Lord Sauron, seines Zeichens rechte Hand des Herrn der Finsternis Morgoth, saß in seinem Arbeitszimmer. Er arbeitete hart daran, nicht nur mit Staatsgeschäften beschäftigt zu sein. Dafür hat man nämlich Untergebene, die sich mit solchen Unannehmlichkeiten herumschlugen. Als Juniorchef hat man natürlich Besseres und Wichtigeres zu tun – zum Beispiel die Kunst zu perfektionieren, nichts zu tun, aber den Anschein zu erwecken, total beschäftigt zu sein. Dieser Beschäftigung war Sauron den gesamten Vormittag nachgegangen. Jetzt war er aber zum Lesen übergegangen, da selbst die Besten es nicht den ganzen Arbeitstag aushalten, auf eine Schreibfeder zu starren und dabei über die weitere Karriere nachzudenken. Aber immer noch besser als Verordnungen zu entwickeln.
Bei der Ausübung der für die Arbeit nicht unbedingt relevanter Tätigkeiten, ist es natürlich wichtig zu beachten, dabei nicht erwischt zu werden. Besonders dann, wenn man noch einen Vorgesetzten hat. Als Sauron also bemerkte, dass die Klinke seiner Tür heruntergedrückt wurde, nahm er schnell die Beine von dem Aktenstapel auf seinem Schreibtisch und richtete den Stuhl aus dessen kippelnder Position auf. Sein Besucher kam aber schneller als gedacht herein und deshalb fiel fast das Buch, dass Sauron gerade noch gelesen hatte, fast auf den Fußboden. Nachdem er es zwei, drei Mal jongliert hatte, konnte Sauron es jedoch wieder unter Kontrolle bringen und sah seinen Besucher, Morgoth, mit einer Miene, die Beschäftigung ausstrahlen sollte, an. Anstatt etwas zu sagen, fiel Morgoths Blick auf das Buch, das Sauron gerade gelesen hatte. Bevor Letzterer es hastig unter einem Papierstapel verschwinden lies, konnte er noch „… der Leidenschaft" lesen.
„Ja", sagte Morgoth schließlich nach einer längeren Pause, „der Aktionsplan zur mittelfristigen Welteroberung muss nach dem letzten Rückschlag geändert werden. Ich möchte bis Morgen Mittag eine geeignete Lösung vorgelegt haben. Sonst werden die nächsten fünf Jahresurlaube gestrichen." Damit verschwand er wieder, bevor Sauron irgendwelche Einwände äußern konnte.
Sauron starrte einige Minuten missmutig auf den Bericht über „Die Wichtigkeit der Erforschung abnormaler Wetterphänomene unter besonderer Berücksichtigung ihres Einflusses auf taktische Truppenbewegung", der schon seit einigen Tagen ungelesen auf dem Schreibtisch lag und den irgendein aufstrebender Wichtigtuer verfasst hatte, um andere in den Wahnsinn zu treiben – Saurons persönlicher Meinung nach zumindest. Im Grunde war es das Thema, das dem Bericht zu Grunde lag, nicht wert, einen 150-seitigen Aufsatz darüber zu verfassen. Sauron merkte, dass er sich gedanklich weit von der ihm übertragenen Aufgabe, den Aktionsplan zur mittelfristigen Welteroberung zu überarbeiten, entfernt hatte. Zum Glück hat man, wenn man eine gewisse Position erreicht hat, Freiraum zum delegieren. Das tat Sauron dann auch.
„Vodelbroscht", rief er. Der Ork kam nach einigen Minuten in das Zimmer.
„Ja, Eure Boshaftigkeit", fragte er.
„Der Aktionspan zur mittelfristigen Welteroberung muss bis Morgen um 10 überarbeitet werden", sagte Sauron, „ sonst werden die nächsten sechs Jahresurlaube gestrichen."
„Aber sollte das nicht lieber jemand in einer höheren Position übernehmen? Ich denke nicht, dass Lord Morgoth das gerne sieht, " wandte Vodelbroscht ein.
„Unsinn", antwortete Sauron kategorisch, „ich habe schließlich Wichtigeres zu tun."
„Wichtiger als Welteroberung;" fragte Vodelbroscht zweifelnd.
„Ja, ja", antwortete Sauron hastig und nicht gerade sehr überzeugend und schob Vodelbroscht aus dem Raum und wandte sich wieder der Lektüre des Buches zu, die Morgoth unterbrochen hatte.
