„House!", Cuddy unterbrach seinen Redeschwall und versuchte gar nicht erst, ihren amüsierten Gesichtsausdruck zu verbergen.

„Was?", fragte House mit Nachdruck. Schließlich wesentlich ruhiger: „Dieses schadenfrohe Hyänengesicht hat nichts Gutes zu bedeuten, oder?"

„So ist es.", sagte Cuddy zufrieden.

Wilson beobachtete die beiden fasziniert aus einigen Metern Entfernung. Cuddy und House waren wie zwei chemische Substanzen, die anfingen zu brodeln und Gefahr liefen zu explodieren, sobald sie sich in die Quere kamen. Es war interessant ihnen zuzusehen, aber man lief leicht Gefahr, ins Kreuzfeuer zu geraten. Da war es gut, einen gewissen Abstand zu halten und sich Fluchtwege auszugucken. House hatte sich leicht vorgebeugt, stand sozusagen über ihr, und hätte auf jeden, der wie Cuddy trotz hoher Hacken fast einen Kopf kleiner war als er, einen durchaus bedrohlichen Eindruck gemacht. Doch Cuddy hielt sich aufrecht und ließ keinen Zweifel an der Tatsache, dass sie es war, die das Sagen hatte.

„Das Meeting nennt sich Abteilungsleiterrunde. Sie sind jetzt Abteilungsleiter in diesem Krankenhaus, und das bedeutet, dass Sie an den Sitzungen teilnehmen werden."

„Ich hab keine Angestellten. Wie kann man Abteilungsleiter sein, wenn man keine Angestellten hat?"

„Ich habe Ihnen vor gut drei Monaten gesagt, dass Sie die Mittel zur Anstellung von zwei Mitarbeitern zur Verfügung haben. Soweit ich weiß, hat es noch kein einziges Vorstellungsgespräch gegeben."

„Spielt das für diese Diskussion eine Rolle? Tatsache ist, dass ich keine Mitarbeiter habe. Ergo ..."

„Sie leiten eine Abteilung. Also sind Sie Abteilungsleiter. Ob die Mitarbeiter, die Ihnen zustehen, bereits eingestellt wurden oder noch nicht, tut hierbei nichts zur Sache."

„Ich könnte meine wertvolle Zeit soviel sinnloser verschwenden."

„Womit? Videospiele? Musik? Fernsehen? Andere Arbeitsvermeidungsmaßnahmen?"

„Zum Beispiel."

„Seien Sie nicht albern, House. Es ist ein Meeting! Einmal die Woche, höchstens eine Stunde lang."

„Was tun Sie, wenn ich nicht komme?"

„Sie kündigen."

House schnaubte und sparte sich die Antwort.

„Okay – vielleicht nicht sofort. Allerdings könnte Ihr Fernseher dran glauben."

„Das würden Sie nicht wagen."

„Er ist uralt. Solche Dinger können im Handumdrehen den Geist aufgeben."

„Das ist uralte Wertarbeit. Die Kästen wurden für die Ewigkeit gebaut."

„Man kann nie wissen, House. Sie werden kommen. Und wenn ich Sie eigenhändig hinschleifen muss."

„Ist das ein Versprechen?"

„House!"

Er seufzte und lehnte sich an den Türrahmen. „Gibt es Bagels?"

„Donuts."

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Wilson steckte seinen Kopf durch House' Bürotür. „Kommst du mit?" Erstaunt stellte er fest, dass House tatsächlich zu arbeiten schien. Er saß auf seinem gelben Sessel und studierte eindeutig eine Patientenakte, die der Farbe nach aus der Notaufnahme stammte.

Ohne von seiner Lektüre aufzusehen, schüttelte House verächtlich den Kopf. „Du willst schon Schluss machen? Es kann noch nicht mal drei sein."

„Es ist viertel vor drei."

„Hast du jemals im Leben vor vier Uhr Feierabend gemacht?"

„Kein Feierabend. Das Meeting!"

„Welches Meeting?"

„House!"

„Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass ich erst teilnehmen muss, wenn ich Mitarbeiter angestellt habe?"

„... Nein ... hattet ihr nicht."

„Cuddy hat gesagt, dass ..."

„Ich hab gehört, was Cuddy gesagt hat."

„Du hast gelauscht?"

„War zufällig in der Nähe."

