There, out in the darkness

Would you leave the best behind?

von Michelle Mercy

Sechzehn Jahre nach der Seine kehren Valjean und Javert nach Montreuil-sur-mer zurück, wo überraschende Aufgaben auf sie warten. Sequel zu „It's Valjean and Javert", Slash

Die Jungs gehören Hugo und schon sehr lange einander.

Für St.K. – ich befürchte, wir inspirieren uns gegenseitig.

1. Kapitel

„Weißt du, ich denke, ich werde mich nie daran gewöhnen können", sagte Valjean, während er zusammen mit Javert die Oper verließ. Sie hatten einer Vorstellung von Donizettis „La Favorite" beigewohnt, in der Javerts Nichte Fides die Leonor gesungen hatte und ihr Immer-mal-wieder-Liebhaber Patrice Arthur den Fernand. „Seit zehn Jahren geht es mit den beiden schon. Da sollte man doch eigentlich langsam wissen, was man will. Entweder sie heiraten, oder sie lassen es ganz bleiben."

Javert seufzte leise und ein wenig abwesend. Der etwas unstete Lebenswandel von Fides war ein wunder Punkt für sie beide. „Ich wünschte wirklich, ich könnte es ändern, aber du weiß, daß meine Versuche nicht sehr erfolgreich waren, auf die beiden einzuwirken. M. Arthur erklärt, er sei doch nicht wahnsinnig, Fides zu heiraten, und sie, daß ich der letzte Mensch wäre, der ihr Vorträge über Moral halten sollte."

„Sie hat manchmal wirklich ein mehr als freches Mundwerk", bemerkte Valjean und griff nach Javerts Arm, als suchte er Halt; für jeden zufälligen Zuschauer hätte diese Berührung völlig unverfänglich gewirkt, schließlich war Valjean fast achtzig Jahre alt.

Javert nahm die Geste als das, was sie war, ein liebevolles Zeichen ihrer tiefen Vertrautheit.

Es war ein kühler Spätherbstabend des Jahres 1847, an dem die beiden Männer auf dem Weg nach Hause waren. Valjean stützte sich beim Gehen auf seinen Stock, ein Anblick, den Javert beängstigend fand. Er erinnerte ihn daran, daß Valjean zwölf Jahre älter als er selbst war. Die Vorstellung, daß Valjean ihm eines Tages in den Tod vorausgehen könnte und ihn allein zurücklassen würde, war mehr als ausreichend, um ihm deutlich zu machen, daß es mehr war, als er zu ertragen imstande wäre.

Seit fünfzehneinhalb Jahren gab es nichts, was Javert und Valjean hätte auseinanderreißen können. Sie waren kaum einmal mehr als ein paar Stunden voneinander getrennt gewesen. Doch jetzt gab es etwas, das dieses ändern würde, auch wenn Valjean von dem Schatten über ihnen noch nichts ahnte.

Schon seit mehreren Tagen rätselte Javert, wie er dieses Thema anschneiden sollte, denn es bedurfte keiner wahrsagenden Mutter, um zu wissen, daß Valjean von der Eröffnung, die er zu machen hatte, wenig begeistert sein würde. Aber er konnte nicht mehr warten. Die Situation würde vor Weihnachten noch eskalieren, das stand fest, und es noch länger aufzuschieben, wäre absurd gewesen. Die gesamte Vorstellung hatten sich seine Gedanken damit beschäftigt, nur um immer wieder zu einem Schluß zu kommen. Es gab keine andere Wahl, Javert mußte das Problem an diesem Abend ansprechen, sobald sie in ihre Wohnung zurückgekehrt waren.

Trotz der mehr als fünfzehn gemeinsamen Jahre fand es Javert immer noch schwer, Dinge anzusprechen, die unangenehm waren. Er wußte, daß er mit dem großzügigsten Menschen der Welt zusammenlebte, der ihm nichts abschlagen würde, doch trotzdem war es immer schwierig, weil es fünfzig Jahre lang ungewohnt gewesen war, und es niemals seinem Naturell entsprochen hatte, über Probleme zu sprechen.

„Einen Sou für deine Gedanken", unterbrach Valjean die Stille.

