Im Café
Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hatte, aber das war auch nicht wichtig.
Wichtig war nur, dass ich, nachdem ich an einem Samstag im Frühling meine Brüder in ihrem Geschäft besucht hatte, noch ein wenig in der Winkelgasse blieb und schließlich ein neues Café entdeckte.
Es war zwischen Flourish & Blotts und Madam Malkins eingequetscht und schien mit seiner schlichten beigen Fassade neben diesen beiden bekannten Geschäften unscheinbar.
Da ich ziemlich erschöpft war von dem Lärm, Gedränge und den grellen Farben in Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, sehnte ich mich nach ein wenig Ruhe und Entspannung und trat ein.
Der würzige Kaffeeduft, die behagliche Wärme, das gedämpfte Licht und die kleinen vereinzelten runden Tische aus dunklem Holz machten die gemütliche Atmosphäre aus.
Das leise Gemurmel war auch nicht lästig, sondern nur eine angenehme Geräuschkulisse.
Im Café saßen nur wenige Gäste und so konnte ich mir einen Platz, nachdem ich mir einen Milchkaffee gekauft und mir einen Tagespropheten genommen hatte, aussuchen.
Ich entschied mich für einen Tisch in der hintersten Ecke, der nur für zwei Personen war, denn ich war nicht auf Gesellschaft aus.
Ich vertiefte mich so sehr in meine Zeitung, dazu schmeckte der Kaffee so vorzüglich, dass ich noch zwei weitere bestellte und nebenbei natürlich die Zeit völlig vergaß.
Um viertel nach sechs faltete ich den Tagespropheten zusammen, legte ihn in meine Tasche, bezahlte und apparierte völlig zufrieden mit der Welt in meine Wohnung.
Seither war ich jeden Samstag von drei bis sechs in dieser Oase des Friedens.
Es war meine heilige Zeit, in der ich weit weg war von dem Stress im Ministerium oder den sonntäglichen Familienbesuchen und in der ich mich einfach nur geborgen fühlte.
Falls ich am Wochenende noch Überstunden leisten musste, dann legte ich sie ausnahmslos auf den Sonntag oder Samstagvormittag, aber auf jeden Fall war der Samstagnachmittag frei, dafür sorgte ich.
Das charmante Café verzauberte mich im Laufe der Monate immer mehr, ich konnte es mir gar nicht wegdenken.
Die wenigen Stammgäste gehörten für mich schon fast zum Inventar, aber über die lautere Laufkundschaft ärgerte ich mich im Stillem und war nur zu erleichtert, wenn diese Eindringlinge das Café wieder verließen.
An einem wunderschönen Sommertag war die Winkelgasse so überfüllt, dass ich schon die Befürchtung hatte, dass mein Platz belegt sein könnte. Beim Hineingehen war ich im ersten Moment wie erschlagen von den vielen Leuten, doch mein Tisch war wie immer: blank poliert, mit zwei komfortabel gepolsterten rangestellten Stühlen und leer.
Ich deponierte meine Tasche auf meinem Lieblingsstuhl und holte meinen Tagespropheten und mein Heißgetränk. Doch als ich zurückging, stockte mein Herz, weil ich eine junge Frau sah, die unschlüssig neben meinen Tisch stand und auf meine Tasche schaute.
Ich ging zügiger und stellte provokativ meine Tasse lauter als sonst auf die harte Oberfläche.
Aus den Augenwinkeln sah ich sie zusammenzucken, beachtete sie aber nicht weiter. Ich hob meine Tasche auf, stellte sie neben meinen Stuhl, setzte mich und faltete demonstrativ meine Zeitung auseinander.
Sie sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, sich hinzusetzen. Das war mein Tisch, ein Platz für mich ganz alleine.
Hier wollte ich nur meine Ruhe, wollte in dieser Idylle für ein paar Stunden der Realität entfliehen.
Die junge Hexe flüsterte mir schließlich etwas zu, was aber in der Geräuschkulisse unterging und setzte sich doch tatsächlich mir gegenüber und stellte ihre Tasse ebenfalls auf meinen Tisch.
Ich starrte sie wütend an, doch sie kramte in ihrer Handtasche und sah es nicht.
Ich erkannte sie plötzlich wieder. Sie war die Hexe, die immer drei Tische weiter von mir saß und dabei jedes Mal mehrere Pergamentrollen Text schrieb, eine von den Stammgästen also.
Irgendwie beruhigte mich das und ich sah sie mir zum ersten Mal genauer an. Ihre Hautfarbe war attraktiv, nicht weiß und auch nicht richtig dunkel, erinnerte mich an meinen Milchkaffee, der vor mir stand und dampfte. Sie hatte lockige, dunkelbraune Haare, volle Lippen und trug einen dunkelroten Umhang. Ihr Gesicht hatte weiche Züge, war sehr rundlich und auch wenn der Umhang natürlich viel kaschierte, vermutete ich, dass sie nicht gertenschlank war.
Die Beobachtete hatte schließlich Pergament, Tinte und Feder hingelegt, schaute mich noch einmal kurz verzeihend an und fing dann an zu schreiben.
Ich muss gestehen, dass ich sie weiterhin anstarrte. Ihre Augen waren grün-braun und groß. Sie wirkte auf mich unschuldig und einfach nur süß.
Irgendwie konnte ich ihr trotzdem nicht verzeihen, dass sie mich gestört hatte, denn warum auch immer, konnte ich mich nicht mehr auf die Artikel im Tagespropheten konzentrieren.
Meine Gedanken schwirrten immer wieder zu der niedlichen Frau mir gegenüber.
Was sie wohl da schreibt?
Warum kommt sie jeden Samstag in dieses Café?
Was wird sie wohl beruflich machen?
Ich fühlte mich von ihrer Anwesenheit so irritiert, dass ich mich nicht entspannen konnte, schließlich sogar die Zeitung weglegte und sie einfach wieder anstarrte.
Vielleicht hört sie dann ja auf zu schreiben?
Die Mysteriöse schien es aber anscheinend nicht mal in kleinster Weise auszumachen. Ihr Blick haftete auf ihren Pergamentrollen. Immer. Sogar, wenn sie an ihrer Tasse nippte, schaute sie nicht auf, sondern las sich ihr eben Geschriebenes nochmals durch.
Ich beobachtete wie ihre Hand, aus meiner Perspektive, sich von rechts nach links bewegte und malte mir aus was sie da wohl schrieb.
Nach einer Stunde wurde das Café schließlich leerer und nur die üblichen Gäste blieben sitzen.
Mir wurde bewusst, dass es wohl für die anderen ziemlich komisch aussehen musste, wie ich die junge Hexe so anstarrte. Deshalb kramte ich meine Zeitung hervor und tat wenigstens so, als ob ich lesen würde.
Das Café wurde immer ruhiger, bis ich sogar das sanfte Kratzen ihrer Feder hörte.
Schließlich lullte mich das so ein, dass ich zum Schluss doch noch endlich zum Lesen kam.
Als dieses Geräusch für länger stoppte, als für ein Feder-wieder-in-Tinte-tauchen gebraucht wurde, schaute ich überrascht auf.
Sie lächelte mich schüchtern an, nahm ihre Handtasche, schob ihren Stuhl ran und verließ mich und das Café mit einem gehauchten: „Auf Wiedersehen".
Was sollte ich nun von ihr halten?
Ob sie sich wohl nächsten Samstag wieder zu mir setzt?
Als es sechs Uhr wurde und ich ging, schwor ich mir, dass, wenn sie sich noch einmal zu mir setzen würde, ich freundlicher zu ihr sein würde, ja, sie sogar ansprechen würde.
