Chapter 1

Die Straßenlaterne vor meinem Haus flackerte, sie würde sicher bald endgültig erlischen. Mir sollte es recht sein, konnte ich doch im Dunkeln besser sehen. Ich zog mir meinen Mantel über und ging hinaus. Es hatte kurz zuvor geregnet, und der Regen hatte die üblen Gerüche der Großstadt in sich aufgesogen. Zumindest schien es so, doch dieser Zustand hielt nie lange an. Nach kurzer Zeit roch man wieder die Abgase der Autos und die seltsamen Gerüche der Seitenstrassen, die Düfte aus aller Herren Länder, die sich durch die verschiedensten Fast Food Buden verbreiteten. Doch im Moment schien alles so sauber und rein und ich genoss es einfach, etwas frische Luft einzuatmen. Ich hatte Hunger und musste nun etwas finden, was meinen Appetit befriedigte. Ich bog in die nächste Querstrasse ein, die mich direkt zur Kensington Road führte. Es dauerte nicht lang und der Lärm der Hauptstrasse überflutete meine Ohren. Dieses pulsierende Leben, diese vielen verschiedenen Menschen, die geschäftig ihrem Treiben nachgingen. Sie alle waren so sehr mit sich selbst beschäftigt. In ihren Gesichtern kann man lesen, wie in einem Buch, doch jeder kümmert sich nur um sich selbst.

An der Bushaltestelle saß eine alte Frau, ihr Haar war zu einem Knoten gebunden, der sich langsam auflöste. Ihr Gesicht war zerfurcht und man sah ihr an, dass sie einen verdammt harten Tag hinter sich hatte und doch war sie die Einzige, die lächelte. Als der Bus kam, stand sie auf und eine ihrer durchnässten Einkaufstüten riss. Die Äpfel fielen auf den Boden und auch der Rest ihrer Einkäufe verbreitete sich auf dem Bürgersteig. Doch niemand half ihr. Sie sah sich vorsichtig um und musste sogar Acht geben, nicht von den Menschen überrannt zu werden, die den Bus noch erreichen wollten. Sicher wollte auch sie diesen Bus nehmen, doch er fuhr ab, ehe sie fertig war ihre Habseligkeiten einzusammeln. Als er losfuhr, bespritzte er sie mit Regenwasser, das sich in einer Pfütze gebildet hatte und von einem der Reifen hochgespritzt wurde. Ich ging auf sie zu und half ihr. Völlig ermattet setzte sie sich wieder auf die Wartebank und versuchte sich mit einem Taschentuch zu trocknen. „Ich danke Ihnen, wie zuvorkommend. Ach, dass ist heute einfach nicht mein Tag. Und nun komme ich auch zu spät nach Hause. Mein kleiner Max wird sich sicher schon Sorgen machen." Ich setzte mich neben sie und hörte ihr einfach nur zu. Es schien ihr eine Erleichterung zu sein, ein wenig Dampf abzulassen. „ Er sitzt sicher schon am Fenster und fragt sich, wann ich Heim komme." „Ihr Sohn?". Sie lächelte mich an und ihre Falten gaben ihrem Gesicht einen sehr lieben Ausdruck. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen? Erst durch die Falten die ein Mensch hat, wirkt er menschlich. Ich liebe diesen Ausdruck und ich genieße es ältere Menschen anzuschauen. „Ach was reden sie denn, hätte ich Kinder so würden sie sicher nicht mehr bei mir leben. Dafür bin ich zu alt. Nein mein Kater heißt Max. Jeden Abend um acht bekommt er seine kleine Schale mit Sahne und dann setze ich mich in den großen Ohrensessel vor dem Kamin und lese ihm vor. Dann legt er sich auf meinen Schoß oder auf meine Füße und schnurrt. Das ist wie ein Ritual und ich will ihn doch nicht enttäuschen." Sie schmunzelte und ihre Augen begannen zu strahlen. „Sie leben also allein mit ihrem Kater?". „Ja genauso ist es, wir sind nun allein, seit dem mein lieber Harry vor 4 Jahren von uns gegangen ist. Er war so ein guter Mann, wir waren 61 Jahre verheiratet und keinen einzigen Tag getrennt. Wie sehr ich ihn doch vermisse." Für einen kurzen Moment legte sich ein trauriger Ausdruck auf ihr Gesicht und sie schnäuzte sich kurz. Dann lächelte sie mich wieder an, als wäre nichts gewesen. „Oh entschuldigen Sie, ich rede hier dummes Zeug und halte sie unnötig auf. Sie haben sicher etwas Besseres vor!" Ich legte mein charmantestes Lächeln auf. „Keine Sorge, ich wollte nur, genau wie sie, den Bus erwischen. Wo müssen sie hin?" „Ich muss eigentlich nur 3 Stationen fahren bis zur Station Royal Albert Hall, aber mit den Tüten ist es doch etwas mühsam."

