The Lie's Resolution
Schattentraum am Feuerhügel
Blüten wilder Phantasie
Schlag vertrauter Feuerflügel
Gefangen in der Nachtmagie.
Dunkles Licht im kaltem Feuer
Verzehrend im Verlangen
Ekstatisch Traumes Abenteuer
In der Nachtmagie gefangen.
Wülstig rote Blüten
Im süßen Duft der Gier
Verweilt im Treiben wilder Mythen
Und verbrennt die Nacht in mir.
Verderbliches Verzehren
Kein Schmerz stillt mein Verlangen
In frostigem Begehren
Hält dein Schatten mich gefangen… T.
„Es mag wohl angehen, dass Ihr der Liebesgott seid und daher zuweilen Pfeile abschießt, das macht jedoch noch lange keine guten Schützen aus Euch, Eros!"
Der junge Gott mit den himmelsblauen Augen grinste den Verspotteten herausfordern an, ehe er ihm zuprostete und einen Schluck aus seinem mit Ambrosia gefüllten Becher nahm.
„Ihr mögt Euch für sehr klug halten, Cousin, aber Ihr wisst, dass mit den Pfeilen mehr bewirkt wird, als Ihr auf einer Eurer lächerlichen Jagden bewirken mögt."
Eros Becher füllte sich ebenfalls mit dem göttlichen Nektar, während er seinen Blick über die anderen Anwesenden schweifen ließ. Sein Cousin hatte schon eindeutig zu viel von dem Göttertrank gekostet, daher macht er sich nicht die Mühe sich weiter mit dem Gott zu beschäftigen.
Heute war schließlich Sommersonnenwende, ein Fest zum Feiern und Trinken, ehe sie am Ende des Tages ihre Zettel im göttlichen Feuer verbrennen würden. Sein Blick schweifte über die vielen hübschen Demigottheiten und hier und da konnte er auch einen Blick auf die schüchternen Waldnymphen erhaschen. Vielleicht sollte er-
"Aber wenn Ihr mit der Macht Eurer Pfeile so mächtig seit, wieso habt Ihr dann keinen Thron, hier auf dem Olymp?" Die betrunkene Stimme des Jünglings holte Eros zurück aus seiner Träumerei. „Ihr gehört nicht zu den zwölf Olympischen Göttern, weil Ihr es mit Euren Künsten nicht verdient habt. Ich hingegen kann mit Pfeil und Bogen viel besser umgehen als Ihr, Eros, und wie Ihr wisst, steht mein Thron gleich dort hinten, neben dem meiner Schwester."
Langsam wandte der Gott seinen Blick auf denjenigen, der tatsächlich die Dummheit besaß, das auszusprechen, was ihn seit Äonen beschäftigte. Seine kalten Finger schlossen sich um den Bogen.
„Ihr denkt also, Eure Bogenkünste überträfen meine bei Weitem?"
Der blondgelockte Jüngling nickte. Ehe sein Blick von etwas gefangen genommen wurde.
„So ist es, werter Cousin, aber hier gibt es nichts, was Ihr nicht auch in eurem Palast Euer Eigen nennt und auf all die Feste seid Ihr ja dennoch eingeladen, also grämt Euch nicht! Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich denke dort hinten gibt es ein paar Nymphen, die dringend meine Aufmerksamkeit bedürfen, wenn ihr versteht." Apollon lachte, klopfte Eros auf die Schulter und schlängelte sich durch die Scharen der Gäste, ehe er sein Ziel erreichte. Eros hingegen kochte vor Wut. Das würde ihm dieser aufgeblasene kleine Sonnengott büßen!
Mit einem lauten Quietschen hielt die U Bahn an der Station Bleecker Street und noch bevor die Wagons ganz zum Stehen gekommen waren, drängten die meisten Fahrgäste auch schon in RichtungTüren. Unter den vielen Fahrgästen, die sich nun in das Innere der meist schon beschädigten Wagons schoben, war auch ein junger Mann mit blondgelockten Haaren. Fast schon gelangweilt schob er sich auf einen noch freien Sitz und drehte die Musik auf seinem Ipod lauter. Sein Name war Leon und er war spät dran. Mit einem Ächzen setzte der Zug sich in Bewegung und verließ die Station und machte sich auf die Reise, die anwesenden Fahrgäste an ihr Ziel zu bringen.
Es war der 19. Juli und es war so heiß, wie seit langem nicht mehr. Alle schienen zu schwitzen und sich unwohl zu fühlen, in dieser Enge des Zuges und in heimlichen Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, wischten sie ihre nassen Hände an ihren Hosen und Röcken ab.
Leon summte leise vor sich hin, während er seinen Blick stur aus dem Fenster richtete und die vorbeifliegenden, kühlen Wände des U-Bahn Tunnels starrte. Sein Finger drückte automatisch auf ‚zurück' um das Lied ein weiteres Mal zu hören, als etwas in seiner Hosentasche vibrierte. Seufzend zog er sich einen Stöpsel aus dem Ohr und mit der anderen Hand das Handy aus seiner Hosentasche. Die alte Dame, mit dem hässlichen Hund auf dem Schoß, ihm gegenüber rümpfte die Nase und sah ihn missbilligend an.
Leon seufzte ein weiteres Mal als er den Anrufer sah. Leider war es nicht seine Art Anrufe zu ignorieren. So drückte er auf den grünen Hörer und hielt sich den kleinen Gegenstand ans Ohr.
„Hey Kirsty." „Hi Leon, ich dachte, ich ruf mal an und frag was du heut Abend so machst. Ich und Lucy wollten ins N8 und ich dachte, ich frag dich einfach mal, ob du Lust hast mitzugehen."
Obwohl Leon in der Subway saß wusste er genau, dass die Schwarzhaarige während ihres Telefonates vor dem Spiegel saß und sich selbst betrachtete.
„Ich treffe mich doch heute mit meiner Schwester, wir haben doch morgen das große Familientreffen."
