changes
Schloss
Hogwarts
12. Januar 1998
Der Tag neigte sich unabdinglich
dem Ende zu, die Sonne, nun mehr ein riesiger, glühender
Ball am
Horizont, versank langsam hinter fernen, unbekannten Bergen.
Die
Kälte der Nacht kroch über das Land und überzog die Wiesen und
Wälder mit einer dünnen Eisschicht.
Der Ruf eines Wolfes hallte
durch den Wald, der still und bedrohlich da lag. Massig und wie eine
schützende Hand über dem schwarzen, wallenden Wasser eines grossen
Sees lag Schloss Hogwarts.
Stille herrschte, nur ein einziges
Licht war noch zu sehen. Hoch oben im Nordturm brannte noch eine
Fackel, der letzte Schimmer des Tages, wie es schien.
In eben
jenem kleinen, runden Zimmer, in dem die Fackel einsam loderte, sass
ein Mädchen mit langem wallendem roten Haar auf dem Bett und starrte
an die Wand gegenüber. Man hätte sie für tot halten können, so
unbeweglich sass sie da. Nur ihre wohlgeformte Brust unter dem
langen, seidenen Nachthemd bewegte sich im Takt ihres Atems. Ginny
zuckte zusammen, als ein leises Grollen den kommenden Sturm
ankündete. Im Zimmer war es so still gewesen, man hätte eine Nadel
auf dem Boden aufschlagen hören. Ginny sah zum Fenster raus, vor dem
es zunehmend dunkler wurde, und seufzte, voller Verzweiflung und
Leid. Die Rothaarige schlang die Arme um ihre Knie, legte ihren
schmerzenden Kopf darauf und schloss die Augen. Diese kühle Ruhe tat
ihr gut. Ihre Augen waren ermüdet. Das Sehen fiel ihr zunehmend
schwerer, alles begann sich zu drehen. Der exzessive Schlafmangel der
letzten Nächte machte sich immer stärker und folgeschwerer
bemerkbar. Sie musste sich oft übergeben, und ihr Körper fühlte
sich an, als wäre er von einem Cruciatus-Fluch traktiert
worden.
Womit hatte sie sich so etwas nur verdient, dachte sie
niedergeschlagen, als wieder Übelkeit in ihr aufstieg und sie tief
durchatmete, um ihren irritierten Magen zu beruhigen.
Langsam
und grausam stiegen die Erinnerungen an den traurigsten Tag ihres
Lebens in ihr auf. Es war ein schöner, warmer Sommertag gewesen. Sie
hatte draussen ihrer Mutter geholfen, den Garten zu entgnomen, als
sie kamen. Zehn oder zwanzig von ihnen, in schwarzen Umhängen und
grausigen Masken. Sie hatten alle umgebracht. Ihr Leben verdankte sie
ihrem Bruder Ron, dessen abgelenkter Schockzauber Ginny im Lauf
getroffen hatte und durch den die Todesser sie liegen liessen, wie
die anderen.
Als Ginny wieder erwacht war, konnte sie nicht
glauben, was geschehen war. Ihre ganze Familie, tot. Ihr Herz war
zersprungen und sie hatte geschrien, bis tief in die Nacht hinein
waren ihr Schluchzen und ihre verzweifelten Schreie gen Himmel von
weit her zu hören gewesen. Doch niemand hatte es gewusst, niemand
kam und nahm sie in den Arm.
Ginny zitterte, obwohl es im Zimmer
warm war. Erneut stiegen heisse Tränen in ihre Augenwinkel und sie
brach weinend zusammen. Tausend glühende Dolche schienen ihr Herz zu
durchstechen. Wellen von Tränen schüttelten sie. Noch Stunden lag
sie zusammengerollt auf dem Himmelbett und schrie ihren Schmerz
hinaus, bis die Dunkelheit immer dichter wurde und kein Licht mehr
die Nacht erhellte, dann wurde sie ruhiger. Sie hatte keine Tränen
mehr, und ihre Lunge fühlte sich an, als wäre sie von London nach
Hogwarts gerannt.
Ginnys Atem wurde immer langsamer, ihre Schmerzen lösten sich auf, verschwanden im Nebel, der sie jetzt gnädig wiegte, die Schleier tiefen, traumlosen Schlafes überfielen sie.
In dieser Nacht starben zwei Menschen. Bedeutungslos war ihr Tod, vielleicht, doch war es kein Zufall, wie man hätte meinen können. Annea Laurence und Evan Grant, das waren ihre Namen. Niemand wird sich je an sie erinnern, genauso wenig wie an die Tatsache, dass sie in einer liebevollen Umarmung das Leben verlassen hatten. Niemand würde jemals erfahren, dass diese beiden Menschen je existiert hatten. Niemand, würde wissen, was sich in dieser Nacht, in einem abgelegenen Haus, hoch oben auf den Klippen abgespielt hatte. Nicht einmal, dass dieses Haus überhaupt jemals dort gestanden hatte.