„Wissen sie was, da muss ich auch hin. Was halten sie davon, ich helfe ihnen dabei die Tüten zu tragen und wir laufen zusammen. Der nächste Bus kommt erst in ca. 20 min.. Bis dahin haben wir das zu Fuß schneller geschafft." Sie sah mich kurz erstaunt an und stand dann voller Elan auf. „Das findet man nun wirklich selten. Das ein junger Mensch so hilfsbereit ist. Das Angebot nehme ich gerne an. Dann muss mein Max auch nicht so lange auf mich warten." Sie reichte mir 2 der Einkaufstüten und so machten wir uns auf den Weg.

Es war wirklich keine große Entfernung und ich zog es generell vor mich zu Fuß fortzubewegen, anstatt in ein volles Verkehrsmittel zu steigen, indem man angestarrt wird oder angerempelt. Und auch wenn es in den Abendstunden sicher angenehmer war als am Tage, die diversen Geräusche der Passagiere waren mir zuwider. Ob es nun ein Jugendlicher war, der seinen Discman so laut eingestellt hatte, dass man noch 5 Reihen vor ihm hörte, welche Musik da gerade sein Trommelfell zerstörte. Oder wenn sich ein Paar stritt, als sei niemand um sie herum. Und dann diese verträumten Blicke von Fahrgästen, die einfach stupid versuchten durch die verdreckten Scheiben nach draußen zu sehen. Doch insgeheim beobachteten sie durch die Scheiben nur die anderen Passagiere. Dann gab es da natürlich noch jene, die sich hinter ihren Zeitungen versteckten. Und in den späten Abend- und Nachtstunden natürlich noch die Nachtschwärmer, die in allen Facetten vertreten waren.

Unser Fußmarsch war wirklich sehr unterhaltsam. Sie erzählte mir noch allerlei Dinge über ihren Kater Max und über die Tatsache, wie gerne sie und ihr Harry doch Kinder gehabt hätten. Plötzlich blieb sie stehen und sie musterte mich. „Wissen Sie, wenn ich eine Tochter gehabt hätte, dann hätte sie so sein müssen wie sie. Als ich noch jung war, hatte ich auch stets lange Haare und sie waren fast ebenso dunkel wie Ihre. Doch ich denke sie sollten sie offen tragen. Das würde sie noch freundlicher erscheinen lassen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es sieht schon nett aus. Aber der Zopf lässt sie ein wenig streng erscheinen." Sie sah mich von unten herauf an und versuchte zu lächeln. Offenbar hatte sie Angst, sie sei mir zu nahe getreten. Ich lächelte sie an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Das ist sehr lieb von Ihnen und ich muss zugeben, ich höre das nicht zum ersten Mal. Doch für das was ich heute noch vorhabe, ist es einfach praktischer." Man konnte die Erleichterung in ihrem Gesicht sehen und so nahm sie wieder ihre Tüten in die Hand und wir gingen weiter.

