PROLOG
So höret!
Aus verbrieften Aufzeichnungen geht hervor, dass im Jahr 64 des Vierten Zeitalters ein gewisser Peregrin Tuk nach Minas Tirith kam und eine Abschrift des Roten Buches der Westmark brachte, das Buch des Thains. Viele Jahre vergingen, bis ich, der jetzige Hofschreiber von Minas Tirith, Findegil genannt, im Jahr 172 endlich eine weitere Abschrift davon fertigen durfte. Höchste Zeit war es, denn das Buch des Thains hatte stark gelitten durch die Jahre, in denen es nach Peregrins Tod und den kurz danach noch vorgenommen, allerletzten Einfügungen eines meiner eifrigen Vorgänger in Vergessenheit geraten war.
Viele Seiten waren fast unleserlich geworden, und vor allem das, was ich für die Zeit nach dem großen Ringkrieg zu entziffern vermochte, schien stellenweise unwahr zu sein und von den Überlieferungen Gondors abzuweichen. Schlimmer noch - einiges war schlichtweg falsch, wie etwa die Darstellung, wonach sich die Totenbetten eines gewissen Meriadoc und des oben erwähnten Peregrin neben der letzten Ruhestätte des Königs Elessar befinden sollten. Dies konnte nur dem Wunschdenken eines den König über alle Maßen Verehrenden entsprungen sein, denn die Gelehrten von Minas Tirith kennen die traurige Wahrheit. Der mächtigste König aller Zeiten wurde nicht in Gondor bestattet. Man weiß bis heute nicht, wo er begraben liegt, ja noch nicht einmal, wie und wann ihn das Ende ereilte.
Da ich aber ein Mann von Ehre bin, hielt ich es selbstverständlich trotzdem für meine Pflicht, das Buch des Thains Wort für Wort zu übernehmen.
Jedoch, mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Und so begann ich eines Tages, in der Verschwiegenheit meiner Kammer die wahren Ereignisse zusammenzuführen, auf dass der Nachwelt das Wissen darüber für immer erhalten bleibe. Nun, da mein Bericht fertiggestellt ist, verwahre ich ihn gut geschützt an einem geheimen Ort, und hoffe, er möge in die richtigen Hände geraten, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Meine Erzählung setzt vierzig Jahre nach dem Ringkrieg ein. In einem stimmt sie mit dem Buch des Thains überein: Die Liebe zwischen Arwen und Aragorn blieb auf immer bestehen, unverändert, unerschütterlich, trotz aller Erschwernisse und Kümmernisse, die ihnen auferlegt waren. Und so muss ich Euch zunächst betrübliche Nachricht geben, denn die schöne Königin hatte dem Erben Elendils in all den Jahren, die sie vermählt waren, keine Kinder geboren ...
Doch lest nun mit eigenen Augen, was geschah.
~ ~ ~ ~
ERSTES KAPITEL ~ ARWENS TRAUM
Es war früher Morgen, und Arwen erwachte mit einem freudigen Lächeln und der hoffnungsvollen Ahnung, dass dieser Tag anders sein würde, nicht gleich den unzähligen Tagen vorher, an denen dunkelste Verzweiflung über sie hereingebrochen und kein Ausweg in Sicht war.
In der Nacht hatte sie wieder das erlebt, was die Menschen einen Traum nannten, und seit Arwen einem Menschen zuliebe die Sterblichkeit gewählt hatte, träumte auch sie. Meist waren es nur verworrene Bilder und verschwommene Gesichter, manchmal Geschichten von solcher Intensität, dass sie nur mit äußerster Willensanstrengung Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte. Noch seltener träumte sie von Geschehnissen, die später wirklich eintraten, wie Faramirs und seines Sohnes Tod in den glühenden Feldern Mordors. Als Arwen nach der Vermählung mit Aragorn entdeckte, dass zu ihrem sterblichen Dasein auch Träume gehörten, hatte sie sich zunächst davor geängstigt, dann aber erkannt, dass manche Träume wichtige Botschaften in sich bargen, wenn sie nur genau hinhörte.
