Chapter 1 - Ferien
Lily Evans saß auf ihrem Bett. Ihre lockigen, dunkelroten Haare fielen ihr ins Gesicht und ihre smaragdgrünen Augen waren auf eine Pergamentrolle in ihren Händen geheftet. Die kleine Eule, die den Brief gebracht hatte, schwirrte im Zimmer umher und wartete darauf, dass sie eine Antwort mitnehmen durfte.
Auf ihrem Rundgang durch Lilys Zimmer kam sie rechts vom Fenster gleich an einem Bett vorbei. Es war ordentlich hingerichtet und der Nachttisch daneben schien direkt aus einem Möbelprospekt zu kommen, so gepflegt sah er aus. An der Wand gegenüber dem Fenster standen zwei Schreibtische. Der eine war ebenso wie das Bett und der Nachttisch aufgeräumt und lediglich ein Stapel Papier und ein Füller lagen darauf. Der andere Schreibtisch war ein einziges Chaos. Pergament, Federn, Bücher und verschiedene Gegenstände, die nicht in ein normales Haus gehörten, lagen kreuz und quer herum. Auch das Bett und der Nachttisch, der zu diesem Schreibtisch gehörten, waren um einiges unordentlicher als die Gegenstücke. Die Besitzerin der ‚ordentlichen Zone' war Petunia Evans, Lilys Schwester.
Gemeinsam hatten sie nur den großen, eichenen Schrank und die Kommode, die mitten im Zimmer standen. Ansonsten waren ihre Bereiche streng geteilt.
Aber gerade achtete Lily nicht auf ihr Zimmer und dachte auch nicht an ihre Schwester. Gerade huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Sandy, ihre beste Freundin, hatte ihr geschrieben. Ihr ging es offensichtlich ganz gut und sie wollte sich mit ihr in der Winkelgasse treffen, aber Lily war schon vor drei Tagen dort gewesen. Sie liebte die Winkelgasse. Überall waren nur Zauberer und Hexen, es gab alles Mögliche und vor allem alles Unmögliche. Alles war magisch, zauberhaft, verhext und einfach wundervoll…
Vielleicht kann ich ja noch mal hin. Mit Sandy! Ich werd' mir auch nichts kaufen, ich will nur ein bisschen rumschlendern… Ach, Mum und Dad werden es schon erlauben!
Wobei, da gab es schon eine Sache, die sie sich gern gekauft hätte. In einem der Läden hatte sie eine Anzeige für ein magisches Ding gesehen, dass erst seit heute zum Verkauf war. Einen Averise. Es sah aus, wie eine Mischung aus einem Minimuff und einer Wahrsagekugel. Wenn man ihm eine Frage stellte, dann antwortete er einem! Nicht, wenn es um irgendwelche Wissensfragen ging, sondern um Gefühlsdinge. Das einzige Problem dabei war, dass der Averise nicht unbedingt unterscheiden konnte, zwischen dem, was die richtige Antwort war und dem, was die Antwort war, die man selbst tief im Innern für richtig hielt. Lily stand auf, schnappte sich eine Feder, schrieb Sandy zurück und band den Brief der winzigen Eule ans Bein, bevor sie sie aus dem Fenster warf. Sie wollte gerade hinunter ins Wohnzimmer, um ihre Eltern um Erlaubnis zu bitten, noch einmal in die Winkelgasse zu gehen, als schon wieder etwas gegen ihr Fenster schlug.
Lily wirbelte herum und sah eine große, edle Schneeeule mit dem Schnabel gegen das Fenster klopfen. Wem die wohl gehört? Sie ist wunderschön. Mit dem Schreiber sollte ich unbedingt Kontakt halten, allein schon um diese Eule öfters zu sehen
Sie öffnete das Fenster und die Eule setzte sanft auf ihrem Schreibtisch auf und streckte ihr ein Bein mit einem Päckchen entgegen.
Verblüfft öffnete Lily es. Heraus kamen ein kurzer Brief und ein… ein Averise. Das glaub ich jetzt nicht! Wer schickt mir den denn? Es weiß doch nur Sandy, dass ich die Dinger toll finde… Sie nahm den Averise in die Hand, wo der knuffige Ball sofort warm wurde. Sie beschloss, ihm die nächst beste Frage zu stellen. „Wer hat dich mir geschenkt?" Was war das denn für eine Frage? Ich muss doch nur den Brief lesen… Tsss… Da antwortete der Averise schon, in einer quitschigen, hohen, aber dennoch schönen Stimme: „Lies den Brief!" Lily lachte… na, das konnte ja lustig werden!
Erwartungsvoll öffnete sie den Brief.
Liebe Lily,
den hier hab' ich eben entdeckt. Ich glaube, er passt zu dir.
Ich werd' Mel (meine Eule) gleich mit ihm losschicken.
Vielleicht rät er dir ja, endlich mal mit mir auszugehen.
Ich hoffe, er gefällt (und hilft?) dir.