„Oh, das war schon morgen? Na dann kann ich verstehen, dass du keine Lust hast – wo trefft ihr euch denn?"
Ja, das war eine gute Frage; eigentlich hätte ihn seine Schwester schon gestern abholen sollen, allerdings war sie nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich war ihr wieder irgendwas dazwischen gekommen. So machte er sich ein zweites Mal zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt auf. Er hoffte nur, dass sie auch wirklich kam, Alleine zuhause aufzukreuzen war nun wirklich nicht in seinem Sinn, weniger noch seinem Vater alleine gegenüber zutreten, von seiner Stiefmutter ganz zu schweigen.
„In der Crosby Street ist ein kleiner Buchladen mit Cafe. Da treffen wir uns immer, wenn sie nach New York kommt. Also dann, ich muss jetzt aussteigen, wir sehen uns dann nach dem Sommer! Bye Bye."
Mit diesem Worten legte er auf, erhob sich und während er mit der einen Hand seine Musik wieder in sein Ohr stöpselte, winkte er mit der anderen der alten Dame zu.
Links um die Ecke und dann mit all denn anderen in einem nicht enden wollenden Strom zurück an die Oberfläche, zurück an die Sonne. Leon blieb stehen und streckte seine Hände der Sonne entgegen.
Er liebte New York, die Stadt die niemals schlief. Nirgendwo wurde bessere Musik gespielt, nirgendwo sonst hatte er sich je freier gefühlt. Er schmunzelte und machte sich auf den Weg zu dem besagten Buchladen. Er war früh dran, aber er wusste, dass Warten besser war, als auf sich warten zu lassen. Das hatte sein Zwilling ihm oft genug klar gemacht. So unterschiedlich die Beiden auch waren, so kannte Leon niemanden, der ihn besser verstand, als seine Schwester.
Er schüttelte seine Locken, ehe er die Tür aufdrückte. Irgendwo hinten im Laden erklang ein vertrautes Klingeln und mit einem tiefen Atemzug sog er den Geruch der Bücher ein. Sie hatten viel zu erzählen, aber nur wenige die sich für ihre Geschichten interessierten. Der Laden war dem Blonden vertraut, er kannte jedes Regal, jede Kerbe in dem alten Bord auf dem seine Lieblingsbücher standen. Sonst hielt er nicht viel vom Lesen, zählte Schreiben in seinen Augen zwar als Kunst, aber wog weit weniger als die Musik.
Einst war es ein kleiner charmanter Laden gewesen und Sir Loudon hatte ihn gehütet wie seinen Augapfel. Mit der Zeit waren nicht nur Straßen neu gebaut und Tunnel für Züge gesprengt, denn auch vor guten Menschen macht die Zeit keinen Halt. Und als Loudons Zeit gekommen war, wusste Leon, das es nicht nur das Ende des alten Mannes war, sondern auch die des Ladens. Wände waren durchbrochen wurden, Bücher nach Titel und nicht mehr nach Inhalt sortiert und man wurde angehalten zu verweilen und dazu doch etwas zu trinken. Jeder der es vor fast einem Jahrhundert gewagt hätte, in der Nähe der Bücher auch nur die Nase zu putzen und dann mit schmutzigen Fingern die Bücher zu berühren, bekam von Loudon eine gewaltige Lektion über die Seele der Bücher.
Denn wie alles in dieser Welt, besaßen auch Bücher Leben und lebten durch die Hände, die sie hielten und die Augen die sie lasen. Heute jedoch gab es noch ein paar Fragmente, wie das eine alte Regal, das geblieben war. Sonst war hier alles neu, auf alt getrimmt. Jedes Mal, wenn er nun den Laden betrat, hatte der Blonde das Gefühl, als würde etwas fehlen und es war weit mehr, als der starrsinnige alte Mann, der einst den ersten Buchladen in diesem Viertel eröffnet hatte.
Apollon lehnte sich mit charmanten Lächeln zu einer blassgrünen Schönheit herüber, die bei einem Blick in seine Himmelsaugen zart ergrünte. Das Lächeln des Gottes wurde breiter und versprach alles, was sich die kleine Nymphe nur wünschen konnte. „Karmentis, hier bist du." Eine zweite Nymphe erschien in Apollons Blickfeld. Ihre Haut war von heller Bronzefarbe und ihre Haare so braun, wie die Rinde eines jungen Baumes. Mit seinem Sonnenlächeln wandte er sich der anderen Frau zu. Diese hingegen verzog missbilligend den Mund.
„Und wer seid Ihr, Schönheit?"
Während Karmentis seufzend den jungen Gott anstrahlte, wurde das ebene Gesicht der Angesprochenen hart. „Ich jage mit Eurer Schwester, Apollon. Daher möchte ich Euch an Euer Versprechen erinnern und werde jetzt meine Schwester mit mir nehmen." Sie nickte ihm zu und zog dann die Grünhaarige, mit eisernem Griff, von dem Sonnengott fort.
Apollon seufzte, als Artemis in seinem Blickfeld erschien.
Ihr Blick sagte alles, aber dennoch konnte Apollon das Lächeln sehen, welches sich zeigen würde, wenn er ihr antworten würde.
„Was hab ich dir über meine Jägerinnen gesagt?" Missbilligend zog sie die feingeschwungenen Augenbrauen zusammen.
„Schwester, ich hätte diese Nymphe nicht einmal beachtet, hätte sie sich nicht in mein Blickfeld gedrängt." Er grinste verschmitzt und auch um Artemis kleinen Kirschmund erschien ein zartes Lächeln. „Ich hörte, du hättest Eros verspottet?"
Apollon ließ seufzend seine Schultern fallen. „Wenn ich mit meiner Mutter sprechen will, muss ich nicht einmal hundert Schritte tun. Also verschone mich mit deiner Weisheit, Artemis."
Nun lachte sie wirklich. „Wenn du Weisheit suchst, Bruder, muss du ebenfalls nicht mehr als hundert Schritte tun, bevor du mit der Weisheit selbst über deinen Hochmut sprechen kannst." Er griff sich ans Herz und sah sich erschrocken um.