Und deshalb sah sie dem heutigen Tage erwartungsvoll entgegen, denn der Traum der vergangenen Nacht war, wenn auch unklar und undeutlich, so doch vielversprechend. In den Tiefen ihres uralten Daseins fühlte sie, dass dieser Tag auf ungeahnte Weise zur Beilegung ihres verhängnisvollen Unglückes beitragen könnte.
War es Zufall, dass ausgerechnet heute der König der Mark, Éomer, erwartet wurde?
Arwen sprang auf und lief zum Fenster. Wie schön war der Ausblick, den ihr Schlafgemach hoch oben auf der Zitadelle bot. Unten lag Minas Tirith, die Hauptstadt Gondors, in Glanz und Glorie. Es versprach ein schöner sonniger Spätsommertag zu werden. Noch stieg feuchter Nebel vom Anduin hoch, und ein feiner Dunst gab dem weiten Land mit seinen fernen Bergen ein unwirkliches Aussehen, aber die Morgensonne war hell und kräftig. Tief sog Arwen die frische kühle Luft ein und schmeckte den köstlichen Duft der üppig tragenden Apfelbäume rings um Minas Tirith.
Da hörte sie den vertrauten Schritt ihrer Kammerzofe draußen auf dem Flur. Leise öffnete sich die Türe, und Jadinel trat ein. Mit beiden Armen hielt sie eine große dampfende Kanne umklammert. Trotz ihrer schweren Last knickste die alte Zofe respektvoll. Dann goss sie etwas von dem heißen Wasser in ein goldenes Becken und begann die Königin behutsam zu waschen.
"Wie schön du noch bist, Herrin", bemerkte die Dienerin und schürzte die Lippen, "du bist keinen Tag älter geworden ..."
Arwen lächelte leise. Jadinel war ihre Zofe seit dem Tag, da sie nach Minas Tirith gekommen war, und ihr seither in glühender Liebe ergeben. Seit vierzig Jahren brachte sie ihr jeden Morgen heißes Wasser, kümmerte sich um ihre Gewänder und ihr Wohlbefinden. Und noch immer nicht begriff Jadinel, wie es geschehen konnte, dass aus ihr eine alte Frau geworden war, während sich ihre Herrin über all die Jahre Jugend und Liebreiz bewahrt hatte. Gleichwohl verehrte Jadinel sie ob dieser Schönheit, auch wenn sie deren scheinbare Unvergänglichkeit nicht verstehen konnte.
Aber auch Arwen alterte, nur verstrich ihre Zeit viel langsamer als die der Menschen. Doch Jugend und Schönheit allein blieben ohne Wert, wenn ein Jahr nach dem anderen verging, und der düstere Neumond jedes Mal aufs neue die sehnsüchtige Hoffnung zunichte machte. Wie tröstlich war ihr in all der Zeit Jadinels Zuspruch und aufrichtiges weibliches Mitgefühl gewesen ...
"Meine gute Jadinel ...", murmelte Arwen versonnen. Dann fragte sie: "Ist der Herr schon lange weg?"
"Ja, Herrin. Bereits vor Tagesanbruch ist er nach Osgiliath geritten, um rechtzeitig zu König Éomers Empfang zurück zu sein."
Während Jadinel ihre Haut abrieb und mit duftenden Ölen salbte, gab sich Arwen ungestört ihren Gedanken hin. Aragorn war ein guter König. Er nutzte seine Zeit, ganz so, wie es ihm Galadriel und Celeborn geraten hatten. Unermüdlich war er gewesen, und hatte es zuwege gebracht, friedvoll, nur mit Wort und Überzeugungskraft, die Fürstenhäuser Gondors unter seinen Banner zu vereinen und nach dem verheerenden Ringkrieg wieder aufzubauen. Groß war sein Reich, groß und mächtig auch er. Niemand würde es wagen, seinen Thron, seine Macht, sein Haus, anzutasten. Nicht, solange er am Leben war. Doch was geschah danach?