„Sie sind keinen Sou wert", erwiderte Javert.

„Was ist dann mit dir los? Du siehst aus, als wäre dir ein Schwerverbrecher durch die Lappen gegangen, und das liegt sicherlich nicht daran, daß Fides ihre Liebschaft nicht legalisieren will."

Hatte Javert wirklich geglaubt, Valjean darüber täuschen zu können, daß etwas in ihm vorging? Natürlich gelang das nicht, er hatte viel zu wenig Übung darin, Geheimnisse zu haben, zu verbergen, und dann noch vor der Person, die ihn besser kannte als jeder andere. „Ich habe etwas mit dir zu besprechen."

„Was?"

„Wenn wir zuhause sind."

Valjean warf Javert einen beunruhigten Seitenblick zu. Wenn der Jüngere nicht mit dem herausrückte, was ihn belastete, war das nie ein gutes Zeichen. Auch wenn es Valjean inzwischen schwerfiel, schneller zu gehen, aufgrund des Beines, das er nachzog, tat er das jetzt. Er wollte so bald wie möglich wissen, was nicht in Ordnung war.

In ihrer Wohnung ließ sich Valjean, nachdem er sich Hut, Mantel und Stock entledigt hatte, in seinen Sessel fallen und blickte Javert auffordernd an.

Dieser ging hinüber zu dem Tisch, wo ihre Haushälterin Marguerite etwas Brot und Käse sowie je eine Karaffe mit Rotwein und Wasser zurechtgestelt hatte. Er goß ein Glas Wein ein und reichte es Valjean. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Ich kann nicht hierbleiben", stieß Javert hervor.

„Was meinst du damit?" fragte Valjean irritiert. Wovon sprach Javert? Er hatte doch nicht etwa vor, ihn zu verlassen?

„Ich werde Paris für eine Weile den Rücken kehren müssen."

„Wieso?"

„Weil ich befürchte, daß in Kürze das Gleiche passieren wird, das schon 1830 passiert ist. Ein König, der einen Fehler macht, und die Massen, die sich erheben… Und Marius plant schon wieder, sich an einer Revolution zu beteiligen."

Valjean starrte ihn an. „Bist du sicher? Woher weißt du das? Hat er das erzählt?"

„Nein, aber ich höre es aus dem heraus, was er sagt, mit wem er verkehrt…" Javert fuhr sich durch seine Haare. „Und ich kann das nicht gutheißen. Es ist gegen das Gesetz, eine Revolution zu planen. Es wäre meine Pflicht, ihn anzuzeigen, wenn er auch nur einen Schritt weitergehen wird, was er zweifellos tut. Ich will ihn aber nicht denunzieren müssen." Er seufzte. „Und du weißt, daß Konflikte dieser Art bei mir unweigerlich auf einer Brücke enden. Wir sind beide älter als damals, und ich befürchte, daß die Chancen, daß du mich ein weiteres Mal aus dem Wasser ziehen kannst, vernachlässigenswert gering sind. Daher ziehe ich es vor, Paris zu verlassen."

„Einverstanden. Wohin reisen wir?" fragte Valjean ausgesprochen unternehmungslustig.

„Du willst mitkommen?"

„Hattest du etwa Zweifel daran?" Valjean hatte keine Sekunde benötigt, um seine Entscheidung zu treffen. „Ich verstehe deine Gründe, weswegen du Paris verlassen willst. Aber ich würde dir nie erlauben, mich hier zurückzulassen. Wie du richtig sagtest, sind wir beide älter geworden. Niemand kann sagen, wie viele Jahre uns noch vergönnt sein werden, und da werde ich mit Sicherheit keinen Tag von dir getrennt sein wollen."

„Du willst dir das wirklich zumuten?" Javert fühlte sich zwischen Zweifel und Freude hin- und hergerissen. „Ich meine, all das hier, deine Familie, für wer weiß wie lange zu verlassen?"

„Was ist das gegen die Aussicht, von dir verlassen zu werden?" Valjean blickte aufmerksam zu Javert herüber. „Es sei denn natürlich, du wolltest aus irgendeinem Grund nicht, daß ich dich begleite."

