Author's Note: Da hätten wir sie dann doch, die pre-series Story über Alfred und Matthew, passend zu meiner Fanfic „Von Kaffee, Cookies und Kakao".
Die gute Nachricht für alle, die diese Fanfiction nicht gelesen haben und auch nicht lesen wollen: man muss das nicht. Es macht nur etwas mehr Sinn, wenn man die andere Geschichte auch kennt, schätze ich. Vor allem dieses erste Kapitel wirkt sonst vermutlich sehr „hä?".
Fremdlesern sei zudem gesagt, dass Alfred und Matthew in dieser Geschichte normale Zwillingsbrüder sind.
Ursprünglich wollte ich auch nur einen simplen OS schreiben, aber als es dann im Word die 15 Seiten knackte, dachte ich mir: lad es lieber in einzelnen Kapiteln hoch, den Lesern zuliebe :p
Warnings: AU, hurt/comfort, dezentes OOC wegen einer psychischen Krankheit in Form von Alfreds Bipolarer Störung (die in dieser Fanfic hier aber sehr lange von niemandem als solche erkannt wird)
Disclaimer: Die Jungs und das Coverbild gehören nicht mir, also nix Rechte und erst recht nix Geld.
Viel Spaß an all jene unter euch, die sich dieser Fanfic stellen und danke an jene, die sie obendrein kommentieren und/oder favorisieren.
Von Manie, Hypomanie und Depression
Matthew war mit einem Schlag wach. Ohne zu wissen, wieso. Die Nacht lag klar und still im Haus und drückte ihm unverhältnismäßig schwer auf den Brustkorb.
Der 16-Jährige musste bemüht tief atmen, wobei sich seine Sinne zu spitzen schienen. Irgendwo vom Flur aus kroch ein Geräusch unter seiner Zimmertüre hindurch und geradewegs in seine Gehörgänge. Die roten Ziffern seines Radioweckers warfen ein aggressives 04:06 Uhr ins Zimmer und ließen Matthew glatt das Luftholen vergessen. Sein Körper ruhte wie einbetoniert auf der Matratze, während er auf die beinahe nicht zu vernehmenden Schritte im Flur lauschte. Selbst ohne frischen Sauerstoff und todmüde war ihm sofort klar, wer dort zu dieser unchristlichen Zeit durchs Haus spukte. Verdammt!
Schneller als erwartet schmiss Matthew die Decke von sich runter und schwang die Beine aus dem Bett. Durch den großen Raum schwebten Nachtschatten, geboren aus der Dunkelheit und dem faden, weit entfernten Mondlicht. Die Vorhänge waren nicht gänzlich zugezogen, das Fenster stand auf kipp. Mit wenigen Schritten erreichte Matthew seine Zimmertüre und riss diese abrupt auf.
„Alfred!?"
Sein Zischen wirkte wie das einer Schlange und ließ den Angesprochenen, der soeben in seinem eigenen Zimmer verschwinden wollte, erstaunt herumwirbeln. Dank der Lichtverhältnisse glichen sie beide unscheinbaren Gestalten, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen waren. Matthew spürte Unwohlsein in sein Gefühlsleben tropfen, als er die weit aufgerissenen Augen seines Zwillingsbruders ortete.
Alfred stand, den Knauf seiner Zimmertüre in der Hand, komplett angezogen auf dem Flur. An ihm haftete der Geruch der Außenwelt, der rauen Stadt und von etwas, das Matthew spontan nicht zu identifizieren fähig war. Es war jedoch unangenehm.
„Mann, Matthie, erschreck mich doch nich' so! Was'n los?", flanierte Alfreds Stimme über den guten Teppich.
„Was los ist?! Du fragst mich allen Ernstes, was los ist?!" Aus Matthew sprach die gleiche Fassungslosigkeit, die ihn in den letzten Wochen immer öfter überfiel, wenn es um seinen Bruder ging. „Du hast Hausarrest und-"
„Oh Gott...!", stöhnte Alfred genervt und ging, ohne seinen Bruder noch eines Blickes zu würdigen, in sein Zimmer. Matthew sah sich der geschlossenen Türe gegenüber. Seine Nase war noch immer mit dem fremdartigen, leicht unangenehmen Geruch beschäftigt, konnte aber keinen Anhaltspunkt in Matthews Gedächtnis finden.
Seine eigene Zimmertüre zuziehend, tapste der Blonde über den breiten Flur und erlaubte es sich, ins Zimmer seines Bruders zu schlüpfen. Dieser hatte die kleine Nachttischlampe neben seinem Bett angeknipst und kickte seine Turnschuhe unbekümmert durch den Raum.
„Mom und Dad rasten total aus, wenn die mitkriegen, dass du schon wieder weg warst! Wo um alles in der Welt bist du gewesen?!"