Denn Aragorn, der letzte Nachfahr Elendils von Númenor, hatte keinen Thronerben.
Und Arwen blickte zornig auf ihren makellosen und dabei so gänzlich unnützen Körper. Der Gedanke, versagt zu haben, nachdem sie beide so lange hatten warten müssen und Aragorn so viele Gefahren gemeistert hatte, entsetzte sie. Das Wissen um Aragorns beschränkte Lebensspanne und dass sie diese Zeit nicht besser nutzen konnte, peinigte sie. Aragorn war jetzt einhundertundzwanzig Jahre alt und stand in der Blüte seines Lebens. Noch konnte er Kinder zeugen und sie auf ihr späteres Erbe vorbereiten.
Doch durch Liebe und Eid an sie gebunden, blieb ihm dies womöglich auf immer verwehrt. Und das große Reich des König Elessars würde nach seinem Tode zerfallen und die gierigen Menschen würden sich der Macht wegen gegenseitig zerfleischen.
Ach, hätte sie nur auf Galadriel gehört und ihrer Liebe zu Aragorn rechtzeitig entsagt! Aber schon bei der ersten zarten Berührung ihrer beiden Seelen war süß und betörend das verzehrende Verlangen nach einem Leben mit ihm erwacht.
Die ernsten Warnungen ihrer weisen Großmutter hatte sie nicht hören wollen. Wie töricht erschien ihr das heute. Dabei liebte sie Aragorn unvermindert. Ein Leben ohne ihn - nicht denkbar. Und doch gab es nur diesen einen Weg. Der Verzicht, den sie damals nicht zu leisten vermochte, forderte jetzt seinen Tribut, härter und grausamer denn je.
Sie musste Aragorn freigeben. Dabei wusste sie, dass er dies niemals zulassen würde. Also musste es heimlich geschehen. Und bald.
Doch für sie gab es keine Zuflucht und keine Hoffnung. Der Weg zu ihrem Volk blieb ihr unwiderruflich verwehrt, seit jenem Tage, da sie Frodo die silberne Kette mit dem weißen Edelstein geschenkt hatte, damit er statt ihr Zugang zu den Unsterblichen Landen erlangte. Doch selbst wenn sie das Eintrittspfand noch besäße, nützte es ihr nichts, denn schon lange fuhren keine Schiffe mehr nach Valinor. Das Segensreich war auf alle Zeit verloren. Und auf Mittelerde lebten nur noch wenige Elben, fernab im Geheimen, verborgen und unerkannt. Fast alle ihres Volkes waren Elronds Ruf gefolgt - nur sie nicht.
Und so trug sie Schuld daran, dass mit Aragorn der Stammbaum Elendils endete und Verderben und Finsternis nach Mittelerde zurückkehrten.
Sie war bereit, alles auf sich zu nehmen und allem zu entsagen, um ihre Schuld gutzumachen.
Aber sie kannte Aragorns treues Herz und unsterbliche Liebe zu ihr.
Und so wäre ihr Opfer umsonst, wenn es nach ihr keiner anderen Frau gelänge, sein gebrochenes Herz zu heilen und für sich zu gewinnen. Nur eine besondere Frau könnte dies zuwege bringen, von edler Abstammung müsste sie sein, schön und klug, von außergewöhnlicher Art, und Aragorn ebenbürtig.
Doch so sehr sie sich auch den Kopf zermarterte - in ganz Gondor gab es keine solche Frau.
Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit bemächtigten sich ihr erneut. All ihr verzweifelter Mut blieb vergebens, wenn - ja, wenn kein Wunder geschah.
~ ~ ~ ~
Warnung: Bei dieser Geschichte ist Durchhaltevermögen gefragt ... sie wird sehr lang (sofern sie überhaupt jemanden interessiert ...)
Bitte schreibt mir eure Meinung, ehrlich, hart und schonungslos - entweder per Mail oder als review!