"Nun siehst du es nicht, Schwester? Dass Hochmut erst dann festen Grund findet, wo die Weisheit Land gebildet hat?"
Die Jägerin rollte die Augen und stupste ihn dann mit der Schulter an. „Sehr zu meinem Leidwesen muss ich sagen, dass du nicht im Unrecht bist, aber wer hoch fliegt fällt auch sehr tief, das hat schon Ikarus erfahren."
Nun war es an Apollon die Augen zu verdrehen. „Aber er selbst hat seine Schwingen nicht geschmiedet. Willst du mich nun in Geschichte prüfen oder aber ein ordentliches Fest feiern?", damit erschien der Kelch wieder in seiner Hand und er reichte diesen Artemis. Diese nahm ihn an sich und reichte ihm einen mit klaren Quellwasser gefüllten Becher.
„Ich glaube du hattest genug Ambrosia, Apollon. Wer soll sonst, wenn du den Morgen verschläfst, deinen Sonnenwagen lenken?" So seufzte der Jüngere nur und nahm den Kelch.
„Manchmal bist du wirklich schlimmer als Mutter," murrte er und nahm einen Schluck und verzog sofort das Gesicht. Das Wasser war eiskalt. „Ich bin schließlich die Ältere, also hadere nicht mit dem Schicksal, kleiner Bruder, und benimm dich den restlichen Abend!" Mit einem Grinsen streckte sie ihm die Zunge raus und schritt dann hoheitsvoll zurück zu ihren Jägerinnen.
Der weitere Abend verlief ohne Zwischenfälle. Apollon, ganz in Gold gewandelt, stellte sich neben seine Schwester, als es Zeit war, und gemeinsam starrten sie in das unendliche Feuer. Zeus hob seine Stimme und hielt, wie es zu jeder Sommer- und Wintersonnenwende üblich, eine kleine Ansprache über die Geschehnisse und all jene Pflichten, auf die bis zum nächsten Fest besonders Wert gelegt werden sollte.
Die Göttin der Jagd stand ganz in Silber neben ihrem Bruder, den kleinen Zettel fest in der Hand, und während sie den Worten ihres Vaters lauschte, ließ sie ihren Blick über die anderen Götter schweifen.
Neben Hera, die an Zeus rechter Seite stand und Poseidon und Hades an ihres Bruders Linken, waren es die großen Zwölf die in erster Reihe um das unendliche Feuer standen. Als sie ihren Blick schon wieder zurück zu wenden wollte, erhaschte sie einen Blick auf Eros. Der Liebesgott hatte nicht wie alle anderen einen friedlichen und ruhigen Glanz in den Augen. Artemis erkannte mit Besorgnis Zorn, bevor er einen Schritt zurücktat und sich damit ihren Augen entzog. Ihr Blick wandte sich nach links zu ihrem Bruder, der lächelnd in das Feuer stierte, das ihn, wie er ihr einst erzählte, an die Sonne erinnerte. Daher war die Sommersonnenwende sein liebstes Fest auf dem Olymp, denn zur Zeit der Wintersonnenwende brannte das Feuer blau.
Artemis hatte ein ungutes Gefühl. Sie wusste, wie jemand aussah der zur Jagd zog und Eros hatte genau die gleich Haltung, wie sie und ihre Jägerinnen, wenn sie sich ihrer Sache sicher waren. Ein Stoß in die Seite holte sie aus ihren Gedanken und sie schreckte hoch. Gerade noch rechtzeitig warf sie ihren Zettel zusammen mit Apollons ins Feuer, bevor Aphrodite zu ihrer Rechten ihren Zettel ins Feuer gab.
Als sie fertig waren, traten sie alle einen Schritt zurück, um auch den anderen Anwesenden Platz zu machen.
Leon streifte durch die Regalreihen in den hinteren Teil des Ladens. Hier gab es einen kleinen gemütlichen Tisch, von dem man sowohl den Laden im Blick hatte, als auch durch ein großes Fenster in der reichlich bepflanzten Hinterhof sehen konnte. Wann immer er hier war, saß er auf diesem Platz. Er ließ sich in einen gepolsterten Sessel fallen und warf einen Blick auf die kleine Karte. Artemis bestellte immer das Gleiche, er hingegen versuchte es mit ein bisschen Abwechslung. So weit das denn möglich war. Seine Gedanken schweiften wieder zur Sommersonnenwende und zum olympischen Feuer, das den neuen Abschnitt einleiten würde. Aus seiner grünen Lederjacke zog er einen kleinen Zettel hervor. Viele der anderen Gottheiten schrieben ihren Wunsch erst kurz vor der Zeremonie darauf, Leon hingegen wollte vermeiden, dass irgendjemand einen Blick darauf erhaschen konnte, so schrieb er den Zettel schon vor seiner Ankunft auf dem Olymp.
Seit Jahrhunderten stand dasselbe auf den Zettel. Am Anfang war es blinde Wut gewesen, die ihn beinahe eine Dummheit begehen ließ. Nach der Wut kam die Kälte, und nach der Kälte die Hitze, die er seit jeher über die Erde brachte.
Wie oft hatte er gebetet, gefleht und stumm die Belustigung der Anderen ertragen. Zu oft und doch nicht oft genug. Ein jeder hatte etwas, dass er mit der gleichen Vehemenz wie Leon jagte. Aber nicht jeder tat es öffentlich, und jene, die es taten, nicht mit der stillen Besessenheit, die der Blonde an den Tag legte. Selten tat er etwas mit solchem Eifer, und wäre es nicht um ein Mädchen gegangen, wäre seine Schwester sogar beeindruckt gewesen. Artemis hingegen, die mit ihren kleinen Fingern gegen das Lenkrad ihres Cabrio klopfte, wusste, dass sich ihr Bruder wiedereinmal, trotz besseren Wissens, in seine persönliche Hölle stürzen würde.