Nichts von dem Tod dieser beiden Menschen hatte eine
hübsche, rothaarige, junge Dame erfahren, als sie am nächsten
Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl erwachte und sich schmerzlich an
die vergangene Nacht erinnerte, die ihr wie ein weiteres Kapitel in
einer endlosen und traurigen Legende vorkamen.
Langsam stand Ginny
auf und streckte ihre schmerzenden Glider. Ihre Kehle fühlte sich
an, als sei sie mit Wüstensand geschmirgelt worden, und so nahm
Ginny einen Schluck Wasser aus dem Glas, das auf dem Fensterbrett
stand.
Der Tag war kalt und ein feiner Nebel zog sich über die
grünen Hügel und waberte aus dem Wald, wie eine Schlange. Die Sonne
brach nur durch einen kleinen Spalt im Wolkendach. Der Schleier des
Vergessens hatte sich auch über das Schloss gelegt.
Die
unnatürliche Stille war den Weihnachtsferien zu verdanken. Als Ginny
durch den Gang schritt, dessen Boden mit edlem Mahagoni-Holz
ausgelegt war, hallten ihre Schritte von den Wänden wider, als
würde sie einen langen, verlassenen Tunnel entlang laufen, weit weg
von all dieser Trauer und dem Schmerz.
In Gedanken stiess die
Rothaarige die Badezimmertür auf. Sie erschrak ein wenig, als sie in
den Spiegel blickte. Ihr Haar, das sonst immer so voll und wallend
war, hing ihr schlaff über die Schulter, ihre Augen waren trüb und
leer. Die Haut war schneeweiss, und alles in allem konnte sie mit
ihrem Aussehen einem Vampir Konkurrenz machen.
Ginny zog sich
das seidene Nachthemd aus und zitterte leicht, da es in dem
marmorgefliesten Badezimmer recht kühl war. Sie stieg in die Dusche
und liess das heisse Wasser über ihren strapazierten Körper
fliessen. Es tat so gut, diese Wärme zu spüren, als würde sie
jemand zärtlich in den Arm nehmen. Das heisse Wasser reinigte nicht
nur ihren Körper, sondern schien auch diesen Schmerz und die Trauer
aus ihrem Geist zu verbannen.
Die junge Frau strich mit ihrer Hand
über ihre weiche Haut und spürte, dass die Berührung ein leichtes
Kribbeln hinterliess, das sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
So sehr wünschte sie sich jemanden, der sie fest hielt und
streichelte.
Die junge Frau atmete tief ein, als ihre flinken
Finger über ihre Brustwarzen glitten. Es war schon so lange her,
seit jemand sie so berührt hatte. In einer warmen Sommernacht Ende
Juli.
Ginny lächelte. Ihre Gesichtsmuskeln schienen eingerostet
zu sein, denn es kostete sie ungewöhnlich viel Kraft, eine solch
einfache Bewegung auszuführen. Es war auch schon so lange her, dass
sie das letzte Mal gelächelt hatte. Diese glücklichen Zeiten
schienen längst in weite Ferne gerückt zu sein, weit weg,
unerreichbar in den Nebeln der Vergessenheit entschwunden.
Ginny
drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Sie griff nach dem
Handtuch und kuschelte sich daran. Es fühlte sich so weich und warm
an. Die Rothaarige trocknete sich ab und blickte dann in den Spiegel.
Ein scheues Lächeln stahl sich über ihr Gesicht und erhellte ihre
Züge für einen Moment. Sie wollte sich gerade ihr Haar kämmen,
doch hielt sie inne. Ihr Haar war nicht mehr von diesem leuchtenden
Rot, nein, es trug nun auch schwarze Nuancen, und als sich die junge
Frau drehte, blitze es im Fackellicht auf wie Seide. Und so fühlte
es sich auch an. Einen Moment lang stand sie ratlos vor dem Spiegel,
dann sah sie einen Schatten durch ihre eigenen Augen huschen, nur ein
Bruchteil einer Sekunde und kaum zu erkennen. Ginny berührte
vorsichtig den Spiegel und als ihre Hand die glatte Oberfläche
berührte, wallte sie sich wie Wasser. Ginny schreckte zurück, ihr
Herz klopfte schneller. Sie atmete tief durch um sich zu
beruhigen.
Zögerlich fuhr sie mit der linken Hand durch ihr Haar.
Es fühlte sich so seltsam weich an. Seltsam, dachte sie. Aber
irgendwie gefällt mir das. Ein neuerliches Lächeln erhellte ihre
Züge und liess sie viel älter, aber nicht minder attraktiv
aussehen.
Die junge Frau verspürte ein unbekanntes Prickeln
in ihren Fingerspitzen, als würde ihr ein Gift indiziert, das sich
rasch in ihrem ganzen Körper ausbreitete und sie leicht erschaudern
liess.
Dann, so schnell wie es gekommen war, verschwand das
angenehme Prickeln wieder, das Glücksgefühl jedoch blieb
bestehen.
Ginny wusste nicht, warum sie sich auf einmal so leicht
und befreit fühlte. Vielleicht war es das heisse Wasser gewesen,
dass ihr so gut getan hatte, oder einfach nur die Tatsache, dass sie
nicht mehr so schrecklich aussah wie noch eine Stunde zuvor.
