagte immer, ich hätte "'nen Schlag bei den Frauen." So konnte man es natürlich auch formulieren. Ich unterdrückte meine Gier, die schon wieder begann, mich jeglichen vernünftigen Denkens zu berauben. Jetzt durfte ich sie nicht beißen. Ich blieb still liegen. Sie würde wachwerden, bald schon.

Ihre Augenlider zuckten, es war soweit. Ich strich ihr vorsichtig durchs Haar, dass wie gesponnenes Gold durch meine alten, kalten Hände fiel. Ihre Schönheit raubte mir den Atem…kein Wesen hatte es seit dem tragischen Tod von Herberts Mutter geschafft, mich so für sich zu gewinnen. "Wach auf, mein Sternkind" flüsterte ich, und als sie den Kopf zu mir drehte und die Augen aufschlug, ging meine Beherrschung fast verloren. "Graf von Krolock!" rief sie aus, als sie mich kannte. "Geht es euch besser? Ihr…wir haben uns solche Sorgen…" Mit einer Handbewegung gebot ich ihr zu schweigen. Jetzt war nicht die Zeit, viele Worte zu machen. Ich öffnete den Sargdeckel, verließ mein nächtliches Domizil, und half, wie es sich für einen Mann meines Standes gehörte, Sarah aus dem Sarg. Sie war nur in ein dünnes Nachthemd gehüllt, und fror offenbar. Sie sah mich mit einem fast scheuen Blick an, und doch schien sie mit sich selbst zu kämpfen. Ich griff sacht nach ihrer Hand und zog sie zu mir. Sie sah mich einen Moment lang sehnsüchtig an, dann legte sie den Kopf zur seite, und legte ihren Hals frei. Ich hatte kaum ein Wort gesprochen. Und schon bot sie sich mir an. Aber noch würde ich es nicht tun. "Sarah…" ich drehte ihren Kopf sanft zu meinem. Sie blinzelte mich leicht irritiert an. "Graf, was…?" Wieder musste ich ihr Einhalt gebieten. "Genug der Förmichkeiten, mein Sternkind." Ich trat zwei Schritte von ihr weg und verbeugte mich tief. "Breda von Krolock", stellte ich mich vor und sah wieder auf. Sie stand noch immer leicht verängstigt vor mir, offenbar nicht wissend, was sie tun sollte. Mit einer nach meinem Schwächeanfall doch beeindruckenden Leichtigkeit hob ich sie auf die Arme. Sie war dünn, und ihr so zerbrechlicher Körper zitterte erneut. "Ich möchte dir etwas schenken, etwas, dass deine Schönheit, sofern dies möglich ist, noch steigern wird." Und ohne ein weiteres Wort trug ich sie zu den Gemächern meiner toten Gemahlin. Während ich durch die Gänge meines alten Schlosses schritt, sah sich Sarah staunend um. Offenbar hatte sie bei ihrem ersten Besuch nicht die Zeit gefunden, alles zu begutachten. "Ich werde dir jeden Winkel des Schlosses zeigen, Sternkind." Sie schaute zu mir auf, und lächelte. Erneut wallte die unstillbare Gier in mir auf, und ich spürte, wie das Tier, das in mir tobte, mit aller Kraft versuchte, nach außen zu brechen. Es war Glück, dass wir unser Ziel erreichten. Vorsichtig setzte ich die junge Schönheit ab, öffnete die Tür und ließ sie eintreten. Mit unsicheren Schritten trat sie herein, und sah sich um. Ihre Augen leuchteten beim Anblick des Zimmers, und als sie im Zimmer nebenan dass einladend ausgestattete Badezimmer erblickte, schien alle Angst von ihr gewichen. "Sarah…zu allem wirst du genug Zeit haben…aber…" Ich öffnete den großen Wandschrank zu meiner Linken. "…tu mir einen Gefallen, mein Engel." Ich wusste, welches Kleid ich auswählte. Das mitternachtsblaue Kleid hatte meine geliebte Gemahlin getragen, als ich ihr den Vampirkuss gab. "Zieh es an" bat ich sie. "Du wirst wunderschön darin aussehen." Sie schaute mich an, nahm das kostbare Kleid mit zittenrden Händen an sich. "Danke… …Breda…" flüsterte sie, und verschwand im Nebenraum. Ich ging zum Fenster hinüber. Breda. Es war verflucht lange her, dass jemand diesen Namen ausgesprochen hatte. Keiner der unzähligen Frauen, deren Blut ich getrunken hatte, hätte ich es gestattet, alle Förmlichkeiten fallen zu lassen. Warum jedoch ausgrechnet Sarah die erste seit hunderten von Jahren war, die mich bei dem Namen, den meine seelige Mutter mir gab, nennen durfe, ist mir bis heute ein Rätsel. Lange stand ich am Fenster und blickte hinaus in die ewige Finsternis. Sarah badete, ich schätze, sie konnte kein Badezimmer betreten, ohne in die Wanne zu steigen. Ich lächelte bei dem Gedanken. Meine Catherina war genauso gewesen. Sie hatte mehr Zeit in der Badewanne als in unserem Bett verbracht. Manchmal musste ich sie regelrecht anflehen, doch endlich aus der Wanne zu steigen. "Breda, Liebster…noch 10 Minuten…" ihre Stimme halte durch meinen Kopf wie durch eine dunkle Gruft. "…Breda!" Ich schaute auf. War das nur die Erinnerung in meinem Kopf? Oder… "Breda!" Nein…Sarah rief wirklich nach mir. Ich ging hinüber zur Badtür, und hielt einen Moment inne. Ich weiß nicht was ihr Anblick bei mir auslösen würde. Ich wollte sie nicht überfallen wie ein wildes Tier…und doch…der Anblick, ihres hüllenlosen Körpers in der Wanne hatte mich schon bei unserer ersten Begegnung fast zum Tier werden lassen. Was passierte da nur mit mir! Es sah mir garnicht ähnlich, dass eine Frau mich so aus der Fassung brachte. Entschlossen öffnete ich die Tür, bereit, mich jedem noch so verführerischen Anblick zu stellen. Doch was ich sah, übertraf meine Vorstellungen. Sarah stand vor mir, in diesem wundervollen Kleid, dass ihr so gut stand, als hätte man es für sie gefertigt. Ihr bezaubernstes Lächeln aufgesetzt stand sie vor mir. Ohne ein Wort zu sprechen drehte sie mir den Rücken zu und lehnte sich gegen mich. "Nimm dir, was du willst. Ich will es auch" flüsterte sie. Ich vergaß all meine Vorsätze, all meine Standhaftigkeit. Langsam, sehr langsam, um jede Sekunde zu genießen, beugte ich mich zu ihr herunter.