Wir bogen in eine kleine Seitenstrasse ab, direkt hinter der Royal Albert Hall. Die Häuser hier waren alle im viktorianischen Stil erbaut und man konnte ihnen den Glanz vergangener Tage noch ansehen. „Wir sind gleich da, nur noch ein paar Schritte." Wir kamen an einem kleinen Krämerladen vorbei, der von einer kleinen Gruppe Jugendlicher belagert wurde, die sich sicherlich die Getränkevorräte für diesen Abend besorgte, von uns jedoch keine Notiz nahm. „Früher haben mein Harry und ich auch in einem dieser Häuser gewohnt, doch nach seinem Tod konnte ich mir die Wohnung nicht mehr leisten. Meine Witwenrente reicht einfach nicht aus. Nun arbeite ich tagsüber in einer Wäscherei in einem Hotel und bügele die Hemden der reichen Leute. Doch es reicht nicht für mehr, als eine kleine Wohnung im Hinterhof. Aber ich sollte mich nicht beklagen, ich bin gesund. Doch muss ich zugeben, dass ich manchmal des Lebens überdrüssig bin. Wenn Max nicht wäre." Wir überquerten den kleinen Hinterhof und wie sie es gesagt hatte, saß der Kater am Fenster der Parterre- Wohnung und wartete brav, dass sein Frauchen nach Hause kam. Sie schloss die Tür auf und er kam ihr entgegen gelaufen. Es war ein recht, nun sagen wir gut genährtes Tier, der das Kommen seines Frauchens mit einem lauten Miauen und dem Balancieren zwischen Ihren Beinen honorierte, so dass sie Mühe hatte überhaupt zur Garderobe zu gelangen um ihren Mantel abzulegen. „Nun stehen sie doch nicht wie versteinert da, kommen sie herein. Haben sie es sehr eilig oder können sie noch auf ein Tässchen Tee bleiben?"

Nein ich hatte es nicht eilig und diese Einladung war mir sehr willkommen und so nickte ich und trat dann behutsam ein. Der Kater sah mich prüfend an und rannte dann wie vom Blitz getroffen in das Wohnzimmer. Ich hängte meinen Mantel sorgsam auf und schloss die Tür. Geschäftig machte sie in allen Räumen das Licht an und kam dann wieder zu mir. „Das ist schön, ein wenig Gesellschaft ist für mich und Max mal eine willkommene Abwechselung. Wo ist er denn? Sonst weicht er mir nicht von der Seite. Folgen sie mir bitte, dann räume ich die Einkäufe schnell weg."

Ich folgte ihr, auch wenn ich mich an die Helligkeit zunächst gewöhnen musste. Ich stellte die Tüten auf den Küchentisch und sie war schon dabei alles einzuräumen. Dann drehte sie sich um und nahm den alten Teekessel, füllte ihn mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. „Schauen sie sich ruhig um, ich brauch noch ein Weilchen. Und der gute Max wartet sicher schon auf sein Schälchen. Möchten sie auch ein paar Kekse zum Tee?" Ich nickte, es war unnötig ihr zu sagen, dass ich Kekse nicht mochte, es wäre unhöflich gewesen. Und ich wollte ihre Freude nicht dämmen durch eine schnöde Verneinung. Es war eine sehr kleine Wohnung, voll gestellt mir vielen Erinnerungsphotos aus längst vergangenen Tagen. Und wie es den Alten so eigen ist, ausgestattet mit alten wuchtigen Möbeln und vollgesogen mit diesem gewissen Geruch. Schwere Samtvorhänge begrenzten die Fenster. Ich zog sie zu, denn das Licht der umliegenden Wohnung flutete hinein und ich mochte es nicht, wenn man hinein sehen konnte. Das war der Vorteil, ein eigenes Haus zu besitzen, da musste man sich um Derlei keine Sorgen machen.