2.
Sauron schaffte es gerade noch seine Stempelkarte beim Ork am Empfang abstempeln zu lassen, bevor seine Verspätung eine betrieblich unakzeptable Zeitspanne umfasst hätte. Den Aktenstapel balancierte er in einer Hand, während er in der anderen einen Pappbecher mit Kaffee hielt. Dabei ging er immer auf der rechten Seite des Ganges, denn wie die Direktive 5347.8989a vom letzten Monat besagte, sollten die, die morgens etwas später kamen, immer rechts gehen, damit sie nicht mit denen zusammenstoßen würden, die nachmittags etwas früher gingen. Vorher waren unschöne Zusammenstöße, bei denen sich in der Regel der Inhalt mehrerer Aktenordner über den Korridor verteilte, eher an der Tagesordnung gewesen.
Als er sein Büro endlich erreicht hatte, wartete schon Vodelbroscht mit der Mittagsausgabe der lokalen Zeitung, der Mordorian Times, auf ihn. „Schon gelesen", fragte er.
„Was denn", fragte Sauron, während er den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch ablud, der schon seit längerem einen Papierdschungel aus Anträgen für neue Gerätschaften des Folterentwicklungsministeriums beherbergte.
„Lord Morgoth wurde von Außen gestürzt und irgendwo hin verbannt, wo er nicht mehr erreicht werden kann", fasste Vodelbroscht die Eilmeldung auf der Titelseite zusammen.
„Oh, der Chef ist also weg", saugte Sauron vor sich hin mit einem seligen Lächeln, da er an die vielen ungestörten Stunden dachte, in denen er nun seine Bücher lesen konnte, ohne gestört zu werden, da sein einziger direkter Vorgesetzter nun weg war.
„Ähm, Eure Boshaftigkeit", setzte Vodelbroscht an, „es ist Euch schon bewusst, dass Ihr jetzt den Posten des Herrschers übernehmen müsst, oder?"
„Aber ich habe davon noch kein Memo bekommen", sagte Sauron trotzig, „ also muss ich das gar nicht übernehmen."
„Ich glaube schon", meinte Vodelbroscht, „Ihr wisst doch wie langsam die Bürokratiemaschinerie ist. Der ehemalige General Grishnaphook wartet immer noch auf das offizielle Schreiben, dass seinen Dienstgrad herunterstuft, obwohl die Schlacht, die er verloren hat schon 250 Jahre her ist."
Sauron murmelte etwas, was man jedoch nur als ein knurrendes Geräusch hören konnte. Vodelbroscht klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter und verließ den Raum. Freundlicherweise nahm er das Papierchaos auf Saurons Schreibtisch mit. Wenigstens ein Vorteil an seiner neuen Position gab es schon einmal.
Sauron setzte sich an seinen nun vom Papier befreiten Schreibtisch und schlug das Buch, das Vodelbroscht zurückgelassen hatte auf. Es handelte sich um ‚So werde ich der perfekte Bösewicht in einer Führungsposition' und bot Hilfestellung an, damit man als Herrscher des Bösen nicht wie eine Lachnummer wirkte.
Sauron schlug die erste Seite auf und begann zu lesen.
„Repräsentatives Anwesen – das habe ich;" sagte Sauron zu sich selbst und machte ein Häkchen an diesen Punkt der Checkliste aus den Buch. „Desolate Landschaft im Herrschaftsbereich." Sauron warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster auf das graue Ödland. „Ja, das kann man gelten lassen", murmelte er, während er ebenfalls einen Haken hinter diesen Punkt setzte und sich den nächsten durchlas.
„Ein Tier, das der persönlichen Agenda entspricht."
„Was soll das denn heißen", fragte Sauron sich stirnrunzelnd und blätterte zu dem korrespondierenden Kapitel im Buch. „Ein tierischer Begleiter wird als Ausdruck guten Stils angesehen. In einer Dimension, die sich Erde nennt, werden zum Beispiel weiße Katzen bevorzugt."
„Wie unpraktisch", dachte Sauron bei sich, „Asche kriegt man aus dem Fell bestimmt nur schwer wieder raus und von anderen Sachen mal ganz zu schweigen. Da muss noch etwas Besseres her. Außerdem sieht so ein weißes Pelztier doch lächerlich aus."
Sauron kaute angestrengt am Ende seines Bleistiftes.