So höret!
Aus verbrieften Aufzeichnungen geht hervor, dass im Jahr 64 des Vierten Zeitalters ein gewisser Peregrin Tuk nach Minas Tirith kam und eine Abschrift des Roten Buches der Westmark brachte, das Buch des Thains. Viele Jahre vergingen, bis ich, der jetzige Hofschreiber von Minas Tirith, Findegil genannt, im Jahr 172 endlich eine weitere Abschrift davon fertigen durfte. Höchste Zeit war es, denn das Buch des Thains hatte stark gelitten durch die Jahre, in denen es nach Peregrins Tod und den kurz danach noch vorgenommen, allerletzten Einfügungen eines meiner eifrigen Vorgänger in Vergessenheit geraten war.
Viele Seiten waren fast unleserlich geworden, und vor allem das, was ich für die Zeit nach dem großen Ringkrieg zu entziffern vermochte, schien stellenweise unwahr zu sein und von den Überlieferungen Gondors abzuweichen. Schlimmer noch - einiges war schlichtweg falsch, wie etwa die Darstellung, wonach sich die Totenbetten eines gewissen Meriadoc und des oben erwähnten Peregrin neben der letzten Ruhestätte des Königs Elessar befinden sollten. Dies konnte nur dem Wunschdenken eines den König über alle Maßen Verehrenden entsprungen sein, denn die Gelehrten von Minas Tirith kennen die traurige Wahrheit. Der mächtigste König aller Zeiten wurde nicht in Gondor bestattet. Man weiß bis heute nicht, wo er begraben liegt, ja noch nicht einmal, wie und wann ihn das Ende ereilte.
Da ich aber ein Mann von Ehre bin, hielt ich es selbstverständlich trotzdem für meine Pflicht, das Buch des Thains Wort für Wort zu übernehmen.
Jedoch, mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Und so begann ich eines Tages, in der Verschwiegenheit meiner Kammer die wahren Ereignisse zusammenzuführen, auf dass der Nachwelt das Wissen darüber für immer erhalten bleibe. Nun, da mein Bericht fertiggestellt ist, verwahre ich ihn gut geschützt an einem geheimen Ort, und hoffe, er möge in die richtigen Hände geraten, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Meine Erzählung setzt vierzig Jahre nach dem Ringkrieg ein. In einem stimmt sie mit dem Buch des Thains überein: Die Liebe zwischen Arwen und Aragorn blieb auf immer bestehen, unverändert, unerschütterlich, trotz aller Erschwernisse und Kümmernisse, die ihnen auferlegt waren. Und so muss ich Euch zunächst betrübliche Nachricht geben, denn die schöne Königin hatte dem Erben Elendils in all den Jahren, die sie vermählt waren, keine Kinder geboren ...
Doch lest nun mit eigenen Augen, was geschah.
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ERSTES KAPITEL ~ ARWENS TRAUM
Es war früher Morgen, und Arwen erwachte mit einem freudigen Lächeln und der hoffnungsvollen Ahnung, dass dieser Tag anders sein würde, nicht gleich den unzähligen Tagen vorher, an denen dunkelste Verzweiflung über sie hereingebrochen und kein Ausweg in Sicht war.
In der Nacht hatte sie wieder das erlebt, was die Menschen einen Traum nannten, und seit Arwen einem Menschen zuliebe die Sterblichkeit gewählt hatte, träumte auch sie. Meist waren es nur verworrene Bilder und verschwommene Gesichter, manchmal Geschichten von solcher Intensität, dass sie nur mit äußerster Willensanstrengung Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte. Noch seltener träumte sie von Geschehnissen, die später wirklich eintraten, wie Faramirs und seines Sohnes Tod in den glühenden Feldern Mordors. Als Arwen nach der Vermählung mit Aragorn entdeckte, dass zu ihrem sterblichen Dasein auch Träume gehörten, hatte sie sich zunächst davor geängstigt, dann aber erkannt, dass manche Träume wichtige Botschaften in sich bargen, wenn sie nur genau hinhörte.
