Das edle Logo des Cafés „Insel", eine grüne Palme auf silbernem Grund, strahlte auf, als sich der erste Sonnenstrahl seinen Weg durch die tiefgrauen Wolken bahnte. Der Regen hatte gerade aufgehört und nur noch vereinzelt tropfte es von den Bäumen, die die enge Straße vor dem breiten Schaufenster säumten.
Ein unauffälliger Mann in dunkelbraunem Trenchcoat erhob sich von der Bank, auf der er nun schon seit einer halben Stunde fast bewegungslos ausgeharrt hatte und schlenderte auf die Eingangstür der Insel zu.
Als die Tür sich öffnete erklang ein leises Klingeln, das Maggy veranlasste aufzublicken. Ein flüchtiges Lächeln, ein Nicken zur Begrüßung und schon war sie wieder in die Lektüre der Bedienungsanleitung für die große, Chromverkleidete Espressomaschine vertieft. Dass dieses Mistding aber auch immer dann Probleme machen musste, wenn sie hier ihren Dienst schob, machte Maggy wahnsinnig. Es kam ihr vor als hatte sich die ganze Welt gegen sie verschworen. Nicht nur die reparaturbedürftige Maschine raubte ihr den letzten Nerv, auch die zwei alten Damen am Tisch gegenüber des Tresens, die sie wegen eines Knicks in der Speisekarte oder eines kleinen Fleckchens auf der Tischdecke zu sich befahlen und nicht zuletzt auch die Gruppe junger Mädchen, die zwar nicht viel jünger als Maggy selbst waren, doch durch ihr ständiges Gekicher und Gegacker wesentlich kindlicher wirken.
Eine braun gebrannte Hand legte sich auf den gläsernen Tresen, direkt in das Sichtfeld der jungen Frau, die die ganze Zeit verzweifelt in der Anleitung nach einer Lösung für ihr Problem gesucht hatte. „Einen wunderschönen Tag. Was darf ich ihnen bringen?" sagte Maggy den Spruch auf, den man ihr schon an ihrem ersten Arbeitstag eingebläut hatte und erst nachdem sie das letzte Wort gesprochen hatte, blickte sie mit einem viel zu breiten, strahlenden Lächeln auf und direkt in das Gesicht des Mannes im Trenchcoat.
Sein Haar war dunkelbraun und wuchs nur noch als kurze Stoppeln auf dem sonst kahlen Kopf. Das Gesicht war, genauso wie seine Hand, von einer unnatürlichen Bräune, die keineswegs einen vor kurzem beendeten Urlaub vermuten ließ, sondern eher ein kleines, oder doch eher größeres Nickerchen unter der Sonnenbank.
Einige endlose Sekunden verstrichen, ohne dass der Mann antwortete, doch seine braunen Augen musterten die junge Bedienung mit sichtlichem Interesse. Schlecht sah er nicht aus, das musste Maggy ja zugeben, doch wie er sie fast schon aufdringlich anstarrte und immer noch keine Anstalten machte, ihr zu antworten, wurde sie langsam unruhig.
„Haben sie sich schon entschieden, was sie trinken möchten?" wagte Maggy den erneuten Versuch, während ihre rechte Hand langsam das dünne Begleitheft für die Espressomaschine auf den Tresen legte und unbewusst unter die Theke wanderte. Ihr Zeigefinger legte sich auf den Notrufknopf, mit dem ein lautloses Signal ausgelöst werden konnte und binnen weniger Minuten den Sicherheitsdienst anrücken ließ.
„Einen Cappuccino bitte, Miss …„ Der Mann warf einen Blick auf das Namensschild an ihrer Brust, lächelte anzüglich und setzte hinzu „… Rigot. Bringen sie ihn mir doch bitte an den Tisch dort." Er wies mit der linken Hand auf einen leeren Tisch mit zwei Stühlen, der vor der riesigen Fensterfront mit Blick auf die ruhige Strasse hinaus stand.
Während er sich nun setzte, endlich die Augen von Maggy abwandte und statt dessen die Gruppe junger Mädchen fixierte, die tuschelnd die Köpfe zusammen steckten und ihm hin und wieder verräterische Blicke zuwarfen, wunderte sich die junge Bedienung darüber, dass er noch immer seinen Mantel anbehielt. Den beiden älteren Damen schien es auch aufgefallen zu sein, denn missbilligend schüttelten sie die Köpfe und blickten pikiert drein, als sich der seltsame Mann zu ihnen wandte und freundlich grüßte.