Liebe Grüße,
James
Perplex starrte sie auf den Brief. Nicht wegen der Andeutung mit dem Date, das war typisch für James, aber wieso um alles in der Welt schenkte er ihr überhaupt etwas? Er ist doch sonst so auf sich fixiert und jetzt denkt er an mich? Und dann ausgerechnet an mich? Wenn er etwas für seine Rumtreiber-Freunde sehen würde, könnte ich das ja verstehen, aber ich? Naja, vielleicht kenne ich ihn ja doch nicht richtig… Macht er sich doch mehr aus mir? Ich meine, ja, in der Fünften war er ein eingebildeter Arsch, aber letztes Jahr war er manchmal schon ganz in Ordnung…
Plötzlich lächelte sie. Sie nahm ihren neuen, lilanen Averise in die Hand, wo er wieder warm wurde, als warte er bereits auf ihre Frage. „Warum hat er dich mir geschickt?" Wieder antwortete die quitschige Stimme. „Kannst du dir das nicht denken?" Lily wollte schon seufzen, als die Stimme weiter sprach: „Er mag dich."
Halte ich diese Antwort für richtig? Eigentlich nicht, aber das würde dann bedeuten, dass sie richtig ist. Oh Gott, ich dachte, das Ding soll es einem einfacher machen, nicht alles verkomplizieren!
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„Tatze, warte!", rief James seinem besten Freund hinterher und rannte die Treppe hinunter. Als er unten ankam saß Sirius schon seelenruhig am Frühstückstisch und schmierte sich gerade ein Brötchen. „Das ist so typisch du! Erst mich aufziehen und sobald Mum was von Frühstück ruft mich einfach stehen lassen." Er ließ sich gespielt beleidigt auf dem Stuhl neben Sirius nieder, dieser legte sein Brötchen beiseite, stand auf und fiel dann vor James auf die Knie. „Eure Majestät, es tut mir ja so schrecklich Leid!" James konnte sich ein Grinsen einfach nicht verkneifen. „Du bist unmöglich!" „Das sagt der Richtige!"
„Jungs! Reißt euch zusammen!" Mr. Potter schüttelte den Kopf. „Es ist früher Morgen. Könnt ihr nicht noch müde sein?" Mrs. Potter lachte. „Diese beiden? Träumst du, Schatz?" James grinste seine Eltern an. Er war einfach rundum zufrieden mit der Welt. Seine Eltern könnten in seinen Augen nicht besser sein und seit zwei Jahren wohnte sein bester Freund bei ihm. Er konnte sich ein Leben ohne Sirius schon gar nicht mehr vorstellen. In vier Tagen würde die Schule wieder anfangen. Nicht, dass er etwas gegen die Ferien hatte. Nein, er ganz sicher nicht! Schließlich hab ich auch keine Lust auf Hausaufgaben… Oder Strafarbeiten… Und die würde es für ihn wie üblich geben, dessen war er sich sicher. Aber er liebte Hogwarts einfach. Er könnte Quidditch spielen, schließlich war er der Mannschaftskapitän, und er würde seine anderen zwei guten Freunde wieder sehen. Zu viert, als die Rumtreiber, würden sie einen Streich nach dem andern machen… Er grinste in sich hinein.
Und dann gab es da ja auch noch SIE… Sie, das hieß Lily Evans. Auch wenn er sich das nicht sonderlich gern eingestand, er freute sich wirklich darauf, sie wieder zu sehen… Auch wenn sie das vermutlich ein kleines bisschen anders sieht… Dass Lily ihn für arrogant und oberflächlich hielt, war kein großes Geheimnis, schließlich hatte sie ihn letztes Jahr fast so oft abblitzen lassen, wie er Streiche gespielt hatte…. Und das will schon was heißen… Aber dieses Jahr… dieses Jahr ist mein letztes in Hogwarts! Und das werd ich mit Lily teilen! Er war felsenfest davon überzeugt, dass auch sie etwas für ihn übrig hatte, nur dass sie davon noch nichts wusste… Gestern hatte er ihr den Averise geschickt und heute Morgen war seine Eule zurückgekommen. Mit einem kleinen Brief von ihr. Es waren nur ein paar Zeilen gewesen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich überhaupt melden würde…
„Kro-ho-ne??? Ich rede mit dir!! Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Ach, lass mich raten… Evans?" „Was?! Nein… Nein, natürlich nicht! Was hast du gesagt?" Sirius grinste wissend und James konnte einen Seitenblick auf seine Eltern nicht verhindern, die ihn mit leicht hochgezogener Augenbraue musterten. Natürlich wussten sie – wie eigentlich jeder -, dass er Lily zumindest ‚ganz in Ordnung' fand. Und dass er jedes Mal, wenn ihr Name fiel, knallrot wurde… Sirius sah ihn immer noch auf diese schreckliche Art an, bei der James jedes Mal Unheil schwante, aber noch bevor Sirius irgendetwas sagen konnte, fuhr Mrs. Potter dazwischen. „Jungs, ihr könnt euch gerne nachher weiter ansticheln, aber erst räumt ihr euer Zimmer auf, schließlich wolltet ihr, dass Rebe dort schläft…" „Das hab ich ja total vergessen!", riefen beide, sprangen auf und rannten nach oben.