Fordernde Unterhaltungen waren eher weniger Matthews Stärke. Seine Worte hinterließen stets den Eindruck eines gut gemeinten Ratschlags, den man entweder annehmen konnte oder nicht. Was Alfred betraf, so schien dieser jegliche Ratschläge in den Wind zu schießen. Meistens ignorierte er Matthew regelrecht. Zumindest in den letzten Wochen war dies verstärkt der Fall gewesen.
„Sie werden's aber nicht mitkriegen." Nonchalant zog sich Alfred zunächst seine Reißverschlussjacke aus und danach das T-Shirt über den Kopf. Beides flog in Richtung Schreibtischstuhl, verfehlte diesen jedoch und lumpte sich auf dem Boden zu einem schmutzigen Haufen zusammen.
Matthew musste wütend schnauben. Etwas in seiner Brust stach wie ein Eispickel auf sein Herz ein. Es war die unerhörte Selbstverständlichkeit, mit der Alfred davon ausging, sein Zwilling würde ihn nicht verpfeifen. Für einen unbestimmten Moment wünschte sich Matthew, er hätte Alfred schon am letzten Wochenende verraten, als dieser sich ebenfalls über den Hausarrest hinweggesetzt und sich rausgeschlichen hatte. Ohne dass Matthew erfuhr, wo er sich rumgetrieben hatte. Überhaupt war nicht mehr auszumachen, was Alfred eigentlich veranstaltete, wenn er nicht Zuhause war.
Sich mit der rechten Hand zunächst durchs Haar fahrend und dann im Nacken stoppend, seufzte Matthew unüberhörbar.
„Weißt du-"
„Nacht, Bro!", unterbrach Alfred ihn und vollführte ein liebloses Winken über die Schulter hinweg. Alfred empfand Matthew als so lästig wie ein Insekt und seine primäre Aufmerksamkeit galt der Spielkonsole, die er soeben startete.
Matthew blieb der Mund offen stehen. Es war wirklich kein Wunder, dass Alfred den Anschluss an ihre gemeinsame Clique vollkommen verloren hatte. Matthew musste sich im Hinterkopf behalten, hier gerade noch ein nettes Gespräch mit seinem Bruder zu führen... Der konnte auch ganz anders, wie er in jüngster Zeit eifrig bewiesen hatte. Noch fieser, noch herablassender, noch sprunghafter. Woher auch immer Alfred diese Arroganz nahm, sie machte ihn unausstehlich!
„Wir müssen in knapp drei Stunden aufstehen. Morgen ist Schule! Da kannst du doch jetzt nich' zocken, verdammt!" Die Anmerkung fiel wie ein vergifteter Vogel zu Boden und lag genau zwischen den Geschwistern. Alfred hatte sich, den Controller in der Hand, auf sein King Size Bett gefläzt und kam nicht im Leben auf die Idee, er sei seinem Gesprächspartner eine Antwort schuldig.
Matthew spürte das Stechen in der Brust stärker werden. Es drängte abwärts, in Richtung seines Magens. Ein zorniger Säuresee brodelte dort und machte sich in Form eines sauren Aufstoßens bemerkbar.
„Du solltest wirklich noch ein bisschen schlafen...!", probierte Matthew es weiter, wohlwissend nichts zu erwirken. Alfreds unnatürlich wache Augen waren auf das metzelnde Geschehen auf dem breiten Flachbildschirm geheftet. Zombies starben und Blut spritzte.
Wieso versuchte Matthew es überhaupt noch? Warum gab er sich jedes verdammte Mal Mühe, obwohl sein Zwillingsbruder alles so mutwillig zerstörte?
Die Augenbrauen teils schmerzlich, teils erbost verschoben, wandte sich Matthew zum Gehen. Das Frustrierende war, dass er mittlerweile so entsetzlich sauer auf Alfred war und dass dieser Matthews Wut in keiner Weise zur Kenntnis nahm! Und es hatte seine Zeit gedauert, bis Matthew diese Wut überhaupt entwickelt hatte. Das konnte man mal glauben...
Immerhin waren sie gemeinsam aufgewachsen, Matthew kannte also die Marotten seines Bruders. Alfred war ein Typ, der gern haltlos vorausstürmte, wenn man ihn nicht rechtzeitig am Kragen packte und ihm verständlich machte, dass das vielleicht nicht die beste Methode war. Insbesondere in den vergangenen Jahren hatte sich ihr Verhältnis trotzdem angenehm aufeinander abgestimmt. Mit Alfred, der stets einen Blick zu seinem Zwilling warf und sich auf diesem Wege dessen Meinung einholte, und Matthew, der in Alfreds treibender Kraft genügend Mut und Zuversicht fand, um die Dinge anzupacken, statt sie verschüchtert vom Spielfeldrand des Lebens zu begutachten. Sie hatten sich ergänzt, sie hatten voneinander profitiert.
Doch dann war es vorbei gewesen. Irgendwann im Laufe dieses Schuljahres hatte Alfred ihre Verbindung einfach rigoros gekappt wie eine überflüssige Telefonverbindung. Keine Blicke mehr. Keine Harmonie mehr. Alfred war wie fortgeblasen und doch übermäßig präsent.