Nicht, dass er es Besser wusste. Nicht, dass sie es ihm unzählige Male gesagt hatte.
Nicht, dass er die Zukunft kannte. Nicht, dass er sie selbst geschrieben hatte…
Ihr Bruder hatte sich vor gefühlte Äonen vorgenommen, Daphne fern zu bleiben und ihr so das Leben zu ermöglichen, welches er ihr einst genommen hatte. Doch sie waren aneinander gebunden und so kreuzten sich ihre Lebenslinien immer wieder.
Artemis war es mehr als Leid, jenes Leuchten in Apollons Augen zu sehen, wenn er Daphne erkannte, und dann zu sehen, wie das Leuchten innerhalb Sekunden verlosch und er sich selbst zwang, das Weite zu suchen. Trotzdem ließ ihn das Gold von Eros Pfeil nicht frei und so musste er der Nymphe folgen. Stets versuchte er dabei nicht bemerkt zu werden und trotzdem an ihrem Leben teil zuhaben. Jedes Mal beherrschte ihn die gleiche Begierde, Artemis' einstige Jagdgefährtin sein Eigen zu nennen und nur ein einziges Mal Freude in ihren Augen zu sehen, wenn sie ihn erblickte. Von all den Geliebten, die Apollon in den vergangenen Jahrhunderten hatte, war ihr Daphne am meisten zuwider. Einst hatte sie ihre treuste Gefährtin fort gejagt und ebenso für Apollon den Bogen gehoben, als er sie darum bat.
„Oh, ich flehe Euch an, Artemis! Bitte, tut mir nichts. Ich- Ich trage doch ein Kind im Leib, das Kind Eures Bruders. Bitte, Ihr seid doch auch die Beschützerin der Kinder, ich bitte Eu-" Der erste Pfeil traf sie ins linke Auge. Das Auge welches die weiße Krähe hätte auspicken sollen. Dann hätte sie ihre Unschuld behalten können. Koronis hatte ihr Schicksal selbst besiegelt, als sie ihren Bruder betrog. Und Betrug war etwas, was Artemis rasend machte. Ein Pfeil aus dem Köcher traf schließlich das Herz der braunhaarigen Schönheit, welches sie so leicht verschenkt hatte. Als sie den letzten Pfeil in den silbernen Bogen legte, zielte sie auf den Mund, welcher Unwahrheiten gesprochen und Unheil über ihren Bruder brachte.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, doch als die Sonne unterging und Apollon aus seinem Wagen stieg und den aufgebahrten Leib erblickte, sah sie nicht wie erwartet Triumph in seinen Augen, sondern Reue…
Mit einem melancholischen Lächeln blätterte der Blonde durch ein altes Buch über die griechische Mythologie und wie von selbst fand er die Geschichten von Apollon. Gott der Poesie und Musik, sowie der Bogenkunst. Neben zahlreichen Abbildungen strich sein Finger langsam über die Liste seiner Liebschaften. Daphne. Es war nicht so, als ob die Nymphe besonders schön wäre- schließlich kannte er Aphrodite- noch war sie außergewöhnlich klug, oder auf irgendeine Art besonders. Hätte er damals eine Wahl gehabt, so hätte er sie wahrscheinlich vergessen, wie alle von Artemis' Jägerinnen, doch Eros…
Die Sommersonnenwende war, wie jedes Jahr, ein großartiges Ereignis gewesen und als Apollon seinen goldenen Sonnenwagen Richtung Olymp lenkte, trug er noch immer ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht. Seine goldenen Pegasi legten eine elegante Landung hin und noch voller Energie sprang der junge Gott aus dem Wagen. Er klopfte seinen treuen Begleitern auf die Flanke und sogleich kam ein Satyr angelaufen, der sich um seine geflügelten Pferde kümmern würde. Apollon streckte sich und machte sich nicht die Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken.
Er grinste Artemis zu, welche kopfschüttelnd zu ihm herüberkam. „Machst du dich wieder auf die Jagd?" Eigentlich hatte er gehofft, Artemis würde ein paar Tage länger bleiben. Er steckte hier auf dem Olymp fest, wohingegen seine Schwester die meiste Zeit des Jahres auf der Jagd verbringen konnte. Sie kannte so viele Orte und auch wenn sie stets in der Wildnis jagte, wünschte sich Apollon manchmal, dass auch er auf der Erde leben könnte. Wie gerne würde er den Menschen seine Musik vorspielen, ihre einfältigen Instrumente beseelen und ihnen die Magie der Noten beibringen.
„Ja, Meine Jägerinnen sind schon bei Tagesanbruch losgezogen, Daphne und Kallisto werden mich begleiten, sodass wir morgen Nacht zusammentreffen werden. Morgen ist Neumond." Sie lächelte und Apollon seufzte. So würde er wieder allein zurückbleiben und sich mit all den Demigottheiten abgeben müssen.
Er spürte das weiche Gras unter seinen Füßen, als sie die Erde erreichten und er wandte sich lächelnd an Artemis. Hinter ihr aus dem Geäst des Waldes traten zwei Nymphen hervor.
Eine mit weißblonden Haaren und goldenen Herbstaugen, die andere mit dunklen Walnussaugen und braunen Haaren .
„Ich wünsche dir Glück auf der Jagd." Damit verbeugte er sich erwürdig vor seiner Schwester. Nie würde er verstehen können, wie ihr Herz so rastlos sein konnte.
Artemis lachte vergnügt und wirkte nun zum ersten Mal wie das junge Mädchen, in dessen Gestalt sie am liebsten durch die Wälder streifte.
Die letzten Strahlen der Sonne sickerten durch die Wolken und aus dem Nichts schoss ein Pfeil daraus hervor. Mit einem sirrenden Geräusch traf er Apollons rechte Schulter.
Artemis hatte schon einen Pfeil und ihren silbernen Bogen gezückt, aber es gab Nichts, worauf sie hätte schießen können, während ihr Bruder vor ihr in die Knie ging.