Und deshalb sah sie dem heutigen Tage erwartungsvoll entgegen, denn der Traum der vergangenen Nacht war, wenn auch unklar und undeutlich, so doch vielversprechend. In den Tiefen ihres uralten Daseins fühlte sie, dass dieser Tag auf ungeahnte Weise zur Beilegung ihres verhängnisvollen Unglückes beitragen könnte.
War es Zufall, dass ausgerechnet heute der König der Mark, Éomer, erwartet wurde?
Arwen sprang auf und lief zum Fenster. Wie schön war der Ausblick, den ihr Schlafgemach hoch oben auf der Zitadelle bot. Unten lag Minas Tirith, die Hauptstadt Gondors, in Glanz und Glorie. Es versprach ein schöner sonniger Spätsommertag zu werden. Noch stieg feuchter Nebel vom Anduin hoch, und ein feiner Dunst gab dem weiten Land mit seinen fernen Bergen ein unwirkliches Aussehen, aber die Morgensonne war hell und kräftig. Tief sog Arwen die frische kühle Luft ein und schmeckte den köstlichen Duft der üppig tragenden Apfelbäume rings um Minas Tirith.
Da hörte sie den vertrauten Schritt ihrer Kammerzofe draußen auf dem Flur. Leise öffnete sich die Türe, und Jadinel trat ein. Mit beiden Armen hielt sie eine große dampfende Kanne umklammert. Trotz ihrer schweren Last knickste die alte Zofe respektvoll. Dann goss sie etwas von dem heißen Wasser in ein goldenes Becken und begann die Königin behutsam zu waschen.
"Wie schön du noch bist, Herrin", bemerkte die Dienerin und schürzte die Lippen, "du bist keinen Tag älter geworden ..."
Arwen lächelte leise. Jadinel war ihre Zofe seit dem Tag, da sie nach Minas Tirith gekommen war, und ihr seither in glühender Liebe ergeben. Seit vierzig Jahren brachte sie ihr jeden Morgen heißes Wasser, kümmerte sich um ihre Gewänder und ihr Wohlbefinden. Und noch immer nicht begriff Jadinel, wie es geschehen konnte, dass aus ihr eine alte Frau geworden war, während sich ihre Herrin über all die Jahre Jugend und Liebreiz bewahrt hatte. Gleichwohl verehrte Jadinel sie ob dieser Schönheit, auch wenn sie deren scheinbare Unvergänglichkeit nicht verstehen konnte.
Aber auch Arwen alterte, nur verstrich ihre Zeit viel langsamer als die der Menschen. Doch Jugend und Schönheit allein blieben ohne Wert, wenn ein Jahr nach dem anderen verging, und der düstere Neumond jedes Mal aufs neue die sehnsüchtige Hoffnung zunichte machte. Wie tröstlich war ihr in all der Zeit Jadinels Zuspruch und aufrichtiges weibliches Mitgefühl gewesen ...
"Meine gute Jadinel ...", murmelte Arwen versonnen. Dann fragte sie: "Ist der Herr schon lange weg?"
"Ja, Herrin. Bereits vor Tagesanbruch ist er nach Osgiliath geritten, um rechtzeitig zu König Éomers Empfang zurück zu sein."
Während Jadinel ihre Haut abrieb und mit duftenden Ölen salbte, gab sich Arwen ungestört ihren Gedanken hin. Aragorn war ein guter König. Er nutzte seine Zeit, ganz so, wie es ihm Galadriel und Celeborn geraten hatten. Unermüdlich war er gewesen, und hatte es zuwege gebracht, friedvoll, nur mit Wort und Überzeugungskraft, die Fürstenhäuser Gondors unter seinen Banner zu vereinen und nach dem verheerenden Ringkrieg wieder aufzubauen. Groß war sein Reich, groß und mächtig auch er. Niemand würde es wagen, seinen Thron, seine Macht, sein Haus, anzutasten. Nicht, solange er am Leben war. Doch was geschah danach?