„Vielleicht eine Fledermaus", überlegte er laut, „oder doch besser ein Drache?" Man sah schon, dass der neue Herrscher über Modor nach einem Tier suchte, das dem Ruf eines Bösewichtes gerecht werden konnte.
„Vodelbroscht", rief er schließlich verzweifelt.
Eine kurze Zeit später schlurfte der Ork in den Raum.
„Was ist besser, eine Fledermaus oder ein Drache", fragte Sauron.
„Das kommt ganz darauf an, wofür das Tier gebraucht wird", kommentierte Vodelbroscht.
Sauron verwies auf die entsprechende Stelle im Buch.
„Also ich weiß nicht, " meinte Vodelbroscht schließlich, „eine Fledermaus ist ja eher nachtaktiv und hängt ansonsten verkehrt herum an der Decke. Davon hat man also nicht viel. Und ein Drache wird schnell ziemlich groß und außerdem spucken sie gerne Feuer und das würde nur wichtige Akten in Brand setzen."
„Dann lassen wir das vielleicht mal lieber", meinte Sauron, „man muss ja nicht immer alles machen, wie es jemand sagt. Ich mache jetzt erstmal Mittag."
Manchmal war es doch gut, sein eigener Chef zu sein.
3.
Sauron betrat fröhlich pfeifend um halb acht das Vorzimmer zu seinem Büro. Vodelbroscht, dem vor Erstaunen der Kaffeebecher, aus dem er gerade trinken wollte, aus der Hand gerutscht war, starrte seinen Boss mit offenem Mund an. Er nahm es aber gar nicht wahr, dass der heiße Kaffee auf seiner Uniform, bestehend aus schwarzen Stoffresten und verschiedenen Fellen nicht bestimmbarer Herkunft, landete.
„Was macht Ihr denn schon so früh hier, Eure Boshaftigkeit", fragte er schließlich.
„Wieso früh", fragte Sauron Stirn runzelnd.
„Es ist halb acht."
„Ah, das erklärt so einiges", murmelte Sauron, „deshalb war so viel los auf den Straßen." (Ansonsten ließ sich Sauron immer frühestens um ein Uhr blicken.)
„Na ja, ist ja auch egal, " sagte Sauron schließlich, „ich hatte gestern Abend eine gute Idee für einen neuen Welteroberungsplan."
Vodelbroscht besah sich den Zettel, den ihm Sauron hinhielt, mit einer verwirrten Miene.
„Stimmt was nicht damit", fragte Sauron leicht eingeschnappt.
„Nein, nein, Eure Gereiztheit", beeilte sich Vodelbroscht zu sagen, „ich kann das nicht lesen. Ist das so was wie Stenographie?"
„Äh, ja", beeilte sich Sauron zu sagen, „das ist der Stenographietyp B821i – für Führungskräfte. Sauron war gerade dabei, das schwefelgelbe vom Himmel herunter zu lügen. Aber das musste ja niemand wissen. Da es in Mordor neben jährlich schätzungsweise 4325 neuen Direktiven auch immer wieder eine hohe Anzahl neuer Schreibstile gab, würde diese Notlüge garantiert nicht auffliegen. Aus diesem Grund scheiterten auch immer wieder Reformversuche von Ordnungsliebenden oder Mitarbeitern, die niemals logen (eher eine aussterbende Spezies), die eine Schreibweise durchsetzten wollten.
Sauron zog es daraufhin vor, Vodelbroscht, der ihm immer noch erwartungsvoll ansah, von seinem Plan zu erzählen. Es musste ja niemand wissen, dass Sauron selbst das Gekrakel nicht mehr lesen konnte. Nach dem er gestern Abend eins, zwei, oder auch drei, und vielleicht doch zwölf Mordor Pilsener getrunken hatte, war er auf dem Sofa eingeschlafen. Um drei Uhr Morgens wachte er dann mit einem dringenden Bedürfnis auf. Auf dem Rückweg war er im Dunkeln über den Couchtisch gestolpert und mit dem Kopf auf dem Zeitungsständer aufgeschlagen. Die Lichtkreise, die darauf hin vor seinen Augen flimmerten, hatten ihn auf eine Idee gebracht. etwas benommen, schlaftrunken und angeheitert hatte er diesen Einfall dann im Dunkeln aufgeschrieben. Das konnte ja nur darauf hinaus laufen, dass niemand es lesen könnte. Aber wie er auf seine Idee gekommen war, musste ja auch niemand wissen.
