Eine neue Geschichte: bisschen schräg und nicht ganz kompatibel mit J. K. Rowlings gewähltem Abschluss der Harry-Potter-Reihe, aber vielleicht habt ihr Freude daran…
Ich empfehle jedoch, „Die Gemälde" nur zu lesen, wenn ihr mit dem letzten Band der Potter-Reihe vertraut seid, da er die Basis für viele Handlungsstränge bildet. Manche Szenen und Bezüge sind sonst sicherlich verwirrend oder gar nicht nachvollziehbar.
Viel Spaß beim Lesen wünscht euch Tiziana
Die ausgeliehenen Charaktere gehören J. K. Rowling.
Die Gemälde
Kapitel 1 – Die mysteriöse alte Dame
Die Reisegruppe war ein bunt gemischter Haufen. Neben den üblichen Kulturinteressierten, die sich während der Fahrt gegenseitig aus ihren Reiseführern vorlasen, gab es die unvermeidlichen Schwätzer, Besserwisser, Possenreißer und Nörgler. Hermione freute sich über jede Stunde, in der sie sich von der Gruppe abseilen und den Tag nach ihren eigenen Wünschen gestalten konnte. Ihre Begeisterung über diese fünftägige Fahrt zu den Burgen und Schlössern Schottlands hatte sich von Anfang an in Grenzen gehalten. Ihre Eltern vertraten allerdings schon länger die Ansicht, dass Hermione reif für eine Luftveränderung war und schenkten ihr zum Geburtstag diese Bildungsreise. Am liebsten hätte sie eine Ausrede vorgeschoben, um ihre vertraute Umgebung nicht verlassen zu müssen, die aus einer kleinen Wohnung in Camden Town, mehreren schrulligen Nachbarn und ein paar Läden bestand, deren Besitzer schon im Voraus wussten, was sie einkaufen würde. Andererseits war ihr klar, dass ihr zurückgezogener Lebensstil langfristig nicht die Lösung ihrer Probleme darstellte.
Die Sonnenstrahlen, die durch das hohe Fenster der Galerie fielen, holten sie in die Gegenwart zurück. Sie beobachtete eine Weile, wie feiner Staub im Licht tanzte, bevor sie sich den nächsten Bildern zuwandte. Auf diese kleine Ausstellung mit Malerei des 17. Jahrhunderts und auf Edinburgh hatte sie sich gefreut. Sie ließ Landschaften und Stillleben genussvoll an sich vorüberziehen, bis sie von Weitem die aufdringliche Stimme Mrs. Millers vernahm. Diese wies ihre Busenfreundin Mrs. Gutson gerade empört auf die Spinnweben im oberen Drittel des Raumes hin. Hermione beschleunigte ihre Schritte und folgte dem schmalen Durchgang in den nächsten Teil der Ausstellung, dessen Eingangsbogen den Hinweis „Porträtsammlung" trug.
Der hohe Raum mit reich verzierter Stuckdecke wirkte fast zu groß für die relativ kleinen Gemälde. Möglicherweise entstand dieser Eindruck auch nur, weil gerade keine Besuchermassen durchströmten, sondern sich außer ihr lediglich eine ältere Dame dort aufhielt, die völlig versunken in den Anblick eines Bildes schien.
In dem Moment, in dem Hermione ihr Profil betrachtete, empfand sie eine eigenartige Vertrautheit. Sie blieb stehen und musterte die Besucherin genauer. Sie hielt sich sehr gerade und hatte das graue Haar zu einem Knoten hochgesteckt, der ihr eine strenge Ausstrahlung verlieh, die durch einen hochgeschlossenen Mantel noch unterstrichen wurde. Hermione wollte nicht zu auffällig starren und schenkte deshalb ihre Aufmerksamkeit der Bilderreihe vor sich. Während sie langsam weiterlief, wandte sie verstohlen den Kopf nach rechts. Doch der Platz vor dem Bild war leer, die andere Frau nirgends zu sehen. Hermione durchquerte mit schnellen Schritten den Raum, um ihr in den nächsten Ausstellungsraum zu folgen. Zu ihrem Erstaunen gab es keinen weiteren Durchgang, sie hatte das Ende der Ausstellung erreicht. Als sie in die entgegengesetzte Richtung zurückeilte, kamen ihr Mitglieder der Reisegruppe entgegen.
„Ist es nicht toooooll?" Annabell Smith, die sich als Inbegriff der Künstlerin sah, hatte Hermione schon in den vergangenen beiden Tagen beim Essen unzählige Vorträge über Kunstgeschichte gehalten. Es war schwierig, ihrem endlosen Monolog zu entkommen, wenn sie einmal in Fahrt geriet. Hermione ignorierte sie und stürmte vorbei.
Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie plötzlich so besessen davon war, die unbekannte Frau aus der Nähe zu betrachten und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Sie durchsuchte mehrmals erfolglos sämtliche Räume und die Toiletten.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?" Ein junger Museumsangestellter sah sie fragend an.
„Haben Sie zufällig eine große, schlanke, ältere Dame gesehen, mit einem grauen Dutt und dunkelrotem Sommermantel?"
Der Angestellte verneinte.
„Entschuldigen Sie meine dumme Frage, natürlich können Sie sich bei der Menge der Besucher nicht an alle erinnern."
Der junge Mann wirkte verblüfft. „Ich habe durchaus den Überblick über unsere Besucher, aber ich versichere Ihnen, dass keine solche Dame hier ist!"
„Ich sah sie aber gerade in der Porträtsammlung", erklärte Hermione.
„Nein…", der Angestellte klang jetzt sehr überzeugt, „…niemand, auf den Ihre Beschreibung zutrifft, ist heute in der Galerie gewesen!"
„Okay, dann habe ich mich geirrt." Hermione wollte nicht noch mehr Zeit mit Diskussionen verplempern, sondern so schnell wie möglich aus dem Gebäude hinauseilen. Vielleicht konnte sie die Unbekannte draußen entdecken.
Als sie fünfzehn Minuten lang die Straße und alle umliegenden Gassen abgelaufen war, ließ sie sich unzufrieden auf den Stufen vor dem Eingang des Museums nieder. Ein Mann mit orangeroten Haaren und unzähligen Sommersprossen sprang an ihr vorbei die Treppe hinunter und blieb dann vor ihr stehen.
„Hi, mein Kollege sagte mir, dass Sie eine ältere Frau suchen. Nicht gefunden?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich nehme an, dass sie das Haus inzwischen längst verlassen hat, aber die Räume sind so verwinkelt, dass ich sie auch verpasst haben kann."
„In allen Räumen ist Videoüberwachung installiert. Barny und ich haben gerade Schichtwechsel. Wenn Sie wollen, kann er Ihnen kurz die Aufnahmen zeigen, bevor er Feierabend macht. Dann können Sie prüfen, ob und wann sie gegangen ist."
Hermione sprang auf. „Das wäre total nett!"
Nachdem Hermione dem jungen Mann namens Barny in einen kleinen Raum gefolgt war, klapperte er auf der Tastatur des Computers.
Nach ungefähr zehn Bildschirmeinstellungen sah sie ihn ratlos an. „Das waren alle Räume?"
Er nickte. „Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?"
„Vielleicht vor 25 – 30 Minuten."
Als nächstes erschien der Eingangsbereich auf dem Bildschirm. Er drückte eine Taste und sie beobachteten im Schnelldurchlauf das Kommen und Gehen der Besucher.
„So, jetzt haben wir die Echtzeit erreicht", sagte Barny.
„Sie muss noch im Gebäude sein!", rief Hermione. „Wären Sie so nett, noch mal schnell die Räume durchzuklicken, falls sie vorhin gerade die Toilette aufgesucht hat und wir sie deshalb nicht entdecken konnten? Oder gibt es noch einen anderen Ausgang?"
„Nein, nur den einen."
Nachdem Barny noch einmal sämtliche Kameras durchgeklickt hatte, zog er spöttisch eine Augenbraue hoch. „Offensichtlich ist sie nicht mehr im Haus und hat es auch nicht verlassen. Bisschen merkwürdig, oder? Zumal ich seit heute Morgen unentwegt im Dienst bin und ihr mindestens einmal hätte begegnen müssen, meinen Sie nicht?"
Hermione wusste, wann eine Grenze erreicht war und ging zur Tür. In ihrem Kopf rasten tausend Fragen. Doch dann drehte sie sich langsam wieder um.
„Eine allerletzte Bitte – können Sie kurz die Einstellung der Porträtgalerie aufrufen, als ich dort war? Dann kann ich Ihnen zumindest beweisen, dass ich keine Halluzinationen habe."
Er verdrehte die Augen. „Okay. Wann waren Sie dort?"
„Ungefähr 14:20 Uhr."
Nachdem er die Zeit eingegeben hatte, zeigte der Bildschirm einen leeren Raum. Er drückte auf die Vorspultaste.
„Halt!", rief Hermione und deutete aufgeregt auf das Display. „Da ist sie!"
Barny fror das Image ein und schwieg.