Denn Aragorn, der letzte Nachfahr Elendils von Númenor, hatte keinen Thronerben.
Und Arwen blickte zornig auf ihren makellosen und dabei so gänzlich unnützen Körper. Der Gedanke, versagt zu haben, nachdem sie beide so lange hatten warten müssen und Aragorn so viele Gefahren gemeistert hatte, entsetzte sie. Das Wissen um Aragorns beschränkte Lebensspanne und dass sie diese Zeit nicht besser nutzen konnte, peinigte sie. Aragorn war jetzt einhundertundzwanzig Jahre alt und stand in der Blüte seines Lebens. Noch konnte er Kinder zeugen und sie auf ihr späteres Erbe vorbereiten.
Doch durch Liebe und Eid an sie gebunden, blieb ihm dies womöglich auf immer verwehrt. Und das große Reich des König Elessars würde nach seinem Tode zerfallen und die gierigen Menschen würden sich der Macht wegen gegenseitig zerfleischen.
Ach, hätte sie nur auf Galadriel gehört und ihrer Liebe zu Aragorn rechtzeitig entsagt! Aber schon bei der ersten zarten Berührung ihrer beiden Seelen war süß und betörend das verzehrende Verlangen nach einem Leben mit ihm erwacht.
Die ernsten Warnungen ihrer weisen Großmutter hatte sie nicht hören wollen. Wie töricht erschien ihr das heute. Dabei liebte sie Aragorn unvermindert. Ein Leben ohne ihn - nicht denkbar. Und doch gab es nur diesen einen Weg. Der Verzicht, den sie damals nicht zu leisten vermochte, forderte jetzt seinen Tribut, härter und grausamer denn je.
Sie musste Aragorn freigeben. Dabei wusste sie, dass er dies niemals zulassen würde. Also musste es heimlich geschehen. Und bald.
Doch für sie gab es keine Zuflucht und keine Hoffnung. Der Weg zu ihrem Volk blieb ihr unwiderruflich verwehrt, seit jenem Tage, da sie Frodo die silberne Kette mit dem weißen Edelstein geschenkt hatte, damit er statt ihr Zugang zu den Unsterblichen Landen erlangte. Doch selbst wenn sie das Eintrittspfand noch besäße, nützte es ihr nichts, denn schon lange fuhren keine Schiffe mehr nach Valinor. Das Segensreich war auf alle Zeit verloren. Und auf Mittelerde lebten nur noch wenige Elben, fernab im Geheimen, verborgen und unerkannt. Fast alle ihres Volkes waren Elronds Ruf gefolgt - nur sie nicht.
Und so trug sie Schuld daran, dass mit Aragorn der Stammbaum Elendils endete und Verderben und Finsternis nach Mittelerde zurückkehrten.
Sie war bereit, alles auf sich zu nehmen und allem zu entsagen, um ihre Schuld gutzumachen.
Aber sie kannte Aragorns treues Herz und unsterbliche Liebe zu ihr.
Und so wäre ihr Opfer umsonst, wenn es nach ihr keiner anderen Frau gelänge, sein gebrochenes Herz zu heilen und für sich zu gewinnen. Nur eine besondere Frau könnte dies zuwege bringen, von edler Abstammung müsste sie sein, schön und klug, von außergewöhnlicher Art, und Aragorn ebenbürtig.
Doch so sehr sie sich auch den Kopf zermarterte - in ganz Gondor gab es keine solche Frau.
Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit bemächtigten sich ihr erneut. All ihr verzweifelter Mut blieb vergebens, wenn - ja, wenn kein Wunder geschah.
~ ~ ~ ~
Warnung: Bei dieser Geschichte ist Durchhaltevermögen gefragt ... sie wird sehr lang (sofern sie überhaupt jemanden interessiert ...)
Bitte schreibt mir eure Meinung, ehrlich, hart und schonungslos - entweder per Mail oder als review!