Sie konnte ein wenig des goldenen Götterblutes sehen, welches durch sein weißes Obergewand sickerte, als ein Aufschrei hinter ihr erklang.
Die Göttin wirbelte herum und starrte mit vor Wut verengten Augen auf die niedergehende Daphne, in deren linker Schulter ebenfalls ein Pfeil steckte. Sie fixierte die Richtung, aus der die Pfeile gekommen zu sein schienen, als Apollon sich stöhnend erhob.
Sie wandte nicht den Blick von den Wolken als sie die Stimme hob.
„Alles in Ordnung Bruder?" Doch als er nicht antwortete, wandte sie doch den Blick ab, nicht jedoch den Bogen.
Apollon hatte den Pfeil schon aus seiner Schulter gezogen und dieser leuchtete blass Gold in der Dämmerung. Apollon hingegen schien an den Pfeil keinen Gedanken zu verschenken, seine Himmelsaugen hatten einen Punkt hinter Artemis fixiert. Sie wirbelte herum, in Erwartung den Thor zu sehen, der so dumm gewesen war den Bogen gegen einen Sohn Zeus zu heben, doch dort waren nur Daphne und Kallisto. Auch Kallisto hatte in der Zwischenzeit den Pfeil aus der Schulter der Nymphe gezogen. Stumpf und grau lag er in ihrer Hand. Langsam richtete sich ihre Jagdgefährtin auf.
„Daphne?" Apollon schob Artemis zur Seite und machte einen Schritt auf die getroffene Nymphe zu. Noch nie hatte die Göttin die Stimme ihres Bruders so verklärt hört. Seine Augen schienen sie gar nicht war zunehmen, sie waren unverwandt auf die Jägerin gerichtet.
Er näherte sich weiter der Nymphe, diese hingegen schien von einem nicht aussprechbaren Horror ergriffen zu werden, als sie den jungen Gott erblicke. Sie schüttelte Kallistos helfende Hand ab und floh in die Wälder.
„Daphne!" Apollon schien nun entgültig den Verstand verloren zu haben und folgte der Fliehenden in die Wildnis.
Auch Kallisto rief nun Daphnes Namen und machte Anstalten ihrer Gefährtin zu folgen, aber Artemis hielt sie zurück. Die goldenen Augen der Bergnymphe sahen sie verstört an.
„Sie ist verletzt, sie braucht unsere Hilfe Herrin!"
Doch Artemis schüttelte den Kopf.
„Zeigt Euch ,Eros, oder ich werde Euch meine Hunde auf den Hals hetzten!"
Ihre Stimme war kalt wie Eis, als sie sich suchend umsah. Sie hatte den Pfeil der Apollon getroffen hatte nicht erkannt, den der Daphne traf hingegen schon. Nur Eros besaß Pfeile aus purem Blei.
„Cousine. Ich hoffe ich habe Eure Abreise nicht verzögert." Der Liebesgott stand lässig einige Schritte von der Göttin entfernt, den Bogen noch immer in der Hand.
„Seid Ihr von Sinnen, Eros? Ihr habt die Hand gegen einen Sohn Zeus gehoben.
Wisst Ihr nicht, was darauf steht?" Nur schwer konnte sie den Drang unterdrücken, einen Pfeil in seine triumphierenden Augen zu schießen.
„Wie Ihr vielleicht erinnert, hatten Euer Bruder und ich eine kleine Meinungsverschiedenheit auszutragen und wie Ihr seht, bin ich kein schlechterer Schütze als Euer Bruder." Nun trat sein Triumph auch in seine Haltung über.
„Seid nicht töricht, Eros, und nehmt den Liebesfluch von ihm" knurrte Artemis.
„Wohl kaum, Artemis, selbst wenn ich es wollte ließe sich das Gold nicht mehr von seinem Blut trennen, es wird dort verweilen." Lässig strich er sich seine Locken zurück und schien sich am liebsten selbst auf die Schulter klopfen zu wollen.
„Dann nehmt den Fluch von meiner Jägerin!" Artemis war sich zwar nicht ganz sicher, was dieser andere Pfeil zu bedeuten hatte, obwohl sie natürlich die Gerüchte gehört hatte, aber sie war noch nie jemand gewesen, der sich mit dem Worte Dritter zufriedengegeben hatte.
„Auch das muss ich Euch leider verwehren. Das Blei lässt sich ebenfalls nicht entfernen. Aber macht Euch keine Sorgen. Euer Bruder hatte ein Auge auf Eure Jägerin geworfen, was gegen Eure Abmachung war, und Eure kleine Gefährtin wäre nie auf seine Avancen eingegangen, da Sie Euch schon geschworen hatte, Ich habe dem ganzen nur etwas mehr Schwung verliehen. Findet Ihr nicht auch?" Nun lacht ihr Gegenüber freudig auf.
Artemis hatte die Erwiderung schon auf der Zunge, als aus dem Geäst ein verzweifelter Schrei zu hören war. Ihre Sternenaugen glühten.
„Das werdet Ihr noch bereuen, Eros." Dieser lächelte noch. „Ihr müsstet mir eigentlich dankbar sein, das ist doch die passende Erwiderung auf Apollons Spiel mit Orion, oder etwa nicht?" Damit öffnete er seine kleinen Schwingen und erhob sich in den Himmel. Artemis biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, während sie in die Wälder rannte. Hoffentlich kannte Aphrodite ein Heilmittel gegen Eros Liebespfeile.
Als sie den Fluss erreichte, erstarrte sie, und Kallisto hinter ihr stieß einen Schrei aus.
Daphnes Hände waren zum Himmel gereckt, ihre Gelenke wurden steif und aus ihren Fingern wuchsen Blätter, während ihre Füße sich tief in der Erde verwurzelten.
Apollon kniete vor ihr, auf seinem Gesicht glänzte eine einzelne Träne, und als er die Hände reckte um Daphnes wandelnden Körper zu berühren, wich sie selbst als Lorbeerbaum zurück.
