Die Schulglocke klingelte, zum letzten Mal diesen Sommer. Die Schüler stürmten aus den Klassen und Raus auf den Schulhof. Ich hatte es nicht sonderlich eilig.
Den ganzen Tag über hatte ich aus dem Fenster gestarrt. Der Lehrer hatte ohne großen erfolg versucht uns selbst noch heute am letzten Schultag vor den Ferien etwas beizubringen. Er hatte es ja nicht mal geschafft in der Klasse für ruhe zu sorgen. Aufgeregt redeten alle darüber was sie in den Ferien machen wollten, und besonders wurde über die Party heute Abend geredet.
Ich freute mich schon darauf. Einfach raus zum Strand und spaß haben. Der Strand war bestimmt voller jugendlicher Touristen, aber das interessierte uns eigentlich wenig. Das einzige was heute Abend von belangen sein würde war alles zu vergessen, die Schule, die Arbeit und die Probleme die wir hatten.
Bei mir bestanden die Probleme hauptsächlich aus den Erwartungen meiner Eltern.
Meine Mutter war eine Power Hausfrau, die insgeheim hoffte das ich etwas aus meinem Leben machen würde, auf die Uni gehen oder was in die Richtung. Ich mochte meine Mutter, also ich hasste sie nicht, aber sie war die meiste Zeit über nur anstrengend. Am schlimmsten war ihr absoluter und total übertriebener Ordnungswahn. Es war irgendwo witzig, auch wenn ich von der Statur und Gesichtsform wie eine Kopie meiner Mutter aussah, war ich was den Rest anging das genaue Gegenteil, wie gut und böse, Yin und Yang.
Ihr hübsches Gesicht war meistens zu einer ebenso hübschen Maske verzerrt, ihr schlanker ein Meter siebzig langer Körper steckte in einem perfekt gebügelten Kleid, ihre dunkelbraunen Haare waren immer gründlich gekämmt und der einzige schmuck den sie trug war ihr Ehering.
Ihr ganzes heile Welt Getue ging mir tierisch auf die Nerven. Das war auch einer der vielen dinge über die wir schon fast regelmäßig stritten.
Sie hasste mich dessen war ich mir sicher. Sie hasste mich für das Chaos was in meinem Zimmer herrschte, ich räumte nur selten auf und noch seltener packte ich die Sachen an ihren Angestammten platz zurück. Sie hasste mich für die Klamotten die ich trug, meistens waren es total abgenutzte Jeans mit löchern die mir etwas zu groß waren und dazu passende T-Shirts oder Pullis. Sie hasste mich dafür was ich mit meinem Haaren gemacht hatte.
Amüsiert dachte ich an den Abend vor einer Woche als ich bei Vicki zum Geburtstag war. Es war ein Freitag, wahrscheinlich der einzige Grund warum es meine Mutter überhaupt erlaubt hatte.
Nicht das ich nicht hingegangen wäre wenn sie es nicht erlaubt hätte, aber seid ich fünfzehn war und ich mich einmal zu viel ohne ihre Erlaubnis aus dem Haus geschlichen hatte, zierten meine Fenster ein par hübsche fabrikneue Gitterstäbe.
Ich hatte daraus gelernt, und es seitdem nicht mehr versucht.
Also hatte ich es mit meiner Mutter so verabredet das sie mich um ein Uhr am Samstagmorgen abholen konnte wenn ich gleich nach der Schule zu Vicki durfte. Den ganzen Monat hatte es gedauert sie zu überreden aber es war Vickis achtzehnter Geburtstag, denn ich definitiv nicht verpassen wollte. Aber es war definitiv die mühe wert, wir hatten nicht nur die ganze Nacht durchgefeiert, sondern Vicki hatte mir die Haare halbwegs kurz geschnitten und sie am ende noch mit kupferfarbenen Strähnen verziert.
Als meine Mutter das gesehen hatte war sie richtig an die Decke gegangen. Sie hatte mich angeschrieen, dass ich aussehen würde wie ein Junge und dann auch noch diese Strähnen. Ihr Gesichtsausdruck und die Tatsache dass sie nichts dagegen tun konnte machten die vier Wochen Hausarrest wieder wett.
Was mich zu einem weiteren Problem brachte.
Obwohl ich den ganzen Tag darüber nachgedacht hatte war mir kein Weg eingefallen wie ich mich heute davon schleichen konnte um zur Party zu kommen. Mit Sicherheit wartete sie schon vor der Schule bis ich endlich rauskommen würde damit sie mich wieder in meine Zelle sperren konnte.
Es war ein für und wieder, ja ich ging zur Party und riskierte den größten und lautesten Streit aller Zeiten und Hausarrest für den Rest meines Lebens, was aus meiner sicht nicht länger als eineinhalb Jahre sein konnte denn ich hatte mit geschworen mit achtzehn endlich auszuziehen. Die andere Möglichkeit war das ich nachgab und meiner Mutter ihren Willen gab, was ich um jeden Preis vermeiden wollte.
Letzten Endes war es auf eine merkwürdige art Schicksal. Ich konnte meine Mutter schon sehen, als Vickis Freund Lukas sich mit seinem Van zwischen uns stellte. Die Seitentür sprang auf und Vicki winkte mich hektisch zu ihr herüber.