House setzte eine verächtliche Miene auf. „Zufällig. Ha!"

„Das Meeting beginnt in einer Viertelstunde. Komm schon."

„Ich habe einen Fall."

„Stirbt der Patient?"

„He! Das ist mein Text!"

„Stirbt er?"

„Könnte sein, wenn ihn niemand diagnostiziert."

„Aber das Diagnostizieren kann eine Stunde warten, nicht wahr?"

House seufzt. „Kannst du nicht einfach allein gehen und denen sagen, ich sei verschwunden? Beschäftigt? Tot?"

„House!"

Wilson und Cuddy würden nicht locker lassen, das war ihm klar. Am einfachsten wäre es wahrscheinlich, wenn er es tatsächlich einfach über sich ergehen ließe. Er hob sein rechtes Bein vom Hocker und sah sich nach seinem Stock um, den er ursprünglich an den Sessel gelehnt hatte, bevor er abgerutscht und zu Boden gefallen war. Wilson war schneller und reichte ihn ihm. House beim Aufstehen zuzusehen, löste in Wilson fast reflexartig ein Bedürfnis aus, ihm irgendwie zu helfen, aber aus Erfahrung wusste er, dass er sich mit einer solchen Aktion nur in die Nesseln setzen konnte. Also versuchte er, nicht hinzusehen und verschränkte seine Arme vor der Brust. House hatte vor drei Monaten wieder angefangen zu arbeiten. Zuvor hatte er nach seinem Infarkt im Oberschenkel und der Operation über ein halbes Jahr lang pausiert. Zum Ende hin, hatte man ihn immer wieder telefonisch konsultiert, wenn es im Krankenhaus schwierige Fälle gab, mit denen keiner zurechtkam. Niemand hatte mit Sicherheit gewusst, ob House jemals wieder zur Arbeit kommen würde, obwohl Wilson es fast geahnt hatte. Jemand, der so schnell gelangweilt war wie House, brauchte etwas, das seine Tage ausfüllte. Irgendwann wären die Wiederholungen von General Hospital und seine Videospiele nicht mehr ausreichend, und er würde sich Cuddys Angebot, eine neue Diagnostikabteilung aufzubauen noch einmal ernsthaft durch den Kopf gehen lassen. Und so war es gekommen. Schon nach kurzer Zeit hatte sich gezeigt, dass diese Art der Arbeit wie geschaffen war für House. Er konnte sich mit Fällen beschäftigen, die ihn interessierten. Das kam letzten Endes allen anderen ebenso zugute.

Im Augenwinkel bemerkte Wilson, dass House inzwischen stand, sein Gleichgewicht gefunden hatte und bereit war, loszugehen. Scheinbar unbeteiligt schob Wilson mit seinem Fuß den gelben Hocker ein wenig zur Seite und ignorierte House' wütenden Blick.

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Trotz House' langsamen und beschwerlichen Schritten kamen sie bereits fünf Minuten vor drei ins Konferenzzimmer. Wilson hatte ein paar Minuten mehr für die vorausgehende Diskussion eingeplant gehabt. Thornton aus der Radiologie war die einzige Kollegin, die bisher eingetroffen war. Sie nickte den beiden Männern zu, ohne soviel wie eine Augenbraue zu heben beim Anblick von House, was Wilson ihr durchaus positiv anrechnete. House nahm auf dem erstbesten Stuhl Platz, und Wilson hütete sich davor, ihm zu sagen, dass dort normalerweise Simons aus der Pädiatrie saß. Er war selbst erst seit einigen Wochen als frischgebackener Abteilungsleiter der Onkologie Teilnehmer dieses Kreises, und kannte noch nicht alle ungeschriebenen Regeln, die sich über die Jahre eingespielt hatten, doch dass es eine feste Platzordnung gab, hatte er zumindest mitbekommen. Simons würde House jedoch kaum vom Stuhl verjagen. Dessen war er sich sicher.

Auch Cuddy verzog keine Miene, als sie auf die Minute pünktlich eintraf und die Tür hinter sich schloss. Die antike Wanduhr gab drei leise Schläge von sich, und jeder Teilnehmer, der unentschuldigt fehlte oder nach dem Gongschlag ins Meeting kam, würde einen Dollar in die alberne Entenspardose in der Mitte des Tisches neben dem Teller mit den Donats zahlen müssen. Da jedoch alle Kollegen mit Ausnahme von einem, der sich auf einer Konferenz befand und einem weiteren, der Urlaub hatte, anwesend waren, konnte es losgehen.