„Ich dachte da an Ringe. Wir könnten damit-"
Sauron wurde in seinen Ausführungen jäh von Vodelbroscht unterbrochen: „Das ist genial, Eure Boshaftigkeit. Wir fertigen spezielle Ringe für die Menschen, Elben und Zwerge an, die nichts taugen, wir sagen ihnen aber, sie würden es. Und dann könnten wir für Euch einen anfertigen, der wirklich ein Zauberring ist. Das ist einfach genial Eure Lordschaft!"
Vodelbroscht war gar nicht mehr zu bremsen. Schon war er aus dem Zimmer gerannt, um dem Ministerium für „das Besiegen des Feindes durch Heimtücke" bescheid zu sagen.
„Äh, ja gut", sagte Sauron in den leeren Raum, „so machen wir es. Es musste ja ebenfalls niemand wissen, dass er eigentlich an etwas anderes gedacht hatte. Vodelbroschts Pläne waren sowieso generell immer viel durchdachter.
4.
„Also ich weiß nicht", sagte Sauron zweifelnd und unterbrach die Lektüre des Planes zur Infiltrierung der Elben, „ein Deckname ist zwar schön und gut, aber dann noch so ein bescheuerter. Wie klingt das denn. Ich habe als Dunkler Herrscher schließlich einen Ruf zu wahren.
„Aber Ihr seid doch undercover, Eure Gereiztheit", wandte Vodelbroscht ein, „die Elben werden nie wissen, wer Ihr wirklich seid.
„Ja, gut", grummelte Sauron widerwillig, „aber Annatar – wer hat sich nur so einen blöden Namen ausgedacht?!"
„Ich glaube, es heißt irgendwas mit Geschenken, wenn man es übersetzt", antwortete Vodelbroscht, während er in den Papieren, die das Spionageministerium sonst noch geschickt hatte, blätterte.
„Der Name ist trotzdem immer noch bescheuert", maulte Sauron trotzig, „auf dem nächsten internationalen Kongress der Bösen Herrscher bin ich dann bestimmt das Gespött aller Anwesenden!"
Am nächsten Tag kam das Paket mit Saurons Ausrüstungsgegenständen. „Was ist das denn", fragte Sauron entsetzt, als er es aufgemacht hatte
„Ich glaube, das ist eine Robe", sagte Vodelbroscht hilfreich.
„Ja, ja, das sehe ich auch. Schließlich trage ich ja auch welche", antwortete Sauron gereizt.
„Aber die sieht eher wie ein Kleid aus und was ist das bloß für ein grässlicher Farbton", fuhr Sauron fort.
Vodelbroscht las die betreffende Stelle auf dem Beipackzettel vor:
„Eine Robe, wie männliche Elben sie tragen, im Trendfarbton der Saison, Flieder."
„Muss man denn jeden Trend mitmachen", fragte Sauron gereizt, „ich denke ich nehme eine von meinen. Die sehen erstens nicht aus wie ein Kleid und sind außerdem in rot und schwarz. Das passt viel besser zu mir!"
„Aber Eure Boshaftigkeit", wandte Vodelbroscht ein, „das A und O der Undercoverarbeit besteht darin, nicht aufzufallen."
Sauron knurrte verärgert.
5.
Vodelbroscht blickte erstaunt auf, als Sauron zwei Wochen nach Beginn seiner Mission unangekündigt und grußlos durchs Vorzimmer in sein Büro rauschte und dabei den 800-seitigen Bericht über „Die Nützlichkeit von Elbenwaffen als Lichtquellen gegenüber herkömmlichen Fackeln unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Schädlichkeit von blauem Licht für die Augen" von der Schreibtischkante des Orks fegte. Vodelbroscht starrte einige Zeit verdutzt auf die Blätter, die langsam zu Boden schwebten.
„Ist alles in Ordnung, Eure Boshaftigkeit", fragte er nach einer Weile vorsichtig und öffnete die Tür zu Saurons Büro.
Er bekam keine Antwort, da sein Vorgesetzter gerade damit beschäftigt war, die noch fast volle Schnapsflasche zu leeren.
„Ja, so ist das gleich besser. Die Elben haben nicht mal genug Alkohol, dass man ihre verdammte Fröhlichkeit ohne geistige Schäden überstehen kann ", sagte Sauron schließlich, da die Flasche leer war.
