Even the darkest night will end

von Michelle Mercy

Eine Javert/Valjean-Afterlife-Story. Himmel und Hölle sind nicht so, wie man sie sich vorstellt. Vielleicht ein wenig slashy, etwas blasphemisch und mit mehr als einem Hauch von crack fic versehen…

Die Jungs und ihre Umgebung gehören Hugo, auch wenn ich noch soviel mit ihnen herumspiele (Wäh!).

Die Advokatin des Teufels und ihre natürliche Umgebung sind mein Eigentum und entstammen dem

Wahrhaft teuflisch"-Universum!

1. Kapitel

Javert fiel. Er spürte, wie das kalte Wasser über ihm zusammenschlug, wie er im Wasser tiefer sank. Selbst, als er merkte, daß Wasser in seine Lungen strömte, und der reißende Fluß ihn gegen den Pfeiler der Brücke warf, von der er gesprungen war, hatte er weiterhin das Gefühl zu fallen, immer tiefer, als gebe es keinen Boden, auf dem er aufschlagen konnte. Er hatte längst die Orientierung verloren, als sein Fall nach scheinbaren Ewigkeiten aufgehalten wurde.

Javert blickte sich um. Das Wasser, das ihn umgeben hatte, war verschwunden. Stattdessen schien er in der Luft zu hängen, ohne daß er durch irgend etwas gehalten wurde. Um ihn herum war alles einfarbig grau, keine andere Farbe bot dem Auge einen Kontrast.

Auch ein weniger scharfsinniger Verstand als Javerts wäre schnell zu dem Schluß gekommen, daß er tot sein mußte. Die Frage, die sich daraus ergab, war allerdings: Wo befand er sich? Im Himmel? Mehr als unwahrscheinlich, ob dessen, was er gerade getan hatte, und außerdem wohl kaum mit der Umgebung in Einklang zu bringen. Im Fegefeuer? Dafür fehlte es eindeutig an Feuer. In der Hölle? Das bestrafte diese Institution offenbar durch Eintönigkeit und Langeweile.

„Ist hier jemand?" fragte Javert versuchsweise, hörte jedoch nur seine eigene Stimme, die von den Wänden als Echo zurückgeworfen wurde.

XXX

Nicht weit entfernt saßen sich in einem Zimmer ein Mann, der in strahlendes Weiß gekleidet war, und eine Frau in einem rot-schwarzen Kostüm gegenüber. Zwischen ihnen befand sich ein Tisch, und auf dem Tisch lag genau in der Mitte ein flammendes Schwert.

„Und Ihr seid sicher, daß Euer Boß keinen Anspruch auf ihn erhebt?" fragte der Mann.

Die Frau seufzte. „Seine boshafte Schwefeligkeit läßt Eurem alten Mann versichern, daß wir nicht interessiert sind."

„Aber wir sind auch nicht zuständig. Er ist ein Selbstmörder." Der Mann bekreuzigte sich, woraufhin die Frau ein leises Knurren ausstieß.

„Er war Zeit seines Lebens ein treuer und braver Diener der irdischen Gesetze." Die Frau wirkte, als habe sie heftige Schmerzen bei diesem Gedanken,

„Er hat einem guten Menschen Jahrzehnte seines Lebens gestohlen."

„Er hat diesen Mann gehen lassen, obwohl es gegen alles verstieß, woran er glaubte."

„Es sieht nicht so aus, daß wir uns einig werden, oder?"

„Nein."

„Dann bleibt nur eines zu tun."

„Wir werden den gemeinsamen Gerichtshof von Himmel und Hölle bemühen müssen", bestätigte die Frau.

XXX

Javert hing noch immer in der Luft und wußte nicht, was er tun sollte. Die ewigen Qualen der Hölle, zumindest wie er sie sich vorstellte, wären diesem Nichts mit Sicherheit vorzuziehen gewesen.

Plötzlich veränderte sich die Farbe. Rechts von ihm erhellte sich das Grau solange, bis die Wände ein strahlendes Weiß angenommen hatten, während es auf der linken Seite sich langsam zu düsterem Schwarz wandelte.