Rebe war James gleichaltrige Cousine. Sie war zwar eine Squib, aber James und Sirius mochten sie unheimlich. Jede Ferien kam sie ein paar Tage zu den Potters und die Jungs boxten es jedes Mal durch, dass sie bei ihnen im Zimmer schlafen durfte, damit sie sie dort jedes Mal durch ein wenig Zauberei beeindrucken konnten… Mit ein paar Schlenkern ihrer Zauberstäbe war das gröbste Chaos beseitigt und sie befahlen noch ein Bett und einen Schrank für Rebe hervor. In dem Moment klingelte es. Wieder rannten die beiden nach unten. „Tun wir eigentlich noch was anderes als diese Treppe rauf- und runter zu rennen???", beklagte sich Sirius lachend. Mrs. Potter stand an der Tür und unterhielt sich schon mit Rebe. Als diese allerdings die Jungs sah, rannte sie auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Die beiden lachten und gemeinsam gingen sie zu ihrem Zimmer hoch…
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Lily lächelte. Morgen war endlich wieder Schule. Sicher, das würde ihr letztes Jahr werden und sie hatte noch keine Ahnung, was sie werden wollte und dieses Jahr mit den UTZ-Prüfungen würde sehr anstrengend werden, aber sie freute sich schon riesig auf Hogwarts. Es war einfach ihr Zuhause geworden. Sie würde Sandy und die anderen Mädels aus ihrem Jahrgang wieder sehen, mit denen sie sich unheimlich gut verstand: Alice, Mika, Mary und Emy. Sie würde wieder etwas lernen, sie hätte einfach ihr ‚normales' Leben wieder. Schnell packte sie die restlichen Dinge in ihren großen Hogwarts-Koffer und konnte es jetzt – wie jedes Jahr – fast nicht mehr aushalten, deshalb versuchte sie an die nervtötenden Dinge in Hogwarts zu denken…
Zum Beispiel an Geschichte der Zauberei, ihr Hassfach, an die Berge von Hausaufgaben… und dann ist da ja noch Potter... Wobei… was hat der Averise gesagt? Dass er mich mag? Vielleicht wird er dann doch mal Ruhe geben… Aber andererseits… Ich würde es ja schon fast vermissen, wenn er mich nicht alle zehn Sekunden nach nem Date fragen würde… Sie musste grinsen.
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„Bitte!!" Rebe sah ihn flehend an. Er seufzte, dann sagte er: „Warum kann ich dir eigentlich nichts abschlagen?" Grinsend reichte er ihr seinen Besen. „Aber pass auf, du könntest dir wirklich was tun…" „Vernunft aus deinem Mund, Krone? Bist du krank?" Sirius kam auf die beiden zu. James zog eine Grimasse und Rebe stieg auf James' Besen. Ihre langen, honigblonden Haare wurden vom Wind verwuschelt. Ihr Gesicht sah glücklich aus, allerdings bezweifelte James, dass es das auch noch tun würde, wenn sie wüsste, dass er seinen Besen so verhext hatte, dass er nicht höher als zehn Meter fliegen konnte…
„Und, Krone, wie hoch darf sie diesmal?", flüsterte Sirius ihm zu. James grinste nur und die beiden glucksten immer noch, als Rebe wieder landete. „Ich begleit' euch morgen leider nich mehr zum Hogwarts-Express.", sagte sie und James und Sirius starrten sie an. „Was?! Wieso???" Sirius schob einen Schmollmund vor, der es locker mit denen von so einigen Mädels hätte aufnehmen können. Rebe lachte. „Sorry, Jungs, aber ich muss heim. Bei mir geht die Schule diesmal auch schon morgen los…" Die Jungs verzogen die Gesichter, nickten aber. Rebe klatschte in die Hände. „Na, dann müsst ihr mir jetzt unbedingt noch ein paar Zauber vorführen!" Die beiden grinsten und riefen mit gezückten Zauberstäben gleichzeitig „Levicorpus!" Rebe, die vollkommen hilflos in der Gegend herumbaumelte, lachte begeistert.
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James stand mit Sirius an der Tür des Hogwarts-Expresses. „Krone! Moony und Wurmschwanz sitzen längst im Abteil und du willst mir nicht immer noch erzählen, dass du unbedingt deinen Eltern winken willst, oder?! Wir beide wissen, auf wen du wartest…" Er grinste feixend und James senkte leicht den Kopf. Verdammt, warum kommt sie auch so spät??? Und was erwarte ich eigentlich? Dass sie dieses Mal plötzlich ‚Ja' sagt? Ich bin echt ein Idiot! Ein absolut hoffnungslos verknallter Idiot…. Aber wer weiß? Vielleicht geschehen ja doch noch Zeichen und Wunder…
Mit einem leichten Grinsen lehnte er sich an die Tür. „Tja, Tatze! Ich hänge eben an meinen Eltern… Zumindest, wenn es einer Ausrede dient." Sirius schüttelte ebenfalls grinsend den Kopf und plötzlich hatte James das Gefühl, das Schuljahr könnte gar nicht schnell genug beginnen…