Leon schlug das Buch zu und presste seine Hände an die Schläfen. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er Daphne in seinem unsterblichen Leben schon begegnet war.
Egal wohin er ging, nirgendwo gab es einen Ort, an dem sie früher oder später nicht doch auftauchte. Peneios hatte ihr die Unsterblichkeit geschenkt und niemals würde Apollon sie vergessen können. Es gab keinen Ort, an dem er nicht an sie dachte und wie sehr er es auch verabscheute, so war der Olymp der einzige Ort, an dem er ihr nicht begegnen konnte. Somit hatte Eros den Berg zu seinem Gefängnis gemacht.
Natürlich hatte sich der Gott für sein unüberlegtes Handeln mehr als einmal bei ihm entschuldigt, aber dennoch konnte seine Essenz nicht zurückgenommen werden.
Aber dieses Mal war er sich sicher: New York war perfekt, und er lebte hier nun schon seit fast siebzig Jahren und sie war ihm noch immer nicht begegnet. Das hier würde sein Zuhause werden. Hier würde er endlich den Wunsch erfüllen, den er seit Ewigkeiten im magischen Feuer verbrannte. Die Stadt, die niemals schlief, die Stadt mit den tausend Gesichtern würde ihn erlösen. Er hatte es verdient und Daphne ebenso. Peneios hätte ihre Seele im Totenreich verweilen lassen sollen. So aber wurde sie wieder und wiedergeboren und das Spiel nahm seinen erneuten Lauf. Aber diesmal hatte Leon sie nicht gesehen. Keine seiner Weissagungen hatte mit ihr zu tun. Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Sie würde endlich das Leben bekommen, welches sie nie gehabt hatte und er würde sich vielleicht mit der Kellnerin ablenken, bis seine Schwester kam. Sie hatte noch fünf Minuten, aber Leon war sich sicher, das sie sich Zeit für ihren Auftritt ließ oder aber noch immer von dem beschäftigt wurde, was sie gestern aufgehalten hatte.
„Darf ich dir schon was Gutes tun?" Ein leise Stimmte erklang links von ihm und Leon drehte seinen Kopf und erstarrte. Die Augen des Mädchens verdunkelten sich und sie nahm unbewusst eine Abwehrhaltung ein, bereit davonzulaufen. „Nun sagen Sie einfach Bescheid wenn Sie sich entschieden haben." Ihre kühle Stimme holte Leon zurück in die Gegenwart. Einfach nur Nicken, redete er sich ein. Er konnte das. Er war stark. Er war Apollon, einer der Zwölf.
„Daphne?" Nun, vielleicht das nächste Mal. Das Mädchen erstarrte und kurz schien sich eine Erinnerung in ihr Gedächtnis zu schieben, aber bevor sie es fassen konnte, was sie sah, vergaß sie die Worte und ihr Gesicht wurde hart. „Mein Name ist Laurel und wenn Sie mich jetzt entschuldigen, aber ich gehöre zum arbeitenden Teil der Gesellschaft." Und damit drehte sie sich um und verschwand. Der Blonde saß immer noch erstarrt am Tisch. Warum hatte er nicht einfach den Mund gehalten? Jetzt würde sie wieder sterben. Verzweifelt schloss er die Augen. Er hatte sich doch vorgenommen…
Er stand auf dem vollen Bahnhof und ab und zu wurde die Erde von herabfallenden Bomben erschüttert. Die Station war brechend voll, alle wollten London so schnell wie möglich verlassen um den Angriffen zu entkommen. Er stand dicht am Gleis, schob sich vorwärts, als er den heranrollenden Zug hörte. Vor ihm tauchte eine vertraute Gestalt auf und als das dünne Mädchen von einem älteren Mann angerempelt wurde, drehte sie sich empört um.
„Können sie nicht aufpassen?" Ihr Gesicht war wütend und besorgt zugleich und obwohl der Blonde gegen den Drang ankämpfte, drängte eine alte Macht die Worte an die Oberfläche.
„Daphne?" Und zu allem Überfluss war er so töricht auch noch die Hand nach dem Mädchen auszustrecken. Nur einmal ihr Gesicht berühren, mehr wollte er doch nicht.
Panik spiegelte sich in ihren Augen und sie wich zurück, stolperte über ein Gepäckstück doch anstatt seine Hand zu ergreifen, fiel sie und das Rattern des Zuges übertönte die Schreie der Umstehenden.
Eros Fluch war nicht nur, dass Daphne ihn nie lieben würde, sondern auch dass sie ihre Ruhe nur im Tod finden könne. Als Peneios ihr Unsterblichkeit gab, besiegelte er ihr Schicksal.
Wann immer Apollon sie traf, konnte er sich nicht beherrschen und brachte ihr so, anstatt des Lebens das sie verdiente, den Tod den sie schon zur Genüge kannte.
Zu oft hatte sich Apollon gewünscht für sie zu sterben und ihr Leid zu ertragen. Er war sich sicher, dass ihre Seele nur eines wollte: Ruhe.
Eine kleine Hand legte sich auf seine Schulter. „Apollon?" Artemis. Er versuchte ein Lächeln. „Du weißt doch, dass ich jetzt offiziell Leon heiße." Ihre Augen flackerten als sie den Ausdruck erkannte, den er zu verstecken suchte.
„Wann hast du sie getroffen?" Sie ließ sich auf seine Lehne sinken. Obwohl sie die Ältere war und von den meisten Göttern gefürchtet wurde, sah sie nun doch nicht älter aus als fünfzehn.
Ihre dunklen Sternenaugen waren besorgt auf seine gerichtet, doch er wich ihnen aus.
„Haben Sie sich entschieden?" Die gepresste höfliche Stimme drang an sein Ohr und Artemis sah erstaunt auf. Auch sie hatte diesen Ort für sicher gehalten.