Javert begann, sich wieder nach unten zu bewegen, diesmal jedoch nicht im freien Fall, sondern eher schwebend. Auf einmal fühlte er festen Boden unter den Füßen.

„Es tritt zusammen der gemeinsame Gerichtshof von Himmel und Hölle", donnerte eine unsichtbare Stimme durch den Raum.

Ein Gericht? Javert runzelte die Stirn. Das Jenseits begann mit einem Gerichtsverfahren? Erwartete man von ihm etwa, daß er sich für sein Leben rechtfertigte?

Auf der weißen Seite fuhr plötzlich eine Bank mit zwölf weißgekleideten Engeln herum, die tatsächlich sogar Flügel hatten. Die Gesichter einiger von ihnen kamen Javert vage bekannt vor; es dauerte eine Weile, bis er feststellte, wo er die Gesichter schon gesehen hatte: auf Heiligendarstellungen in Kirchen.

Auf der schwarzen Seite fuhr ebenfalls eine Bank herein, auf der zwölf düstere Gestalten hockten, denen Javert – übrigens durchaus zu Recht – jedes Verbrechen zutraute.

Die beiden Bänke blieben in einem Abstand von einem Meter voneinander entfernt stehen.

Hinter Javert waren Schritte zu hören. Er wandte sich um. Nebeneinander, jedoch jeder auf der seiner Kleidung entsprechenden Seite, traten ein hochgewachsener, weißgekleideter Mann mit schönen, aber strengen Gesichtszügen und einem flammenden Schwert in Händen, und eine schlanke, attraktive Frau in schwarz-rotem Kostüm, dessen Rock nach Javerts Auffassung anstößig viel Bein sehen ließ, in den Saal.

„Erzengel Michael für den Himmel", sagte der Mann in Richtung der Bänke.

„Die Advokatin des Teufels, es dürfte klar sein, für welche Seite", erklärte die Frau sarkastisch ebenfalls in Richtung der Bänke.

Javert war sich nicht ganz sicher, was er verwirrender fand: daß sich ein Erzengel mit ihm beschäftigte, oder daß der Teufel einen weiblichen Advokaten hatten. Überhaupt, ein Gerichtsverfahren mit welchem Inhalt fand hier statt? Er war von eigener Hand gestorben, worüber sollte man da noch verhandeln?

„Das Verfahren ist eröffnet", verkündete die unsichtbare Stimme. „Möge der Himmel seine Argumente vortragen."

Der Erzengel trat vor. „Wir wollen ihn nicht", sagte er in scharfem Ton. „Er ist ein Selbstmörder. Das allein reicht schon, ihm die Aufnahme in die Schar der Engel zu verweigern. Doch dazu hat er es geschafft, in seinem ganzen Leben bis zu der Nacht seines Todes niemals Barmherzigkeit walten zu lassen. Er war kalt, herzlos und hat sein Leben damit vergeudet, einen Mann zu jagen, der ein sehr guter Mensch ist, weil er ihn, wie er alle Menschen beurteilt, nach dem beurteilte, was er war, nicht, was er ist. Er ist nicht in der Lage zu vergeben und zu verzeihen. Er gehört nicht zu uns. Er muß zur Hölle fahren."

Javert konnte dem Erzengel nur zustimmen. Es war alles richtig, was dieser gesagt hatte. Weswegen war er dann hier? Man hätte ihn doch gleich in die ewige Verdammnis schicken können, anstatt diese überflüssige Theatralik aufzuführen.

„Wir hören jetzt die Vertreterin der Hölle", verkündete die Stimme.

Die Advokatin des Teufels trat vor. Sie blickte einen kurzen Moment zu Boden, als müsse sie sich konzentrieren, oder suchte sie tatsächlich nur nach Worten?

Wie konnte man auch eine Frau auf eine solche Position setzen?" fragte sich Javert. Frauen waren doch zu einer so verantwortungsvollen Aufgabe gar nicht fähig, sondern viel zu emotional.