Hermione runzelte die Stirn. „Wo kam sie plötzlich her? Können Sie noch mal in Zeitlupe zurückgehen?"
Barny warf ihr einen merkwürdigen Blick zu und spulte langsam zurück.
„Schauen Sie, von einem Moment zum anderen tritt sie plötzlich hinter der linken Säule hervor, als hätte sie sich minutenlang dahinter verborgen!" Hermione klebte mittlerweile fast am Bildschirm. „Könnten Sie bitte vorspulen, damit ich verfolgen kann, wo sie hingeht?"
Sein Gesicht verfinsterte sich, aber er kam ihrer Bitte nach. Wahrscheinlich bildete er sich etwas auf sein gutes Gedächtnis ein und reagierte nun sauer, dass er die Frau nicht registriert hatte, dachte Hermione, innerlich lächelnd. Sie verfolgte auf dem Bildschirm, wie die alte Dame reglos vor dem Porträt verharrte und wie sie selbst den Raum betrat. Kurz darauf ging die ältere Frau auf die Säule zu. Danach gab es kein Bild mehr von ihr. Sekunden später sah man, wie Hermione an genau der gleichen Stelle vorbeilief.
„Sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben", flüsterte sie.
„Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen", entgegnete er eisig.
Hermione sah ihn verständnislos an.
„Ich weiß nicht, was genau Sie hier spielen, aber wenn Sie mich verschaukeln wollen, sind Sie an den Falschen geraten."
„Was meinen Sie damit?"
Ihr Tonfall veranlasste ihn, in ihrem Gesicht zu forschen. „Sie haben also vorhin in der Sammlung und auf diesen Aufnahmen eine ältere Frau gesehen, richtig?", hakte er nach.
Hermione nickte.
„Wissen Sie, ich kann niemanden außer Ihnen auf der Aufzeichnung entdecken", fuhr er ruhig fort und öffnete die Tür. „George – kommst du mal bitte?"
Der rothaarige Mann grinste Hermione fröhlich an. Barny spulte auf 14:22 Uhr zurück, als Hermione gerade die Porträtgalerie betrat.
„Was siehst du alles auf diesem Bild, George?"
„Ähm, wieso? Hast du deine Kontaktlinsen vergessen einzusetzen, Barny?"
„Sag einfach, was du siehst", wiederholte Barny.
George rollte mit den Augen. „Also, das ist unsere Porträtsammlung mit – lass mich zählen – zwölf Bildern, einem Kronleuchter, der sich über eine neue Befestigung und zwei neue Glühbirnen freuen würde. Außerdem erspähe ich vier Säulen und drei Fenster mit Scheiben, die mal wieder einer putzen könnte…"
„Lass den Quatsch! Wie viele Leute zählst du?"
„Mit Rahmen drumherum oder ohne?"
„Ohne, du Blödmann". Barnys Ton wurde jetzt gereizt. „Wie viele Besucher befinden sich in diesem Raum?"
George tippte sich an die Stirn. „Nicht mal bis Drei kann er mehr zählen! Es sind genau zwei Leute."
Barny sah aus, als wäre ihm der Kronleuchter auf den Kopf gefallen. „Wo?"
George blickte von Hermione, die mit den Schultern zuckte, zu seinem Kollegen „Was soll das Ganze?" Er zeigte auf den linken unteren Bildschirmrand. „Nummer 1, wenn ich mich nicht täusche, ist unsere reizende Besucherin. Und hier...", Georges Finger wanderte nach oben, "...ist Nummer 2, die alte Dame."
„Du siehst sie?" Barnys Stimme war nur noch ein Krächzen. „Werde ich jetzt verrückt oder was?"
„Vielleicht solltest du mal Pause machen, die Sonne brennt heute ziemlich heiß", meinte George mit besorgtem Ton. „Das Herumgestehe den ganzen Tag lang kann ja nicht gesund sein. Ich bin jedenfalls froh, dass dieser Aushilfsjob bald vorbei ist!"
Barny sprang auf. „Ich gehe erst mal an die frische Luft." Die Tür knallte hinter ihm zu.
Hermione und George sahen sich verdattert an.
„Manchmal spinnt er", meinte George schließlich trocken. „Sagen Sie, kennen wir uns zufällig von irgendwo? Sie kamen mir vorhin schon bekannt vor."
„Nicht, dass ich wüsste", entgegnete Hermione nachdenklich. „Aber ich habe auch den Eindruck, dass wir uns schon mal über den Weg gelaufen sind. „Hermione Granger."
„George Weasley."
„Irgendwas ist hier jedenfalls merkwürdig, George", fuhr sie fort und erzählte ihm das Vorgefallene.