Cuddy begann damit, House offiziell in der Runde willkommen zu heißen, und alle Kollegen versuchten zumindest, sich ein mehr oder weniger erzwungenes Lächeln abzuringen. Dann ging man zur Tagesordnung über. Jeder Kollege berichtete, was im Laufe der vergangenen Woche in der jeweiligen Woche erwähnenswertes vorgefallen war. Gelegentlich wurden dadurch kleinere Diskussionen ausgelöst. Wilson, der House gut im Blick hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er bemerkte, dass House trotz seines gelangweilten und genervten Gesichtsausdrucks gewisse Dinge durchaus interessant zu finden schien. Einige Male hatte Wilson das Gefühl, er hielt nur den Mund weil er sich vorgenommen hatte, alle einfach zu ignorieren und Cuddy eventuell dadurch dazu zu bringen, ihn von der Teilnahmepflicht zu befreien. Nach einer Viertelstunde, mitten während des Wochenberichtes der Ober-OP-Schwester bemerkte Wilson, dass House unruhig wurde und versuchte, eine bessere Sitzposition zu finden. Sein besorgter Blick traf auf House' wütenden, der besagte ‚ein Wort, und du bist tot'. Wilson sah in die andere Richtung und versuchte sich auf die Kollegin zu konzentrieren.

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„Haben Sie eine Minute, Cuddy?", fragte Wilson am Abend desselben Tages.

Cuddy, die bereits ihren Arztkittel an den Garderobenhaken gehängt hatte und eigentlich im Begriff war zu gehen, nickte. „Klar. Was gibt's Dr. Wilson?"

„Es geht um das Meeting."

„Erstaunlich, dass er gekommen ist, nicht wahr?"

„Ja, durchaus.", Wilson lächelte und schloss die Tür hinter sich. „Aber... ich glaube, dass es noch zu früh ist." Er ging ein paar Schritte auf sie zu.

„Dass was zu früh ist?"

„House. Im Meeting."

„Er hat sich benommen. Keine Beleidigungen, keine bissigen Bemerkungen, kein Herumgemecker."

„Das stimmt allerdings."

„Also, wo ist das Problem?"

„Er konnte nicht mehr sitzen. Schon nach 15 Minuten."

Cuddy stellte ihre Handtasche zurück auf den Schreibtisch. „Ich... habe nichts bemerkt. Er hätte ... wieso hat er nichts gesagt?"

„Wie lange kennen Sie ihn jetzt, Cuddy? Glauben Sie wirklich, er würde es zugeben?"

„Und woher wussten Sie...? Sogar als das Meeting vorbei war, blieb er doch noch sitzen mit dieser Akte aus der Urologie."

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Die Sitzung war bereits vor über fünf Minuten beendet worden, und alle bis auf House und Wilson hatten den Konferenzraum bereits verlassen. House schien in die Patientenakte vertieft zu sein.

„Sieht nicht nach einer gewöhnlichen Infektion aus.", sagte Wilson nach einem Blick über House' Schulter.

„Wäre es ne gewöhnliche Infektion, hätte der Patient auf irgendeins der tausend Medikamente angesprochen, die Johnson verschrieben hat."

„Idee?"

„Ein paar."

„Verrätst du sie mir?"

„Vielleicht später."

„Okay. – Gedenkst du den Nachmittag hier zu verbringen oder ..."

„Ich brauch noch ne Minute, okay?" House' aufbrausender Tonfall war vollkommen unangebracht, und Wilson biss sich auf die Lippen. Er hatte schon während der Sitzung geahnt, dass etwas nicht stimmte, und als House freiwillig im Konferenzraum sitzen blieb, war es zur Gewissheit geworden.

„Soll ich... Willst du, dass ich bleibe?" Wilsons Worte waren kaum zu verstehen, und er wappnete sich innerlich bereits für eine gehörige verbale Attacke aus House' Richtung. Doch stattdessen klappte House die Akte zu, reichte sie ihm und erhob sich langsam, fest auf den Tisch und auf den Stock gestützt, blieb einen Augenblick stehen und hinkte schließlich schwerfällig in Richtung Ausgang.