Des Teufels Advokatin hob den Kopf und blickte die Bänke an. „Ich bin selten in einem Fall so ratlos gewesen wie in diesem", begann sie. „Alles, was mein Kollege gesagt hat, ist wahr. Allerdings ist genauso wahr, daß dieser Mann nicht in die Hölle gehört. Er hat in seinem ganzen Leben daran geglaubt, das Gesetz zu achten und auszuführen. Er hat bis zur Nacht seines Todes niemals auch nur daran gedacht, ein einziges Gesetz zu brechen. Und als er es dann doch tat, geschah es, um den Mann zu schützen, den er solange verfolgt hatte. Ich muß die Frage stellen, was die Hölle mit so einem Menschen anfangen soll. Aber ich sehe natürlich auch, daß ich seinen Freitod nicht hinweg diskutieren kann. Ich will nicht versuchen, ihn als geistig umnachtet darzustellen, was nicht schwer, aber nicht angemessen wäre."

Javert mußte darüber nachdenken, ob er seine Meinung über Frauen in wichtigen Ämtern vielleicht revidieren sollte. Alles, was diese Frau äußerte, hatte Hand und Fuß. Er wünschte nur, daß sie endlich zum Ende kommen würde. Er begann, ungeduldig zu werden.

„Ich weiß, daß Sie, meine Herrschaften, ihn nicht in der Hölle wollen", wandte sich die Advokatin an die Bank auf der schwarzen Seite und drehte sich dann zur Bank auf der weißen Seite. „Deswegen spreche ich vor allem zu Ihnen. Der Himmel hat immer einen Hang zum Verzeihen und dem Wunsch, zweite Chancen zu gewähren, gehabt. Und um nichts weiter, als um eine zweite Chance bitte ich für ihn. Ich will nicht, daß Sie ihn in den Himmel aufsteigen lassen. Ich möchte, daß Sie darüber erst in einem Jahr entscheiden. Stellen Sie ihn solange unter Bewährung."

„Was?" stießen Javert und der Erzengel gleichermaßen entsetzt hervor.

„Ich soll Bewährung bekommen?" Der Gedanke war derartig absurd, daß Javert nicht wußte, ob er darüber lachen oder vor Wut explodieren sollte. Nach einem Leben nur zwischen der Frage, ob jemand nach dem oder gegen das Gesetz handelte, war ein solcher Antrag, ihn weder Himmel, noch Hölle zuzuordnen, geradezu grotesk. Wie konnte er eine solche Existenz dazwischen führen?

„Ich erwarte Ihre Entscheidung", verlangte die körperlose Stimme. Jede der Gestalten auf den Bänken trat nacheinander vor und warf eine Kugel in einen großen Becher, der auf einmal zwischen den Bänken aufgetaucht war. Jeder hatte zwei Kugel, eine weiße und eine schwarze. Mit der weißen Kugel folgte der Juror dem Antrag des Erzengels, mit der schwarzen Kugel dem der Advokatin.

Als alle vierundzwanzig Kugeln in dem Becher waren, versank dieser im Boden. Nach etwa zehn Sekunden meldete sich die körperlose Stimme zu Wort. „Es liegen siebzehn schwarze und sieben weiße Kugeln vor."

Die Advokatin konnte sich ein leises „Ja!" nicht verkneifen, während es dem Erzengel nur mit Mühe gelang, einen Fluch zu unterdrücken, der sein Seelenheil in ernste Gefahr hätte bringen können.

Javert starrte wütend und ein Stückweit verzweifelt ins Leere.

„Damit wurde dem Antrag der Hölle gefolgt", fuhr die Stimme fort. „Wir treffen uns heute in einem Jahr wieder und werden sehen, wie er sich bewährt hat. Ich erlege es der Hölle auf, für eine angemessene Beschäftigung zu sorgen. Die Verhandlung ist geschlossen."

Mit lautem Getöse setzten sich die Bänke wieder in Bewegung.

Der Erzengel hatte sich noch immer nicht beruhigt. „Das… das war ein ganz mieser Trick."

„Danke", antwortete die Advokatin und strahlte.