„Du kannst nicht ernsthaft daran zweifeln, daß ich in deiner Nähe sein will, oder?" Javert ging vor Valjeans Sessel in die Knie. „Aber ich weiß nicht, ob du dir das wirklich zumuten möchtest, das Reisen, ein Leben in der Fremde..."

Valjeans Augen zeigten ein amüsiertes Funkeln, als er auf Javert hinunter sah. „Willst du damit etwa sagen, ich sei alt?"

„Du wirst achtzig", erinnerte Javert ihn mit entwaffnender Ehrlichkeit.

„Ich bin in der Lage zu zählen."

„Ich mache mir Sorgen, du könntest dich überanstrengen."

„Wenn du mich diesen Wein noch austrinken läßt, können wir gerne nebenan weiter darüber diskutieren, wer von uns alt ist und sich überanstrengen könnte."

Gegen seinen Willen mußte Javert lächeln. Jedes Mal, wenn ein Problem auftauchte, um das er sich ewig Gedanken machte, bewies Valjean, daß es eigentlich gar kein Problem war. Mit einem Heiligen zusammenzuleben, hatte mehr als nur einen Vorteil.

XXX

Valjean genoß die Wärme von Javerts Körper, dessen Brust an seinen Rücken geschmiegt war, und lauschte den tiefen Atemzügen, die signalisierten, daß der andere schlief. Er fühlte sich geborgen. Wenn er anderthalb Jahrzehnte zurückdachte, hätte er damals den Gedanken weit von sich gewiesen, daß die Worte „Geborgenheit" und „Javert" etwas im gleichen Satz zu suchen haben könnten, doch schon kurz nach jenen schicksalsvollen Tagen im Juni 1832 hatte er gewußt, daß es mehr war, als zwei alternde Männer, die beieinander Halt und Trost suchten, daß es niemals zuvor, niemals danach und niemals mit einem anderen Lebewesen eine solche tiefe Liebe geben konnte. Sie hatten viel zusammen durchgemacht, bis sie sich gegen jede Wahrscheinlichkeit gefunden hatten, und ihr Zusammenleben war gelegentlich von der Vergangenheit überschattet gewesen, doch ihre Liebe war immer stärker gewesen.

Ganz plötzlich schoß Valjean eine Idee durch den Kopf. Er griff nach Javerts Arm, der ihm von hinten umschlang, und stupste ihn an.

„Wenn du immer noch nicht genug hast, schwöre ich hiermit feierlich, dich nie wieder alt zu nennen, oder die Befürchtung zu äußern, du könntest dich überanstrengen", murmelte Javert schläfrig und öffnete dabei seine Augen nur einen schmalen Spalt.

„Ich hatte gerade einen faszinierenden Gedanken", sagte Valjean und setzte sich im Bett auf.

„Oh, Gott", stöhnte Javert gespielt entsetzt auf, „bitte nicht schon wieder. Was ist es diesmal? Ein Wohltätigkeitskonzert mit Fides und Arthur? Eine weitere Suppenküche? Ein Heim für gefallene Hunde?" Er angelte nach den Streichhölzern und zündete die Kerze auf dem Nachttisch an.

„Bin ich wirklich so schlimm?" fragte Valjean mit deutlichen Zeichen von Zerknirschung.

„Schlimmer", seufzte Javert, nahm seinen Worten jedoch die Wirkung, weil er sich zu Valjean hinüberbeugte und diesen auf die Stirn küßte. „Also, welcher Gedanke fasziniert dich so, daß du mich um halb drei aus dem Schlaf reißt?"

„Ich weiß, wohin wir gehen, wenn wir Paris verlassen", sprudelte es aus Valjean förmlich heraus.

„Ein nettes Kurbad, wo wir scheußliches Wasser trinken, und unter hirnlosen Matronen, die versuchen, ihre Töchter günstig zu verheiraten, lustwandeln?"

„Nein, mir ist gerade klargeworden, daß wir noch eine große Schuld abtragen müssen, bevor wir diese Welt verlassen."

„Eine Schuld, die wir abtragen müssen?" Javert war selten schwer von Begriff, aber er wußte in diesem Moment wirklich nicht, welche Schuld Valjean und er gemeinsam zu tilgen hätten.