Matthew hatte sich zunächst von Alfreds widerlichem Geltungsdrang verschluckt gefühlt, war aber als der Ruhigere von ihnen beiden im kleineren Stil gewissermaßen daran gewöhnt.
Dieser Grad war aber so enorm gekippt, dass Matthew dafür ein Ausdruck gänzlich fehlte. Sein Bruder war ein Mensch geworden, bei dem man nicht mehr einschätzen konnte, was er als nächstes sagen oder tun würde. Aber egal, was es war, es handelte ihm – und manchmal auch Matthew – Ärger ein. Der aktuelle Hausarrest war der beste Beweis dafür.
Matthew kroch zurück unter seine Bettdecke, die Seele sorgenschwer und voller unschöner Erinnerungen. Alfred machte das jetzt sicher seit über drei Monaten so, dass er allem und jedem vor den Kopf stieß: den Mitschülern, den Freunden, den Lehrern, ihren Eltern und allen voran seinem Zwillingsbruder.
Da waren Worte, nein, eigentlich boshafte Beleidigungen gefallen, die Matthew sehr tief verscharrt hatte, um sie nicht jeden Abend aufs Neue Revue passieren lassen zu müssen. Das Unterbewusstsein war allerdings wenig erfreut über die Hässlichkeiten...
Sich auf die Seite rollend, sog Matthew die Oberlippe zwischen die Zähne. Er würde keinen Schlaf mehr finden. Ob Alfred überhaupt die Absicht verfolgte, in dieser Nacht schlafen zu gehen, war stark zu bezweifeln. Alfred preschte mit der Ellbogentaktik von jemandem, der sich hauptsächlich von Energy Drinks, Kaffee und Fast Food ernährte, durchs Leben. Sein Tatendrang war nicht immer so ungebremst gewesen. Bis vor kurzem noch hatte Alfred seine Vorteile daraus gezogen und die beneidenswerte Ausdauer aufgebracht, sich so lange mit Dingen auseinander zu setzen, bis Probleme gelöst und Schulaufgaben verstanden waren. Er war klug. Gewesen.
Matthew wusste nicht, warum er sich lieber auf die Zunge biss als ihren Eltern zu beichten, dass Alfreds letzte Klausuren allesamt gewaltig in die Hose gegangen waren. Da jagte ein F das nächste...
Es konnte nicht an Alfreds Intelligenz liegen, das war Matthew schon klar. Alfred schien bloß permanent abgelenkt und überhaupt nicht in der Lage, dem Stoff noch gescheit folgen zu können oder gar zu wollen. Sein fortwährendes Zappeln machte es für Matthew ebenfalls schwierig, genug Konzentration für den Unterricht aufzubringen. Dass sein Bruder diese nicht besaß, sah ein Blinder mit Krückstock. Alfred bekritzelte Tische, malte auf die Ränder von Arbeitsblättern und hörte gar nicht mehr zu. Hausaufgaben hatte er schon seit Wochen nicht mehr erledigt und bloß dämlich gegrinst, wenn Matthew oder die Lehrer ihn daran erinnert hatten.
Das Haus würde explodieren, wenn Alfred mit seinem Zeugnis und dem Beschluss, die Klasse wiederholen zu müssen, nach Hause käme.
Sich auf den Rücken drehend, starrte Matthew stur an die Zimmerdecke. Wenn Alfred die Klasse wiederholen musste, würden sie nicht länger nebeneinander sitzen können. Matthew konnte sich nicht helfen, aber die Vorstellung beruhigte ihn mittlerweile. Denn ein großes Problem war, dass sie beide immer als ‚die Zwillinge' gehandelt wurden. Ein Status, den Alfred in den Dreck zog. Wenn Alfred im Freundeskreis Beleidigungen aussprach und auf Parties Sofas aufschlitzte oder Bierdosen schüttelte, um sie dann wild spritzend im Elternschlafzimmer zu öffnen, fiel es zwangsläufig auch auf Matthew zurück.
Ja, so gesehen war es vermutlich ganz gut, wenn sich ihre Wege langsam trennten und Matthew für sich behielt, dass ihm der ein oder andere Freund hinter hervorgehaltener Hand zugeflüstert hatte, er solle beim nächsten Mal alleine kommen und Alfred daheim lassen...
Matthew zog beschämt die Decke höher und vergrub die Nasenspitze im weichen Stoff. Er war ein furchtbarer Bruder, so was zu denken. Er war ein Verräter geworden, weil er den heimlichen Einladung auch wahrhaftig alleine nachzukommen angefangen hatte. Es tat ihm leid, sich mittlerweile ohne Alfred besser amüsieren zu können als mit ihm, und die Erinnerungen an zu viele Momente und Jahre, in denen es anders war, machten ihn unsagbar traurig...
Ende Teil 1