„Komm schon beeil dich!" Ohne groß fragen zu stellen lief ich zu ihr rüber und Stieg ein.
Ich konnte mein Glück kaum fassen als wir endlich das Schulgelände verlassen hatten und ich mir sicher war das meine Mutter nichts davon mitbekommen hatte.
„Du bist meine absolute Rettung!" Vicki grinste mich voller Schadenfreude an. Dieses Lächeln passte zu ihr, dazu die Violeten Haare und die leuchtend blauen Augen in ihrem blassen Gesicht, ließen sie wie eine verdrehte Comicfigur aussehen.
„Oh man, Cynthia wird dir so was von die Hölle heiß machen." Sie sah mich übertrieben ernst an und imitierte dann die stimme meiner Mutter. „Was fällt dir ein einfach so mit diesem ungezogenen verdorbenen Miststück abzuhauen!?"
Ich versuchte sie betroffen anzuschauen, wie ein kleiner junge der beim Süßigkeiten stellen erwischt wurde. Doch dann hielten wir es beide nicht länger aus, wir lachten so lange bis wir nicht länger konnten.
Vicki war wirklich die beste, den ganze Weg zu ihr nach Hause alberten wir nur rum.
Wie waren uns sehr ähnlich, wir liebten dieselbe Musik, dieselben Klamotten und hassten es beide wenn man uns irgendetwas vorschrieb.
Sie war wie meine große Schwester, mein Vorbild.
Mit Lukas war das anders, der große dunkelhäutige Kerl mit den Dreadlocks und der Statur eines Boxers, war mir gegenüber immer höflich und machte bei unseren Späßen mit aber ich hatte das Gefühl dass er nur wegen Vicki sich mir gegenüber so verhielt. Andernfalls hätte er mich bestimmt ignoriert wie den Rest der Menschheit.
Das kleine weise Holzhaus das die zwei bewohnten lag am Stadtrand, direkt am Wald. Es war nur einstöckig und hatte im Grunde nur drei Zimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer und das Gästezimmer, was man eigentlich schon als mein Zimmer bezeichnen konnte. Die beiden bekamen außer mir eigentlich niemals Besuch, jedenfalls niemand der über Nacht blieb. Manchmal kamen einige von Lukas' freunden vorbei. Echt schräge Typen. Die meisten von ihnen waren fast genauso gut gebaut wie Lukas und behandelten mich mit derselben Freundlichkeit wie er.
Der Tag verging schnell, wie jedes Mal wenn ich mit den zwei abhing. Wir verbrachten die meiste Zeit damit irgendwelche Talk-Shows zu gucken und uns über sie Lustig zu machen.
Wir hörten uns gerade die Probleme eines Teenies an, er war hässlich wie die Nacht und doof wie Stroh und gestand gerade seine Liebe dem Klassendornröschen, als sich Lukas und Vicki plötzlich versteiften.
Verwirrt sah ich die beiden an während sie sich einen viel sagenden Blick zuwarfen. Vicki nickte kurz und packte mich dann am Arm und zerrte mich Richtung Fenster.
„Was soll der mist!?" Ich versuchte mich aus ihrem griff zu lösen, sie packte nur noch fester zu.
„Vicki lass mich los!"
„Sie hat recht es ist zu spät!" Lukas stimme war angespannt. Hektisch blickte sie zu den Ausgängen, Fenstern, Türen, dann sah sie Lukas mit einer Mischung aus Wut und Hass an. Erschrocken trat ich ein par schritte zurück, beinahe wäre ich über den Teppich gefallen, doch sie zog mich mit erstaunlich viel kraft zu sich zurück.
Verlegen schaute ich zu Boden, irgendetwas stimmte offensichtlich nicht und mich beschlich das bestimmte Gefühl das es irgendetwas mit mir zu tun hatte. Vicki nahm mein Gesicht in ihre Hände und zwang mich sanft dazu sie anzusehen, wieder gelang ihr das ohne große mühe wie es schien.
Stur schloss ich die Augen. Ich wollte sie so nicht sehen, nicht mit dem ganzen Hass und der Wut. So kannte ich sie gar nicht.
„Emily?!" Ihre Stimme war anders als sonst, ich kannte sie nun schon seit zwei langen Jahren doch so hatte sich ihre stimme noch nie angehört, als ob sie gleich anfangen würde zu weinen. „Emily, bitte schau mich an."
Ein Schauer lief mir über den Rücken und auch wenn ich wusste wie kindisch ich mich benahm wollte ich immer noch nicht die Augen öffnen.
„Emily!" Diesmal lag etwas Bedrohliches in ihrer Stimme, es war nur schwach aber es reichte aus das ich sie endlich ansah und was ich sah machte mir noch mehr Angst als ich wütendes Gesicht, sie weinte.
„Ich hab dich in Gefahr gebracht, und es tut mir so unendlich Leid…" Weiter kam sie nicht, etwas Großes sprang sie von hinten an und wirbelte sie und mich quer durch den Raum. Dumpf merkte ich das ich schmerzen hatte, irgendwo an meiner Schulter und am Bauch, ich wunderte mich noch wieso alles so verschwommen und dumpf war als alles schwarz wurde…