„Du nervst so unglaublich.", sagte er schließlich, als er in seinem Büro angekommen war, sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Sessel setzte und die Vicodintabletten aus der Jacketttasche holte.

„Gern geschehen, House."

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„Ich hatte in den letzten Tagen nur selten Gelegenheit, bei ihm vorbeizugucken." Cuddy bot Wilson mit einem Nicken einen Platz auf ihrer Couch an.

„Ich mach Ihnen keinen Vorwurf, Cuddy.", sagte Wilson und nahm Platz. „Sie haben andere Dinge zu tun, als Housesitter zu spielen. Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass ich ein Auge auf ihn haben würde, und ich habe ebenfalls gedacht, es wäre einen Versuch wert. Wir haben es versucht, und ich bin der Meinung, es ist noch zu früh."

Cuddy setzte sich ihm gegenüber. „Gibt es Probleme? Ist es schlimmer geworden? Braucht er ein paar Tage frei?"

„Nein. Arbeit ist genau das richtige für ihn. Seit Stacy verschwunden ist, ist ihm zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen. Er braucht die Ablenkung, auch wenn es nicht einfach ist, einen vollen Arbeitstag durchzustehen. Langes Sitzen ist nichts für ihn."

„Aber er sitzt doch eigentlich den ganzen Tag in seinem Büro."

„Nicht ununterbrochen. Er sitzt auf seinem Schreibtischstuhl, auf seinem Sessel, er geht hinüber zur Kaffeemaschine, raus auf den Balkon, er ist rastlos. Wenn er sein Bein irgendwie hochlegen kann, hält er es noch am längsten aus."

Cuddy nickte. Wenn sie genau überlegte, sah man House ständig irgendwo mit den Beinen auf Tischen oder Hockern herumsitzen. „Wir könnten für ihn im Konferenzraum einen Hocker..."

Wilson schüttelte den Kopf. „Keine gute Idee. Er hasst es, wenn man seinetwegen irgendetwas ändert. Er wird nicht darauf eingehen."

Cuddy wusste, dass Wilson Recht hatte. Durch Stacy, mit der sie sich gut verstand, hatte sie einiges mitbekommen, was sich nach House' Entlassung aus dem Krankenhaus bei den beiden zu Hause abgespielt hatte. Nicht am eigenen Leib so wie Wilson, der ständig dabei gewesen und mehr als ein paar Mal ins Kreuzfeuer geraten war, und alles war natürlich aus Stacys Sicht der Dinge an sie herangetragen worden, aber immerhin wusste sie, dass House alles ablehnte, das andere aber vor allem auch ihn selbst mit der Nase darauf stieß, wie sehr sich sein Leben geändert hatte. Erst nach und nach ließ er gewisse Dinge zu, und ein Hocker im Konferenzzimmer wäre mit Sicherheit auch nichts so drastisches wie ein Treppenlift in Stacys und House' früheren Zuhause, doch Cuddy sah ein, dass Wilson Recht hatte. Andererseits... „Wenn wir ihm jetzt sagen, er braucht zu den nächsten Sitzungen nicht zu kommen..."

„... wird er erst recht kommen weil er beweisen will, dass er eine Sitzung durchsteht. Daran hab ich auch gedacht. Wir müssen es geschickter anstellen."

„Geschickter?"

„Eine wichtige aber nervige Aufgabe, die er dringend erledigen muss statt zum Meeting zu kommen. Mehr Fälle, die ihn in Anspruch nehmen. Er muss sich von sich aus weigern teilzunehmen, allerdings mit Begründungen, die Sie – nach ausreichender Diskussion, damit er nicht misstrauisch wird – akzeptieren müssen."

Cuddy konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich hab nicht gewusst, dass Sie mindestens ebenso manipulativ sind, wie House."

„Ich hab in den letzten Monaten so einiges gelernt.", Wilson zwinkerte ihr zu. „In der Diagnostik-Abteilung ist noch nicht so viel los, als dass ich House' Part während der Sitzungen nicht übernehmen könnte. Ich werde weiter ein Auge auf ihn haben und auf seine Arbeit. Und er braucht dringend Angestellte."

„Ich weiß."

„Sie sollten ihm androhen, ihm einfach irgendwelche Praktikanten zuzuteilen, wenn er sich nicht endlich jemanden sucht."