Ich setzte mich in einen der Sessel und zündete das Feuer im Kamin an. Sie stellte mir eine Tasse Tee und einen Teller mit Plätzchen auf den kleinen Beistelltisch, der sich zwischen den Sesseln befand. Dann setzte auch sie sich und nippte an ihrer Tasse. „Sie sind wie Harry, er zog die Vorhänge auch immer zu. Er sagte immer, privat ist privat und es gibt zu viele neugierige Menschen." Sie sah sich kurz um und durchsuchte den Raum mit ihrem Blick. „Max, Maxilein, wo bist Du? Na komm, Du brauchst doch keine Angst zu haben. Ich versteh das nicht. Das macht er doch sonst nie. Wollen sie denn nicht trinken?" „Machen Sie sich keine Sorgen um Max. Ich habe diese Wirkung auf Tiere. Oh, ich werde trinken, keine Sorge. Doch der Tee ist mir noch ein wenig zu heiß." Wieder setzte ich mein charmantes Lächeln auf. „Was würden sie tun, wenn es Max nicht gebe? Wenn sie diese Verantwortung nicht mehr hätten?" Sie sah mich etwas irritiert an und versuchte in meinem Gesicht zu lesen. Doch das konnte sie nicht. Sie nippte noch einmal an ihrem Tee und sah dann in das Feuer des Kamins. „Nun, dass ist eine schwere und doch sehr einfache Frage. Wenn Max nicht mehr wäre, dann gebe es für mich keinen Sinn mehr zu leben. Denn dann gebe es nichts mehr, dass mich hier hielte. Aber wie kommen sie darauf?". Ein Anflug von Angst überkam ihr Gesicht und ihre bis jetzt entspannte Körperhaltung versteifte sich. „Nun, ich denke es gibt immer die Möglichkeit der Entscheidung. Doch man muss sie erkennen und sie im richtigen Moment treffen. Denn wenn man diesen Moment verpasst, so bereut man es sein Leben lang." Ihr Puls ging schneller und ihre Augen weiteten sich. „Ich weiß nicht worauf sie hinaus wollen. Doch dieses Gespräch behagt mir nicht." Sie stand auf und versuchte unauffällig Abstand zu mir zu gewinnen. „Max... Max, wo bist Du? Na komm schon!" Sie trippelte nervös mit ihren Fingerspitzen auf der Lehne ihres Sessels. Ich blieb ruhig in meinem Sessel sitzen und löste meinen Blick nicht von ihr. „Haben Sie Angst vor mir? Das brauchen Sie nicht." Sie blickte mich an und versuchte zu lächeln, doch es war doch recht verkrampft. „Nein, aber nein doch, warum sollte ich Angst vor Ihnen haben? Doch ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, mich so etwas zu fragen. Das sind doch eher die Sorgen meiner Generation. Sie sind doch noch zu jung, um sich um so etwas Gedanken zu machen." Unvermittelt stand ich hinter ihr und flüsterte ihr ins Ohr. „Mein Alter wird oft unterschätzt, ich bin viel älter als Sie es sich vorstellen können." Erschrocken versuchte sie sich von mir zu entfernen, doch ich hielt sie an ihren Schultern fest und zwang sie so mich anzusehen. „Wie haben Sie das gemacht? Was haben Sie vor?" Ihr Puls raste, ihre Augen waren weit geöffnet und in ihnen konnte ich die blanke Angst sehen. „Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich werde Sie von ihren Sorgen und Nöten erlösen und dann werden sie die Ruhe finden, nach der sie sich schon so lange sehnen."

Ich legte meine Hand um ihren Hals und schob das Haar beiseite und befriedigte meinen Durst. Kurz bevor ihr Herz zum letzten Mal schlug, schlich der Kater in den Raum und sah diesem Szenario vollkommen irritiert zu. Ich setzte sie sanft in ihren Sessel und schloss ihre Augen. Max näherte sich seinem Frauchen und fauchte mich unentwegt an, wie sehr ich dies doch verachte. Was konnte ich dafür, dies war der Kreislauf des Lebens. Nun, vielleicht hätte sie noch ein paar Jahre gelebt, doch sie wäre nicht glücklich gewesen. Ich löschte das Licht und ebenso das Feuer im Kamin und verließ die Wohnung. Ich wusste nicht einmal Ihren Namen, doch das war auch nicht wichtig. Ließ ich mich schon so zu sehr auf meine Opfer ein.