„Einen Cappuchino und eine heiße Schokolade, und das nächste Mal warten Sie bitte bevor Sie sich in Privat Gespräche einmischen!" Artemis Stimme war eiskalt, vermischt mit der Wut die in ihr brodelte, als sie die andere erblickte. Die Braunhaarige wich mehr aus Überraschung als aus Angst zurück und sah das Mädchen vor ihr an. Draußen, im wahren Leben, hätte sie dieser kleinen verzogenen Göre wohl die Meinung gegeigt, aber hier drinnen im Laden war ihre Arbeit. Also nickte sie nur knapp und verschwand so schnell wie sie gekommen war.
„Hast du sie angesprochen?" Leons Gesicht verzog sich. Aber es machte keinen Sinn mehr, sich hinter einem Namen zu verstecken, der nicht dein seine war, und ein Leben zu suchen, das nicht für bestimmt war. So nickte Apollon gequält. Seine Schwester schob ihre kleine Hand in seine und lehnte sich an ihn.
Viele verstanden es nicht, aber letztendlich wusste doch keiner, dass sie mehr waren als Geschwister. Sie waren zwei Seiten einer Münze, Zwillinge, und dem einen war es unmöglich zu existieren, wenn der andere nicht ebenfalls das Leben liebte.
So ging Artemis zwar weiter auf die Jagd, doch empfand sie dabei keine Freude, denn Apollons Schmerz floss auch durch ihre Adern. Zu sagen sie würde Apollons Leid beenden, war zwar nicht falsch, aber viel richtiger wäre es zu sagen, dass sie ihren eigenen Schmerz damit enden würde. Es hätte nie soweit kommen müssen, würde ihr Bruder nicht dieser Phantasie Gestalt nachjagen! Zu zählen aufgehört hatte sie vor langer Zeit, daher wusste sie nicht genau wie viele Leben diese eine Nymphe bereits durchschritten hatte, sie wusste nur, dass es das Dümmste war um das Peneios je gebeten hatte. Um seine Tochter nicht zu verlieren, hatte er sie erst in einen Baum verwandelt und ihr dann das ewige Leben ermöglicht. Auch wenn sie sich an die Vergangenen nicht erinnern konnte. Das Blei floss stets in Daphnes Adern, wie die Begierde in Apollons und somit auch in ihren.
Auch war ihr menschliches Leben durch Apollons Drängen beendet wurden, es war ein ewiger Kreislauf, den keiner durchschreiten konnte. So war es Artemis mehr als Leid und sie hatte den entgültigen Schritt gewagt.
Sie würde diese Geschichte hier und heute beenden. Das war der Grund warum sie gestern verhindert gewesen war.
Die Unterwelt war kein Ort für sie, aber es gab sonst keinen Weg ihren Onkel zu kontaktieren. Hades war sich nämlich meistens zu bequem seinen Palast zu verlassen an den ihn seine Brüder einst gebunden hatten. Auch wenn sie alle miteinander verwandet waren, gab es in ihrer ‚Familie' nichts umsonst.
Peneios hatte damals für Daphnes Wiedergeburt 10 Seelen für jedes ihrer kommenden Leben versprochen. Bald galt sein Fluss als einer der gefährlichsten und nur wenige wagten die Überfahrt und diese fanden den Tod.
Aber Artemis hatte nicht locker gelassen, hatte ihn bekniet, beredet und zum Schluss sogar angeschrieen. Sie war nicht Willens gewesen die Unterwelt zu verlassen bevor sie nicht das Wort ihres Onkels und seinen schwur auf den Styx hatte. Zuvor hatte sie auch mit ihrem Vater verhandelt und dieser war bereit, sollte Hades zustimmen, nichts gegen seine Tochter zu unternehmen.
Letzten Endes hatte Artemis einen hohen Preis gezahlt, doch ihre Freiheit wiederbekommen.
Nichts war ihr so wichtig als ihre Freiheit. Keinem Mann war sie je Untertan gewesen und das sollte auch Apollon nicht ändern. Sie liebte ihren Bruder abgöttisch, aber noch mehr liebte sie sich selbst. Und sie wollte Vergeltung! Dieses einfältige Nymphe sollte endlich den Preis bezahlen, dass sie damals vor Minos, Rhadamanthys und Aiakos nichts gesagt hatte. Und Artemis dadurch Jahrhunderte die Jagd erschwert hatte.
„Mach dir keine Sorgen, kleiner Bruder." Artemis strich ihm lächelnd eine blonde Locke aus der Stirn und hauchte einen Kuss darauf. Dennoch verschwand der Schwermut nicht aus seinen Augen.
Artemis behielt ihr Lächeln jedoch. Heute würde das letzte Mal sein, dass ihr Bruder von der Nymphe gequält wurde. Lange genug hatten sie beide für Eros Hochmut bezahlt und auch mit Eros hatte sie noch eine Rechnung offen. Niemand hatte Apollon je eine Träne entlocken können und der einfältige Liebesgott hatte es gewagt erst sein Blut zu vergießen und dann eine Träne gefordert. Aber auch dafür hatte Artemis eine Lösung gefunden. Eine sehr zufriedenstellende Lösung.
Der heutige Tag würde in Artemis persönliche Geschichte eingehen, dessen war sie sich sicher. Ihr Bruder musste nichts davon wissen. Es war gut für ihn zu glauben, dass er Daphne letztendlich doch das Leben schenkte, denn egal wohin er ab heute gehen würde, nie wieder würde ihm ihr Gesicht begegnen. Niemals wieder.
So lebte er weiter in der Gewissheit, dass er seine guten Vorsätze für die Nymphe tatsächlich wahr gemacht hatte und das würde ihn zu seinem alten Glanz verhelfen. Artemis würde von sich selbst niemals als weise sprechen, aber clever war sie allemal.
Hades und Zeus hatte sie auf den Fluss Styx schwören lassen, dass sie Apollon nichts davon erzählten. Und auch Peneios würde nicht wissen, wer dafür verantwortlich war. Hades würde sich hüten ihm etwas davon zu erzählen und so die Seelen einzubüßen.