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin zwar erst seit einer knappen halben Stunde hier, habe aber schon meine Runden gedreht und in den Ausstellungsräumen auch niemanden gesehen, der dieser Frau auch nur annähernd ähneln würde. Sie muss inzwischen – wie auch immer – die Galerie verlassen haben. Klingt fast wie eine Spukgeschichte, wenngleich ich nicht an diesen Unsinn glaube."
George kratzte sich am Kinn. „Und nicht mal das würde erklären, wieso ich sie auch auf dem Bildschirm sehen kann und Barny nicht. Wir sollten der Sache auf den Grund gehen. Haben Sie ein bisschen Zeit?"
Hermione nickte. „Ich sage der Gruppe Bescheid, dass sie nicht warten sollen."
„Und ich werde Barny suchen, der scheint ziemlich durch den Wind zu sein."
„Nur ein einziger Besucher behauptet, eine solche Frau gesehen zu haben!", meinte Barny triumphierend. „Wobei man den wohl nicht gerade für voll nehmen kann." Er zeigte auf einen Mann, der ziemlich abgerissen wirkte und einen seltsamen Hut trug. „Ich habe inzwischen alle gefragt. Ihr wolltet mich hereinlegen, stimmt's? Ihr beide kennt euch und das ist ein abgekartetes Spiel, um mir einen Streich zu spielen!"
„Ich wollte, es wäre so", meinte George, lief zu dem Genannten und bat ihn, einen Blick auf den Bildschirm zu werfen.
Nachdem der Mann am Computer zweifelsfrei auf die Stelle gedeutet hatte, an der sich die Unbekannte befand und sie auch genauestens beschrieb, holten sie drei weitere Galeriebesucher vor den Bildschirm, von denen ausnahmslos alle nur Hermione identifizieren.
„Das ist absolut unheimlich", flüsterte Hermione und beide Männer nickten.
„Ich würde mir gern diese Säule und das Bild näher ansehen, vor dem sie gestanden hat."
In der Porträtsammlung klopfte George mit der flachen Hand gegen alle vier Säulen und zuckte dann die Schultern. „Ich kann keinen Unterschied feststellen." Sie warteten, bis eine kleine Gruppe von Leuten den Raum verließ, dann traten sie vor das Bild. Es war mittelgroß und in einen alten Holzrahmen mit reichen Schnitzereien gefasst.
„Mann, jedes Mal, wenn ich das Bild betrachte, habe ich den Eindruck, er guckt noch griesgrämiger", meinte George. „Ich glaub, es war sogar in einem meiner Schulbücher abgebildet, jedenfalls kannte ich es schon, bevor ich hier anfing."
Hermione musterte das Porträt eines Mannes in mittlerem Alter. George hatte Recht, das Bild wirkte vertraut. Ob die Erinnerung aus Lehrbüchern oder einem ihrer Kunstbände stammte, konnte sie nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Aber da George schätzungsweise auch ungefähr Mitte 30 war, lag er mit den Schulbüchern wahrscheinlich richtig.
Der Porträtierte sah jedenfalls nicht sonderlich freundlich aus. Es mochte an der Maltechnik liegen, aber auf dem ganzen Bild lag eine düstere Atmosphäre. Sicherlich spielte mit hinein, dass er außergewöhnlich dunkle, durchdringende Augen besaß und der Maler mit dem Vorhang aus langen schwarzen Haaren noch mehr Schatten über das hagere, bleiche Gesicht gelegt hatte. Auch der dunkle Umhang, der aus erlesenem Stoff zu sein schien, bildete keinen belebenden Kontrast.
Hermione suchte nach der entsprechenden Tafel, die Aufschluss über den Maler und das Motiv geben konnte. Doch sie fand keinerlei Informationen.
Barny war ihren Blicken gefolgt. „Das Museum hat es erst kürzlich erworben. Der Maler ist unbekannt und es heißt Edelmann mit Buch. Man geht davon aus, dass es sich um spätes 17. Jahrhundert handelt. Das Informationsschild wird nächste Woche geliefert." Er schaute auf die Uhr. „Ich muss los, meine Mom hat Geburtstag. Aber du rufst mich an und hältst mich auf dem Laufenden, ja, George? Bis morgen." Er winkte ihnen zu und eilte davon.
Hermione betrachtete die langen schlanken Finger des abgebildeten Mannes, die ein dickes Buch umfasst hielten. Sie verrenkte den Kopf, um den Schriftzug darauf zu entziffern.
„Es heißt Severus". Neben ihr stand die gesuchte ältere Dame und lächelte.
