Kapitel 1

Will Darcy rutschte zu seinem Fensterplatz, nahm einen dicken Bericht und einen blauen Füllfederhalter aus seiner Aktentasche und verstaute diese ordentlich unter dem Sitz vor ihm. Gewohnheitsmäßig früh war er einer der ersten im Flugzeug. Er öffnete den Bericht in der Absicht, ihn zu überprüfen und einige Notizen für die Besprechung am Montag zu machen. Nachdem er mehrere Minuten auf die erste Seite gestarrt hatte, ohne sie zu sehen, seufzte er tief. Er schloss den Bericht wieder und klopfte seinen Füller geistesabwesend gegen seinen Oberschenkel. Es war heute nutzlos zu versuchen, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Egal woran er zu denken versuchte, seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem gleichen Thema zurück, das ihn die letzten 10 Tage gänzlich beschäftigt hielt.

Er wollte einen Heiratsantrag machen. Am Sonntag, wenn er von San Francisco nach New York zurückkehrte, würde er ein verlobter Mann sein. Die Aussicht sollte ihn mit Freude erfüllen, dachte er, oder zumindest mit Zufriedenheit. Stattdessen fühlte er sich einfach beklommen. Das ist das Richtige, sagte er sich vielleicht zum millionsten Mal. Sie wird eine gute Ehefrau sein. Klar, wir sind uns nicht so besonders ähnlich, aber Gegensätze ziehen sich an, nicht wahr? Zunächst mal, sie genießt tatsächlich gesellschaftliche Veranstaltungen, die mich unruhig machen. Aber das ist ein Pluspunkt. Immerhin muss ich in meiner Stellung an endlosen Empfängen, Cocktail-Partys und Wohlfahrtsabendveranstaltung en teilnehmen. Weiterhin wird sie meine Karriere unterstützen. Und am wichtigsten ist vielleicht, gemeinsam können wir Georgiana wieder eine Familie bieten.

Er zog ein leicht ramponiertes Foto hervor. Sie sah wunderschön aus, perfekt in ihrem hautengen schwarzen Cocktail-Kleid. Das Foto war bei ihrer ersten echten Verabredung aufgenommen worden – einem Wohltätigkeitsball. Er hatte nicht gehen wollen, erinnerte er sich. Es war nur drei Monate, nachdem sein Vater plötzlichen an einem Herzinfarkt gestorben war. Aber sie hatte darauf bestanden und er war danach froh gewesen. Er amüsierte sich nicht gerade, aber er traf eine Menge Freunde seines Vaters und es munterte ihn irgendwie auf zu wissen, dass all diese Leute seinen Vater auch vermissten.

Ein Krachen schreckte ihn aus seiner Träumerei. Er blickte auf und sah, wie eine zierliche Frau in einem maßgeschneiderten marineblauen Kostüm versuchte, einen enormen Rollkoffer in die Gepäckablage über den Sitzen zu schubsen. „Uff", sagte sie mit einer spöttischen Grimasse. „Ich frage mich, wer diese Betonblöcke in meine Tasche gelegt hat."

Er sagte nichts. Er starrte sie nur mit einem bestürzten Blick an. Pech gehabt, dachte er. Sie wird wahrscheinlich versuchen, fünf Stunden lang unentwegt mit mir zu reden. Und wirklich, wenn sie ihren Koffer nicht heben kann, sollte sie ihn aufgeben, anstatt das maximale Handgepäck mitzubringen. Entschlossen öffnete er erneut seinen Bericht. Auch wenn es ihm an Konzentration fehlte, würde sein ernsthaftes Erscheinungsbild sie vielleicht von einem Gespräch abhalten.

„Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich diesen Koffer nicht einfach aufgegeben habe, da er offensichtlich kaum oben in die Ablage passt." Er war froh, dass sie voll mit ihrem Koffer beschäftigt war, so dass sie seinen Blick verpasste, der verriet, dass ihm vor Überraschung fast der Mund offen blieb. Kann sie meine Gedanken lesen? fragte er sich. Obwohl er nicht reagierte, als sie die Tasche auf ihre Schulter hob, fuhr sie fort: „Nun, glauben Sie mir, ich hätte es, wenn ich nicht glaubte, ich würde diesen Flug verpassen. Alles, was heute möglicherweise schiefgehen konnte, ist schiefgegangen. Meine Besprechung hat zu lange gedauert, ich hatte Mühe ein Taxi zu bekommen, die Warteschlange bei der Sicherheitskontrolle war eine Meile lang und die Schlange bei der Gepäckaufgabe zwei Meilen." Mit einem letzten Stoß schob sie ihren Koffer in die Ablage.

Sie zog einige Papiere aus ihrer Laptop-Tasche, schob diese und ihre Handtasche mit dem Fuß unter den Sitz vor ihr und brach dankbar auf ihrem eigenen Sitzplatz zusammen. Mr. Groß-dunkel-und-schrullig, wie sie ihn im Geiste getauft hatte, hatte auf der Armlehne zwischen den Sitzen ein Foto liegen lassen. Darauf war der Mann selbst im Smoking. Mmm, überlegte sie, köstlich. Ich liebe Männer in Abendkleidung. Ein Lächeln würde jedoch nicht schaden. Er sieht fast gequält aus, als ob er lieber woanders wäre. An seinem Arm, mit einem Lächeln, das es irgendwie schaffte, gleichzeitig hochnäsig und selbstgefällig zu wirken, war eine atemberaubende Blondine in einem kaum vorhandenen schwarzen Kleid zu sehen, das mehr von ihren langen Beinen und ihrer üppigen Brust entblößte als verbarg.

„Ihre Freundin?" fragte sie und hielt das Foto hoch.

„Ja", antwortete er kurz, als er es ihr aus der Hand riss und wieder in seine Tasche steckte.

„Sie ist wunderschön", sagte sie. Wenn man auf diesen Typ steht, fügte sie für sich hinzu. Was bei ihm wohl zutrifft, da er mit ihr zusammen ist. Ich frage mich, ob er für ihre Implantate bezahlt hat?

„Ja", sagte er wieder, finster dreinblickend, um sie von weiteren Gesprächen abzuhalten.

Sie war nicht abzuschrecken. „Zu schade, dass sie an diesem Wochenende nicht mit Ihnen mitkommen konnte."

Er antwortete nicht.

„Also, was führt Sie nach San Francisco?", fragte sie. Weil du nicht aus Kalifornien sein kannst, dachte sie. Du bist einfach zu muffig und verklemmt. Ganz zu schweigen von grantig.

Womit habe ich das verdient? fragte er sich. Er wandte sich zu ihr und betrachtete sie. Sie sah professionell und geschäftsmäßig aus. Sie kann aber nicht aus New York zu sein, dachte er. Sie ist zu unorganisiert, zu erschöpft, zu verrückt. Kein New Yorker, der etwas auf sich hält, würde bei einem völlig Fremden drauflos plappern, insbesondere bei einem, der eindeutig nicht belästigt werden wollte.

Sie sah ihn immer noch erwartungsvoll an und ihm wurde klar, dass sie ihm eine Frage gestellt hatte. So wenig er sich auch unterhalten wollte, er dachte doch, es wäre unhöflich sie zu ignorieren. „Ich treffe mich dort am Wochenende mit meiner Freundin. Sie lebt im Moment in L.A."

„Oh, ist Ihre Freundin Schauspielerin?"

Sein klaffender Kiefer musste schon Antwort genug gewesen sein, denn sie lachte. „Zufallstreffer", sagte sie mit einem Augenzwinkern. Dann wandte sie sich ab und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. Sie machte einen Anruf und begann mit der Person am anderen Ende zu plaudern und zu lachen.