Und Artemis selbst würde die Wahrheit mit ins Grab nehmen. Oder in ihrem Fall, in der hintersten Ecke ihres Seins verstecken, sodass Apollon zu keiner Zeit die Wahrheit in ihren Augen sehen konnte. Sie glaubte zwar nicht, dass all die Vorsichtsmaßnahmen nötig waren, da Apollon seit jeher ein gutgläubiger Gott war.
Zwar brachte er die Pest im trojanischen Krieg aber er war vor allem ein Gott der Künste. Und Lügen, das hatte sie von Hermes gelernt, würde sie von heute an auch zu den Künsten zählen.
Eine andere junge Kellnerin brachte ihnen schließlich ihre Getränke. Artemis bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln und selbst Apollon bracht ein leichtes Mundwinkelheben zustande. Völlig verwirrt macht sich das Mädchen auf den Rückweg.
Ihrer Kollegin zufolge war die süße, kleine Schwarzhaarige dort hinten ein freches Gör und der gutaussehende Blonde ein durchgeknallter Penner, der anscheinend auf Minderjährige stand. Julia schüttelte den Kopf.
Sie mochte Laurel, aber manchmal war ihr die andere doch ein bisschen unheimlich.
Seufzend brachte sie das Tablett zurück in die Küche und grinste Laurel dann an.
„Ich weiß nicht welcher Floh dich gebissen hat, aber ich finde den Jungen zum Anbeißen und seine kleine Begleitung ebenfalls. Du solltest nicht immer gleich alle verurteilen, nur weil du ihre Geschichte nicht kennst, Laurel." Die dunklen Augen der anderen funkelten sie wütend an. „Vielleicht machst du für heute Feierabend, was hältst du davon, Laurel?" Jim, der Ladenbesitzer, lehnte in seiner Bürotür und sah abwechselnd zwischen den beiden Mädchen hin und her. Laurel arbeitete hier erst seit kurzem, sie hatte einen sehr anständigen Eindruck gemacht, aber über die Leute zu lästern, die sie bezahlten war nicht besonders klug. Und er brauchte vor allem freundliche, zuvorkommende Kellnerinnen.
Die Braunhaarige antwortete nicht, löste dafür aber den Knoten von ihrer blauen Schürze.
„Wenn sie meinen, Mister Green." Und mit diesen Worten drängte sie sich an Julia vorbei und ging mit raschen Schritten auf den Ausgang zu.
Apollon sah auf als das Mädchen an ihrem Tisch vorbeirauschte und als sie die Tür aufdrückte erhob er sich. Artemis hatte ihr Lächeln in ihrer Schokoladentasse versteckt und es war nicht das erste Mal, dass Apollon gegen seine eigenen Vorsätze verstieß. Sie machte sich keine Sorgen. Strategie war ihre Spezialität.
Der Blonde warf keinen Blick zurück, als er der ehemaligen Nymphe folgte. An der Tür zögerte er, doch das Gold in seinen Adern trieb ihn vorwärts.
„Laurel, warte!" Das Mädchen hatte schon die halbe Straßenseite überquert und stand nun an der Ecke zur Subway. „Wer immer Sie sind, lassen Sie mich gefälligst in Ruhe oder ich rufe die Polizei." Mit diesen Worten verschwand sie im Eingang und Apollon hatte sie schon bald aus den Augen verloren. Wieso konnte er nicht einfach mit ihr reden? Vielleicht würde sie ihm seine Geschichte glauben. Er wollte doch nur, dass sich sein Herz wieder voll anfühlte und der Schmerz in seiner Schulter verschwand.
Mit hängenden Schultern kehrte er zu seiner Schwester zurück, die an der Tür schon auf ihn wartete. „Mach dir nichts draus, Apollon." Sie berührte ihn am Arm. „Nächstes Mal!" Der Blonde seufzte tief und ließ sich von seiner Schwester zum Auto ziehen.
„Das glaube ich nicht…" waren seine letzten Worte ehe er einschlief und in Artemis rotem Cabrio zum Olymp fuhr. Natürlich war es kein normales Auto, aber Magie arbeitete nun mal am liebsten ungesehen.
„Ein schreckliches Zugunglück ereignete sich vor wenigen Minuten in der Nähe der Bleecker Station. Ein Tunnel ist dort eingebrochen und hat den abfahrenden Zug unter sich begraben. Noch ist nicht klar wie viele Personen verletzt sind und ob es Überlebende gibt. Jetzt am Telefon Mr. Morris, er hat auf den nächsten Zug gewartet und ist mit dem Schrecken davongekommen, Hallo Mr. Morris, erzählen sie uns bitte ganz genau was-"
Artemis schaltete das Radio aus und summte leise eine Melodie während sie liebevoll zu ihrem Bruder sah. Heute, beschloss sie, war ein wunderschöner Tag.
Die diesjährige Sommersonnenwende unterschied sich kaum von den vorangegangenen. Für Artemis hingegen, schmeckte der Nektar süßer als alles was sie je gekostet hatte. Gegen ihre sonstige Art hielt sie sicht nicht bei ihren Jägerinnen auf, sondern war den ganzen Abend an Apollons Seite. Sie lachte, scherzte und las ihrem Bruder jeden Wunsch von den Augen ab. Ab heute würde die Sonne wieder heller strahlen. Artemis war sich sicher. Sie hatte noch nie einen Fehler begangen.
Das olympische Feuer brannte lodernd hell in der sternenklaren Nacht und als es an der Zeit war, warfen Apollon und Artemis ihre Zettel ins Feuer. Der eine nachdenklich, die andere zufrieden. „Was stand auf deinem Zettel Bruder? Ich hab mich nie getraut, dich zu fragen." Die Göttin der Jagd blickte ihren Zwilling an. „Nur das, was ich mir wünsche, Artemis: Erlösung." Sie lehnte sich an ihn und lächelte.
Es blitzt ein Tropfen Morgentau im Strahl des Sonnenlichts;
Ein Tag kann eine Perle sein und ein Jahrhundert nichts.
G. Keller