Die
Trauer und der Schmerz über den Tod ihrer Liebsten waren nicht
verschwunden. Diese Geschehnisse hatten tiefe Narben hinterlassen,
die wahrscheinlich nie mehr ganz verheilen würden. Doch für diesen
Moment, diesen einen, goldenen Augenblick, fühlte sich Ginny, als
hätte es diesen schlimmsten aller Sommertage nie gegeben. Sie konnte
nicht ungeschehen machen, was passiert war, doch wusste sie, dass sie
einen weiteren Schritt gemacht hatte, zu akzeptieren.
Schloss
Hogwarts
13. Januar 1998
Ginny stand noch lange vor dem Spiegel und betrachtete die Veränderung ihres Äusseren. Sie konnte es sich nicht erklären, aber es gefiel ihr. Das dunklere Haar, welches ihr nun seidig glänzend über die Schulter fiel, machte sie viel erwachsener. Die junge Frau griff nach zwei schwarzen, hölzernen Stäbchen, die auf der Ablage vor dem Spiegel lagen. Dabei achtete sie darauf, diesen nicht zu berühren. Sie wusste, dass Hogwarts viele Geheimnisse bot, doch so etwas hatte sie noch nie erlebt. Vorsichtig und mit gekonnten Griffen steckte sie ihr Haar zu einem Knoten hoch und die Stäbchen bildeten ein Kreuz. Nur die Strähnen in ihrem Nacken liess sie frei über ihren Rücken fallen, sodass sie im Licht einen glänzenden Spiegel bildeten. Als Ginny die Hände sinken liess, lächelte ihr das Mädchen im Spiegel herzlich zu.
Gerade wollte sich Ginny zum Gehen wenden, als ihr auffiel, dass sie völlig nackt im Badezimmer stand. Und ihr gefiel, was sie da sah. Irgendwie schien ihr Hintern kleiner und voller geworden zu sein. Erstaunt strich sie über die zarte Haut und verspürte wieder dieses angenehme Kribbeln. Schultern zuckend schnappte sie sich einen flauschigen Bademantel von einem Hacken an der Tür und legte ihn sich um. Bevor sie zur Tür hinaus ging, warf sie noch einen letzten Blick auf den Spiegel. Sie meinte, eine Welle über die glatte Oberfläche huschen zu sehen. Dann schloss sie die Tür hinter sich und schritt den dunklen Gang entlang. Es war angenehm kühl hier draussen, Ginny atmete tief die frische Luft ein, die von dem offenen Fenster auf der anderen Seite des Ganges herrührte.
Die Rothaarige blieb stehen und sah auf den edlen
Mahagoni-Boden. Was ist nur los?, dachte sie. Das Leben ist schon
eigenartig. Am einen Tag so ausweglos und dann.. plötzlich so schön
und unbeschwert.
Irgendwie fühlte sie sich schuldig, dass sie auf
einmal so fröhlich war, als ob ihr das, angesichts des Todes ihrer
ganzen Familie, nicht zustehen würde, solche Gefühle zu haben.
Gib
dir nicht die Schuld an Dingen, die du nicht verhindern konntest,
sprach eine leise Stimme in ihrem Kopf, die man vielleicht Vernunft
nennen könnte.
Ginny sank an der Wand hinab. Der Bademantel war ihr über die Beine zurück gerutscht, und die kühle Luft strich um ihre Oberschenkel. Die Rothaarige legte das Gesicht in die Hände. Ich hätte kämpfen müssen, widersprach sie der leisen Stimme in ihr. Das Leben ist ein Geschenk. Du solltest froh sein, dass du noch da bist. Dich trifft keine Schuld an dem, was passiert ist.
Ginny blickte auf. Ein leiser Windstoss strich um ihre Beine und sie begann zu zittern. Sie wusste nicht, wie sie sich fühlte. Ihr Körper hatte sich von den Strapazen ziemlich gut erholt, doch war ihr Inneres aufgewühlt. Sie wusste nicht, was sie denken oder fühlen sollte. Die Trauer und der Schmerz über den Verlust ihrer Familie konnte sie nicht aus ihrem Geist verbannen, doch zugleich loderte dieses kleine Glücksfeuer in ihr. War es falsch, glücklich zu sein, wenn man alles verloren hatte? War es falsch, einen kleinen Funken Hoffnung in sich zu tragen trotz der Tatsache, dass keine Möglichkeit bestand, ihre Liebsten zurück zu bringen?
Warum glaubst du, es ist falsch, sich nicht aufzugeben? Wieder ertönte diese leise Stimme der Vernunft in ihr. Dir wurde das Leben geschenkt. Du darfst dich nicht aufgeben.
»Ja«, sagte Ginny entschlossen und erhob sich vom kalten Boden. »So darf es nicht enden«
Sie zog den
Bademantel enger um sich und schritt davon.
Ein kleiner Funken
Hoffnung in ihrem Herzen.