„Ja, du und ich, wir haben einmal eine ganze Stadt ruiniert." Als Valjean den verständnislosen Blick Javerts sah, fuhr er fort: „Montreuil-sur-mer."

„Jetzt übertreibst du unsere Bedeutung."

„Die Fabrik lief gut, bevor ich mich stellte, bevor du mich verhaftetest. Danach mußte sie schließen. Die Leute verloren ihre Arbeit, der bescheidene Wohlstand der Stadt verschwand. Wäre nicht meine Vergangenheit gewesen, wegen der du mich verhaftet hast, wäre es nicht geschehen."

„Und nun sollen wir diese Stadt dem Abgrund entreißen, in den wir sie gestoßen haben?" fragte Javert eine Spur zu melodramatisch. „Wie stellst du dir das vor?"

„Wir könnten die Fabrik erneut eröffnen. Ich habe keine Ahnung, ob ich das Eigentum daran jemals verloren habe."

„Ich bin nicht einmal sicher, ob du es jemals erlangt hast", kommentierte Javert trocken. „Immerhin war der Eigentümer ein gewisser M. Madeleine, der niemals legal existiert hat."

„Das ist eine Frage, die Marius klären kann. Wozu haben wir einen Anwalt in der Familie?"

„Apropos Marius. Willst du Cosette und ihm sagen, daß wir Paris verlassen, und wohin wir gehen?"

„Ja, sicher."

„So sicher ist das nicht, du warst schließlich mal ein Experte auf dem Gebiet des spurlosen Verschwindens."

„Du hast mich immer wieder gefunden, so spurlos kann das Verschwinden nicht gewesen sein." Valjean merkte, daß das Gespräch vom eigentlichen Thema abzudriften drohte. „Dann bist du damit einverstanden, daß wir nach Montreuil zurückkehren?"

„Wenn du dorthin willst, werden wir dahin gehen. Ich will nur Paris verlassen, in welche Richtung ich das tue, ist mir gleich." Javert beugte sich hinüber zur Kerze und blies diese aus. „Und jetzt laß uns schlafen. Im Gegensatz zu dir bin ich nämlich ein alter Mann."

Valjean lachte leise und kuschelte sich wieder in Javerts Arme.

XXX

Am folgenden Abend besuchten sie Cosette und Marius im Haus in der Rue Plumet. Es kostete Valjean einen Blick, um festzustellen, daß Javert Recht hatte. Marius hatte das Gartenhaus in eine Revolutionszentrale verwandelt, wo er mit Gleichgesinnten diskutierte, eine Neuauflage des Café Musain, nur auf Privatgrund.

Valjean wußte sofort, daß sie in der vergangenen Nacht die richtige Entscheidung getroffen hatten, als er sah, wie sich Javerts Augenbrauen zusammenzogen, und die Mundwinkel mißbilligend zuckten. Es war höchste Zeit, Paris zu verlassen.

Bevor sie auch nur ein einziges Wort gewechselt hatten, waren sie bereits von den vier Pontmercy-Kindern umringt, wobei Marie-Eponine inzwischen nicht mehr als Kind durchging. Mit ihren fast fünfzehn Jahren war sie schon fast eine junge Dame.

Cosette folgte den Kindern etwas langsamer. Sie wirkte ein wenig besorgt, wie Valjean feststellte, was in ihm gleichfalls dieses Gefühl auslöste. Während die Kinder Javert belagerten, fragte Valjean seine Tochter vorsichtig: „Alles in Ordnung?"

„Ja. Oder besser nein. Ich weiß es nicht." Cosette zögerte etwas, denn sie schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. „Ich bin ein wenig in Sorge. Marius ist dabei, sich wieder politisch zu engagieren, aber ich weiß nicht, was Javert davon halten wird. Lucien Danois hat Marius schon gesagt, daß er diese Aktivitäten nicht gutheißen kann. Und Javert ist Royalist und… Ich will einfach nicht, daß Politik unsere Familie spaltet."

„Das will keiner von uns", antwortete Valjean.