Während sie automatisch einige Knöpfe bediente und darauf wartete, dass das bestellte Getränk heiß aus den zwei schmalen Düsen in die Tasse lief, nutzte Maggy die Zeit, den Mann noch einmal ausgiebig zu mustern. Seine Statur, die unter dem weiten Mantel nur zu erahnen war, wirkte muskulös, seine Bewegungen waren geschmeidig, nicht plump, wie man es von einem Mann mit seiner Gestalt erwartet hätte, so dass die jungen Frau annahm, dies sei kein natürlicher Vorgang, sondern vielleicht durch Cyberware hervorgerufen. Das Gesicht des Mannes hätte eines unter Millionen sein können, keine pikanten Merkmale, nur eine gerade Nase, der fein geschwungene Mund mit den dünnen Lippen und dem leichten Bartschatten um sie herum, als habe er sich einige Tage nicht mehr rasiert. Die braunen Augen waren noch immer auf die Strasse gerichtet, als erwarte er dort jemanden. Er blickte nicht einmal auf, als ihm Maggy seine Bestellung brachte und vor ihm auf den Tisch stellte. Erst als sie sich zum gehen wandte, löste er sich vom Anblick der menschenleeren Umgebung und lächelte unverbindlich ihren Rücken an, wo unter dem weißen Stoff ihrer Bluse leicht die Träger des BHs hervorblitzten. „Miss Rigot…" Sie drehte sich langsam, mit einem flauen Gefühl im Magen zu ihm um, setzte aber dennoch ihr eingeübt freundliches Lächeln auf und wartete, was er von ihr wollte.
„Rigot… ein doch recht seltener Nachname in Franken." Sein Blick wanderte ihren Körper hinab und blieb wieder einmal auf ihrem Namensschild hängen, oder zumindest ertappte sich Maggy dabei, dass sie von ganzem Herzen hoffte, er sähe auf ihr Namensschild.
„Ich weiß leider nicht, welche Namen in dieser Gegend häufig sind." Endlich fand die junge Bedienung ihr professionelles Lächeln wieder. „Ich bin lediglich auf Studienreise in der ADL. Aber bitte entschuldigen sie mich nun, wie sie sehen," Maggy wies mit einer Geste in Richtung einer der beiden Schreckschrauben, die hektisch mit dem Arm in der Luft herum fuchtelnd, offensichtlich auf sich aufmerksam zu machen suchten, „die Pflicht ruft."
Mit schnellem Schritt, doch immer noch das professionelle Lächeln auf dem Gesicht, ging sie durch den Raum, vorbei am Tisch der gickelnden Mädchenclique und blieb neben dem Stuhl der wild gestikulierenden Dame stehen. „Was kann ich denn für sie tun?"
„Wie wäre es, wenn sie ein wenig weniger flirten und stattdessen die zahlenden Stammgäste besser bedienen würden?" Die Dame schüttelte ihre dauergewellte, kurze Haarpracht, deren künstliche hellblonde Farbe einen leichten, jedoch unübersehbaren rosanen Stich hatte. „Dass man solche …" Die Dame verzog den Mund, als hätte sie etwas besonders scheußliches zu sich genommen. „… Personen überhaupt in diesem vornehmen Etablissement bedient, ist wirklich eine Schande. Das werden wir wohl leider ihrem Vorgesetzten melden müssen." Das Lächeln, das sie ihrer Begleiterin zuwarf, strafte den bedauernden Tonfall, den sie ihrem letzten Satz verliehen hatte, lügen.
„Madame Bayer, jeder zahlende Gast hat auch ein recht darauf, höflich bedient zu werden. Das wird auch mein Chef nicht anders sehen." Auch wenn Maggy sich zusammen reißen musste, der professionell freundliche Ton wich keinen Moment aus ihrer Stimme und nur Menschen, die sie gut kannten, hätten an dem kurzen Ausrutscher in ihre Muttersprache den mühsam zurückgehaltenen Ärger erkannt.
„Ich glaube nicht, dass …." Nun schaltete sich die Begleiterin der Dame ein und setzte offensichtlich gerade zu einer langen Rede über die Pflichten einer höflichen, zuvorkommenden Bedienung, wie sie sich gut zahlende Stammgäste wie sie wünschen würden an, als die sonntägliche Stille vor dem Café jäh durch röhrendes Motorengeräusch gestört wurde.