Vodelbroscht starrte eine Weile auf den Herrscher über das Böse, der neben einer schwarzen Boxershorts mit roten Punkten noch Latschen und etwas, was wie ein cremefarbenes Bettlaken aussah, das er sich um die Schultern drapiert hatte, trug.
„Ist was", fragte Sauron schließlich, als ihn der Ork nach ein paar Minuten immer noch perplex anstarrte.
„Ist das jetzt die neueste Elbenmode, Eure Boshaftigkeit", fragte Vodelbroscht schließlich neugierig.
Sauron sah an sich herunter: „Hoppla. Ich habe ganz vergessen, mich umzuziehen" Durch den Schnaps etwas stabilisiert, nahm er diesen schweren Betriebsunfall wohl leichter, als er es sonst getan hätte.
„Ist das denn jetzt wirklich die neueste Elbenmode", hakte Vodelbroscht nach, „es erscheint mir doch etwas sehr luftig, besonders wenn die Elben jetzt Herbst haben.
„Oh, nein, nein, " antwortete Sauron, „die tragen alle diese kleidähnlichen Roben oder Tuniken mit Leggins in diesen grässlichen Farben."
„Und was ist dann mit Eurem Aufzug, Eure Boshaftigkeit", fragte Vodelbroscht wissbegierig.
„Äh ja, das war so", druckste Sauron rum, „ich wollte noch die guten Sachen ausnutzen, die die Elben zu bieten hatten und na ja."
„Welche guten Sachen denn", fragte der Ork nach.
„Na ja, du weißt schon … gewisse Aktivitäten körperlicher Natur zu zweit", redete Sauron um den heißen Brei herum.
„Also habt Ihr Euch mal wieder von der Arbeit gedrückt", stellte Vodelbroscht fest.
„Habe ich nicht", antwortete Sauron beleidigt und fügte noch hinzu als Vodelbroscht ihn vorwurfsvoll anstarrte, „bei Morgoth, ich bin doch auch nur ein Maiar!"
„Aber das erklärt immer noch nicht Eure Bekleidung", bohrte Vodelbroscht nach.
„Ältere Brüder sind wirklich störend. Da musste ich schnell weg", bekam, der Ork zu hören, während Sauron seine im Büro verstaute Ersatzrobe anzog und sich hinter seinen Schreibtisch setzte.
„Was ist denn jetzt mit den Ringen", hakte Vodelbroscht nach, der ohne Beweis nicht glauben wollte, dass sein Vorgesetzter wirklich die ihm aufgetragene Arbeit erledigt hatte.
„Oh ja, hier", sagte Sauron und zeigte Vodelbroscht seine Hand, wo ein Goldring funkelte.
„Und die anderen geplanten Ringe", fragte Vodelbroscht nach, da er noch nicht ganz überzeugt war.
„Die Zwerge haben sieben und die Menschen neun bekommen", zählte Sauron den Erfolg seiner Arbeit auf.
„Was ist denn mit den Elben", fragte der Ork.
„Ach die", antwortete Sauron abwinkend, „die haben sich drei Ringe selber gemacht."
Mit dieser Erfolgsbilanz war Vodelbroscht halbwegs zufrieden.
„Gut", sagte er zu Sauron, „dann wird es Euch sicherlich freuen, rechtzeitig zur Budgetsitzung der Ministerien zurückgekommen zu sein.
Als Vodelbroscht in sein Vorzimmer zurückkehrte, konnte er noch ein lang gezogenes „nein" von Sauron hören.
6.
Der Tag fing für Sauron schon mal nicht gut an. Und er sollte auch nicht besser werden. Erst wachte Sauron mit einem Kater auf, der sich gewaschen hatte, aber das war ja auch zu erwarten gewesen, wenn man die unmöglichen Zustände bei den Elben nachträglich mit Alkohol relativieren wollte.
Wie es der Zufall wollte, kam es noch besser und an diesem besagten Tag stand auch noch die jährliche Budgetsitzung der Ministerien an. Diese beinhaltete gewöhnlich stundenlanges Argumentieren, meistens lautstark, das dann meistens darin endete, dass einer beleidigt den Raum verließ. Das war noch das beste Szenario.
Sonst regelte sich die Frage der Budgetverteilung auch am Ende einfach, dass an einige Minister gar nichts mehr verteilt werden konnte. Deshalb war der Beruf des modorianischen Ministers, sei es Familien- oder Folterressort auch einer der gefährlichsten des Landes.