Als etwas später die ganze Familie beim Abendessen saß, war es deutlich, daß schon ein unmerklicher Riß existierte. Sowohl Javert als auch Marius bemühten sich auffällig, das Tischgespräch weit von aktueller Politik fernzuhalten. Nachdem Valjean sich dies eine Weile angesehen hatte, wandte er sich an seinen Schwiegersohn. „Ich habe da eine juristische Frage. Wem gehört eigentlich rechtlich gesehen die Fabrik in Montreuil-sur-mer?"

„Die Fabrik des M. Madeleine?" Marius dachte einen kurzen Moment nach. „Wenn der Staat wegen Ihrer Verurteilungen sie nicht eingezogen hat, demjenigen, der sie gekauft hat, also Ihnen. Wieso fragen Sie? Sie brauchen doch nicht etwa Geld und wollen sie verkaufen, oder? Sie müssen nur sagen, welche Summe, und wir geben sie Ihnen."

„Danke, wir kommen gut zurecht", beeilte sich Valjean zu sagen. Er hatte nicht daran gedacht, daß sein so klug gewählter Anfang so gründlich mißverstanden werden würde. „Nein, ich denke darüber nach, sie wieder zu eröffnen."

„Aber Papa", brachte Cosette nach einer kurzen Pause hervor, „wieso denn das nach all den Jahren?"

„Wann, wenn nicht jetzt?" erwiderte Valjean und warf einen fast hilflosen Blick über den Tisch zu Javert hinüber, der nur die Augenbrauen hob. Es würde wohl nicht so leicht werden, wie Valjean es sich vorgestellt hatte, zumal er die wahren Gründe, weshalb sie Paris verlassen würden, lieber nicht enthüllen wollte. Stattdessen begann Valjean von der großen Schuld, die sie gegenüber den Bewohnern von Montreuil-sur-mer auf sich geladen hatten, zu sprechen; ein Argument, das Cosette und Marius in ihrer Gutmütigkeit prompt überzeugte.

Es war schon relativ spät, als sich die beiden Männer auf den Weg heim machten. Obwohl bereits ziemlich frostiges Wetter herrschte, hatten sie abgelehnt, einen Wagen zu nehmen.

Sie gingen langsam den vertrauten Weg, den sie in den vergangenen Jahren so oft zurückgelegt hatten. Es war ein stiller Abschied, vielleicht nur für ein paar Monate, in ihrem Alter konnte er jedoch auch leicht ein Abschied für immer sein.

„Weißt du, daß ich mich heute das erste Mal alt gefühlt habe?" bemerkte Javert nach einer Weile.

„Du? Niemals", erwiderte Valjean überzeugt.

„Doch, wirklich. Als ich heute mit Marie-Eponine sprach, konnte ich kaum glauben, daß diese junge Dame und das kleine Bündel Mensch, das ich über das Taufbecken gehalten habe, ein und dieselbe Person sind. Fast fünfzehn Jahre, kaum zu glauben. Sie ist übrigens verliebt", fügte Javert nach einer Pause hinzu.

Valjean blieb abrupt stehen. „Woher weißt du das?"

„Sie hat es mir gesagt."

„Sie erzählt dir so etwas?"

„Ich finde mich auch nicht gerade die naheliegendste Wahl, um über die Gefühle eines jungen Mädchens ins Vertrauen gezogen werden", gab Javert zu. „Ich weiß auch immer noch nicht, ob meine Reaktion der Situation angemessen war."

„Wie war deine Reaktion?" fragte Valjean neugierig.

„Interessiert."

„Dann kannst du mir sicher auch sagen, wer der Glückliche ist?"

„Pierre Danois."

„Nicht gut", entfuhr es Valjean. „Das wird hoffentlich nicht so eine Romeo-und-Julia-Geschichte werde. Marie-Eponines Vater auf Seiten der Revolutionäre, Pierres Vaters auf Seiten der Polizei…"

„Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß ein Mitglied deiner Familie sich in Liebesdingen an so Kleinigkeiten wie verschiedenen Seiten beirren lassen würde." Javert konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Denn wenn es so wäre, dann wären wir beide wohl kaum da, wo wir jetzt sind."