Es kam auch so, wie es zu erwarten gewesen war. Immerhin blieb eine Stunde alles friedlich, nur der Familienminister beschwerte sich anfangs gegenüber dem Folterministerium im Budget benachteiligt zu sein, aber er konnte doch relativ schnell davon überzeugt werden, was wichtiger war.
Allerdings nahm die Situation an Brisanz zu als der Folterminister in eine Diskussion mit dem Folterentwicklungsminister verfiel, welches Ministerium wichtiger war.
Die Tatsache, das sie beide exakt die gleiche Summe zugewiesen bekamen zählte dabei nicht.
„Ihr seit ja alle so gemein", beschwerte sich der Folterentwicklungsminister, während er aufsprang und zur Tür rannte. Bevor er diese öffnete drehte er sich noch einmal um: „Das schreibe ich alles an…an…äh…an meine Mutter, jawohl! Da schaut ihr ganz schön blöd! Das habt ihr jetzt davon!" Damit riss er die Tür auf und knallte selbige hinter sich zu.
Einige Sekunden herrschte Stille. Dann sprang der Folterminister, seine Chance witternd, auf und rief hektisch: „Da mein Kollege anscheinend kein Geld braucht, beanspruche ich seinen Etat für mich!" „Aber was wird dann aus der Entwicklung neuer Foltermethoden", wandte der Familienminister ein. „Damit können wir ein regierungsfremdes Subunternehmen beauftragen", antwortete der Folterentwicklungsminister, der anscheinend bestens vorbereitet war, „ich habe mich einmal erkundigt und das wäre bei der gleichen Leistung viel billiger als das Folterentwicklungsministerium. Ich dachte da an diese Firma."
Mit diesen Worten reichte er Sauron einen Prospekt, da dieser immer noch alle Entscheidungen traf, obwohl er bis zum Vorfall mit dem Folterentwicklungsminister eher nur körperlich anwesend war. Aber dazu hatte der Herrscher des Bösen ja Vodelbroscht, an den er den Prospekt auch sofort weiter reichte.
„Hey, das ist aber total unfair", warf der Kriegsminister ein, „wieso kriegt der jetzt mehr Geld? Entwicklung von Foltermethoden ist doch nur eine Nebensächlichkeit. Kriegsführung ist viel wichtiger!"
Sauron seufzte. Es hätte ja alles so einfach autokratisch verteilt werden können. Aber nein, irgend so ein weltfremder Trottel aus dem Regierungsapparat musste sich natürlich die Mitbestimmung einfallen lassen. An sich eine total ungewöhnliche und revolutionäre Idee für den Stab eines bösen Herrschers. Sauron machte sich eine Notiz, das bei nächster Gelegenheit abzuschaffen auf seinem Zettel, den er mit allerlei Kringeln verziert hatte.
Saurons Nerven hatten schließlich ihre Belastbarkeitsgrenze erreicht:
„So es reicht", brüllte er, „jeder kriegt jetzt exakt die gleiche summe und damit hat sich die Sache! Wir sind doch hier nicht bei den Elfen und Menschen, die alles basisdemokratisch ausdiskutieren! Ich habe als böser Herrscher schließlich einen Ruf zu wahren!
Das finstere Gesicht Saurons tat sein übriges und keiner wagte es einen Einwand hervorzubringen.
„Das mache ich nächstes Jahr nicht noch einmal mit", dachte Sauron bei sich als endlich alle weg waren.
7.
Heute war fast ein Tag wie immer. Sauron war pünktlich zur Mittagspause in seinem Büro eingetroffen und genehmigte sich erst einmal einen Kaffee. Es war ja schließlich Mittagspause. Nur Vodelbroscht war nicht anwesend, da er gerade seinen Jahresurlaub nahm und auf einer Wandertour in Udun war. Die Abwesenheit des Orks machte sich hauptsächlich auf Saurons Schreibtisch bemerkbar, da dessen Oberfläche auf dem besten Wege zu hochgebirgsähnliche Zügen war. Drei Tage nach Vodelbroschts Urlaubsantritt befanden sich die Aktenstapel gerade in der Metamorphose zwischen Hügellandschaft und Mittelgebirge.
Ein Windstoß kam durch das einen Spalt geöffnete Fenster herein und Sauron kriegte gerade noch mit einem Hechtsprung die zweihundertelf - seitige Analyse über „Die verbesserte Trefferquote von Steinschleudern mit einer Nutzlast von über 1,5 Tonnen bei einer Abschusswinkelveränderung von 7,5 Grad unter eingehender Berücksichtigung ungünstiger Windverhältnisse" zu fassen, bevor sich die Blätter im Büro verteilt hätten. Daraufhin schloss Sauron lieber das Fenster, bevor er noch einmal zu sportlichen Höchstleistungen gezwungen wurde.
Nachdem er die Analyse wieder in einem der zahlreichen Papierhügel auf seinem Schreibtisch integriert hatte, wandte er sich wieder seinem Kaffee zu und dem Buch, das er endlich zuende lesen wollte.
Viel weiter als fünf Seiten kam er aber nicht, da seine Bürotür plötzlich und ohne Vorwarnung mit Schwung aufgerissen wurde. Sauron klappte vor Schreck sein Buch zu (ohne sich die Seitenzahl gemerkt zu haben).
„Guten Tag, ich komme im Auftrag von Morgoth", sagte der Ork, der soeben hereingeplatzt war, „Qualitätskontrolle."
„Wie geht das denn", wandte Sauron ein, „Morgoth ist doch verbannt worden, ohne Kontakt zu Mittelerde."
„Ach, Schlupflöcher oder Hintertüren gibt es immer", winkte der Ork nichtssagend ab.
„Aber wie ist denn eine Qualitätskontrolle mit den Prinzipien eines Herrschers über das Böse zu vereinbaren", versuchte es Sauron erneut, „das klingt mir doch sehr nach etwas, das Elben oder Menschen durchführen würden."
„Mitnichten", antwortete der Ork und stellte seine Aktentasche ab, „wir haben es erfunden."
Auf Saurons verwirrten Blick hin, fügte er noch hinzu: „Eine sehr gute physische Foltermethode, besonders für Führungskräfte geeignet. Dann wollen wir mal."
Der Ork begutachtete kritisch das Bergpanorama auf Saurons Schreibtisch, um dann auf sein Klemmbrett zu notieren, ohne zu kommentieren.
„Ist irgendwas nicht in Ordnung mit meinem Schreibtisch", fragte Sauron schließlich leicht verunsichert.
„Na ja", antwortete der Ork, „eine latente Unordentlichkeit ist für einen bösen Herrscher natürlich lobenswert, aber Ihr Schreibtisch sieht doch sehr unübersichtlich aus. Damit kann man doch nicht mehr arbeiten. Von einer Schreibfläche ganz zu schweigen"
„Ich weiß noch sehr wohl, wo etwas liegt", antwortete Sauron, leicht indigniert. Dann fügte er noch leise hinzu, ohne dass der Ork es mitbekommen konnte: „Und überhaupt, wofür gibt es denn Untergebene."
„Hmm, hmmm", sagte der Ork, „das wollen wir doch mal sehen. Wo befindet sich denn der Kostenvoranschlag für die Armee im kommenden Quartal?"
Sauron griff bestimmt in einen Papierstapel hinein und förderte mit einem selbstsicheren Lächeln das gewünschte zu Tage, was dem Ork sichtlich missfiel.
Deshalb riss er überfallartig das Buch, das Sauron gerade gelesen hatte und immer noch in der Hand hielt aus der Hand.
„A-ha", kommentierte der Ork und las den Titel vor, „Gefangen in den Fängen der Leidenschaft".
„Na und", verteidigte sich Sauron, „privat kann ich doch lesen was ich will."
„Aber nicht während der Arbeitszeit", sagte der Ork und machte sich eine Notiz auf seinem Klemmbrett, „und außerdem sollte der Chef immer ein Vorbild für Untergebene sein und keine drittklassige Literatur der Menschen lesen."
„Das ist mir egal", knurrte Sauron, „ich kann verdammt noch mal machen was ich will. Schließlich bin ich der Chef hier und das ist auch keine Demokratie. Hier bestimme ich! Und jetzt raus hier! Außerdem ist Mittagspause! Da kann ich machen, was ich will! Und jetzt raus hier!
Damit packte er den Ork am Kragen, trug ihn bis vor seine Bürotür und knallte selbige zu und verschloss sie.
Dann setzte er sich wieder und versuchte die Seite, auf der er unterbrochen worden war, wieder zu finden.
